Welthunger

Brot statt Tierfutter: Sollten wir weniger Fleisch essen?

60 Prozent des in Deutschland geernteten Getreides wird an Tiere verfüttert. Gleichzeitig wächst die Zahl der hungernden Menschen in der Welt. Hilft es ihnen, wenn wir auf Schnitzel, Milch & Co. verzichten?

Ganz so einfach ist es nicht: Wenn der Autor dieser Zeilen heute Abend statt eines Schnitzels ein veganes Bratstück auf den Grill legen würde, dann rettet das im Jemen oder in Somalia keinen Menschen vor dem Hungertod. Doch wenn das viele Menschen machen und nicht bloß heute Abend, sondern regelmäßig, dann hilft das. Denn unser Fleischkonsum und die Welternährung hängen zusammen. Weil Tiere nun mal Getreide fressen, das die Menschen auch direkt verzehren könnten. Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat das in einem Interview so erklärt: „Wenn wir in Deutschland die Schweinefleischproduktion um 30 Prozent reduzieren würden, wäre eine Ackerfläche von einer Million Hektar frei. Darauf könnte man fünf Millionen Tonnen Getreide anbauen“. Das würde die weltweite Versorgungslage zumindest langfristig verbessern, fügte die Ministerin hinzu.

Was unser Fleischverzehr mit dem Welthunger zu tun hat

Dass dringender Handlungsbedarf besteht, zeigt auch ein Blick in die Zukunft. Laut Prognosen wächst die Weltbevölkerung bis 2050 auf zehn Milliarden Menschen an und durch die Klimakrise werden Missernten zunehmen. Gleichzeitig wandern über ein Drittel aller Feldfrüchte weltweit in den Futtertrog von Nutztieren. Sie werden zu Fleisch, Milch, Käse oder Eiern. Wertvolles Eiweiß, das aber weniger satt macht. Denn um eine tierische Kalorie zu erzeugen, müssen drei bis sieben pflanzliche Kalorien verfüttert werden – die der Mensch auch direkt essen könnte.

Ein geänderter Speiseplan mit weniger tierischen Lebensmitteln ist also unverzichtbar, wenn alle Menschen auf der Erde gesund und ausreichend ernährt werden sollen. Denn das fruchtbare Land auf unserem Planeten ist begrenzt und nimmt durch Übernutzung und Erosion tendenziell ab. Noch mehr Urwälder abholzen und Moore trockenlegen, um Äcker zu gewinnen, ist keine Lösung, weil es den Klimawandel und das Artensterben weiter anheizt.

Deutschland: Fleisch in Zahlen

  • 2021 wurden hierzulande 8,2 Mio. Tonnen Fleisch produziert. Fast 4 Mio. Tonnen davon gingen ins Ausland, vor allem Schweinefleisch, Geflügel und Innereien.
  • Dafür wurden viele Millionen Tiere geschlachtet:
    51,8 Mio. Schweine
    3,2 Mio. Rinder
    33 Mio. Puten
    1,2 Mio. Schafe
    626 Mio. Masthähnchen
  • Die Zahlen sind enorm. Trotzdem: Seit fünf Jahren sinkt laut Statistischem Bundesamt die deutsche Fleischproduktion und auch der Verbrauch geht zurück. 2018 aßen die Deutschen jährlich 61 Kilo Fleisch pro Kopf, 2021 waren es nur noch 55 Kilo. Auch Milch und Eier wurden weniger oft verzehrt. Gleichzeitig nahm der Absatz von Bio-Fleisch, -Milch und -Eiern stark zu. Immer mehr Menschen kaufen also bewusst weniger Fleisch, Milch & Co. ein – achten dafür aber auf Bio-Qualität, weil es der Umwelt und den Tieren guttut.

Doch trotz aller bekannten Probleme: Weltweit gesehen wächst die Lust auf Fleisch. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass 2020 328 Millionen Tonnen Fleisch produziert wurden und diese Menge bis 2030 um weitere 44 Millionen Tonnen ansteigen wird. Vor allem in Ländern mit niedrigem Einkommen erwartet die FAO einen starken Anstieg. Weil dort die Bevölkerung am stärksten zunimmt und eine wachsende Mittelschicht sich mehr Fleisch leisten kann. Doch selbst mit diesem Anstieg würden die Menschen in diesen Ländern weitaus weniger Fleisch pro Kopf essen als die Menschen in den reichen Industriestaaten.

Wie viel Fleisch, Milch & Eier sind ok?

Wie ein für Mensch und Umwelt gesunder Speiseplan aussehen würde, hat eine internationale Wissenschaftlerkommission 2019 mit der Planetary Health Diet vorgelegt. Demnach müsste der deutsche Durchschnittsesser seinen Fleischkonsum auf ein Viertel reduzieren und auch deutlich weniger Eier und Milchprodukte zu sich nehmen. Stattdessen stünden jede Menge Vollkorngetreide, Obst, Gemüse und Nüsse auf dem Speiseplan, dazu reichlich Hülsenfrüchte als Eiweißlieferanten. Gleichzeitig würden damit nicht nur eine Million Hektar Fläche frei wie in der Rechnung von Ministerin Schulze, sondern deutlich mehr.

Den Ländern des Südens sei allerdings nicht damit geholfen, wenn auf den frei werdenden Flächen intensiv Getreide für den Export angebaut wird, mahnt Tobias Reichert von der Entwicklungsorganisation Germanwatch. „Wir müssen ihnen mit agrarökologischen Maßnahmen helfen, produktiver zu werden, anstatt mit Billigexporten bestehende Strukturen zu zerstören“, so der Agrarhandelsexperte. Freiwerdende Landflächen hier sollten stattdessen genutzt werden, um extensiver zu produzieren und den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu verringern, wie es die EU-Strategie Farm to Fork vorsieht.

Was kurzfristig hilft, damit weniger Menschen hungern

Langfristig kann der Verzicht auf tierische Produkte also einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Welthunger leisten. Doch was hilft kurzfristig? Schließlich hungern die Menschen jetzt, die Preise für Weizen und andere Nahrungsmittel sind drastisch gestiegen und den Nothelfern wie dem Welternährungsprogramm (WFP) geht das Geld aus. „Für die schon jetzt auf Nothilfe angewiesenen Staaten müssen die finanziellen Mittel des Welternährungsprogramms deutlich aufgestockt werden“, fordert deshalb Francisco Marí, Referent für Welternährung und Agrarhandel bei der Hilfsorganisation Brot für die Welt. Deutschland ist der zweitwichtigste Finanzier des Welternährungsprogramms. Allerdings will der Bundesfinanzminister den Etat des Entwicklungsministeriums für 2022 kürzen.

Interview: „Bio hat nichts mit Luxus zu tun“

Durch den Krieg in der Ukraine droht eine große Hungersnot. Bauernverband und Agrar-Industrie fordern, Umweltauflagen zu lockern. Ihre Antwort auf die Hungerkrise – mehr Pestizide, mehr synthetische Düngemittel. Können wir uns eine umweltfreundliche Landwirtschaft noch leisten? Wir sprachen mit Jan Plagge, dem Präsident von Bioland und IFOAM Europa.

Jan Plagge: „Bio hat nichts mit Luxus zu tun“

Tobias Reichert von Germanwatch rät dazu, das Welternährungsprogramm direkt aus staatlichen Lagerbeständen zu unterstützen. „Das wäre für die Märkte ein Preissignal und vermutlich günstiger als finanzielle Hilfe für das WFP.“ Die Bundesregierung hat in der „Bundesreserve Getreide“ derzeit 700.000 Tonnen Weizen, Roggen und Hafer eingelagert. Die Idee, einen Teil davon an das Welternährungsprogramm abzugeben, lehnt das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium jedoch ab. Die Vorräte seien für eine Versorgungskrise in Deutschland gedacht und würden nicht zu anderen Zwecken benutzt, teilte das Ministerium mit.

Was langfristig hilft, damit weniger Menschen hungern

Neben kurzfristigen Hilfen sollte die Regierung jetzt den Rahmen für das nächste Jahr setzen, empfiehlt Tobias Reichert. Die Versorgungslage werde auch 2023 eng sein. Denn was in diesem Frühjahr in der Ukraine nicht ausgesät wurde, kann im Herbst nicht geerntet werden und fehlt dann 2023 auf dem Markt.

Getreideanbau statt Tierhaltung

„Man sollte den Landwirten in Deutschland einen Anreiz geben, dass sie mehr Getreide statt Fleisch produzieren, um diese Ausfälle auszugleichen“, schlägt Reichert vor. Seine Idee: „eine Abstockungsprämie, also ein Ausgleich für Mastplätze, die der Landwirt nicht besetzt“. Das Ziel wäre es, zehn bis 15 Prozent weniger Tiere in den Ställen zu haben. Da diese auch weniger Futter bräuchten, wären Flächen frei für mehr Nahrungsmittel. „Eine solche Prämie könnte der Anfang dessen sein, was die Bundesregierung sowieso plant: mehr Platz im Stall und insgesamt weniger Tiere“, sagt der Agrarhandelsexperte.

Francisco Marí von Brot für die Welt sieht noch eine positive Wirkung: „Eine Reduzierung der Viehbestände für die Fleisch- und Milchproduktion wäre ein deutliches Signal an die Getreidebörsen und würde zu sinkenden Preisen führen.“

Gegen die Hungersnot: Teller statt Tank

Dieselbe Wirkung hätte es laut Marí auch, die Herstellung von Agro-Treibstoffen aus Getreide zu verringern. 2020 wurden dem deutschen Sprit 1,4 Milliarden Liter Ethanol beigemischt, das zu einem Großteil aus Getreide hergestellt wurde. Für einen Liter Ethanol werden etwa 2,5 Kilogramm Weizen gebraucht. Der Bundestag hatte schon 2021 beschlossen, die Beimischung von Agro-Treibstoffen aus Nahrungs- und Futtermitteln ab 2023 schrittweise zu verringern. Das ließe sich vorziehen. Das eingesparte Getreide könnte in Reserven fließen, die im Falle einer Krise Entwicklungsländern sofort zur Verfügung gestellt werden könnten, schlägt Francisco Marí vor.

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Lena Luig ist Referentin für Welternährung und globale Landwirtschaft beim entwicklungspolitischen Inkota-Netzwerk.

Wie lässt sich jenseits der aktuellen Krise die Welternährung nachhaltig sichern?

Die aktuelle Krise verschärft eine schon bestehende Hungerkrise. Das ganze System befindet sich in einer Schieflage. Nicht nur, weil so viel Getreide für die Ernährung von Tieren und für Agro-Sprit verwendet wird. In vielen Ländern des Südens haben die früheren Billigweizenexporte aus der EU in den Brotkonsum und die Abhängigkeit von Weizen geführt. Das muss sich ändern, etwa durch den verstärkten Anbau regional angepasster Pflanzen wie etwa Sorghumhirse.

Was hilft noch gegen diese Schieflage?

Wir müssen es hinkriegen, dass Lebensmittel nicht in den Futtertrog und Tank wandern, sondern Menschen ernähren. Zudem würde es die Ernährungssicherheit stärken, wenn die Bauern statt Cash Crops für den Weltmarkt wie Soja oder Zuckerrohr vielfältige Lebensmittel für den regionalen Markt produzieren. Darüber hinaus brauchen sie agrarökologische Anbausysteme, die ohne den Einsatz von synthetischem Dünger und Pestiziden auskommen. Denn mit den steigenden Energiekosten sind die Preise für Düngemittel und Diesel in die Höhe geschnellt. Bei uns und im Süden.

Wie kann die Agrarpolitik hierzulande eine solche Entwicklung unterstützen?

Im Koalitionsvertrag ist Agrarökologie in der Entwicklungszusammenarbeit prominent vertreten, wir sind da positiv erwartungsvoll. Darüber hinaus müssen wir in Europa weg von unserer Exportorientierung, weil indirekt subventionierte Agrarexporte Strukturen in den Ländern des Südens zerstören. Statt Hühner und Schweine für den Export zu produzieren, sollten wir auf den Flächen für Futtermittel viel mehr Gemüse und Hülsenfrüchte anbauen, die wir bisher größtenteils importieren müssen.

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