Essen

Und ewig lockt das Fleisch

Bratwurst, Döner Kebab, Sonntagsbraten – Fleisch muss her! Jeden Tag, überall, zwischendurch und unterwegs. Aber warum eigentlich? Und lässt sich das wieder ändern?

Einige wissen es, viele ahnen es: Wir essen zu viel Fleisch. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, ein Gedankenexperiment: Wir tun so, als würde das Fleisch eines ganzes Jahres für die gesamte fleischessende Weltbevölkerung von nur einer einzigen Riesenkuh stammen. Um leichter rechnen zu können, nehmen wir als Basis eine kugelrunde Kuh, die eine Tonne wiegt und 1,50 Meter groß ist. Unsere kugelförmige Riesenkuh würde es auf 1,2 Kilometer* Höhe und Breite bringen – das sind knapp vier Eiffeltürme übereinander und nebeneinander.

Fleischkonsum in Deutschland

In Deutschland hat sich der Fleischkonsum seit 1961 verdoppelt. Im Schnitt sind es mittlerweile 60 Kilogramm Fleisch pro Person pro Jahr. Das ist deutlich mehr als das, was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, nämlich 22 Kilogramm. Weltweit wächst der Fleischkonsum noch extremer, heutzutage sind es insgesamt knapp vier Mal so viel Fleisch als noch vor rund 50 Jahren, heißt es im Weltagrarbericht. Im Jahr 2018 waren es insgesamt 327 Millionen Tonnen. Geflügel steht dabei an erster Stelle, dicht gefolgt von Schwein, an dritter Stelle Rind, weiter dahinter Schaf und Ziege. Das ist so viel, dass es für Mensch und Umwelt ungesund wird – mal ganz abgesehen von den Massen an Tieren, für die das sogar sehr ungesund ist, weil die meisten von ihnen in Massentierhaltung aufwachsen und nach einem kurzen, qualvollen Leben getötet und verspeist werden.

Warum essen wir so viel Fleisch?

Doch warum essen wir so viel Fleisch? Weil wir es so gewohnt sind. „Früher, bis in die 60er-Jahre, hat das fast keiner kritisch gesehen, das war gutes, gesundes Essen“, sagt einer, der sich schon lange und intensiv damit beschäftigt: Gunther Hirschfelder, Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Er leitet das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „Fleisch als Kulturgut“. Fleisch sei lange Zeit ein Privileg der Oberschicht gewesen, sagt Hirschfelder. Jetzt dominiert allerdings Billigfleisch aus Massentierhaltung die Supermarktregale, zu Spottpreisen – von Luxus und Qualität keine Spur mehr. Doch noch immer lockt das tierische Eiweiß mit dem würzigen Umami-Geschmack, verspricht leicht verdauliche Energie.

Wie viel Fleisch ist gesund?

In der Urzeit haben wir, wie jetzt noch viele Primaten, alle Eiweißquellen genutzt, derer wir habhaft wurden. Dazu gehören nicht nur Insekten, Aas und der Kot anderer Tiere, sondern auch gelegentlicher Kannibalismus. Fleisch war enorm wichtig, sagt Gunther Hirschfelder. Gesellschaften, deren Bevölkerung wenig Zugang zu tierischem Protein hatte, hinkten kulturell und technisch hinterher. Doch heutzutage brauchen wir weder Fleisch, um am Leben zu bleiben, noch, um alle Nährstoffe, die wir benötigen, zu erhalten. Wer weiß, was er tut, kann sich auch fleischlos gesund ernähren.

Zu viel Fleisch macht krank – den Menschen und seine Umwelt

Doch der Fleischhunger der Welt bleibt gigantisch. Mit Konsequenzen: Regenwälder werden gerodet, um Weideflächen für Tiere und Äcker für den Anbau von Soja zu gewinnen, um daraus Tierfutter herzustellen. Rinderherden pupsen alles mit Methan voll, Fleisch wird mit Verbrennungsmotoren transportiert, es ist ein klimatisches Desaster. Eine ständige Überdosis an Fleisch kann überdies für Krankheiten sorgen, von Herzkreislaufproblemen über Krebs und Stoffwechselerkrankungen bis hin zu entzündeten Gelenken – ganz zu schweigen von den durch die in der Massentierhaltung im Überschwang eingesetzten Antibiotika immer resistenteren Keime. Und das Leid von Mitwesen wie etwa Schweinen, die mindestens so intelligent wie Hunde sind und meist in viel zu engen Boxen vor sich hinvegetieren, ist kein großes Geheimnis, selbst wenn es nur selten in Form von Bildmaterial im großen Maßstab an die Öffentlichkeit gelangt. All das wissen viele oder könnten es recht leicht in Erfahrung bringen. Aber es ändert sich wenig.

Ernährung nach dem Motto „Das hab' ich mir verdient“

„Es interessiert auch nur wenige“, sagt Hirschfelder, „unsere Gesellschaft ist fragmentiert. Es gibt viele Gruppen, die verschiedene Lebensstile pflegen und auch unterschiedlich mit dem Thema Fleisch umgehen.“ So würden Menschen am oberen Ende der Gesellschaft häufig einen eher offensiven Ansatz vertreten: „Da sagt man, das hab' ich mir verdient, der Rest geht mich nichts an!“ Man denke etwa an den Ex-Bayern-Spieler Franck Ribéry, der Anfang 2019 Furore machte, weil er ein mit Blattgold bedecktes Steak für 1200 Euro verspeiste, ein Video davon auf Instagram veröffentlichte und Kritiker dieser Aktion dann wüst beschimpfte. Viele Menschen am unteren Ende der Gesellschaft hingegen, sagt Hirschfelder, stünden meist unter einem sehr hohen psychosozialen Druck: „Die kommen gar nicht dazu, das zu hinterfragen, und Essen ist da oft Ausgleichshandlung.“ Bei Menschen mit Migrationshintergrund sei es wiederum oft so, dass sie viel Fleisch essen, weil sie häufig aus Mangelgesellschaften stammen, in denen es sonst wenig Fleisch gibt.

Warum essen wir Fleisch trotz eines schlechten Gewissens?

Und was ist mit der Mittelschicht? „Die hat ein schlechtes Gewissen, besonders junge und gut gebildete Menschen. Allerdings essen viele trotzdem Fleisch. Das hält man individuell und auch als Gesellschaft nur durch kognitive Dissonanz aus. Aber vielen ist es auch einfach, mit Verlaub, Wurst“, sagt Hirschfelder. Kognitive Dissonanz bezeichnet diesen unangenehmen Zustand, bei dem widersprüchliche Gefühle und Ansichten miteinander im Clinch liegen. Oft wird sie rasch aufgelöst, indem die Psyche kurzerhand alles wieder auf Linie bringt. Dies geschieht, indem man – meist hinterher – gute Argumente findet, warum man dies oder jenes getan hat. Studien haben beispielsweise gezeigt, dass Probanden, die im Experiment Trockenfleisch als Snack aßen, hinterher eine andere Einstellung zu Tieren hatten als diejenigen, die Cashewnüsse aßen – wer Fleisch gegessen hatte, gestand Kühen weniger Emotionalität, Intelligenz und Leidensfähigkeit zu.

Der Unterschied zwischen Haustier und Nutztier ist stark kulturell geprägt. „Pferde beispielsweise sind tolle Fleischlieferanten“, sagt Hirschfelder, „sie enthalten viele wichtige Nährstoffe, sind nicht zu fett, schmecken gut. Aber in Mitteleuropa wurden und werden sie kultisch überhöht, als edle Reittiere. Deshalb isst man hierzulande fast kein Pferdefleisch.“ Je nach Region und Religion sind bestimmte Tiere tabu. Hunde isst man in China, hier aber nicht, Kühe hier, aber nicht in Indien, Schweine fast überall, außer im Islam. Dann gibt es ja noch Fisch, Meeresfrüchte, Insekten – „Fleisch“ ist ein ungenauer Ausdruck tierischen Proteins, dessen Bedeutung je nach Kontext variiert – zählt eine tote Katze beispielsweise als Fleisch hierzulande? Eher nein, zumindest aktuell – in einer Hungersnot war das anders, da kam schon mal ein „Dachhase“ in den Topf.

Fleisch steht für Tradition

Du bist, was du isst: „Der Mensch ist eingesponnen in ein kulturelles Bedeutungsgewebe, und da ist Ernährung weit mehr als eine bloße Nahrungsaufnahme, sondern eine soziale, historische und auch emotionale Verortung“, sagt Hirschfelder. Deshalb ist es für den Einzelnen schwer, sich fleischlos zu ernähren, es ist ja oft ein traditionell empfundenes, früh eingeübtes Verhalten: Eine Mahlzeit mit Fleisch, Gemüse, Sättigungsbeilage, das kennen wir aus der Kindheit. Zudem ist auch die Imbisskultur problematisch: überall günstige, schnelle Gerichte mit Fleisch, die mit Fett und Proteinen eine hohe Energiedichte haben. Eine Lösung ohne Verzicht könnte der Genuss sein – so plädiert beispielsweise der Foodblogger Julien Walther auf seinem Blog „Trois Etoiles“ dafür, nur sehr selten, dafür aber sehr hochwertiges Fleisch zu essen, dann wolle man das Billigfleisch auch gar nicht mehr; und wenn dies alle täten, wäre die Massentierhaltung bald schon Geschichte.

Die Politik ist gefragt

Doch welchen Ansatz man auch verfolgt, schnell dürfte es nicht gehen, denn Ernährungssysteme ändern sich nur sehr langsam, gibt Hirschfelder zu bedenken und fordert: „Der Staat muss hier die Rahmenbedingungen setzen.“ Aber wie soll man global damit umgehen? Mit welchem Recht will beispielsweise der Westen, mit dem weltweit aktuell größten Fleischkonsum, Schwellenländern verbieten, mehr Fleisch zu essen, das sie sich jetzt, mit steigendem Wohlstand, leisten können? Durch den Klimawandel dürften die Lebensmittelpreise jedenfalls bald steigen.

Wird Fleisch also bald wieder zum Luxusprodukt? Können wir uns mit im Labor gezüchteten Zellen behelfen? Oder doch mit Insekten?

Klar ist: Da hat sich etwas Ungutes entwickelt, und wir scheinen selbst oft zu nah dran zu sein, zu involviert, zu sehr daran gewöhnt, um es richtig zu erkennen und vor allem ändern zu können. Wie werden denn kommende Zivilisationen über unseren Umgang mit den Tieren urteilen? So, wie wir jetzt über die Sklaverei von früher denken? Bei großen gesellschaftlichen Veränderungen wie beispielsweise der Abschaffung der Sklaverei gibt es der Historikerin Luise Tremel zufolge fünf Stufen: Problematisierung, Mobilisierung, Regulierung, Neuordnung, Konsolidierung. Aktuell dürften wir uns beim Thema Fleischkonsum diesem Modell zufolge noch vor der Regulierung befinden – und haben noch einen weiten Weg vor uns.

* So haben wir die kugelrunde Riesenkuh berechnet: Die Schlachtausbeute bei Rindern beträgt rund zwei Drittel. Deshalb benötigen wir für die 327 Millionen Tonnen Fleisch, die die Welt im Jahr vertilgt, knapp 490 Millionen Kühe. Diese ergeben zusammengerechnet eine kugelförmige Riesenkuh, die rund 1,2 Kilometer hoch und breit ist. Unsere Basiskuh wiegt eine Tonne und ist 1,5 Meter groß.

Mehr zum Thema

  • Die Heinrich Böll Stiftung gibt den jährlich erscheinenden Fleischatlas mit kurzen Essays und vielen Abbildungen rund um den Fleischkonsum heraus.
  • Kompatscher, Gabriela; Spannring, Reingard et al.: Human-Animal Studies. UTB Verlag, 2017, 364 Seiten, 24,99 Euro
  • Foer, Jonathan Safran: Tiere essen. Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2010, 400 Seiten, 19,99 Euro
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