Jan Plagge ist im Dauerkrisenmodus. Corona, der Krieg in der Ukraine, die Umwelt-, Klima- und Artenkrisen. Das alles macht ihn betroffen. Doch Plagge, der für die Internationale Vereinigung der Öko-Landbaubewegungen (IFOAM) die Interessen des Bio-Landbaus in Brüssel vertritt, wirkt erstaunlich positiv. Ein Gespräch, das Hoffnung macht.
Sind Verbraucherinnen und Verbraucher, die Bio kaufen, für den Hunger in der Welt verantwortlich?
Nein, das ist kompletter Quatsch. Verantwortlich für den Welthunger sind an erster Stelle Konflikte und Krisen. Der Krieg in der Ukraine zeigt das ganz deutlich. An zweiter Stelle kommt die Lebensmittelverschwendung und drittens der hohe Konsum tierischer Produkte. Wenn man das alles addiert, kommt man zum Kern des Problems.
Wie sieht dieser Kern aus?
Wir müssen unser instabiles Ernährungssystem umbauen. Mit der Farm-to-Fork-Strategie hat die EU-Kommission diesen Umbau bereits in den Mittelpunkt gestellt. Wir müssen hin zu weniger Tierhaltung, mehr Artenvielfalt und Landwirtschaftssystemen, die mit der Klimakrise zurechtkommen.
Dennoch, der Öko-Landbau liefert weniger Erträge ...
Wir müssen aufhören, nur über Quantität zu reden und endlich anfangen, das Gesamtsystem zu bewerten. Es geht nicht nur um die Menge, die geerntet wird. Wichtig ist auch die Frage, wie viel des Ertrages auf den Einsatz von künstlich hergestelltem Stickstoffdünger zurückzuführen ist, wie viel Nitrat ins Grundwasser gesickert ist, wie es mit der Artenvielfalt auf dem Acker aussieht und wie mit der Klimabilanz. Wenn ich das alles berücksichtige, bekomme ich eine realistische Gesamtbilanz.
Diese Rechnungen sind nicht neu.
Richtig. Und politisch sind wir auch in die richtige Richtung unterwegs. Aber durch den Krieg in der Ukraine kommen vermeintliche Experten, Politiker und Lobbyisten wieder aus der Deckung und wittern Morgenluft. Die haben sich in den Monaten vor dem Krieg kaum getraut, ihre Interessen laut zu äußern. Sie wollen an der Idee einer Landwirtschaft auf Kosten von Böden, Trinkwasser, Klima und Arten weiter festhalten. Das ist unverantwortlich.
Zur Person
Jan Plagge ist Agrar-Ingenieur und 2011 zum Präsidenten von Bioland gewählt worden. Als Plagge das Steuer bei dem Bio-Anbauver-band übernahm, war er politisch noch ein recht unbeschriebenes Blatt. Seither ist der 51-Jährige nicht mehr aus den politischen Debatten rund um den ökologi-schen Landbau wegzudenken. Das zeigt auch seine Wahl zum Präsidenten des europäischen Arms der International Federa-tion of Organic Agriculture Mo-vements (IFOAM). 2020 wurde er im Amt bestätigt. Plagge kennt auch die Praxis. Anfang der 90er-Jahre hat er mit seiner Familie den Hof in Niedersach-sen auf Bio-Landbau umgestellt.
Durch den Krieg drohen große Hungersnöte. Wie kann man diese Katastrophe verhindern?
Als erstes müssen wir aus dem Agro-Sprit raus. Es darf kein Getreide mehr im Tank landen. Wir dürfen unsere Energie für Mobilität nicht mehr aus Pflanzen gewinnen, mit denen man auch Menschen ernähren könnte. Außerdem sollten wir unseren Fleischkonsum, vor allem den von Schwein und Geflügel, reduzieren. Denn anders als Wiederkäuer, die mit Heu, Gras und Silage gefüttert werden, bekommen Schweine und Hühner Getreide, das auch Menschen ernähren könnte. Wenn wir also weniger und dafür hochwertiges Bio-Schweine- und Bio-Geflügelfleisch essen würden, könnten viel mehr Kapazitäten für den Nahrungsmittelanbau frei werden.
Sind Bio-Bauern auf Futtermittel aus der Ukraine angewiesen?
Unterschiedlich. Wir haben viel stabilere Versorgungs- und Preissysteme als die konventionelle Landwirtschaft entwickelt. Weil wir im Bio-Bereich viel mehr auf langfristige und faire Vereinbarungen setzen. Das gilt jetzt aber vor allem für Bio-Verbandsbetriebe. Bei Bioland sind wir so gut wie gar nicht auf Futtermittel aus der Ukraine angewiesen. Weil wir unser Futter vor allem vom eigenen Hof oder aus anderen regionalen Projekten beziehen. EU-Bio-Bauern können aber durchaus ein Problem bekommen, wenn sie stark auf Futtermittelimporte angewiesen sind.
Die EU-Kommission hat ihren Plan, den Pestizid-Einsatz zu halbieren, gestoppt und Naturschutzflächen für den Anbau von Weizen und Mais freigeben. Was ist davon zu halten?
Es ist falsch, jetzt alle Flächen, in denen der Naturschutz Vorrang haben soll, für alle Kulturen freizugeben. Das Anbaupotenzial ist gering, der Beitrag zur Hungerkrise marginal – es ist vielmehr eine weitere Nebelkerze der Agrarindustrie. Von dem Ziel, den Einsatz von Pestiziden zu halbieren, will die Kommission aber nicht abrücken. Sie hat den Termin für die Veröffentlichung einer neuen Regulierung verschoben. Das kann auch von Vorteil sein, denn die Entwürfe bewerten Naturstoffe, zum Beispiel Pflanzenextrakte, in ihren Effekten vollkommen falsch. Es wäre also die Chance, an diesem Entwurf fachlich noch nachzuarbeiten.
Wird die Kommission an ihrer Farm-to-Fork-Strategie festhalten?
Das müssen sie, weil nur dieser Weg unsere Landwirtschaft krisenfest macht. Der Krieg in der Ukraine zeigt ja, wie schnell unser aktuelles Ernährungssystem unter Druck geraten kann. Die Farm-to-Fork-Strategie liefert jede Menge gute Ansätze, etwa mit einer lokalen Kreislaufwirtschaft, die krisenfester ist, und mehr Öko-Landbau. Auf der anderen Seite müssen die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa mitmachen, denn jede Konsumentscheidung hat Auswirkungen auf unsere Umwelt.
Ist das nicht etwas zu optimistisch?
Um es klar zu sagen: Die Geschäftsinteressen derer, die weiter mit dem Verkauf von synthetischen Düngemitteln, Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut Geld machen wollen, sind nach wie vor sehr mächtig. Aber mittlerweile haben die Institutionen der EU, aber auch viele Regionen in Europa sowie etliche Bereiche in der Wirtschaft verstanden, dass sich die großen Fragen unserer Zeit, sei es zur Artenvielfalt, Klimakrise oder zu fruchtbaren Böden, rund um die Entwicklung des ökologischen Landbaus entscheiden.
Gibt es denn nichts, worin bio noch besser werden kann oder muss?
Bio darf natürlich nie stehenbleiben, sondern muss sich immer wieder kritisch hinterfragen und weiterentwickeln. Zum Beispiel beim Klimaschutz. Wir merken ja, dass der Klimawandel schneller vonstattengeht als angenommen und wir weniger Zeit für Anpassungen haben. Wir sehen das weltweit, in Zentraleuropa, und ganz besonders in Deutschland. Deutschland wird ein Hotspot in puncto Wasserverlust sein. Deshalb müssen sich unsere Anbausysteme diesbezüglich viel schneller verändern. Das zweite große Thema ist Biodiversität. Da liefert Bio zwar schon viele Vorteile, allein weil keine synthetischen Mineraldünger und Pestizide eingesetzt werden. Aber man kann natürlich auch durch den Einsatz einer mechanischen Hacke Artenvielfalt reduzieren.
Es lohnt sich, den Bio-Weg mitzugehen
Wir sind jetzt bei neun Prozent Öko-Landbau in der EU. Warum wurde da noch nicht mehr erreicht?
Dafür ist die Bio-Branche auch selbst mitverantwortlich. Wir haben uns zu lange mit uns selbst beschäftigt und nicht als Bürgerbewegung gesehen. Bio hat nichts mit Luxus zu tun. Bio sollte, ja muss, der Normalfall sein. Ich nehme nicht nur in meinem Umfeld wahr, dass die Menschen zum überwiegenden Teil eine vielfältige Landwirtschaft wollen, die Rücksicht auf unsere Lebensgrundlagen nimmt und eine artgerechte Tierhaltung garantiert.
Warum kauft dieser überwiegende Teil Menschen dann nicht Bio?
Weil wir sie noch davon überzeugen müssen, ihr Einkaufsverhalten diesem Bedürfnis anzupassen. Das hat ganz viel mit Gewohnheit zu tun. Wir müssen auch diejenigen, die Bio jetzt noch als kostspielige Idee sehen, begeistern.
Und wie soll das gelingen?
Ich werde privat oft gefragt, ob Bio wirklich besser sei. Ich antworte dann, lass uns auf einen Bioland-Betrieb fahren und es uns anschauen. Wenn sie mit hinfahren, sich die Zeit nehmen, dann sind sie auch überzeugt. Jeder Bio-Kunde kann so einen weiteren gewinnen.
Ist das eine Bitte an unsere Leserinnen und Leser?
Das wäre mein Riesenwunsch. Den Menschen zeigen, wie die Bio-Landwirtschaft aussieht, wie sie funktioniert und dass es sich lohnt, diesen Bio-Weg mitzugehen.
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