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Im Griff der Dürre

Monatelang kaum Regen, stattdessen Trockenheit, Hitze, Waldbrände und Missernten. Noch nie war der Klimawandel in Deutschland so greifbar wie in den letzten Jahren. Welche Folgen werden diese Wetterextreme haben?

Ulf Allhoff-Cramer ist richtig sauer: „Wir Bäuerinnen und Bauern klagen an. Wir klagen an – die Klimaverbrecher von RWE und ihre Helfer in der Politik, die wider besseres Wissen und sehenden Auges unser wunderbares, stabiles und so fruchtbares mitteleuropäisches Klima zerstören.“ An einem der vielen regenlosen Tage im vergangenen Jahr teilt der Bio-Bauer aus Ostwestfalen seine Wut mit Tausenden Menschen auf der Großdemonstration am Hambacher Forst. Sie protestieren gemeinsam gegen die Kohlepläne des Energieversorgers RWE. Allhoff-Cramer steht mit einem Mikrofon in der Hand auf der Bühne und beschreibt lautstark, wie sich die anhaltende Trockenheit auf seinen Hof auswirkt: „Ich bin nun seit einigen Jahrzehnten Bauer und ich möchte Euch sagen, es ist für mich der schönste Beruf der Welt. Aber könnt Ihr Euch vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn die Tiere auf der Weide nichts mehr zu fressen haben? Wenn selbst auf unseren guten, schweren Böden in Ostwestfalen fast nichts mehr wächst?“

Heiß und trocken zugleich

Viele konnten sich hierzulande wohl nicht wirklich vorstellen, was ein verändertes Klima für Deutschland bedeutet. Bis 2018. Bis zur größten Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Vergangenes Jahr haben wir zumindest ein Gefühl davon bekommen, um was es geht – und, was uns Prognosen zufolge künftig häufiger droht wochen- und monatelang kein Regen. Verdorrte Äcker. Flüsse, die zu wenig Wasser führten und deshalb nicht befahrbar waren. Bäume, die verdursteten. Waldbrände. Sogar Felder entzündeten sich.

Extreme Witterung hat es früher schon gegeben, zum Beispiel in den Jahren 1959 und 1976. Doch diese beiden Sommer waren nicht so heiß. Die Hitze 2018 verschärfte die Dürre. Das wenige Wasser, das vom Himmel tropfte, verdunstete auch noch schnell. Die Folgen waren selbst aus dem Weltall zu sehen: „Schockierender Anblick. Alles vertrocknet und braun, was eigentlich grün sein müsste“, twitterte der deutsche Astronaut Alexander Gerst im August von der Raumstation ISS.

So auch bei Bauer Allhoff-Cramer: Normalerweise wirft sein Grünland drei bis vier Ernten im Jahr ab. Dieses Mal reichte es nur für einen, maximal noch einen zweiten Schnitt. Danach spross kaum ein Grashalm oder Kleebüschel mehr aus dem dürregeplagten Boden. Für seine rund 80 Rinder und Kühe musste der Bio-Bauer bereits im Juli auf die Wintervorräte zugreifen. Er kaufte Heu zu, verfütterte auch Stroh. Und trotzdem war es nicht genug. Allhoff-Cramer hatte keine Wahl. Er musste seinen Tierbestand reduzieren, um den Futterbedarf zu senken. „Ich musste mehr Tiere zum Schlachter geben. Mit Ach und Krach bin ich über die Runden gekommen“, berichtet er rückblickend.

Tierhalter traf die Dürre besonders hart. Vor allem die, die wie der Bio-Bauer aus Ostwestfalen den Großteil ihres benötigten Futters selbst anbauen. In Regionen im Norden und Osten Deutschlands, wo es zwischen April und Oktober so gut wie gar nicht regnete, war die Selbstversorgung nahezu unmöglich. Wer seine Kühe, Schafe und Pferde satt bekommen wollte, musste an die Reserven oder zukaufen und weite Transportwege in Kauf nehmen. Das konnte teuer werden.

Bei einigen Bio-Bauern war die Not so groß, dass sie zu konventionellem Futter greifen mussten. Das erlaubt die Öko-Richtlinie der Europäischen Union (EU) im Krisenfall. „Ohne den Zukauf von Heu und Grassilage wären diese stark betroffenen Betriebe in ihrer Existenz gefährdet gewesen“, sagt Gerald Wehde, Sprecher des Bioland-Verbandes. Dennoch schränkten Öko-Verbände wie Bioland die Ausnahmeregel der EU ein und schlossen Maissilage als Futter aus. „Dieser Mais wird in der Regel intensiv und unter wenig Abwechslung in der Fruchtfolge angebaut“, hieß es zur Begründung.

Volle Regale trotz mickriger Ernten

Nicht nur bei den Tierhaltern hinterließ die Dürre Spuren. Auch Ackerbauern bekamen die extreme Witterung zu spüren. Sie mussten zusehen, wie Zwiebeln, Mais und Kartoffeln verkümmerten. Die Kartoffelernte in Deutschland fiel im doppelten Sinne kleiner aus. Zum einen war der bundesweite Ertrag niedriger als im Jahr davor. Zum anderen erreichten die Knollen längst nicht die gewohnte Größe. Mickrig auch das Getreide. 2018 wurden vier Millionen Tonnen weniger Weizen geerntet. Wegen der ganzen Ausfälle forderte der Deutsche Bauernverband von Bund und Ländern finanzielle Nothilfen für Landwirte. Mindestens eine Milliarde Euro seien nötig, um Verluste auszugleichen. Allein beim Land Sachsen-Anhalt beantragten rund 750 Betriebe Hilfsgelder.

Gestresste Bäume

Die Dürre 2018 hat nicht nur Äcker ausgetrocknet, sondern auch Deutschlands Wälder. Vor allem Fichten und Kiefern, die ökonomisch wichtigsten Bäume, litten. Zum Verhängnis wurde ihnen ihr flaches Wurzelwerk. Auch viele Jungbäume gingen wieder ein. Von Trockenheit gestresste Bäume sind zudem eine leichte Beute für Borkenkäfer. Um seine Ausbreitung zu bekämpfen, wurde im großen Stil abgeholzt.

Wald ist elementar für den Wasser- und Stoffkreislauf, für das Klima und die biologische Vielfalt. Um ihn fit für den Klimawandel zu machen, empfehlen Experten wie Torsten Welle vom Forschungsinstitut „Naturwald Akademie“ seinen Umbau. Weg von Monokulturen hin zu naturnahen Mischwäldern mit Bäumen wie Eiche, Buche, Linde, Ahorn und Elsbeere. Diese heimischen Baumarten seien robust und anpassungsfähig.

Während die Bauern klagten, haben viele von uns – geben wir es zu – den schier nicht enden wollenden Sommer genossen. Die Freibäder wurden überrannt. Dass der Regen so lang ausblieb, dürfte zwar selbst die größten Leugner des Klimawandels in ihrer Haltung zumindest verunsichert haben. Besorgnis aber kam bei uns Verbrauchern wohl eher nicht auf. Wie auch? Die Verluste, die etwa die Bauern erlitten, spiegelten sich in unserem Alltag nicht wider. Nicht in den Regalen im Supermarkt. Die waren auch im Dürrejahr 2018 voll. Und auch nicht in unserem Portemonnaie. Die Preise für Lebensmittel sind in Deutschland so niedrig wie in kaum einem anderen Land. Daran änderte auch diese Dürre nichts. Für Kartoffeln allerdings mussten wir wegen der mauen Ernte ab November merklich tiefer in die Tasche greifen. Das Kilogramm verteuerte sich um durchschnittlich 50 Prozent.

Der Milchpreis aber verharrte trotz Futtermittelkrise auf gewohntem Niveau. Das lag vor allem daran, weil im konventionellen Bereich Überschüsse bestehen, wie der Agrarpolitiker und EU-Abgeordnete Martin Häusling (B90/Grüne) erklärt. „Es ist immer noch zu viel Milch auf dem Markt“, so Häusling. Auch von billigen Fleisch- und Wurstprodukten gab und gibt es nach wie vor mehr als uns und dem Klima guttut. Obwohl die Getreidebauern in weiten Teilen Mitteleuropas Ernteverluste zu beklagen hatten, blieben die Brot- und Brötchenpreise weitgehend stabil. Den Löwenanteil bei den Herstellungskosten machen auch nicht die Rohstoffe aus, sondern andere Posten wie Personal, Lagermiete und Energie.

Es gab auch Gewinner

Dass unser „fruchtbares mitteleuropäisches Klima“ bedroht ist, wie Bio-Bauer Ulf Allhoff-Cramer warnt, ließ sich beim Blick in die Gemüse- und Obststiegen gänzlich verdrängen. Die warmen Temperaturen und vielen Sonnenstunden hatten für volle Sträucher und Bäume und für eine reiche Ernte gesorgt. Rekordverdächtig war vor allem die Apfelernte. Rund 1,1 Millionen Tonnen Äpfel wurden gepflückt, knapp 17 Prozent mehr als im Schnitt der vergangenen zehn Jahre.

2018 hatte demnach nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner. Neben den Obstbauern zählten die Winzer dazu. „Mengenmäßig übertrifft der Jahrgang die Vorjahre um einiges“, berichtet Ralph Dejas, Geschäftsführer des Öko-Weinbau-Verbandes Ecovin. Auch die Qualität sei hervorragend. „Der Weinfreund kann sich auf tolle Weine freuen“, so Dejas. Wein ist etwas für Genießer. Im schlimmsten Fall könnten wir darauf verzichten. Bei einem Grundnahrungsmittel wie Getreide ist ein Verzicht schon schwieriger. Sogar in anderen Ländern sind Menschen darauf angewiesen, dass unsere Bauern viel davon erzeugen. Sie sind abhängig von Importen. Was passiert, wenn wichtige Exporteure wie Russland oder die EU plötzlich ihre Ausfuhren drosseln, haben Forscher des in Berlin ansässigen Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) durchgerechnet: Menschen, die weniger als zwei US-Dollar am Tag verdienen, könnten sich dann keine Lebensmittel mehr leisten. Weltweit seien 200 Millionen Arme von Importeinbrüchen bei Grundnahrungsmitteln bedroht. Um solchen Nahrungsmittelkrisen vorzubeugen, empfehlen die Autoren der MCC-Studie eine Stärkung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern, etwa durch den Anbau verschiedener Pflanzen.

Auch deutschen Bauern raten Experten zu mehr Vielfalt auf den Feldern. „Wenn Landwirte ihre Fruchtfolgen erweitern, werden sie immer auch Fruchtarten haben, die an die auftretende Extremsituation besser angepasst sind als andere“, sagt Frank Ewert, Leiter des Leibniz-Zentrums für Agrarforschung im brandenburgischen Müncheberg. Um Ernten zu sichern, könnten auch Bewässerungssysteme künftig eine größere Rolle spielen. Der Beregnungsbedarf von Weizen in Deutschland wird laut einer Studie des Thünen-Instituts stark zunehmen. 2018 habe er doppelt so viel Wasser verbraucht wie im Jahr zuvor, berichtet denn auch David Traub, Acker- und Gemüsebauer aus Baden-Württemberg, der auf die nachhaltige Variante der Tropfbewässerung schwört.

Öko-Landbau als Strategie

Bauern müssen aktiv auf den unvermeidbaren Klimawandel vorbereitet werden, fordert die Klima-Allianz, ein breites Bündnis aus Hilfsorganisationen, Gewerkschaften, kirchlichen Vertretern, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen. Insbesondere der Öko-Landbau biete dafür geeignete Werkzeuge: Ökologisch bewirtschaftete Böden seien aufnahmefähiger für Wasser, könnten dies besser und länger speichern. Wie eine solche klimafreundliche Landwirtschaft ganz konkret aussehen kann, untersuchte eine europäische Studie mit 48 ökologisch orientierten Anbaumethoden. Kompostierungsverfahren, reduzierte Bodenbearbeitung ohne Pflug und die Kombination von Ackerbau mit Waldwirtschaft zählten zu den Landbaustrategien. In allen Fällen konnte das Forschungsteam belegen, dass es möglich ist, mit diesen Methoden den Ausstoß von Treibhausgasen zu minimieren.

„Wir müssen die Kohlendioxid-Emissionen radikal mindern, um den unkontrollierten Klimawandel zu verhindern.“ Das sagte Bio-Bauer Allhoff-Cramer uns schon, als der Sommer 2015 Deutschland für einige Wochen trockenlegte und wir ihn das erste Mal auf seinem Hof in Ostwestfalen besuchten. Er warnte damals davor, dass die nächste große Hitze nicht lange auf sich warten lassen würde. Und sollte recht behalten. Drei Jahre später protestiert er am Hambacher Forst und ruft den versammelten Demonstranten zu: „Wir werden um das Klima, um unsere Höfe und um das gute Leben kämpfen – mit allen Mitteln des Widerstandes.“

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Im Web

Buch

Schellnhuber, Hans Joachim:
Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff.

C. Bertelsmann
784 Seiten
29,99 €

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