Egal ob Abnehmen, einen Diabetes lindern, sein Immunsystem stärken oder einfach gesünder essen – was auf unseren Tellern landet, wird immer mehr Bedeutung beigemessen. So gaben im aktuellen Ernährungsreport 91 Prozent der Befragten an, dass ihnen beim Essen Gesundheitsaspekte wichtig sind. Aber warum ist es, trotz guter Vorsätze, so schwer, am Speiseplan zu rütteln?
„Tatsächlich ist das Motiv, also der erwartete Nutzen eines veränderten Ernährungsverhaltens zentral“, sagt Sabine Johanntoberens, Diätassistentin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in München. Sie meint, dass allein das Wissen über eine gesunde Ernährung nicht reiche: „Ich muss selbst davon überzeugt sein und Beweggründe haben, etwas verändern zu wollen.“ Jemandem, der krank ist, fällt eine Ernährungsumstellung vermutlich leichter als jemandem, der nur ein wenig Übergewicht hat.
Allerdings: „Wenn nur die Hausärztin sagt, es wäre gut, wenn Sie mehr Obst und Gemüse essen, ist das eine Fremdmotivation und wird tendenziell wenig Erfolg haben,“ sagt Ulrike Gisch, Ernährungspsychologin an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Interview: „Ernährung ist auch eine Frage von Identität“
Warum schaffen es manche Menschen trotz starker Motivation nicht, ihre Ernährung umzustellen?
Neben dem Motiv kommt es immer auch auf den Handlungsspielraum an. Und der ist abhängig von Ressourcen wie Zeit, Geld oder Kochkompetenz. Ernährung ist aber auch eine Frage von Identität. Also welches Bild verknüpfe ich mit meinem Lebensstil? Wer sich vegetarisch ernährt, zeigt eine Verbundenheit mit der Natur. Diese Identitätsfragen erleichtern die Umstellung, können aber auch eine Barriere sein. Zum Beispiel ist Fleischkonsum immer noch mit Männlichkeit assoziiert. Ein Mann, der dann aber Tofu anstatt Fleisch grillt, vermittelt ein anderes Bild, was den Umstieg erschwert.
Besonders renitent gegenüber gesundem Essen scheinen Jugendliche zu sein, was Eltern oft verzweifeln lässt.
Der hohe Konsum von Softdrinks und Süßigkeiten lässt sich mit Blick auf die Entwicklungsphasen gut erklären. Das hat einerseits mit den Gleichaltrigen zu tun, mit denen man sich in dieser Phase ständig vergleicht. Zudem haben Jugendliche eigenes Geld zur Verfügung. Heute wird diese Altersgruppe außerdem stark von sozialen Medien beeinflusst, zum Beispiel durch Influencer. Meist ist das aber eine Übergangsphase und später beeinflussen dann die anderen Faktoren wie Motivation und Handlungsspielräume die Nahrungsauswahl.
Menschen in Rente haben meist mehr Zeit. Haben Senioren Vorteile, wenn es um eine Ernährungsumstellung geht?
Wir haben in einer Studie gezeigt, dass das Essverhalten im Alter eher stabil ist. Allerdings gibt es zum Renteneintritt ein „window of opportunity“. Wenn wir fragen, wie jemand die Rente genießen will, kommt häufig die Antwort: Ich will gesünder essen und mich mehr bewegen. In diesem Zeitfenster ist der Schritt zu einem gesünderen Leben also wieder leichter.
Kleine Schritte statt Radikalkur
Wenn das Motiv klar ist, kann es an die praktische Umsetzung gehen. Dr. Matthias Riedl, Ernährungsmediziner am Medicum Hamburg rät zuallererst zu einem Ernährungstagebuch: „Anhand dessen kann man sehen, was man falsch macht, denn Ernährungsmuster sind sehr individuell“, so Riedl. „Dann sollte man nur die wichtigsten Fehler angehen, die am wenigsten wehtun. Wir gehen in der Klinik nach dem 20:80-Prinzip vor. Das heißt: Mit 20 Prozent ausgebesserter Fehler schaffe ich 80 Prozent des Erfolges.“
Heißhunger vermeiden
Eine Umstellung sollte letztlich in kleinen Schritten erfolgen: „Also zum Beispiel erst mal: mehr Gemüse essen“, sagt Johanntoberens. Gemüse punktet mit einem hohen Nährstoff- und Ballaststoffgehalt und trägt trotz wenig Kalorien zu einer guten Sättigung bei. Ein zweiter Schritt könnte laut Johanntoberens sein, weniger fetthaltige Produkte zu essen, dafür aber hochwertige Öle wie z.B. Oliven- oder Rapsöl sowie Nüsse und Samen in den Speiseplan zu integrieren. Nach und nach können auch Weißmehlprodukte durch Vollkorn ersetzt und Hülsenfrüchte mehr berücksichtigt werden. Hilfreich ist auch irgendwann, weniger Fleisch und Zucker zu essen. Ballaststoffe schrittweise zu erhöhen und Zucker zu reduzieren ist so wirksam, weil der Insulinspiegel im Blut nicht zu stark ansteigt und dann wieder abfällt, was Heißhunger auslöst. Und Hunger ist der Feind einer jeden Ernährungsumstellung.
Radikalkuren sind unrealistisch
„Kleine Schritte sind auch wichtig, um die Umstellung nicht als Verzicht zu empfinden“, so Sabine Johanntoberens. Zwar fällt es einigen Menschen leichter, von heute auf morgen umzustellen, zum Beispiel nach einer Fastenkur. „Da sind die Sinne sensibler und man braucht gar nicht mehr so viel Zucker oder Salz“, sagt Johanntoberens. Dennoch ist eine Radikalkur für die meisten Menschen eine Überforderung und darum unrealistisch. Denn das Ernährungsverhalten ist sehr stark von der Kindheit, aber auch von später erlernten Gewohnheiten und Routinen bestimmt. Auf dem Weg zur U-Bahn beim Bäcker ein Croissant zu frühstücken zum Beispiel oder nachmittags in die Süßigkeitenschublade zu greifen, um sich aus dem Leistungstief zu hieven. Riedl rät dazu, sich dreimal am Tag mit gesunden Lebensmitteln satt zu essen: „Viele sind durch ein mageres Mittagessen sofort wieder hungrig und dann wird sich durch den Nachmittag gesnackt.“
Mit leckerem Essen das Gehirn belohnen
Gewohnheiten sind hartnäckig, sie zu verändern, kann dauern. Wie lange, ist individuell sehr unterschiedlich. „Einzelne neue Ernährungsgewohnheiten einzuüben, dafür brauche ich schon 2 bis 3 Monate“, so Riedl. „Rückschläge sind in dieser Zeit ganz normal.“
Der Griff zum Schokokeks wird dabei meist durch Druck und Frust ausgelöst. Denn in Stresssituationen lechzt das Gehirn nach kurzfristiger Befriedigung. Besonders durch Zucker und Fett kommt es dann zur Ausschüttung von Freude bringenden Endorphinen und Dopamin. Erst kürzlich wurde gezeigt, dass eine zucker- und fettreiche Ernährung sogar das Gehirn neu verdrahtet und so das Verlangen nach diesen Produkten verstärkt. Das Belohnungssystem war bei den auf Fett und Zucker trainierten Teilnehmenden besonders stark aktiviert, was man im MRT, einem bildgebenden Verfahren, sehen konnte. Wegen dieses Belohnungssystems ist es unabdinglich für den Erfolg einer Veränderung, dass das Essen schmeckt.
Unterstützung holen
Ein weiterer wichtiger Faktor ist das soziale Umfeld. In einer Studie der Universität Fulda aus dem Jahr 2020 gaben Personen, die sich in einer Ernährungsberatung befanden, an, dass Familie und Freunde der stärkste stützende oder auch hemmende Faktor seien, gesünder zu essen. „Unterstützung heißt nicht, dass jeder in der Familie mitziehen muss, aber vielleicht findet man kleine Gemeinsamkeiten, die die Umstellung leichter machen“, sagt Johanntoberens.
Letztlich muss die neue Ernährungsweise alltagstauglich sein. Jemand, der mittags nur eine Kantine zur Auswahl hat, die nichts Gesundes anbietet, wird es schwerer haben, als jemand, der im Homeoffice Zeit hat, zu kochen. Überhaupt spielen Kochkompetenz und Zeit eine wichtige Rolle. Denn eine Ernährungsumstellung ist nicht nebenbei zu haben. Man braucht Zeit, um Rezepte auszusuchen, einzukaufen, zu kochen und das Essen zu genießen.
Dabei ist Planung die halbe Miete. „Machen Sie sich einen Wochenplan und kaufen Sie die Lebensmittel ohne Hunger ein“, rät Johanntoberens. Tatsächlich spiele auch die Küchenausstattung mit. Scharfe Messer, ein stabiles Brett, Topf und Pfanne sowie das ein oder andere elektrische Gerät erleichterten so manchen Arbeitsschritt und trügen maßgeblich zu einer positiven Kocherfahrung bei.
Und was leicht von der Hand geht und lecker schmeckt, triggert das Glücksgefühl und das Verlangen nach mehr.
Kurz und knapp: Anders essen in 10 Schritten
1. Macht euch den Nutzen klar, verdeutlicht und visualisiert ihn immer wieder.
2. Führt ein Ernährungstagebuch, um Probleme, aber auch Gutes aufzudecken. (Tipp: Was ich esse)
3. Sucht euch zuerst die Punkte aus, die leicht zu ändern sind.
4. Stellt Schritt für Schritt um, nicht alles auf einmal.
5. Einseitige Diäten sind kontraproduktiv.
6. Apps können gesundheitsbewusstes Verhalten unterstützen. (Tipp: 7-Minuten-Training)
7. Informiert euer Umfeld und bittet um Unterstützung.
8. Hilfreich ist eine Wochenplanung für jeden Tag.
9. Eine gute Küchenausstattung erleichtert die Arbeit und bringt Spaß beim Kochen.
10. In Kochkursen gibt es Austausch und Tipps.
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