Essen

Diabetes: Essen als Medizin

Durch gesunde Ernährung können Krankheiten geheilt oder stark gelindert werden. Typ-2-Diabetes ist ein Beispiel dafür. Doch das Potenzial der Ernährungstherapie wird kaum genutzt. Warum eigentlich nicht?

Die „Ernährungs-Docs“ machen es regelmäßig in ihrer NDR-Sendung vor: Viele Krankheiten können durch Änderungen im Speiseplan positiv beeinflusst werden. Durch ihre Tipps verlaufen etwa Krankheitsschübe bei Morbus Crohn weniger stark, der Blutdruck wird gesenkt oder Schuppenflechte gemindert. Was wir essen, hat aber auch Einfluss auf die Genesung bei Wohlstandskrankheiten wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Neuere Studien zeigen, dass der Typ-2-Diabetes allein mit Ernährungstherapie zurückgeht und Medikamente überflüssig werden können.

Kann Diabetes-Typ-2 durch Ernährung geheilt werden?

Dieses Potenzial sieht auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). „Bevor man Medikamente einsetzt, sollte eine Ernährungstherapie begonnen werden“, sagt ihr Sprecher Baptist Gallwitz. Die Fachgesellschaft hat 400 Studien ausgewertet und kürzlich ihre Empfehlungen überarbeitet. Das Ergebnis: Wer viele Pfunde verliert, kann seinen Diabetes in „Remission“ bringen. Das bedeutet: Rückzug. Der Diabetes ist also nicht unbedingt geheilt, doch die Zuckerwerte können gesenkt werden. Und solange sie gesenkt sind, können in Rücksprache mit dem Arzt auch die Medikamente abgesetzt werden.

Was wenig spektakulär klingt, ist eine Art Revolution. „Die DDG hat jetzt endlich die Möglichkeit der Remission durch Ernährung eingeräumt. Spät, aber immerhin“, freut sich Matthias Riedl von den Ernährungs-Docs, der das Medicum Hamburg, eines der größten Fachzentren für Diabetologie leitet. Ausschlaggebend für den Sinneswandel war vor allem die DiRECT-Studie aus England. Diese hat 2018 gezeigt, dass bei übergewichtigen Erwachsenen eine Gewichtsreduktion von mindestens 15 Kilogramm beim Gros der Studienteilnehmer zu einer Remission führt. Dabei war es egal, mit welcher Diät abgenommen wurde, Hauptsache das Gewicht wurde gehalten.

Mit diesen Lebensmitteln sollten Diabetiker abnehmen

Früher galt für abnehmwillige Diabetiker das Low-Fat-Regime: maximal 30 Prozent Fett, während komplexe Kohlenhydrate aus Brot, Reis und Kartoffeln unbegrenzt zum Sattessen empfohlen wurden. Davon hat sich die DDG nun verabschiedet, genaue Vorgaben für einzelne Nährstoffe gestrichen. Ihren Empfehlungen zufolge sind unverarbeitete, naturbelassene Lebensmittel gut. Darüber hinaus sollten Kohlenhydrate bevorzugt als Vollkornprodukte, stärkearme Gemüsesorten wie Gurken, Tomaten, Blumenkohl und Rote Bete, zuckerarmes Obst (zum Beispiel Erdbeeren, Heidelbeeren, Aprikosen, Wassermelone), Hülsenfrüchte und Nüsse auf dem Teller liegen. All dies liefert Ballaststoffe und die verhindern, dass Zucker zu schnell ins Blut gelangt. Zudem sollten statt tierischer Fette hochwertige Öle wie Oliven- oder Rapsöl verwendet werden.

Diabetes Typ 2: Grenzwerte im Wandel

  • Als Diabetes-krank gilt, wer im Blut morgens nach einer nächtlichen Fastenperiode immer wieder Glukosewerte von mehr als 126 Milligramm pro Deziliter (dl) aufweist, das sind 7 Millimol pro Liter.
  • Ein hoher Zuckerwert von 200 mg/dl unabhängig von Tageszeit und Nahrungsaufnahme kann ein erstes Warnsignal sein. Bei Verdacht wird dann auch noch der Langzeitzucker, also das sogenannte Zuckergedächtnis herangezogen, der HbA1c-Wert. Der gibt an, wie hoch der Blutzucker in den letzten drei Monaten im Schnitt lag. Die Diagnose Diabetes wird gestellt, wenn der HbA1c-Wert über 6,5 Prozent liegt. Bei Gesunden liegt er zwischen 4 und 6 Prozent.
  • Bis 1985 lag der Grenz-wert für den Nüchternblutzuckerspiegel bei 140 mg/dl. Dann wurde er auf 126 mg/dl abgesenkt. So gab es – quasi über Nacht – mehr Diabetiker.

Warum Übergewicht ein Problem ist

In Deutschland leiden rund acht Millionen Menschen unter Typ-2-Diabetes, der nicht mit der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes zu verwechseln ist. Dieser tritt in jungen Jahren auf. Typ-2-Diabetes entwickelt sich eher im Alter, warum er oft auch „Altersdiabetes“ genannt wird. Laut DDG erkrankt hierzulande jährlich ein Prozent der Erwachsenen neu, das sind etwa 600 000 Menschen. 90 Prozent der Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig. Besonders das sogenannte Bauchfett, das sich um die Eingeweide herum ansammelt, ist gefährlich. Denn das pumpt Entzündungsfaktoren in den Blutkreislauf. Die Folge: die Antennenmoleküle an den Zellen im Körper reagieren nicht mehr gut auf das Hormon Insulin, das Zucker in die Zellen schaufelt, wo er verbrannt wird. Es kommt zu einem dauerhaften und unnormal hohen Zucker- und Insulinpegel im Blut. Das überfordert die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse, sie streiken.

Die Schattenseite von Insulin

Wenn zu viele Zuckermoleküle im Blut vagabundieren, lautet die Diagnose „Typ 2-Diabetes“, nun muss therapiert werden, um die Gefäße zu schützen. In der Vergangenheit wurden dann fast immer Medikamente verschrieben, etwa Insulin. Allerdings: Insulin hat die Nebenwirkung, dass es dick macht, da hohe Insulinspiegel die Fettverbrennung blockieren.

Diabetes: teuer und gefährlich

Diabetes belastet die Patienten und die Gesellschaft. So wird geschätzt, dass Diabetes die deutsche Volkswirtschaft jährlich 48 Milliarden Euro kostet. Dies rührt daher, dass zur Therapie meist teure Medikamente eingesetzt werden. Ein nicht gut behandelter Diabetes, bei dem die Blutzuckerwerte immer wieder zu hoch sind, schädigt zudem die Gefäße. Das beeinträchtigt die Netzhaut, die Nieren und Nerven. Eine Dialyse kann drohen genauso wie Fußamputationen. Das Risiko für einen schweren Verlauf von Corona ist erhöht.

Ernährungstherapie: Low Carb statt Insulin?

Obwohl viel für eine Ernährungstherapie spricht, ist diese in der Praxis noch nicht vollends angekommen. Die meisten Diabetespatienten, die zu Stephan Martin kommen, befolgen die Standardtherapie: Sie spritzen sich Insulin. Martin ist Chefarzt für Diabetologie und leitet das Westdeutsche Diabetes- und Gesundheitszentrum in Düsseldorf. Er setzt auf die sogenannte Low-Insulin-Methode. Seinen Patienten verordnet er eine Low-Carb-Ernährung, also eine Ernährung mit wenig Kohlenhydraten. Industriezucker, Honig, Brötchen, Brot, Kuchen, Kartoffeln, Reis, Nudeln und Bier kommen auf den Index. Mit Low Carb setzt Martin die Insulinspritzen behutsam ab und versucht, auf neuere Arzneien umzustellen. Manche Patienten schaffen es mit seiner Ernährungstherapie ganz auf Arzneien zu verzichten, die körpereigene Insulinproduktion zu normalisieren, so Martin.

Matthias Riedl von den Ernährungs-Docs macht in Bezug auf die Diabetes-Behandlung die gleiche Erfahrung: „Der Segen der Ernährungstherapie und der neuen, aber auch teureren Antidiabetika, die das Gewicht reduzieren, kommt immer noch nicht zum Einsatz.“ Viele Diabetologen würden zudem noch immer bestreiten, dass ein Typ-2-Diabetes heilbar sei. Wer keine Medikamente mehr braucht, ist jedoch geheilt, sagt Riedl.

Behindern Interessenskonflikte die Ernährungstherapie?

Doch warum wird so wenig auf die Kraft der Nahrung gesetzt? Johannes Scholl, Präsident der Deutschen Akademie für Präventivmedizin, schreibt etwa in der Fachzeitschrift MMW, dass es in der Diabetologie im Vergleich zu anderen Fachgesellschaften einen besonders hohen Anteil von Interessenkonflikten in den Leitlinienkommissionen gebe. Konkret nennt er die American Diabetes Association (ADA) und die European Association for the study of Diabetes (EASD). In diesen Kommissionen werden Therapieverfahren festgelegt, an denen sich auch deutsche Fachgesellschaften und niedergelassene Ärzte orientieren. Dass Beteiligte Gelder für Vorträge oder Beratung von großen Pharmafirmen wie Novo Nordisk, Sanofi oder Ely Lilly erhalten, legen sie offen, es ist kein Geheimnis und auch nicht verboten. Der Verdacht steht jedoch im Raum, dass sie dadurch nicht objektiv sind. Diese Kritik wird auch von internationalen Experten seit Jahren hervorgebracht. Beweisen lässt es sich jedoch nicht.

Stephan Martin kritisiert die „absurden finanziellen Anreize im deutschen Gesundheitssystem“ aufgrund derer gerade beim Altersdiabetes sehr viel Insulin verordnet würde. Pharmaindustrie, viele Ärzte und auch die gesetzlichen Krankenkassen würden davon profitieren, dass alles so bleibt, wie es ist. Für Matthias Riedl liegt das Problem vor allem in der Ausbildung der Diabetologen: „Das Gros der Diabetologen hat keine Erfahrung mit der Ernährungstherapie. Kollegen erzählten mir, sie seien nicht für die Gewichtsabnahme zuständig, ich würde den Menschen zu viel Hoffnung machen.“ Auch die DDG sieht Besserungsbedarf in Sachen Medizinerausbildung. „In Deutschland müsste es mehr Lehrstühle für Diabetologie an den Universitätskliniken geben“, sagt ihr Sprecher Gallwitz.

So lässt sich eine gesunde Ernährung fördern

Tatsächlich ist eine Ernährungsumstellung leichter gesagt als umgesetzt. Wir leben im Überfluss und Essen ist ständig griffbereit. Fachgesellschaften wie die DDG oder die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) sehen die Politik gefordert. „Frisches Gemüse und Obst sollten von der Mehrwertsteuer befreit werden, Grundnahrungsmittel mit 7 Prozent, Fertignahrungsmittel mit 19 Prozent und Softdrinks mit 29 Prozent besteuert werden“, sagt Baptist Gallwitz von der DDG. Weiterhin gehöre Werbung für ungesunde Kinderlebensmittel wie überzuckerte Frühstückszerealien verboten. Die Industrieverbände lehnen solche staatlichen Eingriffe jedoch ab. Laut der Zuckerwirtschaft gebe es etwa derzeit keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege dafür, dass eine Zuckersteuer das Auftreten von Übergewicht verringere.

„Es geht darum, dass Diabetes gar nicht erst entsteht.“

Baptist Gallwitz

Die Forderungen der medizinischen Fachgesellschaften gehen allerdings über Ernährung hinaus. Eine Stunde Bewegung in Kita und Schule seien ebenfalls wichtig, um die Diabetes-Welle zu stoppen. Diabetes sei auch ein soziales Problem, wer in prekären Milieus wohnt, ist häufiger von Übergewicht und Diabetes betroffen. „Für solche Familien ist das Abo im Fitnessstudio zu teuer“, sagt Baptist Gallwitz. Darum bräuchte es niederschwellige Angebote wie zum Beispiel sichere Fuß- und Radwege und Bewegungsangebote am Arbeitsplatz. „Es geht darum, dass Diabetes gar nicht erst entsteht“, so der Experte.

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Arte-Dokumentation zum Thema „Diabetes, eine lukrative Volkskrankheit

Hier informieren die Deutsche Diabetes Gesellschaft und die Deutsche Adipositas Gesellschaft

Riedl, Klase, Fleck: Die Ernährungs-Docs - Diabetes heilen. ZS-Verlag 2019, 192 Seiten, 24,99 Euro

Stephan Martin: Wie Insulin uns alle dick oder schlank macht. Becker Joest Volk Verlag 2020, 272 Seiten, 24,95 Euro

Interview: „Kurzfristige Diäten sind kein geeigneter Ansatz“

Oliver Huizinga ist politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG).

Ein Altersdiabetes bessert sich stark, wenn Patienten viel abnehmen. Doch 90 Prozent der Abnehmwilligen sind bereits nach einem Jahr wieder beim Ausgangsgewicht. Warum ist das so?
Dauerhaft Abnehmen ist vor allem bei stark Übergewichtigen ohne professionelle Hilfe fast unmöglich. Der Körper tendiert immer zurück zum Ausgangsgewicht, weil er auf einen Gewichtsverlust mit verstärktem Hunger reagiert. Das war in der Menschheitsgeschichte immer ein Überlebensvorteil, in der heutigen Welt wird uns das zum Verhängnis.

Ist Low Carb oder Low Fat besser für einen dauerhaften Gewichtsverlust?
Kurzfristige Diäten sind grundsätzlich kein geeigneter Ansatz. Nur langfristige Umstellungen der Lebensgewohnheiten sind zielführend. Die Frage „Low Carb oder Low Fat“ ist dabei zweitrangig.

Welche Rolle kann Sport spielen?
Der Effekt auf das Körpergewicht ist niedriger als oftmals angenommen, doch Sport senkt das Risiko für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Krankheiten und Typ-2-Diabetes. Zudem hilft er, längerfristig das Gewicht zu halten.

Bei welchen Personen kann eine OP wie ein Magenbypass helfen?
Eine chirurgische Therapie ist bei einem Body-Mass-Index von 40 oder höher angezeigt oder wenn erhebliche Folgekrankheiten wie Typ-2-Diabetes vorliegen. Die Wirksamkeit ist durch viele klinische Studien belegt. Als schnelle und einfache Lösung sollte eine OP aber nicht verstanden werden. Auch mit OP ist eine Umstellung der Lebensgewohnheiten und eine professionelle Nachsorge notwendig.

Seit Jahren wird an Diät-Medikamenten geforscht. Wie ist der Stand?
Es gibt vielversprechende Kandidaten. Zwar sind auch Medikamente keine schnelle und einfache Lösung. Sie müssen lebenslang verabreicht werden und haben oft Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden. Das kann aber das kleinere Übel darstellen, wenn eine Diabeteserkrankung verhindert und Übergewicht abgebaut wird.

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Kommentare

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Gabriele Klein

Ein ganz schlimmer Artikel.
Man verweist auf Wassermelone als gut für Diabetiker.
Es gibt keine schlimmere Frucht für Diabetiker als Wassermelonen, die ganz krass den Blutzucker hochtreiben . Das liegt an den Fasern. Unmöglich, dass hier so eine Fehlinformation steht. 

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RedaktionLeserservice Schrot&Korn -

Liebe Frau Klein,


vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Ich denke, Ihre Kritik bezieht sich auf den Glykämischen Index (GI). Dieser ist bei Wassermelone tatsächlich hoch. Würde man nur diesen heranziehen, könnte man Wassermelone für Diabetiker nicht empfehlen.

Allerdings hat der Glykämische Index als Bewertungsmaßstab Schwächen, da er nur die Qualität der Kohlenhydrate einbezieht. Aussagekräftiger ist die sogenannte Glykämische Last (GL). Sie berücksichtigt auch die Kohlenhydratmenge eines Lebensmittels pro 100 Gramm. Die Glykämische Last von Wassermelonen liegt unter 10 und ist damit sehr gering. Eine Portion Wassermelone (ca. 150 g) kann deshalb durchaus auch von Diabetikern gegessen werden.

Noch kurz zum Hintergrund:

Der Glykämische Index bezieht sich auf 50 Gramm Kohlenhydrate eines Lebensmittels. Obst und Gemüse enthalten pro 100 Gramm wesentlich weniger Kohlenhydrate als beispielsweise Brot, Nudeln und Reis.
Um bei Wassermelone auf die 50 Gramm Kohlenhydrate zu kommen, müsste man rund 800 Gramm Wassermelone essen. Das sollten Diabetiker:innen allerdings tatsächlich nicht tun.

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