Umwelt

Sind wir noch zu retten?

Schöne Landschaften, biologische Vielfalt und gesunde Lebensmittel: Das alles ginge wunderbar zusammen, wenn ... Eine Mut- und Mitmachgeschichte, die bedrohlich beginnt.

Es ist schon so lange vom Artensterben die Rede, dass es uns kaum noch erschreckt, wenn die Roten Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten wieder einmal länger geworden sind. Dabei ist das große Sterben um uns herum in den letzten Jahren sehr viel schlimmer und bedrohlicher geworden. Die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, hat im Oktober zusammen mit anderen Wissenschaftsakademien eine eindringliche Warnung veröffentlicht: Es geht um viel mehr als das bedauerliche Verschwinden von possierlichen Feldhamstern und seltenen Gelbbauchunken – es geht um das Zusammenbrechen ganzer Ökosysteme.

Wir können das beklagen und resigniert feststellen, dass die Politik auf allen Ebenen zwar immer wieder die Wichtigkeit der biologischen Vielfalt betont hat, aber viel zu wenig unternommen hat, um sie wirklich zu schützen. Wir können aber auch die Ärmel hochkrempeln und beschließen, diesen Zustand der Tatenlosigkeit von jetzt an zu beenden. Denn es gibt viele gute Nachrichten.

Diese Hope Spots zeigen wie Artenschutz gelingen kann

Die erste gute Nachricht: Es ist möglich, die biologische Vielfalt zu retten, weil wir wissen, was wir tun müssen. Es gibt Erfolgsgeschichten sowohl von Naturschutzflächen als auch aus der Landwirtschaft. Ob in der Huppenheide bei Münster oder auf dem Kalkmagerrasen bei Ottbergen, drei Hügelketten hinter meinem ostwestfälischen Heimatdorf: Überall in Deutschland gibt es Refugien der Vielfalt und Naturschutzverbände, Landschaftsstationen, Stiftungen und andere Organisationen, die diese Refugien schützen und pflegen.

Auch viele landwirtschaftliche Betriebe setzen sich für Vielfalt auf ihren Flächen ein – es sind vor allem Bio-Betriebe von den ‚Bunde Wischen‘ mit ihren bunten, wilden Weiden an der Schlei, auf denen Landwirt und Biologe Gerd Kämmer seine Rinder ganzjährig draußen leben lässt, bis zu der beeindruckenden Uria-Herde von Ernst Hermann Maier in Balingen unter der Hohenzollernburg. Aber auch konventionelle Landwirtinnen wie Doreen Riske, die einen großen Betrieb mit 2400 Hektar bei Greifswald leitet.

So kann eine buntere Fruchtfolge die Artenvielfalt sichern

Ihre Erfahrung: Je mehr unterschiedliche Pflanzen sie anbaut, desto weniger chemische Pflanzenschutzmittel braucht sie. Ihr Pestizideinsatz ist um mehr als ein Drittel zurückgegangen, seit sie zehn verschiedene Pflanzen im Wechsel anbaut. Ihre Felder haben breite Säume, auf denen Wildpflanzen wachsen können. Insgesamt überlässt Doreen Riske mehr als zehn Prozent ihrer Fläche der Natur – Space for Nature. Damit ist sie ein Vorbild für große konventionell wirtschaftende Agrarbetriebe, die etwas für die biologische Vielfalt tun wollen, aber die Umstellung auf Bio scheuen, weil sie nicht wissen, ob sie ihre großen Erntemengen sicher ökologisch vermarkten können. Je schneller die Nachfrage nach Bio wächst, desto mehr dieser Betriebe würden eine Umstellung angehen.

Hope Spots nennt die berühmte Meeresforscherin Silvia Earle solche Orte – und es gibt viele von ihnen, auf der ganzen Welt. Doch müssen solche Erfolgsgeschichten viel bekannter werden.

So können Medien etwas zum Artenschutz beitragen

Dazu braucht es eine andere Berichterstattung – keine sensationsfixierte, sondern eine lösungsorientierte. Die Berliner Journalistin und Gute-Geschichten-Verbreiterin Ute Scheub fordert schon lange, dass wir Medienleute mit dem dummen Prinzip „Bad news are good news“ brechen sollen. „Wie wäre es“, schlägt sie vor, „wenn statt der Minderheitenshow des Börsenberichts – nur etwa 5 Prozent der Deutschen besitzen Aktien – jeden Tag um 19.50 Uhr eine ökosoziale Erfolgsgeschichte gesendet würde? Journalisten sollten die Klimakrise ernst nehmen. Das gilt auch für die Biodiversität. Wir brauchen mehr Journalists for Future, die darüber berichten, wie wir diese Krisen lösen können.

Was ist Biodiversität?

Sechs Gründe, warum die Vielfalt von Ökosystemen, Artenvielfalt und die genetische Vielfalt wichtig und schützenswert sind.

Was ist Biodiversität?

Warum wir Kindern die Vielfalt der Natur zeigen müssen

Bei den Recherchen für mein Buch „Das Sterben der anderen“ habe ich eine wunderbare Erfahrung gemacht: zu sehen, mit welcher Begeisterung mein kleiner Sohn, der bei einigen Exkursionen dabei war, den Naturschützern gefolgt ist. Diese Wanderungen waren ein Fest! Ein Fest der Heuschrecken, der Schmetterlinge, der wilden Bienen und der Neugierde und Entdeckungslust! Er hat die Augen des Tagpfauenauges bestaunt, die Punkte des Schornsteinfegers gezählt und die dicken Beine der Hosenbiene bewundert. Er hat Eidechsen und Frösche gestreichelt und Libellen verfolgt.

Seine Begeisterung hat bis heute angehalten und mir gezeigt, wie unendlich wichtig es ist, Kindern – nein, allen natürlich – zu zeigen, was es noch gibt an Vielfalt. Den ganzen Sommer über ist mein Sohn hinter Schmetterlingen hergesprungen – und seine Freude über die Vielfalt des Lebens hat meine Resignation vertrieben. Wir müssen, so schnell wir können, die Kinder von den Smartphones und Bildschirmen weglocken und ihnen zeigen, was da draußen zu sehen ist. Denn sie sind die Naturschützer der Zukunft.

Das empfehlen Wissenschaftler, um die Artenvielfalt zu bewahren

Die zweite gute Nachricht ist der große Konsens unter Wissenschaftlerinnen und Naturschützern darüber, welche Regelungen es bräuchte, um Biodiversität nicht nur an einzelnen Orten, sondern überall zu bewahren. Das gemeinsame Gutachten zum flächenwirksamen Insektenschutz, verfasst vom Sachverständigenrat für Umweltfragen und vom Wissenschaftlichen Beirat für Biodiversität und genetische Ressourcen, ist nur ein prominentes Beispiel dafür. Der Sachverständigenrat berät die Bundesregierung, der Beirat das Bundeslandwirtschaftsministerium, beides sind Gremien mit Gewicht. Die wichtigsten Forderungen der beiden Räte: Wir müssen die Agrarförderung an ökologischen Belangen ausrichten (die neue europäische Agrarpolitik also noch ändern!). Wir müssen vielfältige Landschaftsstrukturen fördern. Wir brauchen weniger Pflanzenschutzmittel und Nährstoffeinträge. Wir müssen die bestehenden Schutzgebiete stärken, die künstliche Beleuchtung verringern und den Flächenverbrauch reduzieren.

Das bedeutet: Wir dürfen keine Wälder mehr roden und keine neuen Straßen mehr bauen. Früher konnten Verkehrsplaner und fossile Energiekonzerne ohne Probleme gegen diese Forderungen verstoßen, aber das hat sich geändert. Die mutigen Waldschützerinnen, die den Hambacher Forst und den Dannenröder Wald in diesem Sommer besetzt haben, um ihn vor der Rodung zu schützen, haben allen gezeigt, dass es in Zukunft nicht mehr leicht sein wird, gegen die Empfehlungen der Wissenschaft Natur zu zerstören.

Regionale Foren braucht das Land

Global denken, lokal handeln:

  • Eine Ernährung, die Mensch und Erde gesund hält, die Planetary Health Diet, sollte auf regionaler Ebene verwirklicht werden.
  • Dazu bräuchte es Foren, in denen wichtige Akteure gemeinsam entscheiden. Vertreterinnen von Naturschutz, Landwirtschaft, Gartenbau, Medizin, Bildung, Lebensmittelhandwerk, Kantinen, Gastronomie, Wasserversorgung und Kommunen sollten sich an einen Tisch setzen, um regionale Ernährungs- und Biodiversitätspläne zu entwerfen.
  • Ein erster Schritt könnten die Schulkantinen sein: Die Ärzte müssten sagen, was die Kinder essen sollten, damit sie gesund bleiben oder es wieder werden, die Landwirte könnten vorschlagen, wer davon was und für welchen Preis anbauen kann, Naturschützer könnten die Landwirte beraten, wie sie ihren Anbau so gestalten, dass möglichst viele Arten davon profitieren könnten.
  • Dazu bräuchte es Kümmerer, die alle Fäden in der Hand behalten und bürokratische Hürden aus dem Weg räumen – und einen großen Etat, zum Beispiel aus dem Topf der europäischen Agrarpolitik.

Was Biodiversität mit unserer Gesundheit zu tun hat

Und ich habe noch eine gute Nachricht: Mehr Biodiversität kann unsere Ernährung gesünder machen und sogar unser Leben verlängern. Eine Landschaft mit vielen unterschiedlichen Nutzpflanzen auf den Feldern, mit vielen Sträuchern, Büschen und Bäumen und mit Tieren auf der Weide und nicht im Stall schafft Lebensraum für gefährdete Arten und die Grundlage für eine vielfältige gesunde Ernährung.

Würden wir regionale Wertschöpfungsketten für Obst, Gemüse, Nüsse und Beeren aufbauen, hätte das positive Auswirkungen auf die Lebensqualität vieler Menschen, die heute an den Folgen falscher Ernährung leiden. Das könnte auch die Krankenkassenbeiträge senken. Heute sind die Kosten für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten so hoch, dass die Krankenkassen Alarm schlagen.

Eine internationale Studie von Ressourcenforschern und Ernährungsmedizinern, die Eat Lancet Kommission, hat erarbeitet, wie wir uns ernähren müssen, um gleichzeitig uns selbst und die Erde gesund zu halten. Sie nennen es die „Planetary Health Diet“. Sie schreiben: Es ist möglich, fast zehn Milliarden Menschen gesund zu ernähren, ohne dabei die planetaren Grenzen zu überschreiten. Dazu müssten wir weniger Fleisch und tierische Produkte verzehren und dafür mehr Obst, Gemüse und Nüsse. Es wäre so einfach: Mehr Vielfalt auf dem Teller führt zu mehr Vielfalt auf den Äckern – die planetare Ernährung würde unser Essen leckerer machen und die Landschaft schöner. Ist das nicht ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt?

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