Umwelt

Was ist eine Bio-Stadt?

Schön grün hier. Und sonst so? In Deutschland gibt es bislang 19 Bio-Städte. Eine davon ist Karlsruhe. Unser Autor Jo Berlien hat sich dort einmal umgesehen.

Karlsruhe ist die Stadt des Bundesgerichtshofs. Dort ist das nationale Forschungszentrum KIT, Karlsruher Institut für Technologie. Auch das Zentrum für Kunst und Medien (ZMK) ist relativ berühmt, rangierte zeitweise unter den Top Fünf der Weltmuseen. Außerdem ist Karlsruhe Bio-Stadt, seit 2016 schon.

Und was bedeutet das – Bio-Stadt? Bei unserem Besuch haben wir Passanten links und rechts der Fahrradstraße, zwischen Schlossplatz und Marktplatz gefragt. Die Antworten waren vielfältig: „Weil es hier viele Bio-Läden gibt?“ „Bio-Stadt? Das wäre mir neu, dass hier alles bio ist.“ So recht gewusst hat es niemand. Was nicht weiter schlimm ist.

Bio-Stadt, das ist kein Marketing-Coup. Sondern ein Verwaltungsakt. Bio-Stadt ist keine Show. Sondern Arbeitsebene. Per „gemeinderätlichem Auftrag“ soll der Bio-Anteil in der kommunalen Außer-Haus-Verpflegung, also in Kitas und Kantinen, erhöht und der Öko-Landbau vorangebracht werden. So steht es in den Statuten.

Wie viel Bio-Anteil braucht eine Bio-Stadt?

Nun fallen einem zu Karlsruhe weiß Gott andere Attribute ein als der Öko-Landbau. Karlsruhe liegt verkehrsumtost am Zusammenfluss der Autobahnen 5 und 8 und der A35/A4 nach Paris. Im Norden, elf Kilometer vom Zentrum entfernt, logiert das Joint Research Center, Atomforschungszentrum der Europäischen Kommission, es arbeitet an der Sicherheit von Atommeilern und an der Verbesserung der Endlagerung von Atommüll.

Doch im Großen wie im Kleinen sind es häufig einzelne Personen, die einen Richtungswechsel einleiten. Im Falle Karlsruhe ist es Mechtild Bauer, die die Stadt als Bio-Stadt neu erfunden hat. 2013 nutzte sie die kommunale Konferenz „Gesund aufwachsen“, um nach dem Vorbild anderer Bio-Städte für Karlsruhe einen Bio-Anteil von 25 Prozent in der Mittagsverpflegung einzufordern. 2016 erließ der Gemeinderat tatsächlich diese Selbstverpflichtung.

Wo steht Karlsruhe als Bio-Stadt?

Seither koordiniert Mechtild Bauer im Ressort Umwelt- und Arbeitsschutz die Bio-Stadt Karlsruhe. Sie war auch unsere Ansprechpartnerin. Für Schrot&Korn fragte sie vorab ein Dutzend Betriebe an, die exemplarisch für die Bio-Stadt stehen. Frau Bauer kennt alle, sie ist von hier, spricht die Sprache der Leute. Ihr Lieblingswort ist „Alla“, das ist badisch und heißt so viel wie ‚Auf geht’s‘! Insgesamt wuppen sieben Personen die Karlsruher Bio-Stadt. Bauer sagt: „Wir sind ein Team.“ Fachlich zuständig und politisch verantwortlich sei die Bürgermeisterin, Bettina Lisbach.

Alla, Frau Bürgermeisterin, Karlsruhe hat sich von der Beamten- zur Industriestadt und heute zum IT-Standort gewandelt. Wo steht Karlsruhe als Bio-Stadt? Bettina Lisbach bekleidet das Amt seit Anfang 2019. Sie sagt: „Das Projekt stieß in der Stadt von Anfang an auf offene Ohren – und auf großartige Unterstützung.“ Erfolge? Bettina Lisbach listet auf: Alle 21 kommunalen Kitas und 33 von 36 Schulen und Mensen bieten Mittagessen mit mindestens einem 25-prozentigen Bio-Anteil, einige Kitas bieten zu 100 Prozent Bio-Essen an, in einer Mensa sind es 75 Prozent. Die bio-zertifizierte Rathaus-Kantine kocht zu einem Viertel mit Bio-Produkten; Bio-Anteile gibt es praktisch in allen Einrichtungen. Bis 2030 sollen sie weiter erhöht werden.

Das Projekt stieß in der Stadt von Anfang an auf offene Ohren – und auf großartige Unterstützung.

Bettina Lisbach, Bürgermeisterin von Karlsruhe

Lisbach: „Wir haben parallel die Orientierung an den Qualitätskriterien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung verpflichtend eingeführt. Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt geringere Fleischmengen haben und eine ausgewogenere und weniger fleischlastige Wochenplanung.“

Politisch, sagt Bettina Lisbach, liege ihr das Projekt „total am Herzen“. „Gemessen an unseren Ideen ist noch manches verbesserungswürdig. Aber das spornt uns an.“ So soll sich die Bio-Stadt zur „grünen, gesunden, klimaangepassten Stadt“ fortentwickeln. Die Bürgermeisterin verweist beispielhaft auf Schulen mit Schulgärten, Kochmobile für klimafreundliches Bio-Essen, zahlreiche außerschulische Lernorte im Grünen, diverse Urban-Gardening-Initiativen …

Welche Konflikte können bei der Stadtplanung auftreten?

Bürgermeisterin Lisbach und Koordinatorin Bauer kommen mit dem Fahrrad. Die Bürgermeisterin zum Foto-Termin ans Schloss Gottesaue, Mechtild Bauer radelt sieben Kilometer hinaus nach Rüppurr, auf den Öko-Hof Schleinkofer, einen von 40 Bauernhöfen im Stadtgebiet. Das Hofgut hat Spitzenzuspruch bei Internet-Bewertungen, ohne ein gelackter Vorzeigebetrieb zu sein. Man betreibt ein Geschäft und bleibt nahbar, dafür steht die Bäuerin Susanne Schleinkofer, studierte Agrarökonomin.

Der Hof existiert seit 1957 und ist in dritter Generation Familienbetrieb. 2015 wurde auf Öko-Landbau umgestellt, seit 2017 ist der Betrieb bio-zertifiziert. Schleinkofers halten 20 Mastschweine, 35 Milchkühe und 50 Aufzucht- und Mastrinder. Seit 2013 betreiben sie einen Hofladen. Nächstes Öko-Projekt ist die natürliche „muttergebundene“ Kälberaufzucht – das Kalb soll künftig bei der Kuh aufwachsen. Für Susanne Schleinkofer entscheidet sich gerade, ob die Stadt Karlsruhe lediglich „das Öko-Fähnchen hoch hält“. Oder tatsächlich ihrer Selbstverpflichtung nachkommt, Öko-Landbau und regionale Wertschöpfung zu fördern – und im Zweifel zu schützen.

Wer auf Öko-Landbau umstelle, büße durch den Verzicht auf konventionelle Düngung ein Drittel Ertrag ein. „Man geht ins Risiko, das Futter für die Tiere wird knapp“, sagt die Landwirtin. Öko-Anbau brauche mehr Fläche. Schleinkofers droht aber aktuell der Verlust von fünf Hektar Land: Weil die Stadt mehr Bauland braucht, will sie verstreut liegende Sportstätten an einem Ort konzentrieren. Guter Plan. Aber ganz zum Schluss stellten die Planer fest, dass ihnen dafür fünf Hektar Land fehlen. Also wollen sie Ackerland im Ausmaß von sieben Fußballfeldern überbauen. „Bestes Öko-Ackerland“, klagt die Bäuerin.

Bio-Stadt zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Bürgermeisterin Lisbach habe das nicht zu verantworten, heißt es aus dem Rathaus, die Entscheidung sei vor ihrem Amtsantritt getroffen worden. Lisbach sagt: „Mein persönliches Anliegen ist es, Grün- und Freiflächen zu erhalten und ökologisch aufzuwerten. Dazu gehören auch die Flächen für die Landwirtschaft. Für den landwirtschaftlichen Betrieb muss nach Ersatzflächen gesucht werden.“

Wunsch und Wirklichkeit sind auch in einer ausgewiesenen Bio-Stadt nicht immer deckungsgleich. Am Ende wird es darum gehen, ob sich Bürgermeisterin Lisbach gegen die Sportstättenplaner im eigenen Haus behaupten kann. Aus der Verwaltung ist zu hören, die Stadt müsste die übriggebliebenen Höfe, die es in Karlsruhe noch gibt, dringend hegen und pflegen.

Stadt der kurzen Wege?

Ortswechsel: Bio-Lifestyle anderer Art betreiben Gerald Hammer und Stefan Kehr mit ihrer Bio-Kaffee-Rösterei und einem Espresso-Ausschank. Das „tostino“ ist ein Vorzeige-Laden im Vorzeige-Kreativpark Alter Schlachthof. Kehr und Hammer sind Kaffee-Kundler mit starkem Italien-Bezug. Ihre Mission war es vor 20 Jahren, einen schmackhaften Bio-Espresso zu rösten. Sie experimentierten zunächst daheim, im Keller. Seit 2009 gibt es das tostino im Alten Schlachthof.

Die Jahre über lief alles super. Bis sich die Kreativen von nebenan irgendwann über den Kaffeeduft aus der Rösterei beschwerten. Sie taten es leider nicht bei den Betreibern. Sondern bei der Gewerbeaufsicht. Die Folge: Das Amt stellte fest, dass die Rösterei mittlerweile die Immissions-Grenzwerte überschritt. Hammer und Kehr mussten im Frühjahr mit der Rösterei umziehen, runter ins Hafengebiet, ans andere Ende der Stadt und zehn Kilometer vom Lokal entfernt.

Eigentlich ein Irrsinn in einer Bio-Stadt der kurzen Wege, wo man im Idealfall eben mal mit dem Rad einen Sack Kaffee in den Ausschank fährt. Der Normalfall aber geht so: „Aus baurechtlichen und aus Platzgründen“, so die Stadt, sei eine Erweiterung im bestehenden Gebäude nicht möglich gewesen. Zwar hätte es im Schlachthof durchaus ein Ausweichquartier gegeben. Tatsächlich aber ist der hippe Alte Schlachthof mittlerweile so teuer, dass sich die Kaffeemacher ihn elf Jahre später nicht mehr leisten können. Um hier gegenzusteuern, bräuchte es neben der Bio-Stadt die Soziale Stadt.

So sieht fairer Handel in der Bio-Stadt aus

Positiv-Beispiele gibt es freilich auch: Als die Eigentümer des Bio-Traditionsladens „Füllhorn“ in der Innenstadt aufhörten, gelang im Juli die Überführung in eine Genossenschaft.

Bürgermeisterin Bettina Lisbach sagt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien „beispielhaft vorangegangen und haben Zukunftsfähigkeit bewiesen“. Nun ist es nicht so, dass eine Bio-Stadt potenzielle Bio-Betriebe aktiv pusht; dies verbietet das Neutralitätsgebot. Bio-Städte-Koordinator Dr. Werner Ebert aus Nürnberg stellt für seine Stadt fest: Alle vier, fünf Jahre steigt der Anteil bio-zertifizierter Betriebe. „Die Großstadt als Markt hat mittlerweile eine sehr starke wirtschaftliche Komponente. Wenn man das deutlich macht, steigt die Akzeptanz zusätzlich.“

Karlsruhe, sagt Bürgermeisterin Lisbach, unterstütze generell „zukunftsfähiges Handeln“, also auch fairen Handel, biologische Landwirtschaft, Klimaschutz, Nachhaltigkeit. Wenn etwa die Event GmbH ein überregionales Musikfestival organisiere oder die Karlsruher Messe auf Bio-Essen, umweltfreundliche Mobilität und Müllvermeidung setze, fördere die Stadt dies. Außerdem biete die Stadt den Bio-Produzierenden eine Plattform, etwa mit dem Konsumführer „Grüner Marktplatz“.

Und immer mittwochs nach 16 Uhr gibt es neuerdings auf dem Marktplatz den Bio-Abendmarkt. Ob die Kundschaft dort weiß, was es mit der Bio-Stadt Karlsruhe auf sich hat?

Bio in Europas Städten

  • In Italien fand sich 2003 ein landesweiter Zusammenschluss. Heute sind dort rund 80 zumeist kleinere und mittlere Kommunen in der Città del Bio organisiert.
  • In Deutschland gibt es das Bio-Städte-Bündnis offiziell seit 2014. Unter den 19 deutschen Städten findet sich neben Großstädten wie Karlsruhe, Hamburg oder Berlin auch die 16000-Einwohner-Stadt Witzenhausen. Eine Stadt, die Bio-Stadt sein will, verpflichtet sich per Grundsatzbeschluss im Stadtrat beispielsweise dazu, zunächst einen 25- oder 50-prozentigen Bio-Anteil an der öffentlichen Essensversorgung zu erreichen. Die Stadt muss konkrete Öko-Projekte nachweisen und Personal für die Organisation abstellen.
  • 2018 gründete sich das europaweite Internationale Organic Cities Network; Gründungsmitglieder waren Paris, Wien und Mailand.
  • Im Rahmen seiner House-of-Food-Initiative hat Kopenhagen in einem großen Wurf die öffentliche Essensversorgung auf 100 Prozent Bio umgestellt.
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