Unseren Tieren und Pflanzen könnte es besser gehen. 31 Prozent der Arten sind gefährdet, vier Prozent ausgestorben. Hier gegenzusteuern ist Aufgabe von Beate Jessel, der Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN).
Fühlen Sie sich als Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz manchmal als eine Verwalterin des Mangels?
Im Naturschutz gibt es viel Schatten, aber auch Licht. Denn bei einigen Arten haben wir durchaus Erfolge zu verzeichnen. Etwa bei der Wildkatze. Mut machen auch Projekte, bei denen Landwirte und Naturschützer miteinander kooperieren. Ich bin Berufsoptimistin. Deshalb glaube ich fest daran, dass wir nicht immer nur jammern dürfen, sondern auch zeigen sollten, wo und unter welchen Bedingungen es im Naturschutz auch einmal gut läuft.
Gibt es Arten, die schon fast oder sogar völlig verschwunden sind?
Ja, etwa der Feldhamster. Er war früher selbst dort verbreitet, wo intensiv gewirtschaftet wurde. Heute ist er fast verschwunden. Aber es gibt auch Arten, die tatsächlich ausgestorben sind, etwa Pflanzen wie der Bodensee-Steinbrech und das Spitzels Knabenkraut.
Muss man denn um jede Art kämpfen?
Nehmen wir die Insekten: Da wird oft gefragt, was passiert, wenn die eine oder andere Schwebfliege oder Wildbiene verschwindet? Vielen ist nicht bewusst, dass wir in Deutschland 600 Wildbienenarten haben. Die bestäuben nicht nur landwirtschaftliche Nutzpflanzen, sondern spielen auch in der freien Landschaft eine wichtige Rolle als Bestäuber. Wir wissen viel zu wenig darüber, was passiert, wenn eine oder mehrere Arten ausfallen. Viele dieser Insekten sind auf ein enges Netz von Pflanzen, die sie bestäuben, geeicht. Das bedeutet, dass verschiedene Pflanzen weniger häufig bestäubt werden, sodass es zu einer Verschiebung des Pflanzenspektrums kommt. Wie diese Verschiebungen sich letztlich auswirken, ist noch viel zu wenig untersucht.
Vereinfacht gesagt: Fällt eine Wildbiene aus, fällt auch eine Pflanze aus?
Zumindest kann es zu Veränderungen in der Natur kommen, die wir nicht überschauen. Ein besseres Beispiel aus dem Reich der Schmetterlinge: Einige Bläulingsarten sind nicht nur deshalb so selten geworden, weil sie auf bestimmte Nahrungspflanzen spezialisiert sind, sondern weil sie an bestimmte Ameisenarten gebunden sind. Etwa der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling, der eng mit der Roten Knotenameise lebt. In einem bestimmten Stadium ernähren sich die Bläulingslarven von den Ameisenpuppen. Fällt diese spezielle Ameise etwa aufgrund zu intensiver Landbewirtschaftung aus, verschwindet auch der Bläuling.
Wir wissen viel zu wenig darüber, was passiert, wenn eine oder mehrere Arten ausfallen.
Es gibt aber auch Erfolge. Seeadler sind zurückgekehrt, Steinkäuze wurden gerettet. Doch das ist alles extrem aufwendig. Lohnt sich das?
Der gezielte Artenschutz ist sehr aufwendig. Aber der Aufwand lohnt sich. Man kann das aber nur in extremen Fällen machen, also wenn wir sehen, dass hier eine Art wegbricht. Heute setzen wir an anderer Stelle an: Wir versuchen, die Lebensräume in der Landschaft zu schützen.
In Göttingen versuchen Wissenschaftler, den Lebensraum des Rebhuhns zu retten. Finanziert aus Agrarumweltprogrammen addiert sich die Hilfe pro Huhn auf 731,25 Euro. Ziemlich viel.
Man muss das in weiteren Kreisen denken. Das Rebhuhn ist in der Agrarlandschaft so selten geworden, weil die Strukturvielfalt fehlt, weil Säume, Deckung und Nahrung fehlen. Im Schlepptau dieser Leitart profitieren von solchen Projekten auch andere Arten, ob Insekten oder Kleinvögel – oder aber sie nehmen umgekehrt gleichzeitig mit ab. Es ist wichtig, auf der Ebene der Landschaft anzusetzen, um die Arten- und Lebensraumvielfalt zu sichern.
Doch an die Ackerlandschaft werden kaum Ansprüche gestellt.
Die intensive Landwirtschaft gehört zu den zentralen Verursachern des Rückgangs an Biodiversität. Deshalb muss man die EU-Agrarförderung ändern, sie an der Formel ausrichten, öffentliche Gelder nur für öffentliche Leistungen. Also etwa für ökologische Leistungen der Landwirte. Mit dem Gießkannenprinzip, das praktisch keine Bedingungen an die Subventionen knüpft, muss Schluss sein. Das ist nicht nur Geldverschwendung, das ist sogar schädlich für die Natur. Leider hat die jüngste Agrarreform nur sehr wenig für mehr Natur auf den Feldern gebracht.
Ist Öko-Landbau die Antwort?
Die Bundesregierung möchte den Öko-Landbau bis 2020 auf 20 Prozent steigern. Heute dümpeln wir trotz der immensen Nachfrage nach Bio-Produkten bei gut sechs Prozent. Auf Wasser und Boden wirkt sich der Öko-Landbau sehr positiv aus. Aber er ist kein Allheilmittel, denn auch ein Öko-Bauer schöpft den Rahmen, den ihm die Politik setzt, häufig aus. Wir finden gerade im Futterbau mit häufiger und früher Mahd manchmal eine Intensität vor, die sich von der im konventionellen Landbau nicht oder nur wenig unterscheidet. Das könnte optimiert werden.
Was könnte sich ändern?
Denkbar ist die gezielte Förderung eines „Ökolandbau-Plus“, der auf die üblichen Vorgaben noch einige Naturschutzleistungen draufsetzt und sie extra honoriert. Wir verpassen eine Riesenchance. Die heimische Nachfrage nach Bio ist riesig. Das müssen wir ausnutzen.
Frau Jessel, was haben Sie persönlich heute schon zum Natur- und Artenschutz beigesteuert?
Ich habe noch kein Fleisch gegessen. An unseren Konsumgewohnheiten kann man viel festmachen. Leider überlegen wir häufig nicht, woher das, was wir essen, kommt. Fleisch zum Beispiel wird sehr häufig mit Hilfe von Soja aus Südamerika produziert. Dort wird dafür sehr viel Fläche für den Anbau benötigt und Regenwald gerodet. Man sollte sich auch vergegenwärtigen, dass für die Produktion von einem Kilo Fleisch sieben Kilogramm Getreide und jede Menge Wasser benötigt werden.
Plädieren Sie für den Vegetarismus?
Nein, es geht mir nicht darum, dass wir jetzt alle Vegetarier oder Veganer werden sollen. Aber man sollte sich einige dieser Zusammenhänge bewusst machen. Das würde sicherlich schon einiges bewirken.
Zur Person
Als Chefin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) begleitet Beate Jessel den Schutz unserer natürlichen Ressourcen aus wissenschaftlicher Sicht. Die studierte Landespflegerin war von 1992 bis 1999 Leiterin des Referats „Ökologisch orientierte Planungen“ an der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege. 1998 promovierte sie zum Dr. agr. und wurde im Jahr darauf Professorin für Landschaftsplanung an der Uni Potsdam. 2007 übernahm sie die Leitung des in Bonn ansässigen BfN. Ihre Aufgabe ist es, das Bundesumweltministerium wissenschaftlich in puncto Naturschutz zu beraten.
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