Leben

Waldbaden: Therapie aus der Natur

Eine Waldtherapie in Form von Waldbaden ist nicht nur gratis, sondern auch gut für die Gesundheit, denn sie verbessert Wohlbefinden und Blutwerte.

Im geliebten Wald von Annette Bernjus gibt es keinen Handyempfang. Stattdessen Bäume, Moos und Steine. „Das sage ich meinen Gruppen vorher aber nicht, sonst kommt noch Panik auf“, sagt Bernjus und lacht. Der gelassenen Frau aus dem hessischen Taunus ist das Funkloch in der Natur gerade recht. Leuchtende Smartphone-Bildschirme und das ständige „Bing! Bing!“ neuer Nachrichten würden die Teilnehmer ihrer Spaziergänge nur stören. Die Stressmanagement-Trainerin bringt Menschen schließlich zur Entspannung in den Wald. Genauer gesagt: zum Waldbaden.

Waldbaden: Was ist das?

Bernjus praktiziert Shinrin-yoku. Es kommt aus Japan und heißt übersetzt „Baden im Wald“. Der Begriff wurde 1982 vom japanischen Land- und Forstwirtschaftsministerium eingeführt und Waldbaden seither als Teil eines gesunden Lebensstils gepriesen. Forscher der Nippon Medical School in Tokio haben dafür die wissenschaftliche Grundlage geliefert: Sie schickten mehr als 120 Menschen in 24 japanische Wälder zum Spazierengehen und fanden heraus, dass die Waldspaziergänge den Blutdruck, Puls und die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Körper messbar senken. Dieselben Probanden wurden auch nach Spaziergängen in der Stadt untersucht – und zeigten diese positiven Veränderungen nicht.

Wie gesund ist Waldbaden?

Der Wald verbessert nicht nur den Kreislauf, sondern auch unser Immunsystem. Denn in Baumrinden, Blättern und Pilzen stecken chemische Botenstoffe, die sogenannten Terpene. „Mit deren Hilfe informieren Bäume und Pflanzen einander zum Beispiel über Schädlinge, von denen sie angegriffen werden“, schreibt Clemens G. Arvay, Biologe und Autor des Buchs „Der Heilungscode der Natur“. Gelangen diese Duftstoffe in die Luft, entsteht der typisch modrig-holzige Waldgeruch. „Nach Regen und bei Nebel ist die Luft besonders reich an Terpenen“, schreibt Arvay. Wenn wir aromatische Waldluft einatmen, sollen wir Zellen bilden, die Viren abtöten und Krebs verhindern. Das Team um den japanischen Mediziner Quing Li fand mit Blutanalysen heraus, dass ein ganzer Tag im Wald die Anzahl von Killerzellen in unserem Organismus durchschnittlich um vierzig Prozent erhöht. Und nicht nur das: Die Wirkung hielt sogar noch eine ganze Woche lang an.

Offenbar wirken Terpene auch unabhängig von der Waldumgebung – sogar im Schlaf. Quing Li überprüfte das in einem Hotel in Tokio: Die Hälfte der ahnungslosen Studienteilnehmer atmete Luft ein, die mit üblichen Waldterpenen angereichert war. Die anderen schliefen in ganz normaler Hotelzimmerluft. Am nächsten Tag waren im Blut der Terpene-Gruppe die Killerzellen stärker vertreten und auch bestimmte Proteine, die gegen Wucherungen wirken. „Vielleicht können Ärzte in Zukunft ‚Wald’ als Medizin verschreiben“, vermutet der Forscher Quing Li.

Für wen ist Waldbaden präventiv gut?

Entspannungspädagogin Annette Bernjus sieht im Waldbaden schon jetzt eine gesundheitliche und psychische Vorsorge. Menschen, die von Montag bis Freitag in steriler Umgebung arbeiten, finden im Wald einen Ausgleich. „Viele wollen bei unseren Waldbädern auch dem Lärm entkommen, dem sie in der Stadt ständig ausgesetzt sind“, sagt Bernjus.

Man joggt über den Forstweg oder führt den Hund aus. Aber sich im Wald einfach mal hinzusetzen und abzuwarten, was passiert, das können viele nicht mehr.

Annette Bernjus, Stressmanagement-Trainerin

Sie lädt ihre Begleiter zu Atem- oder Wahrnehmungsübungen ein, lässt sie aber auch in Ruhe von Baum zu Baum gehen. Das ist ungewohnt für manche: „Man joggt über den Forstweg oder führt den Hund aus“, sagt Bernjus. „Aber sich im Wald einfach mal hinzusetzen und abzuwarten, was passiert, das können viele nicht mehr.“

Esoterisch aufladen will sie Shinrin-yoku aber nicht: „Niemand muss einen Baum umarmen, wenn er das nicht möchte.“ Waldbaden sollte eine möglichst einfache Praxis sein, findet sie. „Wenn Sie Heilkräuter sammeln, müssen Sie schon etwas wissen, um sich nicht versehentlich zu vergiften“, sagt Bernjus. „Um Zeit im Wald zu verbringen, braucht man keine Anleitung.“ Dennoch sind ihre Kurse gut gebucht.

Warum Waldbaden für Kinder gut ist

Auch Schülern tut der Wald gut. Das zeigt ein Langzeitprojekt von Wissenschaftlern der Technischen Universität München. Sie verglichen ein Jahr lang die Speichelproben von Heidelberger Gymnasiasten, die wöchentlich einen Schultag lang im Wald unterrichtet wurden, mit Gleichaltrigen, die im Gebäude blieben. Im Speichel der Waldgruppe fanden sie über das Jahr hinweg konstant weniger vom Stresshormon Cortisol. Naturnaher Unterricht verbessert das Wohlbefinden von Schülern.

Positive Wirkung besonders für Städter

Im komplexen Lebensraum Wald wirken viele Faktoren auf unsere Gesundheit, sagt Arnulf Hartl, Leiter des Instituts für Ökomedizin an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Er erforscht mit seinem Team, wie natürliche Ressourcen sich gesundheitlich auswirken. Wissenschaftlich bestätigt ist, dass sich ein Aufenthalt in der Natur nachhaltig positiv auf die Psyche auswirkt und Sport im Grünen gesünder ist, als sich drinnen zu verausgaben.

„Allein die Aussicht, später in den Wald zu gehen, sorgt bei Frauen dafür, dass sie sich besser fühlen“, erklärt Immunologe Hartl. „Warum das nur bei Frauen so ist, weiß man aber noch nicht.“ Gesichert scheint, dass das Leben in der Stadt stärker belastet. „Ein männlicher Stadtbewohner hat ein 180 Prozent höheres Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, als ein Landbewohner“, sagt Hartl. „Der Wald mit seiner enormen Biodiversität ist medizinisch bedeutsam.“ Und auch bei den Messpunkten Feinstaub, Sauerstoffgehalt oder Lärm schneidet der Wald wesentlich besser ab als die Stadt.

Heilwälder: Wald und Wasser verstärken die Wirkung

Ist Grün also das Gegenmittel zum naturfernen Lebensstil? Auf der Insel Usedom glaubt man das und hat bei Heringsdorf den deutschlandweit ersten Heilwald eröffnet. Hartl stellt dort beim Kongress „Gesundheitspotenzial Wald“ seine jüngsten Forschungsergebnisse vor: Er und sein Team fanden heraus, dass Bewegung im Wald in Kombination mit Wasser besonders förderlich für unsere körpereigenen Abwehrkräfte ist. Die Forscher verglichen drei Gruppen von Menschen in stressigen Pflegeberufen: Eine Gruppe blieb zuhause, eine ging im österreichischen Nationalpark Hohe Tauern wandern und die dritte hielt sich dort zusätzlich jeden Tag eine Stunde am Gartl-Wasserfall auf. Zuvor hatten alle eine Cholera-Impfung geschluckt, um das Abwehrverhalten des Immunsystems vergleichbar zu machen. „Die Wasserfall-Gruppe zeigte eine erheblich bessere Immunreaktion und die nachhaltig größte Reduktion von Stress“, sagt Hartl. Die Gruppe der Daheimgebliebenen hatte die schlechtesten Werte.

Der Forscher schlägt vor, mindestens zwei- bis dreimal pro Woche in den Wald zu gehen. Und er rät, sich dort auch anzustrengen. Mit Sport steigere man nämlich sein Lungenvolumen und atme mehr von der wohltuenden Waldluft ein. Die klare Empfehlung des Experten: „Bewegen Sie sich möglichst viel im Grünen.“

Interview: „Sie erleben bei uns zum ersten Mal wirklich Natur“

Förster Bodo Marschall

In seinem Revier von 1500 Hektar Wald braucht Förster Bodo Marschall jede helfende Hand. Er bezieht Jugendliche ein, die zu Sozialstunden verdonnert wurden. Ein Gewinn für alle.

Herr Marschall, in Ihrem Forst können Jugendliche ihre Sozialstunden abarbeiten. Was machen sie da?

Sinnvolle und körperlich anstrengende Arbeit. Zuletzt bauten wir auf rund 100 Quadratmetern Fläche mehr als 20 kleine Zäune um junge Eichen, um sie vor Wildfraß zu schützen. Ich erkläre den Jugendlichen vorher genau, warum wir etwas tun und wie sie das machen müssen. Es heißt nicht: ‚Los, sammelt mal ein bisschen Müll ein.’ Stattdessen kriegen die Hammer und Hacke in die Hand und wissen am Ende des Tages, was sie geschafft haben.

Wie wirkt sich die Umgebung des Waldes dabei auf die Jugendlichen aus?

Der Wald ist ein scheinbar grenzenloser Ort, man sieht sein Ende nicht. Das gibt einem das Gefühl, freier zu sein. Andererseits gelten klare Regeln, die sie beachten müssen – und Teamarbeit ist sehr wichtig. Trotz der Anstrengung sind alle eigentlich schnell begeistert. Die meisten hatten es jedenfalls im Leben nicht leicht und brauchen dringend ein Lob.

Autoritätspersonen sind für die Jugendlichen vermutlich schwierig. Wie reagieren sie auf den Förster Bodo?

Nun ja, mit Speck fängt man Mäuse: Ich komme gern mit dem Motorrad an und lasse auch mal Heavy-Metal-Musik bei der Arbeit laufen. Die Jugendlichen merken, dass man mit uns Alten doch etwas anfangen kann. Das Ganze könnte natürlich nicht funktionieren, wenn man da einen gelangweilten Bürokraten hinstellen würde.

Wie lange halten diese Erfahrungen an?

Ich höre auch später noch von den Jugendlichen. Einer meinte, am meisten habe ihn beeindruckt, dass es morgens um acht im Wald noch so kalt ist. Derartige Urerfahrungen fehlen manchen Kindern und Jugendlichen komplett. Sie erleben bei uns zum ersten Mal wirklich die Natur. So etwas bleibt natürlich.

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