Leben

Feinstaub macht krank

Wie gut es tut, wenn di­­­e Luft sauber ist, hat uns ausgerechnet die Corona-Zeit gezeigt. Was wir tun können, um Feinstaub & Co. zu reduzieren.

Es war ein kurzer Blick in eine gesündere Zukunft – und das ausgerechnet in einer der schwärzesten Stunden der Corona-Pandemie. Als die Bundesregierung Ende März 2020 drastische Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der ersten großen Corona-Welle erließ, kam das sonst so geschäftige Leben überall in Deutschland fast zum Stillstand. Keine Staus, kaum Verkehrslärm – dafür Vogelgesang und Rehe, die sich bis in die Innenstädte wagten. „Es war, als hätte ich freier atmen können“, erinnert sich Britta Jona. Die Asthmatikerin aus Berlin berichtet von deutlichen Verbesserungen ihrer Kurzatmigkeit in den Wochen des Lockdowns. Ob das tatsächlich etwas mit der verbesserten Luftqualität zu tun gehabt habe, könne sie nur vermuten. „Aber ich weiß, dass es mir mit meiner Atemnot viel besser ging“, sagt die Mittfünfzigerin.

Warum der Lockdown der Luft gutgetan hat

Solche Erfahrungen müssen keiner Einbildung entspringen. Dass das „Aufatmen“ vorerkrankter Menschen tatsächlich die Folge einer geringeren Luftverschmutzung sein kann, haben Wissenschaftler in mehreren aufwendigen Studien belegt. So hat der Mainzer Physiker und Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie, Jos Lelieveld, gemeinsam mit norwegischen Kollegen ausgewertet, wie sich die Lockdowns weltweit auf die Luftverschmutzung und damit auf die Gesundheit der Menschen ausgewirkt haben – mit einem eindeutigen Ergebnis: „Wir schätzen, dass schon in den ersten zwei Wochen der Lockdowns weltweit etwa 7400 vorzeitige Todesfälle vermieden wurden und 6600 Kindern Asthmaanfälle erspart blieben“, fasst Lelieveld die Ergebnisse zusammen.

Studien wie diese zeigen auf der einen Seite, wie unmittelbar gesundheitswirksam die Verringerung der Luftverschmutzung ist, selbst wenn sie nur von kurzer Dauer ist. Auf der anderen Seite illustrieren sie aber auch, wie extrem schlecht die Luft fast überall auf der Erde unter normalen Bedingungen ist – und wie viele Menschen Woche für Woche daran sterben.

„Die Luftverschmutzung wird in ihrer Bedeutung eindeutig unterschätzt – das Problem ist riesengroß, aber die Menschen sprechen nicht gern darüber“, sagt Lelieveld, der in einer weiteren Untersuchung mit Kollegen festgestellt hat, dass das gegenwärtige Ausmaß an Luftverunreinigung die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in Europa um zwei Jahre verkürzt.

Was an Feinstaub so gefährlich ist

Als gefährlichste Luftschadstoffe für die menschliche Gesundheit stuft die Europäische Umweltagentur (EEA) Stickstoffdioxid, bodennahes Ozon und allen voran Feinstaub ein. Darunter werden Teilchen mit einem Durchmesser zwischen 10 Millionstel (PM10) und einem Millionstel Meter (PM0,1) bezeichnet. Als besonders gefährlich gilt Feinstaub unter 2,5 Millionstel Meter Durchmesser (PM2,5). Je kleiner die Partikel sind, desto tiefer können sie in die menschliche Lunge vordringen und dort weiter reagieren oder die Sauerstoffversorgung des ganzen Körpers beeinträchtigen. Feinstäube zählen demnach zu den Hauptursachen für Atemwegs- sowie Herzkreislauferkrankungen. Auch beim Entstehen von Lungenkrebs können sie eine zentrale Rolle spielen und sind damit hierzulande für die meisten umweltbedingten Todesfälle verantwortlich. Nach neuen Untersuchungen können die kleinsten Partikel – sogenannter Ultrafeinstaub – über Lunge und Blut bis in das Gehirn vordringen und dort Entzündungen auslösen.

Die für das menschliche Auge unsichtbaren Miniteilchen entstehen meist durch Verbrennungsprozesse fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas. Auch Abrieb von Bremsen und Reifen oder chemische Prozesse erzeugen eine große Menge Feinstaub. Dabei gehen unterschiedliche Gase Verbindungen miteinander ein und formen sich zu sogenanntem sekundären Feinstaub. Das in der Intensivtierhaltung freigesetzte Ammoniak verbindet sich zum Beispiel mit dem Stickstoffdioxid aus der Luft und wird zu Ammoniumnitrat.

Nach Schätzungen kommt die Hälfte des Feinstaubs im ländlichen Raum aus der Landwirtschaft. Die Luft auf dem Land ist zwar wegen des geringeren Verkehrs sauberer als in Städten – bleibt aber auch dort vielfach in einem gesundheitsrelevanten Maß belastet.

Bei Feinstaub nicht auf die Nase verlassen

Manchmal kommt der Superschadstoff sogar ausgesprochen wohlduftend daher: Der würzige Geruch frisch im Kamin knisternden Holzes zeugt von nichts anderem als der Freisetzung großer Mengen Feinstaubs, in dem sich auch krebserregende Gifte wie Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) wie Benzo(a)pyren binden, die dann über die Luft eingeatmet werden. Wie groß das Problem mit Luftschadstoffen und besonders mit Feinstaub ist, zeigen aktuelle Zahlen der EEA. Die Fachbehörde der EU errechnete im vergangenen Herbst, dass 2019 in der Europäischen Union mehr als 300.000 Menschen vorzeitig allein durch die Belastung der Luft mit diesen ultrakleinen Partikeln gestorben sind. An den Folgen einer chronischen Belastung mit Stickstoffdioxid starben trotz erheblicher Verbesserungen durch Partikelfilter in Autos EU-weit immer noch mehr als 40.000 Menschen, und fast 17.000 vorzeitige Todesfälle gab es durch bodennahes Ozon – ein Gas, das durch chemische Prozesse aus anderen Schadstoffen wie Stickstoffoxiden entsteht.

Besonders tragisch: Laut den EEA-Experten hätte allein beim Feinstaub mehr als die Hälfte der vorzeitigen Todesfälle vermieden werden können, wenn in der EU die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingehalten worden wären. Gegenüber dem Referenzjahr 2005 wäre die vorzeitige Sterblichkeit sogar um mehr als 70 Prozent reduziert, rechneten sie in ihrem letzten Jahresbericht vor.

Trotz steigender Reinheit immer noch viel zu dreckig

Die WHO hatte als Konsequenz aus mangelnden Fortschritten im Kampf gegen den unsichtbaren Tod aus der Luft im Herbst vergangenen Jahres erstmals seit 15 Jahren ihre Empfehlungen für die Konzentrationen von Feinstaub und anderen Luftschadstoffen verschärft. Beim Feinstaub soll danach die Langzeitbelastung mit PM2,5 bei höchstens fünf statt bisher zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen. In der EU und damit auch in Deutschland liegen die Grenzwerte indes weiterhin fünfmal so hoch wie von der WHO empfohlen. Und selbst deren verschärfte Richtlinien sind schon ein Kompromiss: Denn ähnlich wie beim Ultragift Blei ist jede Feinstaub-Konzentration, selbst wenn sie winzig klein ist, problematisch für die menschliche Gesundheit.

Auch die finanziellen Belastungen der Gesundheitssysteme durch die hohe Luftverschmutzung sind enorm. Die EU-Kommission ermittelte vor einigen Jahren, dass allein durch die Überschreitung der hohen europäischen Grenzwerte im Zeitraum 2008 bis 2016 europaweit 240 Milliarden Euro Gesundheitskosten angefallen sind. „Hier besteht akuter Handlungsbedarf“, kritisiert Max-Planck-Forscher Lelieveld.

Feinstaubbelastung zu Hause

Feinstaub lauert auch in den eigenen vier Wänden – beim Braten und Toasten in der Küche oder beim Arbeiten im Homeoffice. Dort sind Drucker wichtige Feinstaub-Quellen. Deshalb lohnt es, auf das Umweltzeichen „Blauer Engel“ zu achten, da es einen geringeren Feinstaub-Ausstoß garantiert. Geräte sollten an gut belüfteten Stellen stehen und auch die Verwendung von staubarm geschnittenem Papier sowie das Kopieren bei geschlossener Abdeckung helfen nach Angaben des Bundesamts für Risikobewertung, die Belastung zu reduzieren. Überall gilt: Regelmäßiges Lüften ist wichtig. Weil in Innenräumen – erst recht in kleinen Büros – Verdünnungseffekte anders als in der Außenluft kaum zum Tragen kommen, ist die Feinstaubbelastung in Wohnungen oft höher als draußen. Hilfreich ist auch der Verzicht auf Kerzen und eine ausreichende Raumfeuchte von 40 bis 60 Prozent, die dafür sorgt, dass der Staub zu Boden sinkt.

Eine Chance fürs Klima

Trotz der düsteren Fakten: In den vergangenen Jahrzehnten hat es auch in Deutschland deutliche Erfolge im Kampf gegen die Luftverschmutzung gegeben. So wurden in den 1990er- Jahren im Jahresmittel großräumig noch Werte um 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft gemessen. Heute liegen die Mittelwerte nach Angaben des Umweltbundesamtes mehr als die Hälfte niedriger zwischen 15 und 20 Mikrogramm. Ebenso deutlich ist die Verbesserung beim Stickstoffdioxid. Hier gingen die Emissionen zwischen 1990 und 2019 um 60 Prozent zurück. Eine weitere Entwicklung stimmt Streiter für eine gesündere Luft positiv: „Der Kampf gegen den Klimawandel nimmt Fahrt auf, darin liegt eine Win-win-Chance für Klima und Gesundheit“, sagt Lelieveld. „Beiden Zielen kann man mit den gleichen Maßnahmen näherkommen.“

Forscher sind sich einig, dass in dem angestrebten Kohle-Ausstieg bis 2030 ein enormes Gesundheitspotenzial liegt. Damit entfielen die wichtigsten Verursacher von Luftschadstoffen. „Wenn man das auf Null bringt, hätte man schon sehr viel für die menschliche Gesundheit erreicht“, ist sich Lelieveld sicher. „Der Klimaschutz kann viele Menschenleben retten.“

Asthmatikerin Britta Jona will indes nicht bis 2030 warten, um aufatmen zu können. Sie plant den Umzug von Berlin nach Göttingen – ein Wechsel aus der am stärksten mit Feinstaub belasteten deutschen Region in die feinstaubärmste Großstadt. Zwar war der Beruf dafür ausschlaggebend. „Dass die Luft dort auch unter normalen Umständen so gut ist wie im Berliner Lockdown, macht den Wechsel leichter“, freut sie sich über die gewonnene Lebensqualität.

Mehr zum Thema

Im Netz

  • eea.europa.eu/publications/air-quality-in-europe-2021
    Der aktuellste Bericht zur Luftqualität in Europa (Air Quality Report) der Europäischen Umweltagentur EEA
  • umweltbundesamt.de
    Das Umweltbundesamt beantwortet Fragen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Umwelt (in den FAQs)
  • who.int
    Die neuesten Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation zur Luftqualität (Stichwort Global Air Quality Guidelines)
Veröffentlicht am

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