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Milchkühe: Die Haltung macht’s

Bio-Milchkühe leben besser. Das ist gut für die Kühe, für die Milch und die Umwelt. Doch auch das Leben einer Bio-Kuh hat Schattenseiten.

Sie tauchen ihre feuchten Schnuten in eine Welt aus Kleegras und Wiesenkräutern, rupfen bündelweise Halme und zerreiben das Futter genüsslich in ihren Mäulern. Den meisten ihrer rund 4,3 Millionen Artgenossinnen in Deutschland ist so ein Genuss leider nicht vergönnt. Denn sie müssen ihr Leben im Stall verbringen, Fertigfutter fressen und dann auch noch massenhaft Milch produzieren, die zu Dumping-Preisen verschleudert wird. Doch diese Kühe haben Glück. Die Weide, auf der sie stehen, ist ein Fünf-Sterne-Restaurant für Wiederkäuer. Und die Milch, die sie geben, hat einen hohen Wert. Von der Milchkrise jedenfalls ist hier, auf Haus Bollheim, einem Bio-Hof rund 50 Kilometer südlich von Köln, nichts zu spüren.

„Kommt, kommt“, ruft Sivert Joerges über die Weide der Herde zu. Der 56-jährige Milchbauer ist der Kuhflüsterer von Haus Bollheim. Er schiebt die Schirmmütze aus dem Gesicht und rückt die Jacke, die er über einem grauen Arbeitsanzug trägt, zurecht. Dann breitet er seine Arme wie zwei Flügel aus und treibt die gehörnten Tiere in ihren Stall zurück. Die Kühe gehorchen, doch eilig haben sie es nicht. Gleichmütig trotten sie los. Sie lassen sich auch nicht von dem Regen scheuchen, der aus dem wolkenverhangenen Himmel tröpfelt. Es ist Nachmittag, gleich 16 Uhr. „Zeit, zu melken“, sagt Joerges und stapft in seinen Gummistiefeln der Herde hinterher.

Zweimal am Tag nimmt Joerges den Kühen ihre Milch ab. Das erste Mal führt er sie morgens 6 Uhr in den Melkstand – das Herz eines jeden Milchviehbetriebs. Dort legt er Mütze und Jacke ab, zieht Handschuhe und eine Schürze aus Gummi über. Vor dem Eingang zu dem gekachelten Raum, der kaum größer als eine Garage ist, drängeln sich die Kühe. Dann dürfen sie herein, eine nach der anderen. Die ersten vier gehen nach links, die nächsten nach rechts. Hinter jeder Kuh senkt sich ein kleines Gatter. So, eingeparkt zwischen Eisenstangen, warten sie darauf, dass Bauer Joerges sie um ihre Milch erleichtert.

Der gelernte Landwirt ist ein erfahrener Milchbauer. Er hat schon in mehreren Kuhställen gemolken. Was er bei den konventionellen Betrieben sah, hat ihm nicht gefallen. „Das war nicht gut für die Kühe“, sagt er. Vor sechs Jahren kam er nach Bollheim, einem Betrieb, der nach den Richtlinien des Bio-Verbandes Demeter wirtschaftet.

Ökologische Tierhaltung: Was macht den Unterschied?

  • Bio-Bauern dürfen nicht mehr als zwei Kühe pro Hektar Land, das sie bewirtschaften, halten. Damit soll eine Überdüngung mit Gülle vermieden werden. Im Konventionellen gibt es diese Auflage nicht.
  • In der Intensivhaltung, aber auch in vielen Bio-Betrieben finden sich kaum noch Kühe mit Hörnern. Grund: Die Verletzungsgefahr soll dadurch verringert werden. Die Bauern halten entweder hornlose Rassen oder sie enthornen. Demeter ist der einzige Bio-Verband, der diese schmerzhafte Praxis verbietet. Hörner seien ein wichtiges Sinnes- und Kommunikationsorgan, begründet Demeter. Dem Verband gehe es darum, die Haltungsform den Kühen anzupassen und nicht umgekehrt.
  • Jede vierte Kuh in Deutschland liegt oder steht angebunden im Stall. Diese Anbindehaltung ist nicht artgerecht, in der industriellen Landwirtschaft aber üblich. Im Bio-Landbau ist sie verboten. Allerdings gibt es Ausnahmegenehmigungen für kleine Betriebe. Die Alternative sind Laufställe wie auf dem Hof Haus Bollheim. Die bieten mehr Platz. Kühe, die im Freien Auslauf bekommen, sind selten geworden. Öko-Bauern werden von den Bio-Verbänden dazu angehalten, ihre Tiere vor allem im Sommer auf die Weide zu treiben.
  • Und natürlich macht auch das Futter einen großen Unterschied.

So viel Milch geben Bio-Kühe

Um die 20 Liter Rohmilch gibt eine Kuh hier täglich, mal mehr, mal weniger, aber mindestens 7.000 Liter im Jahr. Das stellt schon eine Höchstleistung dar, doch es geht noch höher. Die Superkühe der Milchindustrie erreichen 10.000 Liter und mehr. Es ist eine Jagd nach Spitzenleistungen. Immer mehr Kühe sollen in immer kürzerer Zeit immer mehr Milch liefern. Das führt zur Krise – zu einem Überangebot auf dem Weltmarkt, zu niedrigen Preisen, Massenställen, kranken Tieren und zu Milchbauern, die dem Wachstumsdruck nicht standhalten und aufgeben. Immerhin denken auch ein paar darüber nach, ihren Betrieb auf eine nachhaltige Tierhaltung auszurichten, wie Elmar Seck von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) berichtet. „Die Anfragen an uns für eine Umstellungsberatung haben deutlich zugenommen“, erklärt der Experte für ökologischen Landbau.

Milch gibt es nur, wenn Kühe regelmäßig kalben. In der modernen Milchproduktion werden Kühe und ihre Kälber bald nach der Geburt getrennt. Manche Betriebe machen es anders:

Mein Kalb bleibt bei mir

Auf Haus Bollheim wird bereits seit 1982 biologisch-dynamischer Landbau betrieben. Milchvieh gehört immer schon dazu. Am Anfang waren es gerade einmal fünf Kühe. Heute sind es zwar zehnmal mehr. Die Herde ist verglichen mit den Heeren, die die Agroindustrie hält, aber immer noch verhältnismäßig klein. Sivert Joerges jedenfalls kennt jede seiner Kühe mit Namen. „Das sind Isabel, Berta und Umbria. Und die Schwarzbunte heißt Hanna“, sagt er und zeigt mit seinen behandschuhten Fingern auf vier Kühe, die erhöht vor ihm im Melkstand stehen. Joerges steht in einer Art Grube ein paar Treppenstufen tiefer, die Zitzen in Sichthöhe. Auch auf die Klauen hat er einen guten Blick. Die Füße der Tiere sind ziemlich empfindlich. Sie können sich schnell entzünden, erzählt der 56-Jährige. „Eine Kuh, die lahmt, frisst nicht“, sagt er. Fressen ist das halbe Kuhleben. Fressen, verdauen und wiederkäuen.

Wie das Futter die Milchqualität beeinflußt

Isabel, Berta, Umbria und Hanna vertilgen am Tag rund 20 Kilogramm Futter – pro Schnute. Doch nicht allein wie viel, sondern insbesondere was sie fressen, ist entscheidend. Von der Zusammensetzung des Futters hängen die Qualität und die Menge der Milch ab, die sie geben. Für das Prädikat Bio müssen die Bauern strenge Regeln einhalten. Laut Öko-Verordnung der Europäischen Union (EU) muss das Futter für Kühe zu 100 Prozent aus ökologischer Herstellung stammen.

Bio-Verbände wie Demeter, Bioland und Naturland haben noch höhere Anforderungen. Sie verlangen von ihren Betrieben, dass sie mindestens die Hälfte davon auf eigenen Flächen oder mit einem regionalen Partner erzeugen. Im Gegensatz zu EU-Bio und zur konventionellen Tierhaltung schränken sie außerdem den Einsatz von konserviertem Futter, sogenannter Silage, ein. „Unsere Betriebe müssen im Sommer mindestens 50 Prozent Grünfutter anbieten“, berichtet Jörg Hütter, bei Demeter zuständig für die Richtlinien.

Warum Weidemilch gesünder ist

Milch von Kühen, die auf der Weide grasen und frisches Grün verspeisen, ist gesünder. Sie enthält zum Beispiel 50 Prozent mehr Omega-3-Fettsäuren. Zu dieser Erkenntnis kamen Anfang dieses Jahres britische Wissenschaftler, die mehr als 190 internationale Milchstudien ausgewertet haben. Bei Kühen, die jedoch fast nur Silage vorgesetzt bekommen, ist der Anteil der für den Blutkreislauf und das Nervensystem des Menschen wichtigen Fettsäuren geringer. In der Analyse der Wissenschaftler schnitt Bio- im Vergleich zu herkömmlicher Milch auch bei anderen Stoffen, die die Gesundheit fördern, wie Linolsäure, Eisen und Vitamin E, besser ab.

Das Futter auf Haus Bollheim besteht zum allergrößten Teil aus Gras und Heu. Im Winter liegen zusätzlich Ackerrüben in den Futtertrögen. Außerdem bekommen die Kühe das ganze Jahr über ein Spezialfutter. Dabei handelt es sich um eine kleine Energie- und Eiweißbombe, die ihre Milchleistung nach oben befördert. „Ohne dieses Kraftfutter würden unsere Kühe jährlich weniger als 5.000 Liter geben“, rechnet Hans von Hagenow vor, einer von vier Landwirten, die den Demeter-Hof heute betreiben. Der 58-Jährige führt die Geschäfte. Kühe mit geringerer Milchleistung würden die finanzielle Bilanz erheblich schmälern. Der Betrieb ließe sich nicht mehr wirtschaftlich führen und auch der Bedarf an qualitativ hochwertiger Milch wäre nicht zu decken, stellt Bollheim-Chef von Hagenow klar.

Warum Kühe Heu und Gras brauchen

Kraftfutter ist im Bio-Bereich nichts Ungewöhnliches, wie Demeter-Mann Jörg Hütter bestätigt. „Der Anteil sollte aber gering gehalten werden“, empfiehlt er. „Wenn es mehr als zehn Prozent sind, ist es nicht mehr artgerecht“, findet Hütter. Die vier Mägen einer Kuh seien dafür nicht gemacht. Kühe bräuchten vor allem Heu, Gras und anderes sogenanntes Raufutter, das sie wiederkäuen können.

Eine Richtlinie, die den Einsatz von Kraftfutter regelt, gibt es aber weder in der Öko-Verordnung der EU noch bei Demeter. Selbst Soja darf verfüttert werden, was Hütter zufolge im Bio-Bereich jedoch kaum vorkommt. In der konventionellen Tierhaltung erfährt die proteinreiche Hülsenfrucht aber eine riesige Nachfrage. Das Problem: Soja wächst kaum in Deutschland. Es muss importiert werden. Der größte Teil kommt aus Südamerika, wo Regenwälder für den Anbau abgeholzt werden. Außerdem sind laut einer WWF-Studie 80 Prozent des südamerikanischen Sojas gentechnisch verändert. Das ist auch ein Grund dafür, dass konventionelle Milchprodukte tendenziell eher selten mit dem Logo „Ohne Gentechnik“ gekennzeichnet sind.

Macht es einen Unterschied, ob Tiere konventionelles oder Bio-Soja fressen? Hier werfen wir einen Blick darauf:

Woher kommt Bio-Soja?

Kraftfutter: Luzerne und Lupinen statt Soja

Die Rezeptur für Kraftfutter variiert von Anbieter zu Anbieter und von Hof zu Hof. Auf Haus Bollheim etwa ist Soja unerwünscht. Hier fressen die Kühe regional. Als Eiweißträger stehen Ackerbohnen, Luzerne und Lupinen auf dem Speiseplan. Für den nötigen Energieschub gibt es Mais und Weizenkleie sowie Überreste aus der Herstellung von Raps-, Sonnenblumen- und Leinöl. „Das sind Abfallprodukte der Getreidemühlen und der Ölpressen“, sagt Joerges, während er im Melkstand zu einem Schlauch greift. Bevor er seine Kühe Isabel, Berta, Umbria und Hanna an die Melkmaschine anschließt, spritzt er sie noch mit warmem Wasser ab. Anschließend reibt er ihre Euter mit Papier von der Küchenrolle trocken. Zuletzt schmiert er die Zitzen mit einem Desinfektionsmittel ein.

Jetzt, wo die Kühe sauber sind, kann die Milch kommen. Sie fließt durch ein System von Schläuchen und Rohren direkt in die benachbarte Käserei. Die Rohmilch, die im eigenen Hofladen verkauft wird, macht nur einen winzigen Teil im großen Ganzen aus. Käse ist das Kerngeschäft. Dazu kommen ein bisschen Quark und Joghurt. Außerdem gibt es auf Haus Bollheim Felder mit Kartoffeln, Getreide und Erdbeeren, Tomaten in Gewächshäusern und Hühner in mobilen Ställen. Haus Bollheim liefert die Produkte direkt an Bio-Läden im Bonner und Kölner Raum. So zieht die Milchkrise vorbei, ohne Spuren zu hinterlassen. Ungeachtet dessen sagt von Hagenow: „Für die Preise, die die Molkereien bezahlen, könnten wir nicht produzieren.“ Für Milch aus Intensivtierhaltung stürzte der Preis zwischenzeitlich auf unter 20 Cent pro Liter. Bio ist den Molkereien zwar mehr als doppelt so viel Geld wert. Doch der Abwärtssog droht auch hier, die Preise nach unten zu ziehen.

Ruhig und routiniert arbeitet sich Sivert Joerges durch seine Milchkuh-Herde. Jetzt steht Gundula vor ihm, eine stolze Rotbunte. Das Band, das die Kuh um ihr linkes Hinterbein trägt, verrät ihm, dass ihre Milch nicht weiterverarbeitet werden darf. „Sie hat vor knapp zwei Wochen gekalbt“, begründet BioBauer Joerges. Es befänden sich noch immer sehr viele Körperzellen in ihrer Milch, mehr als sonst. Das zeigten die Ergebnisse der Laboruntersuchung. Und das mindere die Qualität. Dreimal wöchentlich schickt der Milchbauer Proben in ein amtliches Labor, wo die Milch unter anderem auf Körperzellen, Medikamente, Wasser-, Fett- und Eiweißgehalt getestet wird. „Einmal im Monat kommt der Milchkontrolleur auch zu uns“, so Joerges weiter.

Bei den Tieren, die krank sind oder waren, verläuft es ähnlich. Um ihre Klauen schließt sich ebenfalls ein Bändchen. Auch ihre Milch ist damit für die Weiterverarbeitung tabu. Erst recht, wenn Antibiotika oder andere Medikamente im Spiel sind. „Nach der letzten Medikamentengabe müssen wir immer eine bestimmte Zeit abwarten, bis wir die Milch wieder verarbeiten dürfen“, erklärt Sivert Joerges. In der konventionellen Haltung dauert diese Auszeit zwei bis zehn Tage an, im Bio-Bereich doppelt so lang.

Die Milch von Gundula, der frischgebackenen Mutterkuh, zapft Sivert Joerges gesondert ab und schüttet sie in einen Eimer. Er zieht damit die Kälber auf. Die Jungtiere leben abgeschottet vom Rest der Herde. Auf Haus Bollheim bleiben Muttertier und Kalb zehn Tage zusammen, dann werden sie getrennt. Andere trennen direkt nach der Geburt. „Die Trennung ist immer schwierig“, berichtet von Hagenow. Das laute Wehklagen der Muttertiere sei über den ganzen Hof zu hören. Für viele Menschen mag diese Vorstellung schwer zu ertragen sein. Bollheim-Chef von Hagenow und sein Milchbauer Joerges gehen pragmatisch damit um. „Eine Kuh ist kein Hamster. Sie ist ein Nutztier“, sagt Hans von Hagenow.

Was passiert mit männlichen Kälbern?

Auch ein Bio-Bauer denkt ökonomisch. Am deutlichsten zeigt sich das im Umgang mit den männlichen Kälbern. „Im Öko-Bereich gibt es keinen Markt für sie. Zwei Wochen nach der Geburt gehen sie in den konventionellen Markt, wo sie gemästet und geschlachtet werden“, so von Hagenow.

Was genau mit männlichen Kälbern passiert und ob es auch Gegenentwürfe gibt, lest ihr hier:

Kälber: Jung, männlich, überflüssig?

Für die weiblichen Kälber geht das Leben weiter, zunächst in kleinen Hütten, sogenannten Kälberiglus, außerhalb des Stalls. Sie werden dort einzeln gehalten, um ihre Gesundheit besser überwachen zu können, erzählt Joerges. Nach ein paar Wochen ziehen sie mit anderen Jungtieren zusammen. Ein halbes Jahr später, wenn sie keine Milch mehr bekommen, erfolgt der nächste Umzug – auf eine Weide in der Eifel, wo sie heranwachsen. Im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren, wenn sie selbst kalben können, nimmt Joerges sie in die Herde von Haus Bollheim auf. Dann dürfen auch sie sich an der Fünf-Sterne-Weide laben.

Mehr zu ökologischer Milchkuh-Haltung

Der Bio-Hof Haus Bollheim gehört zum Netzwerk Demonstrationsbetriebe ökologischer Landbau. Darin sind bundesweit über 200 Bio-Höfe zusammengeschlossen, die für Verbraucher ihre Türen öffnen und zeigen, wie Öko-Landbau in der Praxis funktioniert. Infos und Termine.

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