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Wie teuer ist Fleisch wirklich?

Wie teuer wäre Fleisch, wenn wir auch die durch Tierhaltung verursachten Umweltschäden mitzahlen müssten? Erste vage Berechnungen sind alarmierend.

Wenn Karl Schweisfurth einen Vortrag halten muss, beginnt er ihn gern mit den Worten: „Ich liebe Veganer.“ Er freue sich über jeden, der künftig ohne tierische Produkte leben wolle. Das darf verwundern. Schließlich ist Schweisfurth Landwirt, er züchtet, mästet und verkauft Schweine und Hühner. Aber der Mann sagt sogar Sachen wie: „So wie heute Tierhaltung funktioniert, ist das natürlich ein No-Go“ Oder: „Heute wird in Europa auf 60 Prozent der Ackerfläche Viehfutter angebaut. Das ist verrückt.“ Und solange wir nicht alle bereit seien, unseren Fleischkonsum deutlich zu reduzieren, kommt Schweisfurth jeder Veganer recht, der die Statistik drückt.

Ein Veganer liebender Schweinebauer – klingt nach einem, mit dem man sich gut über den Sinn und Unsinn des Fleischessens unterhalten kann. Deshalb machen wir uns auf den Weg ins oberbayerische Glonn, genauer gesagt zu den Herrmannsdorfer Landwerkstätten, die Schweisfurth gemeinsam mit seiner Nichte führt. Denn wir sind auf der Suche nach dem wahren Preis des Schweineschnitzels: Was zahlen wir, wenn wir ein Schweineschnitzel kaufen – und was müssten wir eigentlich bezahlen?

Warum uns die Nutztierhaltung teuer zu stehen kommt

Karl Schweisfurth gehört zu den Pionieren des Öko-Landbaus. Sein Vater Karl Ludwig Schweisfurth hat einst Herta, das größte fleischverarbeitende Unternehmen Europas, aufgebaut, es in den Achtzigern dann aber – nicht zuletzt auf Betreiben seiner Kinder – verkauft und auf dem alten Gutshof Herrmannsdorf einen Neustart hingelegt. Diesmal in Bio. Hier gibt es neben der Landwirtschaft einen eigenen Schlachtbetrieb, eine Metzgerei, eine Bäckerei, eine Brauerei, ein Wirtshaus und natürlich auch einen Hofladen.

Und da sind wir wieder beim Schweineschnitzel – und was es uns kostet. An der Fleischtheke des Herrmannsdorfer Hofladens will die Verkäuferin 2,79 Euro für 100 Gramm haben. Zum Vergleich: Beim Aldi im nahen Städtchen Grafing ist das Schnitzel gerade im Angebot, da zahlt man nur 2,59 Euro. Für die 500-Gramm-Packung, wohlgemerkt. Eine beeindruckende Preisspanne. Was zahlt man also bei Herrmannsdorfer, was man bei Aldi nicht zahlt?

Darum geht es Bio-Schweinen besser

„Zunächst mal ist da der Platz für die Tiere, den der Kunde mitzahlt“, erklärt Schweisfurth. Der 60-Jährige sitzt mit einer Tasse Kaffee an einem schweren Holztisch auf der Galerie oberhalb des Wirtshaus zum Schweinsbräu. Gerade hat er hier noch mit seinen Mitarbeitern gefrühstückt, den Tag geplant. Platz also: Die Herrmannsdorfer Schweine haben, solange sie im Stall sind, einen Außenbereich, den sie jederzeit aufsuchen können. Ein großer Teil der Schweine verbringe zumindest einen Teil seines Lebens auf der Weide, erklärt Schweisfurth. Außerdem würden sie älter als ihre konventionellen Artgenossen.

Schweisfurth arbeite mit weniger intensiven Rassen wie dem Schwäbisch-Hällischen Landschwein, die weniger Ferkel zur Welt bringen, und diese blieben sechs bis acht Wochen bei der Mutter, statt drei wie in der konventionellen Landwirtschaft. Sprich: Ein Herrmannsdorfer Schwein beansprucht mehr Platz für eine längere Zeit – Gewinne wie in der Massentierhaltung sind da nicht möglich. Dazu kommen höhere Futterkosten, weil die Tiere länger fressen und natürlich auch die Erträge in der ökologischen Futterherstellung nicht so hoch sind. Für den Verbraucher bedeutet das: An der Kasse bei Herrmannsdorfer muss er deutlich tiefer in sein Portemonnaie greifen, bekommt dafür aber Fleisch in besserer Qualität und das Wissen, dass sein Schnitzel von einem Schwein stammt, bei dessen Haltung der Tierwohlgedanke eine große Rolle gespielt hat.

Was sind die Folgekosten artgerechter Tierhaltung?

Aber was ist mit den externalisierten Kosten, also den Folgekosten, die durch die Produktion entstehen, aber nicht in den Preis einfließen? Zum Beispiel solchen, die durch Treibhausgas-Emissionen beim Ausbringen von Gülle entstehen. Die gibt es, räumt Schweisfurth ein, aber auch sie versuche man so niedrig wie möglich zu halten. So gibt es in Herrmannsdorf eine Biogas-Anlage, die mit Schweinegülle betrieben wird. Das deckt ein Viertel des Strom- und Wärmebedarfs des Betriebs und bindet darüber hinaus den Ammoniak in der Gülle, der sonst beim Ausbringen als Dünger Lachgas freisetzen würde.

Insgesamt wird infolge des geringeren Tierbestands weniger Dünger ausgebracht, was die Nitratbelastung des Grundwassers ebenfalls senkt. Zudem muss weniger Energie – etwa für die Klimatisierung von Massenställen – aufgewendet werden, und die Methoden des Ackerbaus schonen Boden und Humus. Auch das senkt Emissionen. „Die höchste Umweltbelastung bei uns“, sagt der Landwirt, „ist die Schweinehaltung an sich. Wenn wir das Getreide direkt zur Mühle fahren und Brot daraus machen würden, wäre das natürlich klima- und umweltschonender.“

Die Umwelt zahlt für unsere Landwirtschaft

Nun sieht aber die Realität in deutschen Ställen meist anders aus als auf dem Gutshof in Glonn, und die meisten Kunden sind auch nicht bereit, Preise wie die dortigen zu bezahlen. Wie steht es also um die verdeckten Kosten beim „normalen“ Schnitzel?

Anruf bei Tobias Gaugler. Der Wirtschaftswissenschaftler von der Uni Augsburg ist genau dieser Frage in einer Studie nachgegangen. „How much is the dish – was kosten uns Lebensmittel wirklich?“ lautet das 39 Seiten lange Papier, das er gemeinsam mit Kollegen im Auftrag von Tollwood München und der Schweisfurth-Stiftung erstellt hat. Dabei ging es den Experten nicht nur um das Schnitzel, sondern überhaupt um die Umweltfolgekosten der Lebensmittelproduktion.

Warum es eine gute Idee ist, weniger Fleisch zu essen

Gaugler und seine Kollegen haben drei Lebensmittelkategorien untersucht: Milchprodukte, andere tierische Produkte und pflanzliche Produkte. Die einzelnen Kategorien haben sie dann noch in konventionelle Landwirtschaft und Öko-Landbau unterschieden. Dabei bezogen sie sich jeweils auf den Erzeugerpreis, also das, was der Bauer für sein Produkt bekommt.

Das Ergebnis: Würde man Umweltfolgekosten einpreisen, etwa das Reinigen des Grundwassers von überschüssigem Nitrat, käme man bei konventionellen Produkten zu einem Aufschlag von 196 Prozent bei Fleisch, 96 Prozent bei Milch und 28 Prozent bei pflanzlicher Kost, im Öko-Landbau auf 82, 35 und sechs Prozent. Und das ist noch zu tief gegriffen, da die Wissenschaftler von einem CO₂-Preis von 86 Euro pro Tonne ausgingen. Kurz nach Veröffentlichung der Studie vor über einem Jahr erhöhte das Bundesumweltamt seine Kostenschätzung für die pro Tonne CO₂ verursachten Schäden auf 180 Euro. Somit betrüge der Aufschlag für konventionelles Fleisch im Erzeugerpreis sogar 258, für Bio-Fleisch 107 Prozent. Unser Schnitzel müsste also dreieinhalb Mal so teuer sein – sofern es nicht bio ist.

Warum die Umweltfolgekosten höher sind

Um überhaupt an Zahlen zu kommen, mussten sich die Wissenschaftler beschränken. So berücksichtigten sie nur drei verschiedene Schadenseffekte: die durch Stickstoffdünger, Treibhausgase und Energieverbrauch verursachten. Andere Faktoren wie multiresistente Keime, Pestizide, Bodendegradation und ungesunde Ernährung mussten außer Acht gelassen werden. „Das ist also erst die halbe Wahrheit“, gibt Gaugler zu, „aber die zweite Hälfte wird ins gleiche Horn stoßen.“ Dennoch hat es aus seiner Sicht seine Berechtigung, die Rechnung aufzustellen. „Wenn wir nicht damit anfangen, tun wir so, als ob alles in Ordnung ist. Selbst wenn die Zahlen eher eine Schätzung sind, sprechen sie eine deutliche Sprache, und die sagt: Hey, da muss man was ändern.“

Aber was? Weniger Fleisch zu essen, wäre schon mal eine gute Idee. Rund 60 Kilo Fleisch isst der Deutsche im Durchschnitt jährlich, also mehr als ein Kilo pro Woche – Tendenz nur ganz leicht sinkend. Den größten Anteil macht Schweinefleisch aus (knapp 40 Kilo), Geflügel und Rind schlagen mit rund zehn und acht Kilo zu Buche. Wenn jeder Deutsche nur einmal pro Woche auf Fleisch verzichten würde, rechnet etwa der WWF vor, könnte das zu einer jährlichen Einsparung von rund neun Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen führen. Vielleicht, so schlägt Gaugler vor, könnte ja das als Richtschnur dienen, was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung als das Maximum des Gesundheitsförderlichen erachtet: ein um die Hälfte reduzierter Fleischkonsum.

Darum wäre eine Steuer auf CO2 sinnvoll

Von einer pauschalen Fleischsteuer, wie sie zuletzt mehrfach gefordert wurde, hält der Wissenschaftler allerdings wenig. Die könnte zwar die Nachfrage reduzieren, aber auch Verbraucher auf billigeres Fleisch umsteigen lassen. Eine CO₂-Steuer oder eine Nitratsteuer seien da wirksamer, da sie zumindest einen Teil der externen Kosten einpreisten. Aber würde eine Steuer nicht vor allem sozial schlechter Gestellte treffen? Nicht unbedingt, meint Gaugler. Das eingenommene Geld könnte man beispielsweise zu gleichen Teilen wieder an die Bürger auszahlen – so gäbe es einerseits einen Anreiz, den eigenen Fleischkonsum zu senken, andererseits würde aber verhindert, dass künftig nur noch diejenigen Fleisch essen, die es sich leisten können.

Noch billiger, so Gaukler, wäre es aber, nicht zu schauen, wie man das Kind aus dem Brunnen kriegt, sondern es gar nicht erst hineinfallen zu lassen. Und dass es möglich ist, die Schäden bei der Fleischproduktion zu minimieren, zeigt der Öko-Landbau. Je höher die Standards, desto niedriger die Umweltfolgekosten. Dieser Meinung ist auch Landwirt Schweisfurth. Auch er plädiert für einen geringeren Fleischkonsum, würde aber deshalb nicht ganz auf Tierhaltung verzichten. Denn: „60 Prozent unserer landwirtschaftlichen Nutzfläche weltweit sind Grasland. Das produziert Sauerstoff und verbraucht CO2. Bei guter Weidewirtschaft lagert es sogar noch CO2 im Boden ein.“

Und da der Mensch Gras nicht essen und auf Grasland keinen Ackerbau betreiben kann, wäre es geradezu Verschwendung, dort keine Kühe und Schafe zu halten. „Wenn wir uns jetzt aber nur noch vegan ernähren, müssten wir alles von den übrigen 40 Prozent runterholen.“ Schweisfurths Argumentation funktioniert natürlich nur, solange die Tiere größtenteils auf der Weide gehalten werden und nicht mit Mais, Getreide und Soja gefüttert würden. Auch Schweine und Hühner sollten seiner Meinung nach vor allem als Resteverwerter und damit auch in wesentlich geringerer Zahl gehalten werden. Sein schlichtes Fazit daher: „Es kommt darauf an, wie wir es machen.“

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