Umwelt

Insektenfreundlicher Garten: So geht's

Wer Wildblumen pflanzt, hilft bei der Apfelernte. Warum Glockenblumen in jedes Beet gehören – und auf den Balkon.

Himmelblaue Glockenblumen, herzroter Klatschmohn und buttergelbe Königskerzen ... Wildblumenwiesen sind knallbunt und voller Leben, denn sie decken den Tisch für Falter, Wildbienen, Käfer und was sonst krabbelt und schwirrt. Leider werden solche bunten Wiesen in der freien Wildbahn immer rarer. Blumen und Insekten verschwinden – und mit ihnen Insektenfresser wie Vögel, Igel, Amphibien. Wer mithelfen will gegenzusteuern, kann im eigenen Garten loslegen. Das geht sogar auf dem Balkon im fünften Stock: Pflanzt man dort etwa Glockenblumen und stellt einen angebohrten Holzblock auf, kommt vielleicht die Glockenblumen-Scherenbiene, die ernährt sich vom Blütenpollen der blauen Glocken.

Warum wir Wildbienen brauchen

Auch andere Insekten brauchen Wildpflanzen, um mit ihren Blättern und Pflanzenfasern oder in ihren Stängeln Nester zu bauen und Nachwuchs großzuziehen. Sie revanchieren sich, indem sie neben Wildblumen auch Obstbaumblüten bestäuben, damit Früchte, Beeren und Samen reifen.

Leider hat man erst spät verstanden, dass Arten wie Insekten nicht einzeln aussterben, sondern wie im Dominoeffekt, weil sie im ökologischen Netz miteinander verwoben sind. Biologe Reinhard Witt gehört zur von Bioland gegründeten Insektenlobby. Er erklärt: „90 Prozent unserer 15.000 Insekten sind auf heimische Pflanzen spezialisiert.“ Während der Evolution hätten sich Pflanzen und Tiere aneinander und an die Bedingungen der Landschaften angepasst und miteinander entwickelt.

Insekten brauchen eine Lobby

Im November 2022 hat der Bio-Verband Bioland die „Insektenlobby“ gegründet. Sie will Verbraucher:innen und politische Akteure sowie Kommunen sensibilisieren und für wirksamen Insektenschutz gewinnen. Die Lobby hat 15 Forderungen für Politik und Gesellschaft formuliert. Hier fünf davon:

  1. Die Politik muss öffentliche Leistungen der Landwirte für mehr Biodiversität und intakte Ökosysteme ausreichend honorieren
  2. Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden in ökologisch empfindlichen Gebieten sowie auf öffentlichen und privaten Flächen
  3. Einführung eines umfassenden Ökosystemschutzes im Grundgesetz, als „Rechte der Natur”
  4. Systematische Anpflanzung heimischer Wildpflanzen
  5. Vernetzung und Verbindung der Wildpflanzenlebensräume durch naturnahe Straßenränder, Bahndämme, Wegränder

Manche Wildbiene etwa sucht nur eine Blumenart auf, andere fünf bis neun verschiedene. Aber immer die heimischen, denn nur die haben die chemische Zusammensetzung im Pollen, die den Nachwuchs gesund aufwachsen lässt.

Dazu Biologe Witt: „Die Honigbiene, die auf vielen Insekten-Retten-Samentütchen abgebildet ist, ist weder gefährdet noch hat sie Probleme mit der Pollensuche. Die Samenmischung in den Tütchen mag für sie gut sein, hilft aber leider unseren Wildbienen gar nicht.“ Mit welchen Blumen man Insekten im Garten etwas Gutes tun kann? Witt muss nicht lange überlegen: „Glockenblumen – davon gibt es 52 heimische Arten, auch kleine, die für einen Balkon geeignet sind. Außerdem alle Arten von Lauch sowie Horn- oder Sichelklee.“ Letzterer sei besonders bei Schmetterlingen beliebt.

Insektenfreundliche Gemeinden

Wildbienen-Experte Martin Klatt vom NABU Baden-Württemberg kennt die Skepsis mancher Mitmenschen gegenüber naturnahen Gartenanlagen. Er sagt: „Wir brauchen eine neue Gartenästhetik.“ Klatt setzt sich in Schulungsprojekten des Landes Baden-Württemberg selbst dafür ein. Per Gesetz besteht seit 2022 die Verpflichtung, Bauwunden der Natur in der offenen Landschaft, etwa nach Straßenbau oder Kabelverlegungen, ausschließlich mit Wildpflanzen neu zu begrünen.

Innerorts gilt das jedoch nicht, und auch Landwirte dürfen auf ihren Flächen säen, was sie möchten. Umso mehr freut Klatt sich über Kommunen, die über die Vorschriften hinaus den Artenschutz fördern: „Jeder Quadratmeter zählt. Denn jeder Garten, jeder Grünstreifen, der mit Wildpflanzen angelegt wird, kann zum Trittstein für das Überleben von Tieren und Pflanzen werden.“ Also dann ... Her mit den wilden Blumen – zurück zur Vielfalt!

6 Tipps für einen insektenfreundlichen Garten

Bevor ihr den Garten wild macht, solltet ihr wissen: Was passt zu mir? Mehr Nutzpflanzen, mehr Insektenwiese oder mehr Blumen? Will ich lieber entspannen oder herumwerkeln? Wer nicht gleich alles umbauen will, kann mit einer Wildblumeninsel anfangen. Dafür die entsprechende Form aus dem Rasen stechen und zur Abgrenzung vielleicht mit Steinen einfassen.

1. Der Krümeltest

Wildblumen mögen keine sauren Böden mit vielen Nährstoffen, doch genau das erwartet sie in den meisten Gärten. Hier empfiehlt sich ein „Krümeltest“: Je leichter die Erde rieselt und krümelt – umso besser. Klebt sie eher zusammen, ist Sand die Lösung. Einfach torffreie Blumenerde 1:1 mit Sand mischen.

2. Boden austauschen

Ob Voll- oder Teilwildgarten, in jedem Fall heißt es jetzt: Alles muss raus. Damit die Wildpflanzen auch wirklich hochkommen können – und nicht etwa Knöterich, Ackerwinde oder Quecke den Boden übernehmen – muss er frei von Wurzeln sein. Für die Umgestaltung großer Gärten empfiehlt sich, den Boden gegebenenfalls durch Fachleute austauschen zu lassen.

Zeigen Krümeltest oder Pflanzen wie Brenn- oder Taubnessel nährstoffreichen Boden an? Am besten so vorbereiten: zehn Zentimeter Sand, Schotter oder Kies (Korngröße bis 16 Millimeter) draufschütten und mit dem darunterliegenden Boden vermischen. So wird der Boden mager.

3. Wildblumen säen

Wildblumenspezialist Ernst Rieger empfiehlt in seinem Buch „Die Insektenwiese“, die Samen mit Sand oder Sägespänen zu mischen. Dadurch lassen sie sich gleichmäßiger ausstreuen und liegen nicht zu dicht beieinander. Anschließend die Samen fest andrücken, denn Wildpflanzen brauchen als Lichtkeimer die Sonne zum Aufwachen. Liegen sie im Boden, kommen sie nicht raus. Am besten man legt Bretter über die Ansaat und trampelt darauf herum. Egal wie, Hauptsache die Samen liegen fest und obenauf.

4. Heimische Sorten wählen

Ganz wichtig: Beim Pflanzen auf heimische Herkunft der Samen oder Stauden achten. Das Label „VWW“ vom Verband der deutschen Wildsaaten- und Wildpflanzenproduzenten steht dafür. Auch der Preis zeigt, ob es Qualitätsware sein kann. Denn Wildblumenvermehrung ist aufwendig. Manche keimen erst nach zwei Jahren und wenn alles passt. Andere lassen sich gar nicht kultivieren, ein Teil der Samen in den Tütchen stammen daher aus Wildsammlung.

5. Lebt ihr im Süden oder Norden?

Weil es sogar einen Unterschied macht, in welchem Naturraum sich die Pflanzen entwickelt haben, bietet zum Beispiel die Initiative „Tausende Gärten – Tausende Arten“ vier verschiedene heimische Wildblumenmischungen (Ost/West/Nord/Süd). Dazu passt wieder das Stichwort Evolution: Eine Hamburger Pflanze etwa muss robust sein und mit Salzluft vom Meer klar kommen, im Stuttgarter Raum dagegen würde sie nur rummickern. Natürlich kann man im Garten je nach Platz neben heimischen Blumen auch Wildstauden oder Gehölze pflanzen, etwa Blaustern, Skabiose, Witwenblume, Nachtviole oder Pfaffenhütchen und Berberitze.

6. Mähen muss sein

In Gärten wie diesen muss auch gemäht werden. Mindestens einmal, besser zweimal im Jahr, wie Wildblumenspezialisten empfehlen. Gar nicht mähen hätte den Effekt, dass am Ende dominante Arten überhandnehmen – und die Vielfalt verschwindet. Ein Rasenmäher tut es da nicht, es braucht schon eine Handsense (gibt es auch mit Motor) oder einen Fadenmäher. Damit man keine Insektenbrut gefährdet, bleibt eine Ecke stehen oder man mäht staffelweise. Und muss jetzt nur noch die Nachbarn überzeugen, dass man seinen Garten nicht verwahrlosen lässt.

Interview: „Der erste Schritt zum Naturgarten ist der Griff in die richtige Tüte“

Dorothee Dernbach

Leiterin der Naturgarten-Akademie in Bonn. Dort werden Planer:innen und Praktiker:innen zu Naturgarten-Profis ausgebildet. www.naturgarten-akademie.org

Was unterscheidet einen Natur- von einem konventionellen Garten?

Die Grundidee. Herkömmliche Gärten sind meist statisch. Sauber und aufgeräumt – wie eine Außenstelle des Wohnzimmers. Ein Naturgarten ist dynamisch. Während der Hochblüte der Wildpflanzen ist meiner etwa ein buntes Paradies für Menschen wie Insekten. Dabei gieße ich ihn nicht. Irgendwann blüht er ab. Man kann zuschauen, wie er aufs Wetter reagiert. Bei Dürre macht er dann vielleicht eine Pause, aber man kann sich drauf verlassen, dass er wiederaufersteht.

Sie haben bei der Gartenanlage aber nicht einfach gewartet was kommt, oder?

Gesät habe ich eine Mischung aus Gras und Kräutern. Da blüht dann jedes Jahr etwas anderes.

Also eine Samentüte mit insektenfreundlichen Blühpflanzen, und los geht`s?

Wenn wirklich heimische Wildpflanzen drin sind, ist das ein guter Anfang. Der erste Schritt zum echten Naturgarten ist der Griff in die richtige Tüte. Es ist im Moment eine riesengroße Marketingschiene. Wildpflanzensaatgut zu erzeugen ist schwierig und aufwendig, daher muss das teurer sein als konventionell erzeugtes.

Warum sind heimische Wildpflanzen so wichtig?

Letztlich geht es um das Schlüssel-Schloss-Prinzip zwischen Pflanze und Tier. Unsere ökologischen Netze haben schon recht große Löcher. Deswegen finde ich erstaunlich, wie oft das Prinzip Schlüssel und Schloss noch funktioniert. Mit dem Gewöhnlichen Natternkopf ist in meinem Garten zum Beispiel die Natternkopf-Mauerbiene eingezogen – und mit dem Ziest die Wollbienen. Sie schneiden die Fäden ab und bauen damit ihr Nest. Während der Evolution haben sich Insekten und Wildpflanzen aufeinander eingespielt. Eine Eiche bildet dreimal im Jahr neues Laub, weil alles weggefressen wird. Eine Forsythie dagegen könnte genauso gut aus Plastik sein. Insekten, die auf gelbe Blüten spezialisiert sind, steuern sie zwar an, aber am Strauch angekommen gibt es weder Pollen noch Nektar – nicht mal die Blätter fressen sie.

Brauchen wir ein neues Gartenbild?

Ja und ich glaube, genau das entsteht auch gerade. Wer etwa eine kleine Ecke mit Brennnesseln für die Raupen von Schmetterlingen stehen lässt, freut sich am Ende über Löcher in Brennnesselblättern. Denn das bedeutet ja: Die Raupen sind tatsächlich da. So entsteht ein Naturerlebnisgarten: Pflanzen und Tiere knüpfen miteinander ein Lebensgeflecht – und wir sind mittendrin.

Buchtipp

Boyer, Philippe: Vom Leben der Wildbienen. Ulmer Verlag, 144 Seiten, 19,90 € (erscheint am 23. März)

Weitere Infos über Wildpflanzen, Wildbienen sowie Gestaltungsideen für Gärten und Balkone

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Kommentare

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Petra Stripp-Scheuring

Über diesen Artikel habe ich mich riesig gefreut, bin ich doch selbst an der Naturgarten-Akademie zum Naturgarten-Profi ausgebildet worden. Das Netzwerk und die Bandbreite an Wissen sind ein unglaublicher Schatz, den ich daraus gewonnen habe. Und wenn ich vorher glaubte, daß ich schon viel weiß, so hat mich die Teilnahme an dieser Ausbildung gelehrt, daß die Natur unglaublich viel mehr Geheimnisse bereithält, die von mir entdeckt werden wollen. Neugier und ständiges Lernen ein Leben lang und Teilen mit Interessierten, die nicht die Zeitressourcen haben sich damit so intensiv zu beschäftigen.
Achtung auch vor Trittbrettfahrern, die sich zwar diesem Trend anschließen wollen aber maximal mit ein paar heimischen Pflanzenarten bzw. oft deren gezüchteten Sorten arbeiten und das komplette Lebensnetz dahinter nicht mit einbeziehen und somit auch nicht berücksichtigen.
Wen das "wild" im Titel abschreckt, dem kann ich nur versichern, daß ein naturnaher - besser noch biodiversitätsreicher - Garten keinesfalls unordentlich aussehen muß. Die konventionellen Gartengestaltungsgrundsätze finden in Staudenflächen mit heimischen Pflanzenarten ebenso Anwendung, wie die gelungene Kombination zu moderner Architektur. Und eines ist sicher: Das Ergebnis ist ein Unikat, denn der konventionelle Standard beläuft sich auf nur wenige Trendpflanzen (meist Exoten). Der Fauna jedenfalls ist das Design letztendlich egal! Hauptsache heimisch, denn das bedeutet Lebensqualität - auch für uns!
Was ist schon ein Garten ohne summendes, zwitscherndes, krabbelndes, flatterndes, raschelndes Leben?!

Jürgen Haiber

Der Artikel "Insektenfreundlicher Garten: So geht's" hat mir sehr gut gefallen. Die Empfehlung mit dem Fadenmäher zu mähen, sehe ich jedoch kritisch. Dabei wird jede Menge Mikroplastik verstreut. Die bunten Stücke können auch von Kleintieren gefressen werden. Ob biologisch abbaubare Fäden das Versprechen einhalten ist fraglich. Ich würde nur Mäher mit Stahlmessern verwenden.

Gisela Hahn

Hallo alle Balkonbegeisterte,
gern möchte ich auf eine weitere Infoquelle hinweisen: www.bio-balkon.de

Frau Schattling veranstaltet meist zwei kostenfreie Onlinekongresse pro Jahr, schwerpunktmäßig zu Balkonen, viele Anregungen sind auch für Gartenbesitzer nützlich. Ich bin seit 5 Jahren dabei und bin völlig begeistert. Es macht große Freude, die Interviews zu hören, und man bekommt gute Laune und sehr viele Anregungen, die praktikabel sind. Jedes Mal steht ein Thema im Mittelpunkt: aktuell "Kann man Tiere pflanzen?"(18-27.3.23). Ihre Vision ist: "dass mehr Menschen ihre Balkone und Fensterbretter nutzen – naturnah, zur Selbstversorgung, als Oasen der Ruhe und Entspannung. Für Lebensqualität in essbaren Städten, Erhaltung der biologischen Vielfalt, Klimaschutz und Wohlfühloasen mit spannenden Naturerlebnissen. ".

Leonhard Crasser

Hallo, ich gebe kostenlose Sensen- und Dengelkurse und möchte dringend darauf hinweisen, dass Fadenmäher oder sogenannte Trimmer extrem umweltschädlich sind. Der Mähfaden besteht aus dem Kunststoff Polyamid und wird zu tausenden Mikroplastikpartikeln verschlissen. Diese reichern sich im Mähgut (Verfütterung), in der Wiese und im Boden an. Ohne die Chance diese jemals wieder entfernen zu können.
Eine Wildblumen- oder Magerwiese sollte frühestens im July gemäht werden und dann noch einmal im September. So können alle Kräuter Ihre Samen ausbilden. Den Grünschnitt 3-4 Wochen liegen und trocknen lassen und dann erst zusammen raffen.
So fällt der Samen aus und bereichert die Wiese.

Wer Interesse an Handsensen und Allem drum herum hat, kann sich gerne unter:
frankenwald-ost@bund-naturschutz.de melden. Leonhard Crasser, Naila

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