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Neue Gentechniken unter der Lupe

Die EU-Kommission will das Gentechnikrecht aufweichen. Sie will damit die Ernährung sichern und den Einsatz von Pestiziden verringern. Doch was ist dran an diesen Versprechen. Ein Faktencheck.

1. Sind die neuen Gentechniken (NGT) sicher?

NGT-Verfahren wie Crispr/Cas sind nicht so präzise wie oft behauptet wird und können zu unerwünschten Nebeneffekten führen. Sowohl an Stellen, an denen die sogenannten Gen-Scheren ins Erbgut schneiden, als auch an weit entfernten. Das zeigen zahlreiche Studien. Zudem können kleine Änderungen im Erbgut große Folgen etwa für den Stoffwechsel einer Pflanze haben – gewollte, aber auch unerwartete. So könnte die Pflanze plötzlich unerwünschte Inhaltsstoffe bilden. Das im EU-Recht geltende Vorsorgeprinzip verlangt, dass solche Risiken vorab gründlich geprüft werden. Das würde jetzt wegfallen.

Was die EU-Kommission plant – und wen es gefährdet

  • Mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) wie Crispr/Cas lässt sich tief ins Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen eingreifen. Gentechniker können dort kleine Erbgut-Bausteine, die Nukleotide, einfügen oder ersetzen. Sie können Gene an- oder abschalten sowie Genkonstrukte hinzufügen oder austauschen. Die EU-Kommission ist von diesen technischen Möglichkeiten begeistert. Sie glaubt den Versprechungen der Gentechnikkonzerne und ihrer Wissenschaftler:innen, dass sich damit neue widerstandsfähige und an den Klimawandel angepasste Pflanzen erzeugen lassen. Mehr dazu.
  • Damit diese schnell vermarktet werden können, will die Kommission viele dieser NGT-Pflanzen aus dem Gentechnikrecht herausnehmen und hat dazu einen Vorschlag vorgelegt. NGT-Pflanzen dürften demnach angebaut werden, ohne dass ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit überprüft wurden. Die Pflanzen und die daraus hergestellten Lebensmittel kämen ohne Kennzeichnung ins Regal. Michaela Schröder vom Bundesverband der Verbraucherzentralen bemängelt die fehlende Transparenz und Sicherheit: „Dieser Entwurf vereint alles, was Verbraucher:innen nicht wollen.“
  • Für Bio-Landwirt:innen, die keine Gentechnik einsetzen dürfen, ist der Vorschlag eine Katastrophe. Da das Saatgut weiterhin gekennzeichnet werden soll, haben sie zwar die Möglichkeit gentechfreies Saatgut zu verwenden. Doch sie können sich kaum dagegen wehren, dass NGT-Pflanzen von Nachbarfeldern ihre Erzeugnisse verunreinigen.

2. Lassen sich mit den neuen Gentechniken Pestizide sparen?

Bisher wurden Gentech-Pflanzen entwickelt, die gegen Herbizide und bestimmte Insekten resistent sind. Das hat dazu geführt, dass mehr und giftigere Pestizide eingesetzt wurden. Gegen Pilze und Krankheiten resistente Gentech-Pflanzen sind angekündigt, aber noch nicht auf dem Markt. Sie bräuchten weniger Pestizide. Allerdings passen sich die Erreger schnell an solche meist auf einem einzigen Gen beruhenden Resistenzen an und überwinden sie. Stabile, auf mehreren Genen beruhende Resistenzen hat bisher nur die herkömmliche Züchtung auf den Markt gebracht. Generell gilt, dass sich Schädlinge, Unkräuter und Krankheiten am besten durch eine vielfältige Fruchtfolge auf dem Acker verhindern lassen – so wie sie der Öko-Landbau vorlebt.

3. Liefern die neuen Gentechniken klimaangepasste Pflanzen?

Pflanzen, die gut mit Trockenheit oder versalzenen Böden zurechtkommen, gibt es bisher nur aus konventioneller Züchtung. Trotz vollmundiger Versprechungen gibt es noch keine klimafitten NGT-Pflanzen auf dem Markt und nur wenige in den Forschungslaboren. Das liegt daran, dass es nicht ein einzelnes Dürre-Gen gibt, das sich an- oder abschalten lässt. Pflanzen haben unterschiedliche Strategien entwickelt, um mit Trockenheit umzugehen. Diese Strategien werden durch ein ineinandergreifendes Netzwerk genetischer Funktionen reguliert. Wer dabei nur an einem Gen etwas verändert, bringt dieses komplexe System durcheinander und erzielt unerwünschte Reaktionen, wie etwa einen geringen Ertrag.

4. Helfen die neuen Gentechniken im Kampf gegen den Hunger?

Hunger ist ein vielfältiges Problem und lässt sich nicht durch eine Technik lösen. 70 Prozent aller Hungernden leben auf dem Lande – insbesondere in Asien und Afrika. Was den Menschen dort fehlt, ist der Zugang zu Land, Wasser und Saatgut, zu praktischem Know-how, zu lokalen Märkten und einfachen Technologien. Mit Gentechnik-Pflanzen wird bisher ausschließlich Tierfutter, Baumwolle und Energie vom Acker produziert. In Entwicklungsländern konkurrieren sie so mit der Produktion von Lebensmitteln für lokale Märkte. Zudem ist Gentech-Saatgut wegen der zu zahlenden Lizenzen teurer und treibt Kleinbauern in die Verschuldung – wenn die versprochene gute Ernte ausbleibt.

Agro-Gentechnik: Reaktionen und Meinungen

Die EU-Kommission will das Gentechnik-Recht aufweichen und hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Das sagen Bio-Branche, Verbände und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özemir.

5. Sind die neuen Gentechniken und Züchtung das Gleiche?

Die Züchtung folgt den Regeln der Evolution und greift nicht gezielt und direkt in das Erbgut der Pflanzen ein. Mit NGT dagegen lässt sich das bestehende Erbgut umschreiben. Sie können Gene abschalten, aktiver machen oder ihre Funktion verändern und greifen damit tiefer in den Stoffwechsel einer Pflanze ein als Züchtung das je könnte. Befürworter:innen dieser Verfahren behaupten, dass solche Eingriffe harmlose Punktmutationen seien, die auch auf natürlichem Wege, etwa durch UV-Strahlung, entstehen könnten. Allerdings können mit NGT mehrere solcher Mutationen kombiniert werden. Auch lassen sich mit diesen Verfahren Bereiche des Erbguts manipulieren, die vor natürlichen Mutationen besonders geschützt sind – zum Beispiel die für die Fortpflanzung wichtigen Gene.

Mitmachen: Kennzeichnung – ja bitte!

Wenn ihr für eine Kennzeichnung und Risikoprüfung von NGT-Pflanzen seid, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, dies von Abgeordneten und Minister:innen einzufordern. Hier könnt ihr aktiv werden:

  • Mit den „Genfood? Nein Danke!“-Produkten von Schrot&Korn könnt ihr ein Zeichen setzen. Buttons, Aufkleber und Taschen gibt es in vielen Bio-Läden und bei uns im Schrot&Korn-Shop.
  • Schreibt unseren Politiker:innen. Digitale Postkarten an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Bundeskanzler Olaf Scholz sowie an Abgeordnete des EU-Parlaments gibt es beim Verein Testbiotech. Auch „echte“ Postkarten an Ursula von der Leyen können dort bestellt werden.
  • Postkarten an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bietet die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft an.

6. Können alle Züchter mit den neuen Gentechniken arbeiten?

Im Prinzip ja, denn die Verfahren sind einfacher und günstiger als die bisherige Gentechnik. In der Praxis jedoch haben sich eine Handvoll Konzerne längst Verfahren und hergestellte Pflanzen mit über 1000 Patenten gesichert. Die meisten davon halten die Agrarkonzerne Corteva und Bayer. Besonders kritisch: Diese Patente betreffen auch Pflanzen, in denen eine gentechnisch hergestellte Eigenschaft natürlicherweise vorkommt. Mit diesem Trick sichern sich die Konzerne immer mehr Pflanzeneigenschaften und machen Züchter:innen, Bäuerinnen und Bauern so von sich abhängig.

Interview: „Wir brauchen alle, die kein Genfood auf dem Teller wollen“

Bärbel Endrass ist Biokreis-Bäuerin bei Wangen im Allgäu. Sie hält 3000 Legehennen und deren Bruderhähne, bewirtschaftet Äcker und Streuobstwiesen und baut Weihnachtsbäume an.

Was würde die vorgeschlagene Verordnung zur neuen Gentechnik (NGT) für Ihren Betrieb bedeuten?
Wir könnten uns vor gentechnischen Verunreinigungen nicht mehr schützen und ich als Bio-Landwirtin kann dann meinen Kund:innen keine gentechnikfreien Lebensmittel mehr garantieren. Das wäre für uns eine Katastrophe.

Laut EU-Kommission könnten Sie weiterhin gentechnikfreies Saatgut kaufen?
Das sind leere Versprechen. Wie soll man das denn ohne Nachweisverfahren kontrollieren? Die EU-Kommission will von den Gentechnikkonzernen ja keine Nachweisverfahren mehr für freigegebene NGT-Pflanzen verlangen. Ich kann also nicht prüfen, was ich aussäe und auch nicht, was meine vier konventionellen Nachbarn angebaut haben. Ich weiß nicht, welche Pollen Wind und Bienen mir aufs Feld tragen. Ich kann also zur Ernte nicht garantieren, ob die Erzeugnisse noch gentechnikfrei sind.

Wäre das mit den aktuell geltenden Regeln besser?
Wenn für NGT-Pflanzen die jetzigen Regeln gelten würden, könnte ich mit hohem Aufwand noch koexistieren. Jetzt gibt es ein Standortregister, das mir sagt, was wo angebaut wird und wovor ich mich schützen muss. Es gibt eine Kennzeichnungspflicht, Schutzabstände und Haftungsregeln. Zudem gäbe es eine Zulassung nur, wenn auch ein Nachweisverfahren vorliegt. Doch alle diese Regelungen würden nun wegfallen.

Würden Testuntersuchungen helfen?
Selbst wenn es Nachweisverfahren gäbe – aber sonst keine Regelungen –, könnte ich die notwendigen Kontrollen nicht mehr finanzieren. Das Getreide für unsere Hennen bekommen wir von benachbarten Bio-Betrieben. Da müsste ich künftig jede Anlieferung untersuchen. Das alles ist für kleine Betriebe praktisch und wirtschaftlich nicht zu realisieren. Den Aufwand für eine NGT-freie Produktion können sich dann nur Riesenbetriebe mit mehreren 1000 Hektar Land leisten. Die wird es geben, denn die Menschen werden weiterhin gentechnikfreie Lebensmittel kaufen wollen.

Was machen Sie, wenn der Entwurf der Kommission Wirklichkeit wird?
Das wissen wir noch nicht. Jetzt kämpfen wir erst mal, damit die Regelung nicht kommt. Auch viele unserer konventionellen Kollegen sind auf den Barrikaden. Die wollen auch weiter gentechnikfrei produzieren. Gemeinsam versuchen wir, die gentechnikfreien Regionen, die es vor zehn Jahren überall gab, wieder zu beleben. Dafür brauchen wir alle, die kein Genfood auf dem Teller wollen.

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Buchtipp: Then, Christoph: Biologische Intelligenz – über Evolution, Artenschutz und die Gentechnik. Oekom Verlag 2021, 304 Seiten, 19 €

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Kommentare

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Dagmar Schreiber

Es geht nicht darum, ob diese neuen genmodifizierten Pflanzen / Produkte gekennzeichnet werden - es geht darum, dass sie auf gar keinen Fall eingeführt werden dürfen! Das ist die Büchse der Pandora! Wenn sie einmal da sind, nutzt auch die Kennzeichnung nichts! Sie werden sich rasend schnell verbreiten, und die Sorgen der Biobauern sind da noch das Geringste. Die einzigartige und hochkomplexe Schatzkammer der Natur und der gewachsenen Landwirtschaft der letzten Jahrtausende wird durch diesen technokratischen Größenwahnsinn in Gefahr gebracht! Unwiederbringlich! Wir machen uns (zu recht) Gedanken um jeden Neophyten, der sich hier verbreitet, wie das Orientalische Zackenschötchen u.v.a.m. - aber CRISP ist noch viel, viel schlimmer!
CRISP-VERBOT JETZT!!!

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