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Das Saatgut von morgen

Neue Pflanzen braucht das Land. Wie Salat, Weizen und Apfelbaum durch Öko-Züchtung lernen, mit der Klimakrise zurechtzukommen.

Seit Tagen kein Regen. Die Salatpflanzen sehen nicht gerade frisch aus. Doch Ulrike Behrendt wird sie heute nicht gießen. „Die müssen lernen, sich ihr Wasser selbst zu suchen“, sagt die Bio-Züchterin. Denn mit dem Klimawandel werden auch in Deutschland Dürren zunehmen. Gärtner und Landwirte benötigen deshalb Pflanzen, die mit Trockenheit besser zurechtkommen. Die Aufgabe der Züchterinnen und Züchter ist es, solche Pflanzen zu entwickeln. Dafür braucht es Geduld und Geld.

Ulrike Behrendt züchtet seit 30 Jahren Bio-Gemüse. Oldendorfer Saatzucht heißt ihr kleiner Betrieb im Norden Deutschlands, in dem Salat und anderes Gemüse lernt, auch mit widrigen Umständen fertig zu werden. Ein Schüler, der das schon hinter sich hat, heißt Saragossa. Der rot-grüne Batavia-Salat stammt aus der Kreuzung eines wilden Salates mit einer Sorte Eissalat und einer Sorte Batavia.

So wird Öko-Saatgut gezüchtet

„Das Kreuzen ergab erst einmal eine große Vielfalt unterschiedlicher Salatpflanzen“, erklärt Behrendt den Ablauf. Aus diesen wählte sie über mehrere Jahre hinweg immer wieder gezielt die Pflanzen aus, die ihren Zuchtzielen nahekamen: Schwere, kompakte Köpfe sollte der Salat haben, einen ausgewogenen Geschmack und den falschen Mehltau, eine Pilzerkrankung, sollte er gut wegstecken. Neben der gezielten Selektion lief parallel das Lernprogramm: Da die Pflanzen von Anfang an auf einem Bio-Betrieb wachsen, müssen sie sich selbst gegen Schädlinge und Krankheiten behaupten – ohne Hilfe von synthetischen Pestiziden. Mit zusätzlichen Nährstoffen geizt Ulrike Behrendt ebenso wie mit Wasser. „Weil sie sich beides selbst erschließen müssen, bilden die Pflanzen ein dichteres und tieferes Wurzelwerk aus“, erklärt die Züchterin. Und die Pflanzen merken sich das. Denn das Erleben der Umwelt beeinflusst ihre Gene und das kann zu Änderungen im Erbgut führen, die sie an die nächste Generation weitergeben. Epigenetik nennen das die Fachleute.

Darum setzt der Bio-Anbau auf samenfestes Saatgut

Auf dieses Zusammenspiel von Pflanze und Umwelt legt die Bio-Züchtung besonderen Wert. Ihre Pflanzen sollen lernen, mit den Bedingungen des ökologischen Landbaus und mit dem sich wandelnden Klima umzugehen. Dabei verzichten die Züchterinnen und Züchter auf alle gentechnischen Eingriffe ins Erbgut der Pflanzen und sie züchten keine Hybrid-Sorten. Denn Hybrid-Sorten können ihre positiven Eigenschaften nicht an die Nachkommen weitergeben. Bio-Züchtungen sind immer samenfest, das heißt, andere Züchter und auch Gärtner und Landwirte können mit diesen Pflanzen weiterzüchten und sie so an regionale Verhältnisse anpassen.

Sechs bis acht Jahre dauert es, bis Ulrike Behrendt aus der Kreuzungsvielfalt eine Linie selektiert hat, die ihre Eigenschaften zuverlässig weitergibt. Im nächsten Schritt muss die Pflanze über mehrere Jahre zeigen, dass sie nicht nur in Oldendorf gut wächst, sondern auch in anderen Regionen Deutschlands. Dazu arbeiten zahlreiche Bio-Züchter in einem Netzwerk zusammen, das der Verein Kultursaat organisiert. Liegen gute Erfahrungen aus den Anbauversuchen mit Öko-Saatgut vor, wird aus der Zuchtlinie ein Kandidat für die Sortenzulassung. Dieser amtliche Prüfprozess dauert nochmals zwei Jahre. So vergehen rund 15 Jahre, bis eine neue, zugelassene Sorte entsteht.

Warum Gentechnik nicht die Lösung ist

  • Mit neuen gentechnischen Verfahren wie Crispr/Cas ließen sich schneller klimaangepasste Pflanzen entwickeln als mit herkömmlicher Zucht. Das versprechen Gentechnik-Konzerne ebenso wie Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Fakt ist, dass es zwar seit fünf Jahren Erfolgsmeldungen aus dem Labor gibt, die Markteinführung einer trockentoleranten Crispr-Pflanze bisher aber nicht angekündigt ist.  
  • „Komplexe Pflanzeneigenschaften wie Salz- oder Trockenresistenz lassen sich auch mit Genome Editing nicht ohne weiteres in Nutzpflanzen zaubern“, erklärt das gentechnikfreundliche Portal transgen.de und nennt folgenden Grund: Diese Eigenschaften werden nicht durch einzelne Gene bestimmt, sondern durch ein komplexes Zusammenspiel zahlreicher genetischer Faktoren.

Warum Bio-Weizen auf Reisen geht

Auch bei der Getreidezüchtung Peter Kunz in der Schweiz rücken die Auswirkungen des Klimawandels immer stärker in den Fokus. Damit deren künftige Weizensorten den Umgang mit Trockenheit lernen, schicken sie die Bio-Züchter schon mal für ein Jahr ins Ausland – nach Spanien. Herbert Völkle ist Geschäftsführer des Unternehmens und weiß, auf was es bei Weizen ankommt.

Winterweizen zum Beispiel braucht im April Wasser, damit er schießen kann und aus einem grünen Rasen ein richtiges Getreidefeld wird. Deshalb achtet das Züchter-Team bei den täglichen Rundgängen durch die Versuchsflächen darauf, welche Einzelpflanzen mit einer trockenen Woche im April besonders gut zurechtkommen. Sie bekommen ein farbiges Bändchen und einen Eintrag ins Feldbuch, in dem sie alle Beobachtungen festhalten. Auch Ende Mai braucht Winterweizen Wasser, damit die Körner sich voll ausbilden. Regnet es in dieser Zeit wenig, suchen die Mitarbeiter erneut die Pflanzen aus, die dennoch große Körner ausbilden.


Die Klimakrise wird wohl auch extremere Regenfälle mit sich bringen als bisher. Und damit Äcker, die sich für mehrere Tage in Sümpfe verwandeln, in denen sich die Nässe staut. Auch damit muss der Bio-Weizen der Zukunft umgehen können. Deshalb bekommen Pflanzen, die das schon gut meistern, auch einen Eintrag im Feldbuch.

Trockenheit und Nässe sind jedoch nicht die einzigen Herausforderungen: „Beim Klimawandel geht es nicht nur ums Wetter, sondern auch um Schädlinge, die sich stärker vermehren oder um Krankheiten“, sagt Völkle. Was ihn umtreibt ist der Schwarzrost, eine Pilzerkrankung. Bisher ist die Krankheit bei Weizen in unseren Breiten noch selten. „Sobald die Durchschnittstemperatur jedoch ein, zwei Grad steigt, wird der Schwarzrost im Weizen auch hier zum Problem. In Sizilien und Portugal ist er das schon“, warnt Völkle. Deshalb schickt er interessante Weizenlinien für Anbauversuche zu Partnern nach Kenia, wo Schwarzrost Alltag ist. Wer dort besteht, wird später auch gute Chancen haben, wenn der Schwarzrost sich in Deutschland breitmacht.

Der Staat sollte Öko-Züchtung mindestens so stark fördern wie konventionelle Züchtung.

Oliver Willing, Geschäftsführer Zukunftsstiftung Landwirtschaft

Warum wir Apfelbäume brauchen, die spät blühen

Für Niklaus Bolliger von der Poma Culta Apfelzüchtung ist Wasserknappheit nicht das drängendste Thema. Der biologisch-dynamische Landwirt aus der Schweiz baut Äpfel an und züchtet sie. „Beim Obst ist ein vernünftiger Ertrag immer mit einem gewissen Wasserbedarf verbunden, den ich als Obstbauer zur Not über Bewässerung decken muss“, erklärt Bolliger. Größere Sorgen bereiten ihm die zeitlichen Verschiebungen. „Wir wissen, dass es wärmer wird und dadurch die Obstbäume früher blühen“, erklärt Bolliger. Damit nehme auch die Gefahr zu, dass ein später Frost die Blüten schädigt. „Wenn ich dem begegnen will, muss ich Bäume finden, die jetzt besonders spät blühen.“

Von deren Äpfeln sammelt er die Kerne und pflanzt sie ein. Fünf Jahre dauert es, bis daraus ein Baum entsteht, der Früchte trägt und für Kreuzungen verwendet werden kann. „Dann müssen die Bäume und ihre Früchte fünf Jahre beobachtet werden. Die besten Entwicklungen werden dann bis zu zehn Jahre in großem Maßstab in anderen Gebieten getestet“, erklärt Bolliger den Ablauf, der insgesamt rund 20 Jahre dauert. Niklaus Bolliger hat bereits ein Dutzend neuer Linien gezüchtet, die er gerne als Sorten anmelden würde – was insgesamt rund 120.000 Euro kostet.

Und es gibt noch eine weitere Hürde. „Bis zu dem Tag, an dem der Apfel im Laden liegt, vergehen nach der Zulassung noch einmal fünf Jahre“, erklärt Bolliger. In dieser Zeit muss er zusammen mit Baumschulen die Bäume herstellen und Anbauer finden, die sie drei Jahre großziehen, bis sie die ersten Früchte tragen. Das machen diese aber nur, wenn ihnen von Händlern oder Verarbeitern ein vernünftiger Preis für die Äpfel garantiert wird. Grundsätzlich sei der Handel in dieser Hinsicht nicht sehr innovativ, sagt Bolliger: „Aber es gibt positive Signale.“

Warum samenfestes Gemüse oft das Nachsehen hat

Auch bei den Kundinnen und Kunden hat es Obst und Gemüse aus Bio-Züchtung nicht unbedingt leicht. Es sieht oft nicht so schön einheitlich, prall und bunt aus wie die auch im biologischen Anbau vorherrschenden Hybrid-Sorten. Zudem ist es oft teurer, weil die Erträge niedriger sind als bei Hybriden. Allerdings gibt es positive Signale, wenn die Kunden erklärt bekommen, warum es wichtig ist, dass Saatgut samenfest ist und nicht nur von großen Saatgutkonzernen wie Monsanto kommt.

Ein Logo für Gemüse aus Bio-Züchtung

Damit Produkte aus Bio-Züchtung im Laden erkannt werden, hat sich der Verein bioverita, dem die meisten Bio-Züchter im deutschsprachigen Raum und zahlreiche Bio-Unternehmen angehören, mit regionalen Bio-Großhändlern zusammengetan. Diese lassen Gemüse von Sorten aus Bio-Züchtung anbauen und vermarkten es mit dem Hinweis „Bio von Anfang an – von der Züchtung bis zum Endprodukt“ unter dem bioverita-Logo.

Getreide von Sorten aus Bio-Zucht lässt sich hingegen nur selten erkennen, etwa wenn das Brot im Regal eigens als Lichtkornroggenbrot ausgelobt wird – eine Sorte der Cultivari Getreidezüchtungsforschung Darzau. Die Bio-Safthersteller Beutelsbacher und Voelkel setzen bei ihren Gemüsesäften komplett auf samenfeste Sorten. Rapunzel hat für seine Tomatenprodukte mit Mauro Rosso eine eigene Tomate züchten lassen. Der Bio-Hersteller ist auch in der Initiative „Bio-Saatgut Sonnenblumen“ aktiv. Deren Ziel ist es, Bio-Sonnenblumenkerne für die Ölgewinnung zu züchten. Die heute verfügbaren Hybrid-Sonnenblumen stammen fast ausschließlich von zwei großen Saatgutkonzernen.

Es bräuchte noch viel mehr Bio-Züchtung, etwa bei Tomaten, Paprika oder Kohlarten.

Oliver Willing, Geschäftsführer Zukunftsstiftung Landwirtschaft

Darum mischen Bio-Züchter verschiedene Sorten

Während sie an klimaangepassten Sorten arbeiten, denken viele Bio-Züchter schon weiter. Denn ein Feld mit nur einer Sorte ist nun mal eine Monokultur und damit anfällig, wenn die Pflanzen mit neuen Bedingungen nicht zurechtkommen. Die Getreidezüchter arbeiten deshalb an sogenannten Populationen, also Mischungen verschiedener Sorten, die sich besser an neue Bedingungen anpassen können und vom Ertrag her stabiler sind. Auch Ulrike Behrendt experimentiert in diese Richtung. Sie hat in einem Projekt das Saatgut mehrerer Salatsorten gemischt und ausgesät. Die Vielfältigkeit der Pflanzen habe die Erträge stabilisiert, erklärt die Bio-Züchterin. In diesem Jahr wird die Sortenmischung in kleinen Geschenktütchen an Gärtnereien abgegeben, damit diese erste Erfahrungen im Anbau sammeln können. Bei ersten Versuchen mit Bio-Großhändlern kamen die Kisten mit den vielfältigen Salaten bereits gut an.

Zum Weiterlesen und Informieren

Hier wird Bio gezüchtet:

Taggart Siegel, Jon Betz: Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen. DVD, W-Film/Lighthouse Home Entertainment, 2019, 95 Min., 12 € (bei W-Film)

Anja Banzhaf: Saatgut – Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag 2016, 272 Seiten, 19,95 €

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