Markus Wolter sieht Agrarökologie und Öko-Landwirtschaft als wichtige Bausteine im Kampf gegen den Hunger. Die Grüne Gentechnik dagegen bewertet er als den falschen Weg. Warum Öko-Landbau den Bäuerinnen und Bauern im globalen Süden hilft und was es jetzt dringend braucht, das erklärt der Agrarexperte im Interview.
Warum müssen so viele Menschen Hunger leiden?
Chronisch hungern 735 Millionen Menschen auf der Erde. Sie wissen nicht, was sie morgen essen sollen und sind unterernährt. Es gibt aktuell vier starke Treiber für diesen Hunger, das sind die vier C, nämlich Climate, Covid, Costs and Conflicts: Die Auswirkungen der Klimakrise durch Ernteausfälle, Arbeitslosigkeit in Folge der Pandemie, die gestiegenen Kosten für Lebensmittel und Hungersnöte durch Kriege.
Du kommst gerade aus Sri Lanka. Was hast du dort erlebt?
Sri Lanka ist ein hochverschuldetes Land und sehr abhängig vom Tourismus. Durch die Covid-Pandemie kam der Tourismus zum Erliegen. Die Devisen, die normalerweise durch Touristen reinkommen, haben gefehlt. Um zu sparen, hat die Regierung 2021 für kurze Zeit den Import von chemisch-synthetischen Pestiziden verboten und Sri Lanka zum Bio-Staat erklärt. Das hat die Landwirt:innen, deren Landwirtschaft dort durch hohen Pestizid-Einsatz geprägt ist, unvorbereitet getroffen und es gab bei einigen Kulturen Ertragsrückgänge.
Wie genau lässt sich das erklären?
Die Bäuerinnen und Bauern dort haben keine Erfahrung mit Fruchtfolgen oder mit Kompostierung. Das Umstellen auf ökologische Landwirtschaft braucht jedoch Beratung, Begleitung und Zeit. Wenn man diese Schritte nicht geht und einfach so weiter arbeitet wie bisher, nur ohne chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger, dann gehen die Erträge zurück. Dazu kam, dass einige aus Frust und Wut ihre Felder nicht mehr bestellt haben.
Zur Person
Markus Wolter ist Referent für Landwirtschaft und Welternährung bei der Hilfsorganisation Misereor. Er hat Geografie mit den Nebenfächern Agrarökonomie und Bodenkunde studiert. Nach seinem Abschluss arbeitete Wolter als Bio-Landwirt auf einem Betrieb mit Schweinehaltung, wo er die Direktvermarktung leitete. Im Anschluss war er als Berater und Einkäufer für ökologische Agrarerzeugnisse bei artebio in Lüneburg und als Berater für den Bioland Landesverband NRW tätig. Danach arbeitete er für den WWF zu Themen wie Landwirtschaft und Artenvielfalt, Palmöl und nachhaltige Nutztierfütterung.
Was bräuchte es, damit der Ökolandbau im globalen Süden genug Erträge erzielt?
Das eine ist die Ausbildung: Wir brauchen Expert:innen, die Landwirt:innen beratend begleiten, weil im globalen Süden vielfach zu wenig Wissen über Öko-Landbau besteht. Das andere sind politische Rahmenbedingungen: Die Subventionen für Pestizide und chemische Dünger müssen reduziert werden. Stattdessen sollten Landwirt:innen finanziell dabei unterstützt werden, auf ökologischen Ackerbau umzustellen.
Fällt dir dazu ein positives Beispiel ein?
Als ich auf den Philippinen war, konnte ich vor Ort erleben, wie die Erträge von ökologisch angebautem Reis nach zwei bis drei Jahren genauso hoch waren wie unter konventionellen Bedingungen. Dadurch, dass die Bäuerinnen und Bauern den Boden aufgebaut und Biodiversität geschaffen haben, wird der Boden resilienter gegen Extremwetter und die Kulturvielfalt auf der Fläche wächst.
Ist der Öko-Landbau eine Lösung für das Welthungerproblem?
Hunger ist kein Produktions- oder Mengenproblem. Wir haben jetzt schon genug Lebensmittel, um acht Milliarden Menschen zu versorgen. Aber die Lebensmittel sind ungerecht verteilt und viele Menschen sind zu arm, um sie sich zu leisten. Das Bevölkerungswachstum und die Klimakrise werden die Situation jedoch verschärfen. Deshalb müssen wir jetzt für krisenfeste Ernährungssysteme sorgen. Dafür ist Öko-Landbau ein wichtiger Baustein. Ein weiterer Faktor ist unser Fleischkonsum, der sinken muss.
Die grüne Gentechnik verspricht, das Hungerproblem schnell zu lösen. Ist das glaubhaft?
Wir haben über 25 Jahre Gentechnik hinter uns und sehen an den Zahlen, dass Gentechnik offensichtlich nicht dazu beiträgt, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen. Wir brauchen angepasstes Saatgut an das, was immer stärker kommt, nämlich Wetterextreme. Deshalb spielt ein robustes, krisenfestes Ökosystem mit einem gesunden Boden und hoher Vielfalt an Sorten, Kulturen und Arten eine viel größere Rolle als eine einzige an die Dürre angepasste Sorte.
Wie vielversprechend ist gentechnisch verändertes Getreide, das gegen Dürre resistent sein soll?
Nehmen wir Italien als Beispiel: Dort herrschte im Frühjahr über Monate hinweg eine extreme Dürre mit dem heißesten April seit 1000 Jahren. Und dann gab es plötzlich starke Überschwemmungen. Was hätte dort eine Getreidesorte gebracht, die nur trockentolerant ist? Wir brauchen jetzt stattdessen eine vielfältige Landwirtschaft, die den Boden, die Pflanze und das Tier zusammendenkt. So kann ein fitter Boden mit einem schwammartigen Gewebe entstehen, der viel Wasser aufnehmen und es lange speichern kann. Das ist viel wichtiger als dürretolerantes Saatgut.
„Ein fitter Boden ist wichtiger als dürretolerante Samen“
Welche Risiken siehst du noch im Hinblick auf Gentech-Saatgut?
Im globalen Süden wird Saatgut normalerweise frei gehandelt oder getauscht. Doch bei gentechnisch verändertem Saatgut hat sich eine Handvoll großer Unternehmen schon jetzt tausende Patente gesichert. In der Folge müssen Landwirt:innen auf der ganzen Welt hohe Lizenzgebühren zahlen und dadurch entsteht eine Abhängigkeit. Mit ökologischem Landbau und agrarökologischen Methoden dagegen wird versuchet, Abhängigkeiten zu reduzieren. Denn die Kleinbauern und -bäuerinnen arbeiten in Systemen, die krisenfester und nachhaltiger sind. Das ist für mich die Zukunft.
Wie gelingt es dir, positiv in die Zukunft zu blicken?
Manchmal bin auch ich verzweifelt und verliere die Hoffnung, aber mein Glaube gibt mir Kraft. Sobald ich auf Bäuerinnen und Bauern treffe, die trotz aller Widerstände ökologische Landwirtschaft betreiben, die sich dadurch ernähren können und andere Menschen inspirieren, gibt mir das Hoffnung.
Was können wir im Kleinen tun?
Jeder Einkauf ist ein Einkommen für Landwirt:innen am Anfang der Lieferkette. Es lohnt sich deshalb, auf das Bio- und Fair-Trade-Siegel zu achten. Bei fair gehandelten Produkten sind Mindestpreise für Landwirt:innen einbezogen und klare Richtlinien verhindern die Ausbeutung von Kindern.
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