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Grüne Gentechnik: Reaktionen und Meinungen

Die EU-Kommission will das Gentechnik-Recht aufweichen und hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Das sagt die Branche.

Özdemir: „Das Vorsorgeprinzip schützt Gesundheit, Umwelt und Verbraucher:innen“

„Das Vorsorgeprinzip schützt nicht nur Gesundheit, Umwelt und Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern bietet auch den Unternehmen Sicherheit bezüglich Haftungsrisiken. Ob der vorliegende Entwurf dem gerecht wird, muss angezweifelt werden.“ Mit diesen Worten kommentierte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission. Nicht nur in der Politik stößt der Vorstoß der Kommission auf breiten Widerstand, auch Landwirtschafts-, Natur- und Verbraucherschutzschutzverbände üben Kritik.“

Spielberger: „Die De-Regulierung bedeutet das Aus der gentechnikfreien, ökologischen Landwirtschaft.“

Müllermeister Volkmar Spielberger führt das Unternehmen Spielberger Mühle in dritter Generation.

„Die De-Regulierung der Grünen Gentechnik in dem Gesetzesvorschlag ist fatal. In ihrer jetzigen Umsetzung bedeutet sie das Aus der gentechnikfreien, ökologischen Landwirtschaft. Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Regelungen beenden die Co-Existenz verschiedener Landwirtschafts-Formen, heben die Kennzeichnungspflicht von Gentechnik auf und beenden die Verursacher-Haftung. Damit wird die Grüne Gentechnik zukünftig nicht mehr einzugrenzen sein, für die Verbraucher wird es deshalb keine Wahlfreiheit mehr geben.“

Sonnentor: „Gentechnik zielt nicht auf ein Arbeiten im Einklang mit der Natur, sondern auf schnelles Geld und langfristige Patente.“

Johannes Gutmann, Gründer von Sonnentor

„Man versucht hier wieder einmal die Natur auszutricksen. Es wird von der Wissenschaft behauptet, Züchtungserfolge, die man unter langwieriger Arbeit von 15 bis 20 Jahren erzielt, auf lediglich zwei bis drei Jahre reduzieren zu können. Nur ein Züchtungserfolg, der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt, ist mit vielen größeren Anbauversuchen verknüpft. Die Natur kann sich so langsam darauf einstellen. Die Gentechnik zielt in diesem Fall jedoch nicht auf ein Arbeiten im Einklang mit der Natur ab, sondern auf schnelles Geld und langfristige Patente. Die für die Bio-Landwirtschaft so wichtige Diversität bringen wir mit solch einer Entwicklung stark in Gefahr! Der Begriff 'grüne Gentechnik' ist für mich außerdem genauso Greenwashing wie grüne Atomenergie, weil in beiden Fällen einfach alle Nachteile und Risiken unter den Teppich gekehrt werden.“

ÖMA: „Aus unserer Sicht müssen die neuen genomischen Techniken zwingend als Gentechnik gekennzeichnet werden.“

Philipp Thiel, Leiter Marketing und Vertrieb bei den Ökologische Molkereien Allgäu (ÖMA)

„Bisher konnten sich Verbraucher:innen beim Kauf von Bioprodukten sicher sein, dass sie keine Gentechnik erwerben. Mit dem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zu den neuen genomischen Techniken (NGT) ist diese Wahlfreiheit nicht mehr gegeben. Aus unserer Sicht müssen die neuen genomischen Techniken zwingend als Gentechnik gekennzeichnet werden, um die Entscheidungsfreiheit der Menschen weiterhin zu gewährleisten. Wer keine Gentechnik „im Essen“ möchte, der soll seine Lebensmittel beim Einkaufen auch gezielt auswählen können.

Wenn Unternehmen der Ernährungswirtschaft NGT einsetzen wollen – weil sie die Techniken als das vermeintlich geeignete Instrument sehen, um unsere heutigen großen Herausforderungen anzugehen – dann ist es doch gerade für diese Unternehmen folgerichtig, durch eine Kennzeichnung auf ihren Produkten deren positiven Impact hervorzuheben. Also spricht aus unserer Sicht alles für eine Kennzeichnung und damit Wahlfreiheit der Verbraucher:innen.“

Rapunzel: „Für Bio-Bauern wäre die geplante mangelhafte Transparenz existenzbedrohend.“

Eva Heusinger, Dipl. Agraringenieurin, Expertin für Gentechnik und Saatgut bei Rapunzel

„Der neue Gentechnik-Gesetzesentwurf wirft für uns als Bio-Lebensmittelhersteller mehr Fragen als Antworten auf. Warum sollen wir in der EU ein gut funktionierendes Gesetz für gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere ändern und auf Zulassung, Rückverfolgbarkeit sowie Kennzeichnung verzichten? Bisher besteht für alle Bio-Betriebe, wie auch für Rapunzel, die Sicherheit, ohne Gentechnik arbeiten zu können. Die Absicherung, gentechnikfrei zu produzieren, wird allerdings von den Bio-Betrieben getragen. Für Bio-Bauern wäre die geplante mangelhafte Transparenz existenzbedrohend.

Warum sollen die Saatgutriesen einen Freifahrtschein bekommen? Was wir brauchen, sind nicht einige wenige patentierte Sorten, die weltweit angeboten werden und Abhängigkeiten schaffen. Wir brauchen viele Sorten, die regional angepasst sind und sich für den biologischen Landbau eignen. Für die vielen Herausforderungen der Zukunft weltweit – Stichwort Klimawandel und Welternährung – ist aus unserer Sicht Vielfalt die Antwort. Vielfalt in der Landwirtschaft fördert Resilienz und schafft Stabilität für Natur und Mensch.

Saatgutvielfalt, vielfältige Fruchtfolgen, regional angepasste Anbausysteme, kleinteiliger Ackerbau, ökologische Schädlingsregulation, humusmehrende Bodenbearbeitung sowie Kreislaufwirtschaft sind Lösungen, die Bio-Bauern heute schon liefern. Vielfältiges Saatgut ist die Grundlage für eine vielfältige Landwirtschaft und letztendlich für Biodiversität, ökologische Stabilität und eine lebendige Erde.“

Naturata: „Eine Kennzeichnung wäre unmöglich“

Liane Maxion, Vorständin bei Naturata

„Für uns ist diese Lockerung vollkommen inakzeptabel. Endverbraucher:innen würden damit keine gentechnikfreien Produkte mehr im Laden finden, da eine Kennzeichnung unmöglich wäre. Außerdem wird das Ziel, die biologische Vielfalt zu erhalten, von der EU-Kommission dabei schlichtweg aus den Augen verloren und unvorhersehbaren Effekten dieser neuen Gentechnikverfahren auf die Umwelt Tür und Tor geöffnet. Nur durch Risikoprüfung, Risikomanagement und Rückverfolgbarkeit können diese unter Kontrolle gehalten werden.“

Voelkel: „Der breite Genpool, den wir mit alten Sorten haben, ist ein Schatz, den es zu erhalten und zu entwickeln gilt“

Boris Voelkel, Geschäftsführer Einkauf bei Voelkel, sieht die Entwicklung bei der „soften Gentechnik“ und CRISPR-CAS mit Sorge und könnte vor Wut schäumen

„Die Rhetorik und Argumentation mit der gearbeitet wird, erachten wir als zynisch: Man dürfe sich dem Fortschritt nicht verschließen, und das sei doch dann die Lösung für Klimawandel und Hunger und so weiter ... Der Mensch hat solch technische Lösungen schon immer als verlockend erlebt. Aber auch die klassische Gentechnik hat ihre Versprechen nicht eingelöst und bringt immense Nachteile mit sich. Die Sorge ist: Wenn der Hund einmal von der Leine ist, bekommt man ihn eben nicht wieder eingefangen. Und Öko-Landwirtschaft würde, wenn alles so durchkäme wie geplant, unkontrolliert und unfreiwillig konfrontiert werden mit den Pflanzen, die dann uneingeschränkt angebaut werden könnten.

Unser Appell ist jetzt erst recht, dass sich die Verbände und Öko-Pioniere ernsthaft um die unabhängige, ökologische Pflanzenzüchtung bemühen. Es gibt sie und es werden dort Sorten entwickelt. Es braucht seine Zeit, ja, dann muss man eben früher beginnen und nicht erst, wenn man muss. Die Wetterextreme, die uns jetzt einholen, wurden vor 20 Jahren an den Unis und in der Wissenschaft angekündigt. Da hätte man bereits einen entschlossenen Schwerpunkt bei der Finanzierung zielgerichteter Öko-Züchtung setzen können. Es ist zeitlich und sachlich sehr präzise so eingetreten, wie prognostiziert! Stattdessen lebt die Öko-Züchtung von Almosen und muss immer um Geld betteln bei Unternehmen die sich dann damit rühmen: „Wir unterstützen die unabhängige Öko-Züchtung.“

Ich finde es zynisch und lächerlich. Die Züchterinnen und Züchter sind so existenziell und führen ein relatives Schattendasein. Verbände und die meisten Unternehmen in der Öko-Branche reden sich raus, der Anbau samenfester Sorten sei schwierig und bringe weniger Ertrag und so weiter. Diese Sorgen sind teils berechtigt und mit ihnen muss man einen Umgang finden, aber das passiert nicht! Das Thema wird beiseite geschoben und mit einer symbolischen Spende an den Saatgutfonds „befriedet“. Und weiter kauft die Branche nicht gerade wenig Saatgut bei den Konzernstrukturen, die uns nun die neue Gentechnik durch die Hintertür aufzwingen. Da gibt es keine Wahlfreiheit mehr, weil keine Kennzeichnungspflicht. Und wir als Branche bezahlen diese Unternehmen.

Der breite Genpool, den wir mit alten Sorten haben, die man ja weiter entwickeln kann und muss, sind ein fragiler Schatz, den es zu erhalten und zu entwickeln gilt. Mit der Natur arbeiten und nicht denken, wir könnten im Labor oder mit der Pinzette in diesem unglaublich fragilen Öko-System irgendetwas regeln.

Jedes Bio-Unternehmen sollte sich mündig machen und schauen: Wo stehen wir beim Thema Sorten und Saatgut? Und dann sollte jeder feststellen: Wo kann ich eine sofortige Verbesserung vornehmen? Wo kann ich möglicherweise ein mittelfristiges Projekt anschieben zur Verbesserung der Situation? Wo bin ich abhängig von den klassischen Monopol-Strukturen?

Dieses Thema hätte uns bereits vor vier Jahren einholen können. Diese vier Jahre haben die Bio-Verbände weitestgehend verschlafen und die Unternehmen erst recht. Rühmlich hervorheben muss man Jan Plagge. Man kann ihn nicht genug loben. Er hat in seinen verschiedenen Funktionen das Thema mahnend, sachlich und flammend vehement der Wertegemeinschaft unter die Nase gerieben hat. Woher er die Energie hat, dieses Thema so unermüdlich auf allen Ebenen ins Bewusstsein zu heben, bleibt sein Geheimnis. Gedankt sei es ihm!

Und zuletzt: Voelkel hat seit fünf Jahren seine Produktpalette zu mindestens 95 Prozent auf samenfeste Sorten umgestellt. Das sehen wir nicht als USP, sondern konnten schon vier größere Private Label Kunden davon überzeugen, auch auf samenfeste Sorten umzustellen und den nötigen Mehrpreis zu bezahlen. Und diese Kunden, wie auch die Marke Voelkel merken als positiven Randeffekt: Die Menschen kaufen mehr von diesen Produkten und die Qualität, der Geschmack, die Bekömmlichkeit ist deutlich gestiegen.

Nun bin ich gespannt und voller guter Hoffnung, dass vielleicht noch ein kleines Wunder passiert, auf der politischen Ebene, und wie viel Pioniergeist in der Bio-Branche noch steckt, eine entschlossene Antwort auf dieses Thema zu finden.“

Bohlsener Mühle: „Wir dürfen nicht zulassen, dass kurzfristige ökonomische Interessen ökologische Verantwortung aushebeln.“

Mathias Kollmann, Geschäftsführer der Bohlsener Mühle und Vorstandsmitglied im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW)

„Wir müssen die hohen Standards und das Vertrauen in Bio- und gentechnikfreie Lebensmittel verteidigen und dürfen nicht zulassen, dass kurzfristige ökonomische Interessen langfristige ökologische und soziale Verantwortung aushebeln.“

Allos: „Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen wäre ein Rückschritt“

Allos-Geschäftsführer Eike Mehlhop hält den Kommissionsvorschlag zu grüner Gentechnik für einen Rückschritt.

Als Bio-Lebensmittelhersteller lehnen wir eine Aufweichung des europäischen Gentechnikrechts strikt ab. Als Unternehmen mit der Mission „Food for Biodiversity“ setzen wir uns dafür ein, den Artenreichtum der Pflanzen- und Tierwelt zu schützen und wieder wachsen zu lassen. Der Anbau genmanipulierter Pflanzen, der damit einhergehende Herbizideinsatz und umweltzerstörende Monokulturen sind eine große Gefahr für die Biodiversität. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen wäre ein Rückschritt wieder mehr hin zum industriellen Landwirtschaftssystem, anstatt die biologische Landwirtschaft weiter auszubauen. Auch wenn die Biolandwirtschaft von dem Gesetzbeschluss ausgeschlossen ist und der Einsatz von NGT-Pflanzen weiterhin verboten bleibt, ist die Verunreinigung von Biofeldern durch angrenzende Flächen mit genom-editierten Pflanzen ein Problem, dem nur mit enormem Zeit- und Kostenaufwand beizukommen wäre. Kosten- und Zeitinvestitionen, die die Biolandwirte selbst tragen müssen, um den Bio-Qualitätsnachweis erbringen zu können.

Zudem sollten Verbraucher auch zukünftig entscheiden können, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen wollen oder nicht. Der Nachweis, woher Lebensmittel kommen, und die genaue Deklaration der Inhaltsstoffe ist in den vergangenen Jahren immer detaillierter geworden. Da sollten wir jetzt keinen Rückschritt machen.

Verbraucherzentrale: „Der Entwurf vereint alles, was Verbraucher:innen nicht wollen.“

Verbraucher:innen müssen selbst entscheiden können, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen wollen oder nicht. Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission steht diese Wahlfreiheit auf dem Spiel.

Denn künftig sollen die meisten pflanzlichen Erzeugnisse, die mithilfe neuer Gentechnik hergestellt werden, nicht mehr als solche gekennzeichnet werden müssen. Zudem verwässert die Europäische Kommission die Risikoprüfung für diese Produkte. Das Vorsorgeprinzip – ein Grundpfeiler der europäischen Gesetzgebung – wird bewusst ausgehebelt. Damit vereint der Entwurf alles, was Verbraucher:innen nicht wollen.

Bioland: „Gefährlicher Abschied vom Vorsorgeprinzip“

Risikoprüfung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung: Diese wichtigen Instrumente des Gentechnikrechts gibt die EU-Kommission auf, zugunsten eines laschen Regelwerks, das vor allem den Agrochemie-Konzernen gefallen dürfte. Denn für sie wird es künftig deutlich leichter, genomeditierte Pflanzen auf den Markt zu werfen, in vielen Fällen ganz ohne einen vorherigen – aus ihrer Sicht sicher lästigen – Prozess, der die Gefahren abschätzt. Das ist für die EU eine Zäsur und der gefährliche Abschied vom lange gelebten Vorsorgeprinzip.

Den vielen europäischen Verbraucher:innen, die Gentechnik kritisch sehen, sollen künftig die Augen verbunden werden. Denn verpflichtende Gentechnik-Kennzeichnungen entfallen nach dem Entwurf für viele Endprodukte. Auch das wird die Saatgut-Konzerne freuen, denn was nicht gern gesehen oder in dem Fall gegessen wird, das versteckt man lieber.

Saatgutzüchter sehen sich in Existenz bedroht

Dreschflegel e.V.

„Der Vorschlag der EU-Kommission ist grundlegend verfehlt und muss komplett abgelehnt werden, denn sonst wären eine gentechnikfreie Züchtung und Saatgutarbeit, ob konventionell oder ökologisch, langfristig nicht mehr möglich“, kommentiert Stefi Clar, Saatgutgärtnerin in Witzenhausen und Vorstandsmitglied des Dreschflegel e.V.

Bingenheimer Saatgut AG

„Die vorgeschlagene Deregulierung muss gestoppt werden, denn sie gefährdet genau jene Ansätze von Züchtung, Saatguterzeugung und Landwirtschaft in ihrer Existenz, die wir zur Lösung der Biodiversitäts- und Klimakrisen dringend benötigen“, kritisiert Gebhard Rossmanith von der Bingenheimer Saatgut AG

Demeter: „Gesetzesentwurf widerspricht Zielen zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt“

„Der Gesetzesentwurf ist eine Klatsche für die Verbraucher:innen, die weiterhin die Wahl haben wollen, gentechnikfreie Produkte zu kaufen, und daher auf eine klare Kennzeichnung angewiesen sind. Er widerspricht zudem den Zielen zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt – denn auch bei neuen Gentechnikverfahren gibt es unvorhersehbare Effekte auf die Umwelt, die nur durch Risikoprüfung, Risikomanagement und Rückverfolgbarkeit unter Kontrolle gehalten werden können“, sagt Demeter-Vorstand Alexander Gerber.

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