Umwelt

Klamotten aus Müll: Ist Mode aus Ocean Plastic wirklich nachhaltig?

Können Schuhe und Shirts, recycelt aus dem Plastikmüll der Meere, uns den Weg aus der globalen Müllkrise weisen? Eine Spurensuche.

So sehen manche Imageclips von Modeanbietern aus: Junge Leute, braun gebrannt in tadellosen Marken-Shirts, sammeln am Strand angeschwemmten Müll ein. Beherzt und mit besorgter Mine packen sie verdreckte und verschlammte Reifenreste, verfilzte Klumpen aus Plastik und alte Plastikflaschen in einen Sack. Nach vollbrachter Arbeit steht das Team am blitzsauberen Sandstrand und blickt zufrieden lächelnd auf den Sonnenuntergang über dem tiefblauen Meer – bekleidet mit Sportschuhen aus „Ocean Plastic“. So oder ähnlich versprechen es mittlerweile Hersteller von Schuhen, Taschen, Rucksäcken und Kleidung in Image-Clips und Werbekampagnen. Gerade noch Müll, jetzt schon Mode – und jeder kann die Welt ein bisschen retten, indem er oder sie Produkte aus „Ocean Plastic“ kauft.

Was ist Ocean Plastic und eignet es sich für die Modeindustrie?

Der Kunststoff für Kleidung, die aus Ocean Plastic besteht, wurde vorher aus den Ozeanen gesammelt – so die Recycling-Idee. Das Problem ist, dass es keine allgemeingültige Definition dafür gibt, zu wie viel Prozent das Material wirklich aus recyceltem Kunststoff aus den Meeren besteht. Nachhaltigkeitsforscher Kai Nebel hätte auch gerne saubere Ozeane und sieht „jedes Kilo Plastik weniger im Meer als Gewinn“ an. Aber die Idee, aus Meeresmüll Kleidung herzustellen, sei aus Sicht der Nachhaltigkeit Unsinn. Nebel leitet den Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit und Recycling an der Hochschule Reutlingen. Der Haken an den schönen Botschaften, aus Müll nachhaltige Mode zu machen, liege im enormen Aufwand des Umwandlungsprozesses und der Tatsache, dass die dabei entstehenden Produkte selbst nicht recycelbar seien.

Warum die Textilindustrie zu den Top Drei der globalen Plastikmüll-Produzenten gehört

Nebel erläutert das Recycling-Problem am Beispiel der Textilindustrie, die allein im vergangenen Jahr weltweit rund 140 Milliarden Kleidungsstücke produziert hat und zu den Top Drei der globalen Plastikmüll-Produzenten gehört. Dort würden aus Kosten- und Modegründen Hunderte verschiedene Faser- und Materialmischungen verwendet. Hinzu kämen chemische Additive wie Weichmacher oder Färbemittel. Bei Ozeanplastik gesellen sich noch weitere Kunststoffe, Schadstoffe aus der Zeit im Meer sowie Sand, Muscheln, Dreck und weitere Anhaftungen hinzu. „Um diesen Mix weiterverwenden zu können, muss er mit hohem Energieaufwand und dem Einsatz von Enzymen, Lösungsmitteln und weiteren Chemikalien zerlegt werden“, erläutert Nebel. Dazu brauche es eine ausgefeilte Analytik und eine erstklassige Sortierung. „Dann trenne ich die Polymere, zerlege sie in ihre Moleküle und baue die Moleküle wieder zusammen, um daraus wieder neue Fasern zu machen“, erläutert Nebel. Technisch sei das möglich, aber der Aufwand sei enorm.

Plastik im Ozean lässt sich kaum als Recycling-Rohstoff verwenden

Auch der Naturschutzbund Nabu und die Hochschule Magdeburg-Stendal haben untersucht, ob sich aus Meeresmüll ökologisch sinnvolle und finanziell lohnende Produkte herstellen lassen. An Forschungsmaterial mangelte es nicht. Der Naturschutzverband betreibt seit über einem Jahrzehnt das Projekt Fishing for Litter (Nach Müll fischen). In Häfen an Nord- und Ostsee stellt er Container auf, in denen Fischer den Müll kostenlos entsorgen können, den sie während ihrer Touren aus dem Meer geborgen haben. Mehr als 150 Fischereien beteiligen sich an der Aktion, fast 65 Tonnen Müll sind so bereits zusammengekommen.

Doch während die Sammelaktion einen wichtigen Beitrag gegen Meeresplastik vor unserer Haustüre leistet, zeigte die wissenschaftliche Analyse, dass eine Verwertung des Mülls als Rohstoff sinnvoll kaum machbar ist. Selbst die Herstellung eines Granulats zur Produktion einfachster Kunststoffe sei aus dem „wilden Mix“ von Meeresplastik nur mit extremem Aufwand möglich, fasst Nabu-Experte David Pfender die Ergebnisse der Studie zusammen. Eine Tonne Müll so aufzubereiten, dass sie als Rohstoff etwa für Parkbänke aus Plastik weiterverarbeitet werden könne, koste 20 000 Euro. „In der Praxis ist das weder rentabel noch ökologisch sinnvoll.“ Die Naturschützer haben Konsequenzen aus ihrer Untersuchung gezogen. Der von den Fischern im Nabu-Projekt aus dem Meer gezogene Plastikmüll wird „thermisch verwertet“ – sprich verbrannt.

Stammt Ocean Plastic wirklich immer aus dem Meer?

Um ihre Produkte als „Made from Ocean Plastics“ deklarieren zu können, greifen Produzenten oft auf Plastikmüll aus PET-Flaschen zurück. Diese werden nicht, wie Bilder von im Plastik verhedderten Meeresschildkröten vermuten lassen, aus den Tiefen der Ozeane gefischt. Vielmehr werden sie, wie Hersteller meist an unauffälliger Stelle erwähnen, „in Küstenregionen“ an Land gesammelt. Ein Großteil des Ozeanplastiks dürfte nie mit dem Meer in Berührung gekommen sein.

Die Verwendung von PET-Flaschen in der Kleiderproduktion sehen Experten kritisch. PET sei eines der wenigen Kunststoffprodukte, für das es einen funktionierenden Recycling-Kreislauf gebe: Aus Flasche wird Flasche. Entzieht man sie dem Kreislauf, um daraus Textilien zu machen, müssen die fehlenden Flaschen nachproduziert werden.

Woher kommt das Plastik im Meer?

Geschätzte 86 bis 150 Millionen Tonnen Plastikmüll schwimmen in den Meeren der Welt oder liegen am Meeresboden. Jedes Jahr kommen fünf bis 13 Millionen Tonnen hinzu.

Wie die Meere unter Plastikmüll leiden

Ist Bademode aus Econyl nachhaltig?

Fortschritte beim Recycling mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt gibt es dennoch. So erhielt die italienische Firma Aquafil 2014 den Sonderpreis „Ressourceneffizienz“ des Deutschen Nachhaltigkeitspreises für die Entwicklung ihrer Polyamidfasern, die unter dem Namen Econyl bekannt sind. Nach Überzeugung der Jury hat Aquafil es geschafft, einen funktionierenden Stoffkreislauf für Polyamid zu installieren. Die Firma begegne „mit einer neuen Art der Rohstoffgewinnung der Problematik ‚Müll im Meer‘“, lobte die Jury. Nach Unternehmensangaben finden hier dann tatsächlich ausrangierte Fischernetze ihren Weg in das Endprodukt. Einige Outdoor- und Bademodenhersteller führen Econyl-Produkte – etwa Fahrradhosen oder Badeanzüge.

Die Müllsammelaktion „The Ocean Cleanup“ in der Bucht von San Francisco war zu ihrem Start einzigartig. Ziel: Die Weltmeere von Plastikmüll befreien. Wir zeigen, wie das funktioniert und welche anderen innovativen Ideen und Projekte es noch gibt.

9 Projekte gegen Plastikmüll im Meer

So viel Plastikmüll produzieren wir täglich

Trotz solch ermutigender Ansätze ist der derzeitige globale Plastikzyklus alles andere als zirkulär. Der Plastik-Experte der Industriestaatenorganisation OECD, Shardul Agrawala, hat kürzlich gemeinsam mit Kollegen den ersten globalen Ausblick zum Ausmaß des Plastikproblems vorgelegt. Die 200-Seiten-Studie lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Welt ertrinkt in Plastik und eine Wende zum Besseren zeichnet sich nicht ab. Dem Bericht zufolge hat sich die Produktion von Plastik seit Beginn des Kunststoffbooms in den 1950er-Jahren um das 230-Fache erhöht. Seit Beginn des Jahrtausends hat sich die weltweite Jahresproduktion fast verdoppelt: von 234 Millionen Tonnen im Jahr 2000 auf 460 Millionen 2019. Die Menge des Plastikmülls hat sich im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt, auf 353 Millionen Tonnen pro Jahr. Agrawala versucht, die enorme Menge mit einem Bild fassbar zu machen: „Jeden Tag wird weltweit Plastikabfall mit einem Gewicht von knapp 100 Eiffeltürmen produziert.“

Als Haupttreiber für die Plastikflut gilt kurzlebiges Makroplastik – Produkte mit einer Lebensdauer von weniger als fünf Jahren. Hier spielt Billigmode eine Rolle. Denn der kurzen Nutzungszeit steht bei Plastik eine lange Haltbarkeit und damit eine beständige Anreicherung in der Umwelt gegenüber. Schon heute treiben nach Berechnungen der OECD 30 Millionen Tonnen Plastik im Meer, 100 Millionen Tonnen bedrohen das Leben in Flüssen und Seen.

Wie wir die Plastikkrise in der Mode überwinden könnten

Wo könnte ein Ausweg aus der Plastikkrise in der Mode liegen? Der Ökonom und Biologe Joachim H. Spangenberg beschäftigt sich seit Langem mit nachhaltigem Konsum. Um eine Übernutzung der Ressourcen des Planeten zu beenden und damit Klimakrise, Artensterben und Plastikflut einzudämmen, sei neben Gesetzen ein gesellschaftliches Umdenken nötig. Spangenberg hält vermeintlich kleine Initiativen für wichtig – etwa das Vorgehen gegen das eingebaute Kaputtgehen von Produkten nach Ablauf der Garantiezeit – die sogenannte geplante Obsoleszenz. Oder ein Überdenken des Modebegriffs: Meist würde Kleidung ausgemustert und durch neue ersetzt, weil sie aus der Mode gekommen sei, nicht, weil sie nicht funktionierte oder repariert werden könnte. Die Frage sei: „Warum hängt unser Sozialprestige daran, dass wir das Neueste haben? Statt daran, dass wir die ältesten Dinge benutzen?“ Vielleicht so: Junge Leute, braungebrannt, in Shirts und Shorts, die bereits ihre Eltern getragen haben, sammeln am Strand Müll ein ...

Auf welche Siegel für nachhaltige Mode ihr achten solltet

  • Als ökologisch und sozial besonders strenges Siegel gilt das IVN Best. Kleidung mit diesem Label ist frei von Synthetikfasern und vorbildlich kreislauffähig. naturtextil.de
  • Ein nachverfolgbares Label für Textilien, die in umweltfreundlichen Betrieben, an sicheren, sozialverträglichen Arbeitsplätzen produziert wurden, ist das Made in Green by Oeko-Tex. Alle Textilien sind schadstoffgeprüft. Das Label zeichnet auch Mischfasern aus. madeingreen.com
  • Der Global Organic Textile Standard (GOTS) beachtet die gesamte Wertschöpfungskette, erlaubt aber die Beimischung von bis zu 30 Prozent Recycling-Fasern. Das schränkt die Kreislauffähigkeit stark ein. global-standard.org
  • Das Umweltsiegel der Bundesregierung Blauer Engel hat eine umfassende Chemikalienregelung entlang des gesamten Produktionsprozesses. Es zertifiziert Natur-, chemische und regenerierte Zellulosefasern. blauer-engel.de

Pullis, Schals und Mäntel können ganz „schön“ Tierleid in sich tragen. Grüne Modelabels beweisen, dass es anders geht.

Alles über Mode ohne Tierleid

Interview: "Nächste Generation Sondermüll"

Viola Wohlgemuth

...ist Greenpeace-Konsum-Expertin und kennt sich aus über Wege aus der Plastikkrise in der Mode und was jede und jeder selbst dagegen tun kann.

Firmen bewerben Produkte aus Ozeanplastik als Meeresschutz. Ist das Verbrauchertäuschung?
Schuhe oder Textilien herzustellen, die nicht recycelfähig sind und das als Beitrag zum Ozeanschutz hinzustellen, ist Greenwashing pur und Verbrauchertäuschung. Es ist schlimmer als nichts zu tun, weil sie wohlmeinenden Kunden das Gefühl vermitteln, einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, während sie tatsächlich für viel Geld die nächste Generation Sondermüll kaufen.

Was sollten Herstellerfirmen stattdessen tun?
Das Grundproblem ist, dass zu viel hergestellt und weggeschmissen wird. 40 Prozent der Kleidung wird zum Wegwerfen produziert, weil es billiger ist, als zu höheren Stückkosten weniger herzustellen. Der zweite Skandal ist, dass das Modesystem nicht kreislauffähig ist. Wir müssen weniger produzieren und die Firmen verpflichten, kreislauffähige Ware herzustellen. Es dürfen nur Sachen verkauft werden, die mit den technischen Möglichkeiten, die auf dem Markt sind, recycelt werden können.

Ist dabei der Gesetzgeber gefragt?
Ohne Vorgaben wird es nicht klappen. Wir fordern, dass zehn Prozent der innerstädtischen Verkaufsflächen bis 2030 für Second-Hand-Läden, Tauschgeschäfte und Reparaturmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das muss so schick sein wie die Boutique mit neuen Klamotten. Leihen-Teilen-Tauschen-Reparieren: Diese Konzepte müssen das neue Normal werden.

Was können Verbraucher und Verbraucherinnen selbst tun?
Das nachhaltigste Textil ist das, das nicht neu hergestellt werden muss. Ich kann Verantwortung für die Ressourcen in meinem Schrank übernehmen: Ungetragenes anziehen, Kaputtes zum Schneider und, wenn es nicht mehr passt, nicht in die Kleidertonne, sondern in den Second-Hand-Laden bringen. Auch Kleidertauschpartys können viel Spaß machen.

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