Umwelt

Wie öko ist Bio-Anbau im Gewächshaus?

Gemüseanbau im Gewächshaus verspricht hohe Erträge bei geringen Ernteausfällen. Doch wie öko ist der Anbau unter Glas? 

Der Herbst ist gekommen und die Tage werden dunkler, grauer und kälter. Nicht so in der Gemüseabteilung meines Bio-Ladens: Hier scheint tagein tagaus ein farbenfrohes Erntedankfest gefeiert zu werden. Und obwohl ich zu Hause schon im September die letzten Tomaten geerntet habe, tummeln sich die beliebten Paradiesfrüchte hier noch wochenlang in den Regalen – auch aus deutschem Anbau. Bestimmt aus dem Gewächshaus, denke ich, und nehme die Verpackungen genauer unter die Lupe. Einen Hinweis darauf, ob die Tomaten unter Glas, Folie oder im Freien aufgewachsen sind, suche ich allerdings vergebens.

Wird Gemüse aus dem Gewächshaus gekennzeichnet?

Für Produkte aus Unterglasanbau oder Folientunneln gibt es keine Kennzeichnungspflicht – egal ob konventionell oder bio. Das bestätigt mir Max Meissner. Der Landwirt hat vor drei Jahren in Hegau bei Konstanz ein 4,5 Hektar großes, modernes Bio-Gewächshaus in Betrieb genommen. Zur Hälfte beherbergt es Cocktail-, Mini-Cherry- und Rispentomaten, auf der übrigen Fläche wachsen Paprika und Gurken – alles in Biolandqualität.

Darin unterscheiden sich bio und konventioneller Unter-Glas-Anbau

Bei Max Meissner ist der Unterglasanbau Familientradition, nun ist er der erste, der sich auf Bio spezialisiert hat. Die Unterschiede im Anbau hat er so aus erster Hand kennengelernt. Meissner sagt: „In konventionellen Gewächshäusern werden die Pflanzen oft in Substraten angebaut und künstlich mit Nährstoffen versorgt. Das ist im Bio-Anbau, bei dem die Pflanzen ihre Nahrung über das Ökosystem des Bodens beziehen, nicht erlaubt.“ Statt den vorhandenen Boden zu nutzen und zu pflegen, werden im konventionellen Unterglasanbau Substrate eingekauft, die teils aufwendig industriell hergestellt oder von weit hertransportiert werden – und die nicht immer kompostierbar sind.

Obwohl Meissners Gewächshaus von außen nicht anders aussieht als ein konventionelles, hat sich für ihn durch den Bio-Anbau einiges verändert. „Beim konventionellen Substratanbau kann man den Pflanzen punktgenau die Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel geben, die sie gerade brauchen. Organischer Dünger hingegen braucht bis zu zwei Wochen, bis er zersetzt und für die Pflanzen verfügbar ist.“

Unterglasanbau: Das sind die Vorteile

Der geschützte Anbau unter Glas ermöglicht seinen Tomaten, Paprika und Gurken im Frühjahr einen Wachstumsvorsprung von mehreren Wochen. Und er schützt sie vor Hagel, Sturm, Starkregen und Krankheiten, die sich im Freiland vor allem bei viel Feuchtigkeit rasch ausbreiten. Dafür muss Meissner bewässern: Der Niederschlag, der auf seine Gewächshausdächer fällt, wird gesammelt und den Pflanzen dann zur Verfügung gestellt, wenn sie Wasser brauchen. Bewässert wird in Bodennähe: So bleiben die Blätter trocken und bilden keinen Nährboden für Pilzsporen. Schädlinge wie Läuse, Thripse oder Wanzen versucht Meissner mit Netzen von seinen Schützlingen fernzuhalten; zusätzlich setzt er gezielt Nützlinge wie Schlupfwespen ein.

Welches Bio-Gemüse wird im Gewächshaus angebaut?

  • Tomaten sind in Deutschland die verbreitetste und produktivste Bio-Gewächshauskultur: Rund 11 000 Tonnen Bio-Tomaten wuchsen 2022 auf über 70 Hektar unter Glas und im Folientunnel. Freiland-Tomaten spielen hingegen eine derart untergeordnete Rolle, dass sie, genau wie Freiland-Paprika, bei der Gemüseerhebung des Statistischen Bundesamtes nicht separat aufgeführt werden.
  • Platz zwei in der Bio-Glashaus-Rangliste geht an die Bio-Salatgurke: 2022 betrug die deutsche Gewächshaus-Ernte knapp 5000 Tonnen auf 36,5 Hektar. Nur 140 Tonnen Bio-Salatgurken wuchsen auf knapp 18 Hektar unter freiem Himmel.
  • Bio-Paprikas lagen mit 2360 Tonnen Erntemenge auf knapp 34 Hektar auf Platz drei. Laut Statistik stammt deutsche Bio-Paprika ausschließlich aus Gewächshäusern.
  • Auf rund 100 Hektar wachsen außerdem Bio-Salate unter Glas oder Folie, wobei Feldsalat davon mehr als die Hälfte ausmacht. Die Freiland-Produktion ist bei Salaten jedoch deutlich ausgeprägter: Deutscher Bio-Salat wächst auch auf rund 900 Hektar im Freien.

Bio-Verbände haben strengere Vorschriften für den Anbau unter Glas

Die Temperaturen im Gewächshaus hält Meissner mit einer Biogas-Heizung stabil; eine Altholzverbrennungsanlage soll bald zusätzliche Energie liefern. „Betriebe, die erneuerbare Energien nutzen, dürfen gemäß den Bioland-Richtlinien länger heizen als solche, die Erdgas oder Erdöl nutzen“, sagt er. In den Wintermonaten Dezember bis Februar gilt für Verbands-Gewächshäuser, die nach Bioland, Naturland oder Demeter-Richtlinien wirtschaften, dass die Flächen nur frostfrei gehalten werden dürfen – vor allem, damit die Bewässerungssysteme nicht einfrieren. In der EU-Öko-Verordnung hingegen gibt es weder in Sachen Heizen noch Beleuchtung irgendwelche Vorschriften. Dabei verbraucht künstliches Licht im Gewächshaus nicht nur zusätzliche Energie, sondern verursacht auch Lichtverschmutzung, kritisieren Umweltschützer.

Im Demeter-Gewächshaus von Sascha Philipp auf dem Landgut Pretschen in Brandenburg gibt es keine Beleuchtung. Auch die Heizung hat der Bio-Bauer in diesem Jahr auf ein Minimum heruntergefahren. Den wenigsten Menschen sei bewusst, dass in heimischen Gewächshäusern, egal ob bio oder konventionell, auch im Sommer geheizt wird – vor allem in den Morgenstunden. „Dadurch wird die Pflanze früher aktiviert und der Taupunkt verlagert, ab dem Luftfeuchtigkeit kondensiert. Das hilft, Pilzkrankheiten vorzubeugen“, erklärt er. Wegen der hohen Energiekosten hat Sascha Philipp in diesem Jahr seit Mai komplett auf die Sommerheizung verzichtet. Deshalb hatte er bereits etwas mehr Schäden an den Pflanzen und der Pflegeaufwand war insgesamt höher. „Aber der Energiekostendruck ist einfach zu groß“, sagt der Landwirt nachdenklich.

Regional aus dem Gewächshaus oder Import?


Soziale Verhältnisse

Philipp hat viel experimentiert und ausprobiert, seit er das Gewächshaus 2012 in Betrieb genommen hat. Bewährt hat sich ein Fruchtwechsel zwischen Tomaten und Gurken von Februar bis November und Feldsalat im Winter. Zwischendurch sät er eine Gründüngung aus Leguminosen und Getreide, um den Boden mit Nährstoffen zu versorgen. Trotz der steigenden Energiekosten geht er davon aus, dass deutsche Gewächshäuser in Zukunft weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden. Denn wem Nachhaltigkeit am Herzen liege, für den spielten auch soziale Verhältnisse mit existenzsichernden Mindestlöhnen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen sowie ein geringer Wasserfußabdruck eine Rolle. Dies sei bei Gemüse aus Südeuropa oft nicht gewährleistet, so der Landwirt.

Dennoch fragt Philipp sich jedes Frühjahr, wenn er es seinen Tomaten und Gurken im Gewächshaus gemütlich macht, während auf seinen Feldern noch immer Kohl, Wurzelgemüse und Lauch geerntet werden, ob wir nicht einfach geduldiger sein sollten. „Das Ernährungsverhalten der Konsumenten gibt den Ausschlag: Sie entscheiden, ob wir im April schon deutsche Gurken brauchen – oder ob damit nicht bis Juni gewartet werden kann.“

Unter-Glas-Anbau und Naturschutz

  • Pro: Durch die kontrollierten Bedingungen kann in konventionellen Gewächshäusern die Menge an giftigen Pflanzenschutzmitteln reduziert werden. Diese landen zudem nicht im Boden, sondern in den Substraten. Wird in Gewächshäusern auf wenig Fläche intensiv kultiviert, können andere Flächen der Natur zurückgegeben werden.
  • Contra: Für den Bau von Gewächshäusern gehen offene Lebensräume für Vögel und Insekten verloren. Weder Wind noch Wildinsekten können hier für die Bestäubung sorgen; stattdessen müssen Hummelvölker eingekauft werden, die diese Arbeit verrichten. Entwischen diese oft hochgezüchteten Bestäubungshummeln, können sie heimische Bestände aus dem Gleichgewicht bringen. Künstlich beleuchtete Gewächshäuser beeinträchtigen zudem Nachtschwärmer durch Lichtverschmutzung.

Weniger Import

Der Anbau im deutschen Gewächshaus trägt jedoch auch dazu bei, dass wir uns von Importen etwas unabhängiger machen. Denn der Selbstversorgungsgrad für Gemüse liegt in Deutschland nur bei knapp 40 Prozent – wir importieren also mehr als die Hälfte aus dem Ausland. Bei unserem Lieblingsgemüse, den Tomaten, sieht es besonders finster aus: von den 30 Kilogramm, die jede:r Deutsche pro Jahr konsumiert, stammen nur 3,5 Prozent aus heimischem Anbau. Aktuelle Zahlen zum importierten Bio-Anteil bei Tomaten, Paprika und Co. fehlen.

Klimabilanz im Winter

Doch in Sachen Klimabilanz wurde in den letzten Jahren viel gerechnet. So ermittelte das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, dass die CO2-Emissionen für deutsche Wintertomaten aus einem beheizten Gewächshaus mit fast 3000 Gramm pro Kilogramm rund zehnmal höher sind als bei saisonalen Tomaten, die hierzulande von Juli bis September geerntet werden. Besser sieht es trotz Transportemissionen bei Tomaten aus Südeuropa aus. Sie bringen es auf 400 bis 600 Gramm CO2 je Kilogramm. Würde das Gewächshaus hierzulande mit erneuerbaren Energien geheizt, sähe die Bilanz der deutschen Wintertomate sicher besser aus. Doch dazu findet sich kein Hinweis am Produkt. Immerhin: Bio-Verbandsware gibt es noch bis in den November. Erst danach muss ich entscheiden, ob ich zur Import-Bio-Tomate greife – oder ob ich im Winter einfach mal auf frische Tomaten verzichte.

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