Umwelt

Was ist eine Schwammstadt?

Starkregen und Hitze in Städten nehmen zu. Wie klimafester Städtebau aussehen kann.

Juhu! Wasser marsch! Während die Kinder vor Freude quietschen, schauen die Erwachsenen gebannt auf das Wasser, das aus zwei Feuerwehrschläuchen auf den Quartiersplatz sprudelt: Nimmt es den vorgesehenen Lauf oder flutet es die Anlage? Dieses Wasserfest stieg 2022 im Hannoveraner Neubaugebiet Herzkamp, es war zugleich ein Experiment: Hält das Konzept Schwammstadt, was es verspricht? Der Quartiersplatz steht beispielhaft für eine innovative, klimasensible Baukultur, denn die mittig gelegene „multifunktionale Fläche“ ist Grünanlage, Versickerungsmulde und Spielplatz in einem. Die Siedlung Herzkamp gilt als Meilenstein. Die Erfahrungen von Projektteam und Bewohner:innen sind inzwischen als „Klimawohl-Prinzip“ Vorbild für andere Kommunen.

Schwammstadt ist eine blau-grüne Lösung

Schwammstadt ist der entschiedene Schritt zurück zur Natur. Das Ziel: Wasserkreisläufe so gestalten wie im Wald oder auf einer Wiese. Das Klimawohl-Prinzip ist gelungen, weil es genau das tut und die Natur in allen Facetten mitgedacht hat. Es gibt dort Igelwege, die für die Frischluftzufuhr der Stadt so wichtige Kaltluftschneise wurde nicht zugebaut und der Waldsaum durch einen Wall aus Erdaushub geschützt. Die Erde stammte von der Bodenabtragung, mit der vor dem Bau der Siedlung das Gelände leicht geneigt wurde. So lässt sich die Fließrichtung des Regenwassers steuern. Projektleiterin Elisabeth Czorny spricht von „wassersensiblem Bauen“ und nennt weitere Punkte: „Die Dächer sind begrünt, können also viel Wasser speichern. Sind sie gesättigt, geht das Wasser über Fallrohre und Rinnen in dezentrale Versickerungsmulden, wo es in den Boden versickern und über die Bepflanzung verdunsten kann.“ Können auch diese nichts mehr aufnehmen, fließt das Wasser weiter zu größeren Notüberlaufflächen am Waldrand. Dadurch braucht man hier auch bei Starkregen keine Regenwasserkanalisation mehr.

Bäume gehören zur Schwammstadt dazu

Weiterer Schlüsselfaktor für klimafeste Städte sind gesunde Stadtbäume. Sie sind Luft- und Lärmfilter, spenden Schatten, Sauerstoff und Kühle. Aber nur, wenn sie Platz für ihre Wurzeln haben, sonst können sie keine großen Kronen entwickeln und mickern. Auf der Suche nach Wasser und Nährstoffen beschädigen sie dann oft Leitungen und heben den Asphalt. Mit dem Konzept Schwammstadt geht es ihnen gleich besser, denn unter der Wegdecke bekommen sie „Rigolen“, das sind wasserspeichernde, durchwurzelbare Bereiche. Das Rezept: Grober Schotter bildet die Basis, in die Hohlräume wird eine Mischung aus Schluff – so nennt man feinkörniges, verwittertes Gestein –, Sand, Dünger, Kompost und Kohle gefüllt. Sandanteile sorgen für Durchlüftung, Schluff für die Wasserversorgung. Geht auch bei Altbäumen.

Bei Hitze, der anderen Seite der Medaille, senkt all das die Temperatur gleich um ein paar Grad. Je größer die Stadt, desto erstrebenswerter. Denn: Je mehr Verdunstung, umso kühler wird es und umso wahrscheinlicher ist Wolkenbildung und Regen, sagt die Physik.

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Warum die Kanalisation Wasser verschwendet

Was sich so schlicht anhört, erfordert eine Umkehr im Bauen und Denken. Bis vor ein paar Jahren setzte man noch auf Versickerung oder leitete Regenwasser gleich in die Kanalisation. Pure Verschwendung, denn weg ist weg. Außerdem laufen bei Starkregen herkömmliche Systeme sehr schnell über. Zum einen schießt das Wasser aus den Gullys auf Straßen und in Keller. Zum anderen ergießt sich das Kanalwasser noch zusätzlich in die Bäche und Flüsse. Erst durch heftige Regenereignisse wie 2014 hat man den Fehler erkannt.

Bei Neubaugebieten wie dem Herzkamp lässt sich das Schwammstadt-Konzept direkt planen, dichtbebaute Städte wie Berlin oder die Region Ruhrgebiet müssen nachrüsten, um lebenswert zu bleiben. Landauf, landab wird mit einem Mix aus Schwamm-Maßnahmen experimentiert, um besser mit Regen umzugehen.

Im Sommer, wenn sich alle einen Regenguss wünschen, zieht er oft an den Häuserburgen vorbei. Warum eigentlich? Unsere Städte sind Hitzefänger. Geprägt von engen Gebäudeschluchten, großen Glasflächen und dunklen Fassadenfarben nehmen sie reichlich Wärme auf. Nachts können sich die Gebäude nicht abkühlen, sondern strahlen sich gegenseitig die Wärme zu. Jedes Gebäude ist eine kleine Wärmeglocke, an die keine kühle Luft rankommt – alle zusammen bilden sie eine große. Dieser Effekt wird „Urban Heat“ genannt. Was er bewirkt, erklärt der Offenbacher Ingenieur Lutz Weiler so: „Wolken, die auf diese Wärmeglocke treffen, teilen sich und vereinigen sich hinter der Stadt wieder. „Dann steigen sie turmartig nach oben und es kommt zu Gewittern mit extremen Niederschlägen.“

Klimafitte Stadt: Reflektieren statt Aufheizen

Wie zur Krönung sind viele Flach- und Satteldächer auch noch mit schwarzen Dachbahnen belegt. Brennt da die Sonne drauf, brutzelt es sich auf gut 80 Grad auf. Das reicht für ein Spiegelei. Weiler empfiehlt bei Vorträgen und in Workshops: „Reflektieren statt Aufheizen.“ So sei es möglich, einen Teil der Wärme gar nicht erst entstehen zu lassen. Er erklärt es mit Beispielen aus der Natur: „Die Zugspitze reflektiert 80 Prozent der Sonneneinstrahlung, ein Sandstrand 25 Prozent – eine asphaltierte Straße dagegen nur zehn und ein dunkles Dach sogar nur noch fünf Prozent. Der Rest wird in langwellige Infrarotstrahlen umgewandelt und bildet Wärme.“ Nun könne man Städte und Straßen schlecht abreißen und neu bauen, also bräuchten wir hellere und durchlässigere Straßen, die wie ein Feld funktionieren – und hellere Dächer, die wie Gletscher funktionieren.

Als Straßenbauunternehmer macht er sich diese Gedanken schon länger. Und hat einen hellen, grobkörnigen Asphalt entwickelt, der Wasser durchlässt und trotzdem belastbar ist. Gerade lässt er ihn patentieren. Für Dächer, die keine Begrünung tragen können, oder für Schulhöfe hat Weiler eine supersimple Lösung: helle, UV-reflektierende Farben.

3 Tipps zum Selbermachen

Alle können zur Schwammstadt beitragen – wir haben drei Ideen für euch:

  1. Regendieb: Auslaufklappen in Regenfallrohren anbringen, um das Regenwasser für Garten oder Balkon zu sammeln. Das entlastet sowohl Kanalisation als auch den Trinkwasserverbrauch für Gießwasser. Wer zur Miete wohnt, muss den Vermieter um Erlaubnis fragen – vielleicht hat der noch gar nicht dran gedacht?
  2. Hausfassade und Dach oder Garagen, Zäune oder Mülleinhausungen begrünen. Für solche Projekte gibt es Zuschüsse.
  3. Hinterhof, Parkplatz oder Vorgarten entsiegeln und bepflanzen. Begrünte Gitterpflasterung etwa gibt dem Wasser Raum und Möglichkeit zu versickern, mit Wildpflanzen eingesät ist die Fläche dann sogar ein Plus für Insekten. Wer den Vorgarten bepflanzt, kühlt den Eingangsbereich.

Immer mehr Städte arbeiten derzeit an ihrer Schwammkompetenz. Meerane etwa, eine Stadt mit 14.500 Einwohner:innen in Sachsen, durch die ein munterer Bach fließt, ist ebenfalls durch das Hochwasser 2014 auf den Schwamm gekommen. Die Kleinstadt war früher von Textil-, später von Autoindustrie geprägt, ehe alles dichtgemacht wurde und jahrelang brach lag. Bis EU-Fördermittel ermöglichten, Altlasten abzutragen und die Gelände neu zu gestalten. Aber wie? Trotz hartnäckiger Nachfrage von Investoren wurden zwei Areale komplett aus der Bebauung genommen. Eines für den Hochwasserschutz sogar eingezäunt. Dort gibt es heute ein begrüntes Rückhaltebecken, das Starkregenwasser aus dem Bach aufnehmen kann, bevor er die Stadt flutet.

„Jeder versiegelte Platz bringt Probleme mit sich.“

Johannes Selinger, Bodenbündnis

Nützlich ist das Prinzip auch für kleinere Städte oder Landkommunen, sagt etwa Johannes Selinger vom Bodenbündnis. Der Biologe berät Stadtplaner und weiß: „Jeder versiegelte Platz in einer Kommune bringt Probleme mit sich, ob auf dem Land oder in der Stadt. Und der Bodenverbrauch ist immer noch grotesk hoch, sodass wir – neben dem Bodenschutz – dringend auch das Entsiegelungspotenzial in Gemeinden nützen müssen!“ Wo es hapert: Bisher sind Stadtplaner auf den guten Willen von Bauunternehmern angewiesen. Alle befragten Planer wünschten sich klarere Ansagen aus dem Bauministerium – einen Doppelwumms für die klimaresiliente Bauwende.

Interview: „Uns bremst die Klimademenz“

Andreas Giga

Als Leiter der „Zukunftsinitiative Klima.Werk“ setzt Andreas Giga sich für einen klimaresilienten Umbau im Ruhrgebiet ein und vernetzt 16 Kommunen und den Wasserwirtschaftsverband. www.klima-werk.de

Herr Giga, Sie leiten ein Leuchtturmprojekt – was ist Ihre größte Herausforderung?

Gemeinsam mit allen Akteuren wollen wir das Prinzip Schwammstadt für die gesamte Region umsetzen. Maßnahmen wie Fassaden- oder Dachbegrünung, Entsiegelungen oder Schaffung offener Wasserflächen sind bereits an vielen Stellen realisiert. Weitere Ideen sind in Planung. Was uns bremst, ist vor allem eine immer wiederkehrende Hürde: die „Klimademenz“.

Wie bitte?

Wir Menschen wollen uns nur dann bewegen, wenn es genug Handlungsdruck gibt. In Sachen Klima also im Sommer, wenn wir extreme Wetterfolgen wie Starkregen, Hitze oder Dürre haben. Sobald es Herbst wird, ist die Notwendigkeit für Veränderungen schnell wieder vergessen. Unsere wichtigste Aufgabe ist daher, die Klimasensibilität hochzuhalten.

Was können Bürger:innen beitragen?

Es wäre schön, wenn sich alle diesem Thema öffnen und es nicht blockieren, etwa wenn die Stadtverwaltung einen Parkplatz durch einen Baum ersetzen will. Konkret kann man Baumpatenschaften übernehmen oder sich an Interessengemeinschaften beteiligen. Beispiel „Gießkannenheld:innen“ in Essen: Dort haben wir mehr als 350 Tanks aufgestellt, die jeweils einen Kubikmeter Regenwasser sammeln können. Das lässt sich dann abzapfen, um eigenes Grün oder Straßenbäume zu gießen.

Was ist Ihr nächstes Ziel?

Eine neue Denkweise anstoßen. Viele Menschen fühlen sich für die Anpassung an den Klimawandel selbst noch nicht verantwortlich, sondern überlassen das lieber anderen. Die Bereitschaft, sich fürs Klima zu engagieren ist zwar gestiegen, aber noch herrscht die Erwartung: Stadt oder Land seien zuständig. Wenn wir weiter in Städten leben wollen, müssen wir sie gemeinsam klimafest machen.

Mehr zum Thema

www.klimabuendnis.de; www.bodenbuendnis.org
Netzwerke zum Umgang mit der Klimakrise
www.gebaeudegruen.info
Beispiele, Anleitungen, Infos über Förderungen
www.klimawohl.net
Infos zum Projekt in Hannover
https://wassertanke.org
Ideen für Wasserspeicher

Buchtipp
Scheub, Ute; Schwarzer, Stefan:
Aufbäumen gegen die Dürre. Wie uns die Natur helfen kann, den Wassernotstand zu beenden. Oekom Verlag, 272 S., 25 €

Veröffentlicht am

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