Umwelt

Dieses Klima macht krank

Deutschland wird heißer. Wie das unser Leben verändert, beschreiben Nick Reimer und Toralf Staud in ihrem neuesten Buch. Ein Auszug.

Karlsruhe, 9. August 2003. Das Thermometer klettert auf 40,2 Grad Celsius. Seit Tagen ächzen weite Teile Westeuropas unter einer heftigen Hitzewelle, in Deutschland sind vor allem der Oberrhein und Gegenden in Bayern betroffen. Freiburg zum Beispiel verzeichnet im August 2003 eine Durchschnittstemperatur von 25,5 Grad – mehr als das nordafrikanische Algier. Bei derartiger Hitze wird das Leben schnell unerträglich, vor allem in Städten.

Am 12. August meldet die Chefin eines Karlsruher Altenpflegeheims dem örtlichen Gesundheitsamt eine Häufung ihr rätselhafter Todesfälle: Gemeinsames Merkmal sind plötzliches Fieber, in manchen Fällen bis über 42,5 Grad Celsius, außerdem eine Austrocknung des Körpers. Fast ein Fünftel der 160 Bewohnerinnen und Bewohner ist betroffen. Antibiotika und fiebersenkende Mittel schlagen nicht an. Ärzte und Pflegepersonal sind ratlos. Haben sie es mit einer bis dato unbekannten Infektionskrankheit zu tun?

Rekord: 40,2 Grad Celsius

Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin wird informiert. Dort laufen ähnliche Meldungen aus sieben weiteren Landkreisen in vier Bundesländern ein. Das RKI veröffentlicht daraufhin in seinem wöchentlichen Epidemiologischen Bulletin eine Warnmeldung. […] Vier Wochen nach der ersten Warnmeldung erscheint schließlich das Ergebnis einer Untersuchung. Ein genauer Blick auf die Daten der Wetterstation Karlsruhe und der Vergleich mit einer Kontrollgruppe nicht erkrankter Heimbewohner aus denselben oder aus Nachbarzimmern hatte die Spezialisten irgendwann auf die richtige Spur gebracht: Die meisten Patienten waren am 10. August gestorben, also dem Tag nach dem Temperaturrekord von 40,2 Grad Celsius. Und die meisten von ihnen waren bettlägerig. Sie hatten also nicht der Hitze in ihrem Zimmer entkommen und mal zum Beispiel auf einen kühleren Flur gehen können. Zudem hatten besorgte Pflegekräfte die vermeintlich fiebernden Patienten offenbar noch extra zugedeckt – und so unwissentlich die Todesgefahr sogar verschärft. Im Rückblick wirkt es fast unglaublich: Wie gefährlich Hitze sein kann, war damals niemandem bewusst. Schätzungsweise 7600 Menschen starben in jenem Jahr in Deutschland an der Extremhitze, europaweit forderte der Sommer 2003 rund 70.000 Todesopfer. […]

Gefährdet bei körperlicher Arbeit und Sport

Auch gesunde und jüngere Menschen sind durch Hitze gefährdet, vor allem bei körperlicher Arbeit oder Sport. Wie schnell selbst Hochleistungsathleten an körperliche Grenzen kommen, konnte man im Herbst 2019 live im Fernsehen sehen: Bei der Leichtathletik-WM in Katar kollabierten nacheinander 28 Marathonläuferinnen, mehr als ein Drittel des gesamten Starterfeldes (dabei herrschten „nur“ 32,7 Grad Celsius, allerdings bei 73,3 Prozent Luftfeuchte). Im Hitzesommer 2018 berichteten Ärzte aus deutschen Krankenhäusern, dass immer wieder Jogger eingeliefert wurden, die die Wärme unter- und sich selbst überschätzt hatten. Man kann hoffen, dass sich bis Mitte des Jahrhunderts herumgesprochen hat, dass Sport in der Sommerglut keine so gute Idee ist. […]

Was uns erwartet: Auswirkungen der Klimakrise

  • Starkregen, Sturzfluten und Überschwemmungen wird es wesentlich häufiger geben als bisher. Einen dramatischen Vorgeschmack darauf bot Mitte Juli das Hochwasser in der Eifel, in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Bayern.
  • Zugleich werden Dürren zunehmen, Wasser wird zum umkämpften Gut. Die Folgen von Missernten und Fluchtbewegungen werden uns treffen.
  • Die Klimakrise wird sich u.a. auf Verkehr, Wirtschaft und Politik auswirken. Deutschland wird 2050 in vielerlei Hinsicht ein anderes Land sein. Ob die Veränderungen beherrschbar bleiben, haben wir noch in der Hand – durch eine drastische Senkung des CO₂-Ausstoßes.

Wie Waldbrände und Sommersmog uns krank machen

Gegen viele Risiken des Klimawandels kann man – in Maßen – etwas tun: Man kann sein Leben umstellen, bestimmte Orte meiden, Krankheitsüberträger bekämpfen. Bei vielen anderen Gesundheitsgefahren des Klimawandels jedoch ist man praktisch wehrlos: Waldbrände etwa werden in Deutschland zunehmen. Zahlreiche Studien zeigen, dass durch deren Qualm in der Umgebung Lungen-, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Todesfälle zunehmen. […]

Heißere Sommer begünstigen die Bildung von Sommersmog, Studien zufolge könnte der Klimawandel allein auf diese Weise jährlich viele Tausend zusätzliche Tote in Europa verursachen. Doch zumindest indirekt kann man gegen Sommersmog etwas tun: Ein Umstieg auf Elektromobilität und erneuerbare Energien führt dazu, dass weniger Vorläufersubstanzen wie Stickoxide oder Feinstaub frei werden – und trotz heißerer Sommer, so lassen Studien hoffen, insgesamt doch nicht viel mehr Ozon entsteht als heute. Beim Sommersmog zeigt sich deutlich: Klimaschutzmaßnahmen wie der Abschied vom Verbrennungsmotor oder auch das Abschalten von Kohlekraftwerken senken nicht nur den Ausstoß von Treibhausgasen, sondern verringern auch Krankheitsrisiken.

Wie der planetare Notfall unsere Arbeit an Lösungen voranbringt

Im Klartext: Was gut fürs Klima ist, nützt oft zugleich der Gesundheit. Dies gelte auch in vielen anderen Bereichen, betont Charité-Professorin Sabine Gabrysch. Für das Problem der Erderhitzung findet sie deutliche Worte: „Wir haben es hier nicht mit einer leichten Grippe zu tun, wie manche vielleicht meinen, sondern mit einem planetaren medizinischen Notfall. Die Klimakrise ist ein Thema, das erste Priorität haben muss.“ Doch, sagt sie, sie wolle sich nicht nur „mit den furchtbaren Auswirkungen des Klimawandels befassen“ – sondern „mehr an den Lösungen arbeiten“. Es gebe reihenweise „Win-win-Lösungen“, betont sie.

Ökologischere Anbaumethoden seien sowohl klimaschonender als auch gesünder. Weniger Fleisch zu essen vermeide Treibhausgasemissionen ebenso wie Gesundheitsgefahren. Und die Städte: „Wenn wir die fahrrad- und fußgängerfreundlicher machen, mit mehr Grünflächen und gutem Nahverkehr, blasen wir nicht nur weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre – wir haben gleichzeitig sauberere Luft, bewegen uns mehr, haben weniger Atemwegserkrankungen, weniger Übergewicht, weniger
Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten“, so Gabrysch. „Städte wie Amsterdam oder Kopenhagen zeigen, wie moderne Metropolen bewegungs-, umwelt-, klima- und menschenfreundlich gestaltet werden können. Klimaschutz ist eine Riesenherausforderung, aber auch eine Riesenchance.“

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