Umwelt

Öko-Landbau: Wie Mulch den Boden stärkt

Böden, Gemüse und Klima stärken? Das schaffen die Öko-Bundespreisträger live2give im Westerwald mit ihrem Anbaukonzept. Sylvia Meise hat ihnen über die Schulter geschaut.

Als die Sommerhitze 2022 selbst Asphalt zum Schmelzen brachte, prangten auf dem Dickendorfer Gemüsehof die Salate in sattem Grün. Doch das Geheimnis des properen Anblicks lautete nicht etwa Wasser, sondern Mulch – so nennt man unverrottetes Pflanzenmaterial. Die Dickendorfer decken damit alle ihre Felder ab. Warum sie das machen, erklärt Gemüsebauer Johannes Storch unermüdlich durch Videos oder live auf dem Acker. Er kennt das Konzept in- und auswendig, schließlich hat er es entwickelt. Noch als Student kam ihm die Idee, als ein extrem feuchter Winter den live2give-Bauern die Erde wegschwemmte. Ist zehn Jahre her. Mulch als Schutz wurde zur Gegenstrategie.

Storch bückt sich und zieht die Streu auseinander, die den Boden sommers wie winters bedeckt wie eine angewachsene Matte. Die lehmige Erde darunter war auch im Juli locker und krümelig, nicht hart und festgebacken wie andernorts. Er deutet auf die vielen feinen Wurzeln. Würmer und kleinere Bodenlebewesen sind zu sehen. „Da springt einem das Leben ins Gesicht“, sagt er und betont: „Eigentlich geht es nicht in erster Linie um den Mulch, sondern um die Bodengesundheit. Mulch ist nur das Werkzeug.“

So wird Mulch aufs Feld gebracht

Und so funktioniert es: Wenn gesät oder gepflanzt wird, öffnen eigens entwickelte Maschinen die Streumatte. Samen oder Setzlinge fallen in diesen Schlitz, der danach von zwei schrägstehenden Rädern wieder zusammengedrückt wird. Prinzip Reißverschluss. Nach seiner Sichtweise ist das ganze Prinzip Mulchen „nur abgeguckt“. In der Natur sei Boden immer dauerhaft durchwurzelt und bedeckt. „Wenn wir sehen, verstehen und anwenden, sind wir gegen alles gewappnet. Der Klimawandel ist von Extremen geprägt, aber die Natur hat bereits Mechanismen entwickelt, um Extreme abzupuffern.“ Das muntere Wintergemüse, sogar der Salat im Sommer strahlen pure Bestätigung aus.

Mulch in der Fruchtfolge

Wie alle Bio-Betriebe pflanzen sie auch in Dickendorf die Feldfrüchte nach dem bodenschonenden Fruchtfolge-Modell: Gemüsesorten, die viel Nährstoffe brauchen wie Zucchini oder Porree, wechseln sich dabei mit weniger hungrigen Pflanzen wie Rote Bete ab sowie mit Hülsenfrüchten, die den Boden sogar mit Nährstoffen anreichern.

Die live2give-Gemüsebauern haben sich für einen siebenjährigen Zyklus entschieden. Allerdings mit einer Besonderheit: Zwei Jahre sind für Pflanzen reserviert, die Mulch bilden. Im Herbst wird dafür eine Mischung gesät, die unter anderem Wicke und Roggen enthält. So wird der Boden begrünt und damit zugleich die Bodenlebewesen über Winter ernährt. Außerdem friert die Erde nicht so leicht durch, man kann früher säen. Im Frühjahr mäht und zerschneidet eine spezielle Maschine die Pflanzen und streut das Schnittgut direkt wieder aufs Feld. Im Sommer trocknet der Acker nicht aus. Das große Plus: Das Gemüse braucht kaum Wasser und Dünger. Insgesamt ist es gesünder, weil in der Mulchschicht sowie in den Hecken und zwischen den Feldern gepflanzten Baumreihen Nützlinge Lebensraum finden.

Traditionell steht der Westerwald nicht für gute und fruchtbare Böden, im Gegenteil. Trotzdem ernten die Dickendorfer eine große Palette an Sorten, von Auberginen über Fenchel und Rote Bete bis Zucchini. Und alles gedeiht prächtig. Die fünfköpfige Jury des Öko-Landbau-Bundespreises war beeindruckt und wählte dieses Team 2022 für eine der drei Auszeichnungen aus.

Bundespreis Ökologischer Landbau

Mut, innovative Ideen und vorbildliche Konzepte – damit überzeugten die Gewinner des Bundeswettbewerbs Ökologischer Landbau 2022 die Jury. Ausgezeichnete Arbeit leisten:

  • De Öko Melkburen GmbH mit den Betrieben Ferienhof Hans Möller, Hof Achim Bock und Hof Heino Dwinger Lentföhrden, Schleswig-Holstein,
  • die Biohof Bursch GmbH & Co. KG in Bornheim-Waldorf, Nordrhein-Westfalen und
  • die gemeinnützige live2give GmbH in Dickendorf, Rheinland-Pfalz.

Mit ihren pfiffigen Ideen sind alle drei Vorbilder. Die prämierten Betriebe lenken damit nicht nur besondere Aufmerksamkeit auf sich, sondern auf den ökologischen Landbau insgesamt. Der Preis ist eine Anerkennung auch für diese Leuchtturmarbeit. Jeder Hof erhielt 7500 Euro.

Übers ganze Jahr hinweg kommen Interessierte, um sich das Prinzip Mulch vorführen zu lassen. Stolz führt der Jungbauer sie dann etwa zu den Zwiebeln, die hier so dicht stehen, wie sonst nur im konventionellen Anbau und sagt: „Das geht nur, weil wir nicht hacken und jäten müssen. Durch die Mulchdecke kommen auch die Ackerunkräuter kaum hoch.“ Johannes Storch spricht von „intensiver Landwirtschaft, dank Mulch.“ Wie bitte? Intensiv? Passt denn das zu Bio?

Seine Tante Uta Dura, Geschäftsführerin der Gemeinschaft, erklärt: „Intensiv bedeutet bei uns nicht ‚auf Kosten‘, intensiv bedeutet bei uns „in Zusammenarbeit mit“. Das sei wie in einer Ehe: „Wenn man in einer Ehe fifty-fifty macht, ist es halt auch nur fifty-fifty. Aber wenn jeder alles gibt …“ Dann sind offenbar reichlich Feldfrüchte drin. Johannes Storch erklärt: „Was wir in den wirtschaftlichen Geschäftsbereichen lernen, geben wir in Form von Bildung weiter. Deswegen nennen wir uns auch ‚live2give‘.“ „Gegeben“ wird zum einen per Video, zum anderen bei den Feldtagen im Spätsommer. Zu diesen Hoftagen kommen Interessierte aus vielen europäischen Ländern wie etwa der Schweiz, Tschechien oder Österreich. Der schlaksige Bauer freut sich über den Erfolg: „Wir sind jetzt bekannt wie ein bunter Hund wegen dem Mulch.“

Buntes Leben bei live2give

Pflanzliche Vollwertkost ist Schwerpunkt von live2give. Deswegen haben sie mit Gemüseanbau angefangen, eine eigene Bäckerei und weitere Manufakturen gegründet, in denen Leinöl, Suppen, Pizzen oder Eis entstehen. Gerade haben zwei Mitarbeiter verlockend lilarotes Beereneis produziert. Direkt nebenan steht die Waffeleisen-Maschine. Damit werden im Sommer Waffeltüten für den Eisverkauf im Hofladen gebacken. Ein Ungetüm. Johannes Storch erzählt, wie sie nach einem Gerät der passenden Größe gesucht haben: „Dann haben wir endlich über Bekannte diese hier gefunden. Sie kommt ursprünglich aus China …“

Die Hofgemeinschaft besteht aus 40 Mitarbeitenden, darunter die gesamte Familie Storch. Johannes‘ Bruder Reinhard etwa ist für den Laden verantwortlich und pflegt die Kontakte zu den Partnerbetrieben in Spanien oder Ghana, von denen sie etwa weiße Auberginen, Avocados oder Mangos beziehen. Im Sommer werden die roten und gelben Pfirsiche aus Katalonien gerne als Blickfang genutzt. 2022 jedoch hatte der spanische Partnerbetrieb mit den indirekten Folgen des Klimawandels zu kämpfen, erzählt Reinhard Storch: „Durch die Waldbrände waren die Wildschweine auf Nahrungssuche – und haben die Pfirsiche unseres Bauern gefressen.“

Mulchen als Exportschlager

Vielleicht wäre das Mulch-Konzept auch was für die Spanier? „Auf jeden Fall“, sagt Reinhard Storch. Doch dafür müsse man umdenken und auch einiges umstellen. Sein Bruder Johannes betont: „Das ist nicht wie ein Pflug, den man kauft, dranhängt und los geht’s. Das ist ein System, das muss erfahren werden.“ Das Team pflanzt deshalb für 25 Betriebe in Österreich, Italien, der Schweiz, Frankreich und in den Niederlanden gegen Lohn. Vor allem Versuchsstandorte nutzen das Angebot.

Interview: Wie gut ist der Öko-Landbau für den Klimawandel gerüstet?

Thomas Döring

Der Professor für Agrarökologie und Organischer Landbau an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn über Landwirtschaft mit Zukunft und was den Acker krisenfest macht

Stichwort Klimawandel: Wie gut ist der Öko-Landbau aufgestellt?

Was Treibhausgase betrifft, ist der Öko-Landbau gut aufgestellt, da er durch seine Form der Tierhaltung und des Landbaus weniger CO2-Emissionen ausstößt. In den Bereichen Klimaanpassung und Bodenbearbeitung dagegen gibt es noch Luft nach oben. Jede Art von Bodenbearbeitung – etwa beim Entfernen von Beikräutern – führt dazu, dass der Boden stärker belüftet und Humus abgebaut wird. Das setzt CO2 frei und schwächt die Bodenfruchtbarkeit. Auch für die Klimaanpassung brauchen wir alternative Anbaumethoden.

Was meinen Sie mit Klimaanpassung?
Das Mulchen etwa ist ein guter Ansatz, da es unerwünschte Pflanzen im Wachstum hemmt, den Boden nährt und die Verdunstung reduziert. Der Öko-Landbau braucht jedoch auch eine Antwort auf die immer weniger vorhersehbaren Witterungsbedingungen. Dafür könnte er noch mehr auf Mischkultursysteme setzen.

Indem man verschiedene Pflanzenarten kombiniert?
Ja, Arten oder Sorten. Wir testen gerade Mischungen verschiedener Weizensorten. Da sie unterschiedlich empfindlich sind, mindern Mischungen das Risiko eines Ausfalls und schützen auch vor Pilzkrankheiten. Das Problem ist der Markt. Viele Backbetriebe fürchten, solche Weizenmischungen hätten nicht die erforderlichen Back-Eigenschaften. Hier ist noch Überzeugungsarbeit nötig.

Und wenn die Bauern nur noch Pflanzen anbauen, die mit Hitze umgehen können?
Hirse, Kichererbsen oder andere Kulturarten aus dem Süden wären nur ein Teil der Lösung. Die Witterungsbedingungen sind einfach sehr unberechenbar. Deshalb sollten wir versuchen, die Risiken im Anbau auch durch größere Vielfalt abzumildern.

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Kommentare

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Monika Kluge

Leider ist es mir bisher nicht gelungen die Münchner Krautgärten "betreut" vom Gut Riem zu einer sinnvollen Bodenbearbeitung zu bewegen. Der Acker ist lediglich Anfang November umgepflügt worden - eventuell partiell noch geeggt - und liegt dann bis kurz vor Saisonbeginn Ende April/Anfang Mai brach. Dadurch ist der Boden natürlich ausgelaugt. Jeder Krautgärtner düngt dann irgendwie in seiner Weise. Die Einsaaten von Gut Riem kommen sozusagen nur in den verkrauteten und ausgelaugten Boden. Da die Saatmaschinen seit Jahren defekt sind entstehen auch viele Saatlücken. Z.B. brauchen dadurch die Karotten nicht vereinzelt zu werden. - Schreiben an das Gut Riem und an die für die Krautgärten zuständige Mitarbeiterin bleiben unbeantwortet. Dafür gibt es dann während der Saison regelmäßig Briefe, wir sollen doch das Unkraut entfernen, da es sonst mit seinen Samenständen die Kulturpflanzen beim Wachsen behindert.
- Es ist wirklich traurig, wie der Acker seit Jahren (nach Personalwechsel) an Bio-Qualität verliert. - Für Hinweise, was ich noch unternehmen kann bin ich dankbar.
- Viele Grüße, Monika Kluge

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