In der Bio-Bäckerei von Ludwig Neulinger in München ist die Welt noch in Ordnung. Dass immer mehr Bäcker aufgeben und unser Brot zunehmend aus Backfabriken kommt, dass die Deutschen am liebsten Toastbrot essen und manche ganz auf Brot verzichten, davon spürt man in Neulingers Backstube wenig. Das Geschäft von Neulinger, das gleichzeitig Backstube und Café ist, wirkt hip und trotzdem bodenständig. Hier kaufen Menschen auf dem Weg zur Arbeit genauso wie Familien ein: Brot, Brötchen, Baguette und Co. gehen täglich über den Tresen.
Zwei Gesellen schießen gerade Weizen-Mischbrote in den 230 Grad warmen Etagen-Ofen ein. Der Duft von frisch gebackenem Brot liegt in der Luft. Ein Konditormeister schiebt Regalwägen mit Zitronenkuchen vorbei. Neulinger zeigt auf einen Teigbottich, in dem der Sauerteig schlummert und auf seinen nächsten Auftritt wartet, wenn um Mitternacht die neue Schicht startet.
Brotbacken: Ein traditionelles Handwerk
Das Brot backt der 63-Jährige mit dem alten, handwerklichen Wissen seiner Eltern, die in Niederbayern eine Bäckerei hielten. Seine Bäckerei, die in der Nähe der Münchner Großmarkthalle liegt, bietet 19 Brot- und 15 Semmelsorten, darunter viele Vollkornvarianten, etwa Dinkelschrotbrot, Saatenbrot oder Allgäuer Körnerseelen. Altes Brot wird bei ihm zu Bröseln vermahlen und wieder in den Teig gemengt. „Es wird heute so viel Brot weggeworfen, wir haben die Wertschätzung verloren“, so Neulinger.
Darum ist Deutsches Brot Kulturerbe
Tatsächlich gebühren Brot und Backwaren mehr Aufmerksamkeit, schließlich hat es unseren Vorfahren vielfach die Existenz gesichert, erste Fladen wurden bereits vor rund 14 000 Jahren gebacken. Bis heute kennen so gut wie alle Kulturen Brot als Grundnahrungsmittel. Im Verlauf der Jahrhunderte wurden effizientere Mühlen entwickelt und die Backverfahren verfeinert, es entstanden immer mehr unterschiedliche Brotspezialitäten, in Deutschland sind es heute rund 3000, 18 Prozent davon sind Vollkornbrote.
„Das ist so bemerkenswert, dass die deutsche Brotkultur 2014 in das Verzeichnis `Immaterielles Kulturerbe´ der deutschen UNESCO-Kommission aufgenommen wurde“, sagt Heiko Zentgraf von der Vereinigung Getreide-, Markt- und Ernährungsforschung (GMF). Unter den Brotsorten finden sich reine Weizen- oder Roggenbrote, Mischbrote, Mehrkornbrote, Toastbrot, Knäckebrot sowie Spezialbrote, darunter Mais-, Eiweiß- oder glutenfreies Brot. Je nach Tradition kommen Gewürze wie Kümmel und Koriander in den Teig, auch Samen wie Sesam oder Kürbiskerne sind beliebte Zutaten für köstlichen Brotteig.
Mahlen nach Zahlen
550 oder 1050?
Jedes Mehl enthält eine sogenannte Typenbezeichnung. Je höher die Mehl-Type, desto mehr gesunde Nährstoffe stecken am Ende im Teig und im Brot drin.
Ist Vollkornbrot wirklich gesünder als helles Brot?
Lange galt weißes Mehl als fein, während Vollkorn nur das arme Volk satt machte. Heute raten Ernährungsexperten, Vollkorn zu bevorzugen (siehe Interview weiter unten). Laut dem deutschen Lebensmittelbuch muss „Vollkornbrot“ mindestens 90 Prozent Vollkornmehl oder -schrot enthalten. Dafür werden die ganzen Körner – also nicht nur der Mehlkörper, sondern auch Schale und Keimling – gemahlen. Mineralstoffe wie Eisen, Zink oder Magnesium befinden sich fast ausschließlich in Schale und Keimling. Das ganze Korn liefert zudem B-Vitamine, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Im Mehlkörper und damit in den hellen Typen finden sich überwiegend Kohlenhydrate und Eiweiß, Mineral- und Ballaststoffe dagegen nur in geringeren Mengen. Darum gilt Vollkornbrot als wesentlich gesünder als Toast, Baguette und Brötchen aus Weißmehl.
Der Deutschen liebstes Brot ist dennoch Toastbrot. Im Jahr 2022 lag der Anteil an den Einkäufen der privaten Haushalte bei fast 30 Prozent. Das am zweitmeisten gekaufte Brot war Mischbrot, Vollkornbrot macht nur neun Prozent aus. Zwar sind wir damit trotzdem in Europa Spitzenreiter, was die Liebe zu Vollkorn anbelangt. Doch auch bei uns ist Brot generell durch die Low-Carb-Bewegung und die zunehmende Zahl an Unverträglichkeiten in Verruf geraten. Obwohl es sich ideal für vegetarische Rezepte und köstliche Brotzeiten eignet.
Was ist dran am bösen Gluten und verrufenen Fodmaps?
In Brot sollen Gluten oder sogenannte Fodmaps zu einer schlechteren Bekömmlichkeit vor allem von Weizen führen. Fodmaps sind bestimmte Kohlenhydrate, die im Dickdarm von Mikroben zersetzt werden. Was etwa bei Reizdarm zu Beschwerden führen kann. Doch Studien zeigen, dass wahrscheinlich nicht das Getreide schuld ist. Es scheint vielmehr wichtig, wie lange ein Teig Zeit bekommt, zu reifen. Bei Neulinger „gehen“ alle Teigsorten, egal ob Sauer- oder Hefeteig mindestens 24 Stunden. So werden Gluten oder auch die Fodmaps verringert. Zudem profitiert der Geschmack, wenn die Sauerteigbakterien oder die Backhefen genügend Zeit erhalten, in der sie aus den getreideeigenen Zuckern neben Kohlendioxid auch Aromastoffe bilden.
Während Vollkorn intensiver im Geschmack ist als Weißmehl, unterscheiden sich auch die verschiedenen Getreidearten im Geschmack. „Dinkel und Emmer haben einen eher nussigeren Geschmack. Emmer liefert Bitterstoffe, im Vergleich dazu schmecken Weizenvollkornbrote milder. Roggenbrot ist dagegen säuerlich“, erklärt Brotsommelier Sebastian Brücklmaier.
Interview: „Lange Teigführung ist wichtig für die Verdaulichkeit"
Warum ist ein Vollkornbrot gesünder als ein Weißbrot?
Das ganze Getreidekorn liefert mehr Mineralstoffe, Vitamine sowie Ballaststoffe. Ballaststoffe wirken sich gut auf die Darmflora und die Verdauung allgemein aus. Der Cholesterinspiegel wird gesenkt, was sich positiv auf das Herzkreislaufsystem auswirkt. Und der Blutzuckerspiegel und damit verbunden das Hormon Insulin steigt durch Vollkorn nur langsam an, dadurch sinkt das Diabetes-Risiko.
Wie sollte man vorgehen, wenn man mehr Vollkorn essen möchte?
Man sollte langsam umstellen und am Anfang besser fein vermahlenes Vollkornbrot essen, denn bei empfindlichen Personen kann grobkörniges Vollkornbrot zu Beschwerden führen. Dinkelbrot ist oft bekömmlicher als Weizen oder Roggen. Aber auch eine lange Teigführung ist wichtig für die Verdaulichkeit.
Wie erkennt man ein Vollkornbrot?
Wenn „Vollkorn“ auf der Verpackung oder auch auf der Bezeichnung von loser Ware angegeben ist, dann ist es auch ein echtes Vollkornbrot. Ein dunkles Aussehen, das durch Malz entstehen kann, ein paar Körner oben drauf oder Fantasienamen wie „Vitalbrot“ machen noch kein Vollkornbrot.
Was sind die Vorteile von Bio-Brot?
Bio-Brot wird häufiger traditionell gebacken und es stecken weniger Backzusätze im Brot. Generell sind diese zwar getestet und ungefährlich für den menschlichen Verzehr. Dennoch gibt es zunehmend Hinweise, dass etwa Emulgatoren die Darmflora beeinflussen und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen verschlechtern. Insgesamt ist Bio-Ware auch weniger mit Pestiziden oder anderen Rückständen belastet. Rückstände sind zwar in Maßen unproblematisch, aber sollten trotzdem minimiert werden.
Viele kleine Bäckereien müssen schließen
Leider schließen immer mehr Bäcker ihre Läden, während Industriebetriebe expandieren. In Deutschland gab es bis in die 1980er-Jahre rund 55 000 Betriebe, 2022 waren es nur noch knapp 10 000. „Es ist viel Wissen verloren gegangen mit dem Einzug der Industriebäckereien in den 70er-Jahren“, sagt Bäckermeister Neulinger. „In manchen Großbäckereien werden Backmischungen oder Sauerteig-Pulver verwendet.“ Um die Teigreifung zu beschleunigen, kommen auch zahlreiche Zusatzstoffe zum Einsatz, darunter Enzyme, Emulgatoren, modifizierte Stärke oder Malz.
Welche Vorteile bietet Bio-Brot?
Viele Bio-Bäcker vertrauen beim Brotbacken auf ihr Handwerk und verzichten auf Zusatzstoffe, denn für ein gutes Brot braucht es eigentlich nur Mehl, Wasser und Salz. Auch durch den Verzicht auf Pestizide im Öko-Landbau hat das Bio-Brot einen klaren gesundheitlichen Vorteil. Ein weiteres Argument für Bio-Brot: Regionalität. Ludwig Neulinger bezieht sein Mehl von der Münchner Hofbräumühle sowie von der Erzeugergemeinschaft Kornkreis, in der sich rund 50 Landwirte aus Bayern und Baden-Württemberg zusammenschlossen. Sie vermarkten ihr Getreide regional. Seit einigen Jahren haben auch Amaranth oder Quinoa in die Backstuben Einzug gehalten. „Es gibt immer mehr Spezialwünsche von den Kundinnen und Kunden“, bestätigt auch Neulinger. „Aber diese erfüllen wir gerne.“
Nun hat wahrscheinlich nicht jeder eine Bio-Bäckerei direkt vor der Haustüre. Doch das ist kein Problem. Eine große Auswahl an frischen und abgepackten Brot- und Vollkornbrot-Spezialitäten bieten Bio-Läden – und davon gibt es deutschlandweit rund 2200. Viele von ihnen kooperieren mit regionalen Bio-Bäckereien. In München beliefert etwa die Fritz Mühlenbäckerei seit 1990 verschiedene Bio-Läden. In Berliner Bio-Läden und -Supermärkten findet man Brot unter anderem von der Bio-Bäckerei Beumer&Lutum und im Rhein-Main-Gebiet vom Bio-Kaiser.
So hältst du dein Brot frisch und knusprig
In der Kunststoffdose
In Plastikdosen werden Backwaren schnell weich, da die im Brot enthaltene Stärke das gebundene Wasser abgibt und nicht vom Plastik aufgenommen wird. Die knusprige Kruste ist damit dahin.
Im Tontopf
Er ist die beste Wahl, denn der Tontopf nimmt das Wasser des Brotes zum Teil auf und speichert es. Alternativ eignet sich eine beschichtete Bäckertüte zum Frischhalten. Sollte das Brot dennoch etwas trockener werden, rät Brotsommelier Sebastian Brücklmaier dazu, die Scheiben leicht anzutoasten.
Im Kühlschrank
Schützt zwar besser vor Schimmelbildung, doch durch die niedrige Temperatur wird die Kruste schnell weich und die Krume, also das weiche Brotinnere, trocken.
Nützliche Links zum Weiterlesen
Bio-Bäckerei Ludwig Neulinger:
Baeckerei-Neulinger | Traditionelles-Bio-Backhandwerk-in-München
Rund um die Kunst und Geschichte des Backens:
www.baeckerhandwerk.de
Infos zu Getreide- und Ernährungsforschung:
www.gmf-info.de
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