- Stickstoffdünger: Wer zahlt, wenn Nitrat ins Trinkwasser sickert?
- Was sind externe Kosten?
- Warum Stickstoffdünger ein gutes Beispiel für externe Kosten ist
- Weshalb Pestizide und Antibiotika externe Kosten verursachen
- Industrielle Tierhaltung verursacht Milliardenschäden
- Darum verursacht Bio-Landwirtschaft deutlich weniger Kosten
- True Cost: Diese Maßnahmen können helfen
- Interview: „Wir brauchen eine Agrarwende“
Das war mal wieder ein günstiger Einkauf: 99 Cent für 100 g Tilsiter, 1 Euro 50 Cent für sechs Bratwürste, der Liter Vollmilch für 59 Cent ... Der Einkaufswagen ist voll und es hat gerade einmal 30 Euro gekostet.
Stickstoffdünger: Wer zahlt, wenn Nitrat ins Trinkwasser sickert?
Doch auf dem Kassenzettel stehen längst nicht alle Kosten, die bei der Herstellung dieser Lebensmittel angefallen sind. Wer zahlt, wenn aus überdüngten Wiesen Nitrat ins Trinkwasser sickert? Wer zahlt, wenn Pestizide Menschen krank machen? Wenn Treibhausgase aus der Landwirtschaft das Klima anheizen? Wir alle zahlen dafür. Denn diese Kosten finden sich in unserer Wasserrechnung wieder, in unseren Krankenkassenbeiträgen und den Steuern, die der Staat braucht, um Hochwasseropfern zu helfen oder höhere Dämme zu bauen. Wir alle zahlen, auch dann, wenn wir diese billigen Lebensmittel gar nicht kaufen.
Was sind externe Kosten?
Externe Kosten nennen das die Experten und meinen damit Kosten, die nicht von denen getragen werden, die sie verursachen. Eigentlich wäre es gerecht, wenn die Käufer dieser Lebensmittel die Schäden gleich auf dem Kassenzettel in Rechnung gestellt bekämen. Doch das ist gar nicht so einfach. Nur wenige Schäden lassen sich gut beziffern, andere müsste man grob abschätzen und viele treffen nicht uns, sondern unsere Kinder und Enkel in 20 oder 30 Jahren.
True Cost Accounting
True Cost Accounting bezieht die bei der Produktion eines Produktes verursachten gesamtgesellschaftlichen Kosten mit ein. Bei der Herstellung von Lebensmitteln sind das zum Beispiel Kosten, die für die Entfernung von Nitrat aus dem Grundwasser anfallen.
Warum Stickstoffdünger ein gutes Beispiel für externe Kosten ist
Deutlich wird das zum Beispiel an den Nitraten im Grundwasser. Egal ob Weizen, Kartoffeln oder Mais: Pflanzen brauchen Stickstoff, um zu wachsen. Damit sie genug davon bekommen, fahren die Landwirte stickstoffhaltige Gülle, Gärreste aus der Biogasanlage und Kunstdünger auf ihre Wiesen und Äcker. Doch so viel Stickstoff können die Pflanzen gar nicht aufnehmen. Ein Teil davon sickert als Nitrat in den Boden und hinab ins Grundwasser. Im vieh- und damit güllereichen Niedersachsen ist bereits jedes dritte oberflächennahe Grundwasservorkommen belastet. Und irgendwann trifft es auch die tiefergelegenen Brunnen.
2,2 Millionen Euro für den Schutz des Grundwassers
Aus solchen Tiefbrunnen versorgt etwa der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) über 900 000 Menschen im Nordwesten Deutschlands mit Trinkwasser. „Noch ist es sauber und die Qualität gut“, sagt Gunnar Meister, der Pressesprecher des OOWV. Damit es so bleibt, investiert der Verband jedes Jahr 2,2 Millionen Euro in den vorbeugenden Grundwasserschutz, etwa indem er Flächen in Wasserschutzgebieten erwirbt und unter strengen Auflagen verpachtet. Sollte das Nitrat aber in die Tiefbrunnen durchbrechen, werde es richtig teuer, erklärt Meister.
So teuer könnte die Reinigung des Grundwassers werden
In einem solchen Fall muss ein Wasserversorger unbelastetes Grundwasser von weit her holen oder das Nitrat technisch aus dem Grundwasser entfernen. In manchen Gemeinden Deutschlands ist das schon passiert. „Im Extremfall könnte das pro Kubikmeter Wasser rund einen Euro mehr auf der Wasserrechnung bedeuten“, rechnet Maria Krautzberger vor, die Präsidentin des Umweltbundesamtes. Der Bund für Umwelt und Naturschutz spricht von Kosten zwischen acht und 25 Milliarden Euro jährlich, die auf die Verbraucher auf jeden Fall zukommen. Denn das Nitrat ist schon im Boden und wird jeden Tag mehr.
Das französische Umweltministerium hat die künftigen Wasserreinigungskosten auf die landwirtschaftliche Fläche umgerechnet und kommt auf 800 bis 2400 Euro je Hektar und Jahr. Auf einem Hektar Weizenfeld erntet ein Landwirt rund acht Tonnen Weizen, für den er 1600 Euro bekommt. Das zeigt: Eigentlich müsste der Weizen doppelt so teuer sein, nur damit die künftige Wasserreinigung bezahlt werden kann.
Kolumne: Der Fluch der ehrlichen Preise
Lebensmittel mit den negativsten Auswirkungen auf die Umwelt sind am billigsten. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit, schreibt Fred Grimm in seiner Kolumne „Der Fluch der ehrlichen Preise“.
Weshalb Pestizide und Antibiotika externe Kosten verursachen
Pestizide bedrohen Vielfalt
Doch die Belastung des Grundwassers mit Nitrat ist nur ein Posten, der nicht auf dem Kassenzettel mit konventionellen Lebensmitteln steht. Josef Tumbrinck ist Vorsitzender des Naturschutzbundes Nordrhein-Westfalen. Seit 1989 bestimmt sein Verband zusammen mit den Insektenforschern des Entomologischen Vereins Krefeld die Menge der Fluginsekten in NRW. „Unsere Beobachtungen sind beängstigend“, sagt er. In den letzten 15 Jahren sei die Menge um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. „Wenn uns die Fluginsekten fehlen, gerät die gesamte Nahrungskette in Gefahr: Blumen und Bäume werden nicht mehr bestäubt und Mauerseglern und Schwalben fehlt die Nahrungsgrundlage“, beschreibt Tumbrinck die Folgen.
Bedroht von Pestiziden und intensiver Landwirtschaft sind nicht nur Insekten, sondern auch Feldhamster und Rebhuhn, Kornblume und Rittersporn, insgesamt Hunderte von Tier- und Pflanzenarten. Das Umweltbundesamt formuliert es so: „Mit der Intensivierung im Pflanzenbau und der Industrialisierung in der Tierhaltung zählt die Landwirtschaft heute zu den treibenden Kräften für den Verlust an biologischer Vielfalt.“ Das Artensterben hat viele Auswirkungen, auch ökonomischer Art. Auf dem Kassenzettel sind diese Kosten allerdings Fehlanzeige.
Externe Kosten: Was ist ein Vogel wert?
- Wir leben mit der Natur und wir freuen uns an ihr. Diese Freude lässt sich schlecht in Euro ausdrücken, sie ist – so wie die Natur selbst – ein Wert an sich. Der Systemforscher Frederic Vester hat es trotzdem versucht und den Wert eines Blaukehlchens mit 154 Euro errechnet. Mit dieser provokanten Idee hat er 1983 Furore gemacht.
- Vester bewertete nicht nur, dass der Vogel Samen verbreitet und Insekten vertilgt. Er setzte für „Ohrenschmaus und Augenweide eines Vogels durch Farben-, Formen- und Gesangsvielfalt und durch die Eleganz des Fluges“ einen Wert von fünf Cent je Tag an. Das war der damalige Preis für eine Valium-Beruhigungstablette .
Pestizide machen krank
Zahlreiche Spritzgifte wirken beim Menschen krebserregend, sie können das Erbgut schädigen oder haben hormonelle Wirkungen. Hinzu kommen akute Vergiftungen, etwa wenn der Wind die Pestizide beim Ausbringen in benachbarte Siedlungen weht. Noch häufiger sind Vergiftungen dort, wo Landarbeiter und Kleinbauern ohne Schutzkleidung mit Pestiziden hantieren. Die Weltgesundheitsorganisation ging schon 1990 von 25 Millionen Vergiftungsfällen und 20 000 Toten jährlich aus. Schweizer Wissenschaftler geben die jährlichen Gesundheitsschäden aus dem Pestizideinsatz in der Schweiz mit 22 bis 72 Millionen Euro an und bezeichnen das ausdrücklich als Mindestschätzung. Umgerechnet auf Deutschland wären das 300 Millionen bis eine Milliarde Euro.
Antibiotika aus der Tierhaltung verursachen resistente Keime
Um die Gesundheit geht es auch bei antibiotika-resistenten Keimen, die aus Mastställen über Abluft oder Gülle in die Umwelt gelangen können. Das Bundesgesundheitsministerium geht von insgesamt 40 000 bis 60 000 Patienten aus, die sich jedes Jahr mit multiresistenten Keimen wie MRSA infizieren – und von bis zu 1500 Toten. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts stammen bundesweit zwei Prozent der MRSA aus der Landwirtschaft. Weitaus höher ist ihr Anteil in den Hochburgen der Schweinemast. Dort kann er bis zu einem Fünftel betragen. Jeder Patient verursacht Kosten von 3 000 bis 20 000 Euro, schätzen die Universitäten Twente und Münster.
Industrielle Tierhaltung verursacht Milliardenschäden
Die Landwirtschaft heizt auch dem Klima ordentlich ein. Sie sei in Deutschland für 11 bis 14 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, schreibt die Umweltorganisation WWF. Ein Teil davon entfällt auf das klimaschädliche Lachgas, das freigesetzt wird, wenn Landwirte zu viel düngen. Die Produktion von Kunstdünger und Pestiziden verbraucht zudem reichlich Energie und trägt damit ebenfalls zum Treibhauseffekt bei. Ebenso das Methan, das die Kühe rülpsen, und die Sojafelder Südamerikas, auf denen das Futter für unsere Tiere wächst. Denn die Viehhalter, die einst diese Flächen bewirtschafteten, wurden verdrängt – und holzen jetzt Regenwald für neue Viehweiden ab. Die Welternährungsorganisation FAO rechnet damit, dass jede Tonne freigesetztes Kohlendioxid Schäden von rund 100 Euro verursachen wird. Das wären bezogen auf die deutsche Landwirtschaft sechs bis zwölf Milliarden Euro – jährlich. Auch wenn diese Milliarden erst in einigen Jahren beglichen werden müssen, verursacht wurde der Schaden jetzt. Durch die Herstellung der Lebensmittel, die wir jetzt essen.
Darum verursacht Bio-Landwirtschaft deutlich weniger Kosten
Auch der ökologische Landbau verursacht externe Kosten – allerdings weit weniger als die konventionelle Landwirtschaft. Zahlreiche Studien belegen, dass Bio-Bauern das Grundwasser schützen, die Artenvielfalt fördern und in ihren Böden überschüssiges Kohlendioxid binden und so das Klima entlasten. Trotz dieser Leistungen zahlen die Kunden für Bio-Lebensmittel mehr als für konventionelle. Weil der Öko-Landbau nicht Höchsterträge um jeden Preis liefert und eine umweltverträgliche Landwirtschaft mehr Arbeit macht. Und weil die externen Kosten nicht auf der Rechnung stehen.
True Cost: Diese Maßnahmen können helfen
„Preise für Lebensmittel müssen die Wahrheit sprechen und alle Kosten widerspiegeln, die bei der Produktion anfallen“, fordert Felix zu Löwenstein, der Präsident des Bio-Dachverbands BÖLW. Nur dann hätten nachhaltig hergestellte Lebensmittel eine Chance im Wettbewerb. Doch die aufgelisteten externen Kosten auf ein Kilogramm Kartoffeln umzurechnen und auf den Kassenzettel zu schreiben, ist kompliziert. Ein einfacheres Instrument wäre es, Pestizide zu verteuern, indem auf jedes Kilogramm Wirkstoff eine Abgabe erhoben wird. Je giftiger, desto höher.
Dänemark macht das bereits so. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hat 2015 ein Konzept für eine solche Abgabe vorgelegt. Auch das Umweltbundesamt hat sich dafür ausgesprochen. Andere schlagen eine Abgabe auf Stickstoffdünger oder einen günstigeren Mehrwertsteuersatz für Bio-Lebensmittel vor. Doch die Bundesregierung lehnt solche Maßnahmen bisher ab. Noch ist der politische Druck scheinbar nicht groß genug.
Bio: gut fürs Trinkwasser
Bio-Bauern verzichten auf Kunstdünger und synthetische Pestizide. Sie halten weniger Tiere pro Fläche und bringen
deshalb weniger Gülle aus.
„Also müssen wir mehr Menschen über die Kosten informieren, die nicht auf dem Kassenbon stehen“, dachte sich Volkert Engelsman. Der Geschäftsführer des niederländischen Bio-Obst- und -Gemüsehändlers Eosta hat Anfang 2016 die Kampagne „Was unser Essen wirklich kostet“ gestartet. Dazu hat er eine Berechnungsmethode der Welternährungsorganisation FAO auf einige der Eosta-Lieferanten angewandt. „Viele Daten hatten wir bereits von unseren Nachhaltigkeits-Assessments, die wir alle zwei Jahre machen.“ Um die externen Kosten der Bio-Produktion vergleichen zu können, überzeugte er konventionelle Betriebe aus deren Nachbarschaft, mitzumachen. „Wir wollten reale Daten von realen Betrieben.“ Die Vergleiche, etwa für Äpfel, Birnen, Ananas und Orangen, hat Eosta auf der Webseite veröffentlicht und erklärt. Egal ob Treibhausgase, Boden oder Wasser betrachtet wurden – der Öko-Anbau schnitt immer besser ab als der konventionelle. So erspart ein Hektar Bio-Tomatenanbau unseren Enkeln künftige Klimaschäden in Höhe von 60 000 Euro – und das jedes Jahr.
Interview: „Wir brauchen eine Agrarwende“
Martin Weyand ist Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft und damit oberster Interessenvertreter der deutschen Wasserversorger.
Kann man Wasser aus dem Hahn trinken, ohne Angst vor Nitrat haben zu müssen?
Ja.
Die Wasserwerke stellen sicher, dass die Grenzwerte eingehalten werden.
Ist ein Brunnen belastet, wird sein Wasser mit wenig belas-tetem Wasser
gemischt. Geht das irgendwann nicht mehr, müsste das Werk neue Brunnen
bohren. Die teuerste Maßnahme bei großflächigen Verschmutzungen wäre der
Bau einer Anlage, die den Stickstoff aus dem Wasser holt. Aber das
Problem ist, dass durch solche Maßnahmen die Verschmutzung nicht
aufhört, sie geht weiter.
Die Regierung will mit einer strengeren Düngeverordnung gegensteuern. Reicht das?
Was
dort vorgesehen ist, reicht nicht aus. Wir brauchen sofort die
Hoftorbilanz, bei der die Landwirte genau Buch führen, wie viel
Stickstoff sie erzeugen oder einkaufen und wie viel sie auf welche
Felder ausbringen. Und wir brauchen weitergehende Maßnahmen für
betroffene Gebiete. Wo die Gefahr besteht, dass Nitrat-Grenzwerte im
Grundwasser überschritten werden, muss automatisch ein Düngeverbot
gelten.
Ist der Bio-Landbau eine Alternative?
Viele
Wasserwerke fördern Projekte des ökologischen Landbaus. Mittelbar
erreichen wir dadurch nicht nur eine Verringerung der Nitratbelastung.
Auch andere Verschmutzungen etwa durch Pestizide oder Tierarzneimittel
werden minimiert. Die Agrarindustrie mit ihrer Verschmutzung des Bodens
ist kein nachhaltiges System. Wir brauchen eine Agrarwende.
Und wie kommen wir dahin?
Wir wollen die Kosten
der Agrarindustrie transparent machen und erreichen, dass es keine
Zuschüsse mehr für eine umweltverschmutzende Landwirtschaft gibt. Die
ganze Agrarförderung muss umgestellt werden hin zu einer ökologischen
Bewirtschaftung.
Modell des Bio-Großhändlers Eosta, um die wahren Kosten von Obst und Gemüse deutlich zu machen.
Naturkapital: Das Portal zeigt, welche Leistungen die Natur erbringt und was sie wert sind.
Film (englisch) über die wahren Kosten unserer Kleider.Buchtipps:
Engelsman Volkert; Geier Bernward (Hrsg.): Die Preise lügen. Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen. oekom Verlag 2018, 168 Seiten, 16 Euro
Hansjürgens Bernd; Lienhoop Nele: Was uns die Natur wert ist. Potenziale ökonomischer Bewertung. Metropolis-Verlag 2015, 153 Seiten, 24,80 Euro
Sukhdev Pavan: Corporation 2020. Warum wir Wirtschaft neu denken müssen. E-Book, Oekom Verlag 2016, 296 Seiten, 15,99 Euro
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.