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Antibiotika-Gefahr aus dem Stall

Ohne den Einsatz von Antibiotika funktioniert Massentierhaltung nicht. Doch die Erreger passen sich an und bedrohen längst auch die menschliche Gesundheit.

Als bei dem westfälischen Landwirt Bernd T. im vergangenen Jahr ein Abszess diagnostiziert wurde, war das anfangs noch kein Grund zur Sorge. Solche Entzündungen gehören für Ärzte wie vom Uniklinikum Münster zur Routinearbeit. Zuerst wird der Abszess gespalten, dann gereinigt und zum Schluss mit Antibiotika behandelt. Doch die Entzündung wollte einfach nicht heilen. Aus einer kleinen Stelle war so eine lebensbedrohliche Situation geworden. Kein Einzelfall. Denn was die Münsteraner bei Bernd T. feststellten, betrifft immer mehr Menschen aus der Landwirtschaft, die wegen Verletzungen oder Entzündungen medizinisch behandelt werden müssen: „Im Wundabstrich zeigte sich ein MRSA“, erzählte die verantwortliche Ärztin dem WDR. MRSA sind Methicillin-resistente Bakterien vom Typ Staphylococcus aureus. Es sind multiresistente Keime, die mit den meisten Antibiotika nicht mehr bekämpft werden können. Doch Bernd T. hatte mehr Glück als viele andere Patienten: Das Reserveantibiotikum Vancomycin schlug noch an.

Was die Massentierhaltung damit zu tun hat

Der Landwirt hatte sich in seinem Schweinestall infiziert. Das passiert immer öfter, denn die Intensivtierhaltung befördert die Bildung von resistenten Keimen. Mehr als 90 Prozent aller Mastputen erhalten Antibiotika, in einigen Fällen sogar bis zu 21 Mal. Das zeigte 2013 eine Studie des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen. Bei Masthähnchen ist die Lage kaum besser: Sie erhalten an zehn Tagen ihres knapp fünfwöchigen Lebens Antibiotika, Schweine werden in ihrer 115-tägigen Mast an durchschnittlich vier Tagen behandelt, ermittelten das Bundesinstitut für Risikobewertung, die Tierärztliche Hochschule Hannover und die Uni Leipzig.

„Massentierhaltung funktioniert nur mit hohem und regelmäßigem Antibiotikaeinsatz. Diese Dauerbehandlung ist ein klarer Hinweis auf Missstände bei der Haltung“, sagt Gerald Wehde, Leiter Agrarpolitik beim ökologischen Anbauverband Bioland. Die betroffenen Puten können sich am Ende der Mastzeit oft nicht mehr auf den Beinen halten, leiden an Entzündungen der Fußballen und kommen kaum noch an Futter und Wasser heran. Stress erhöht die Krankheitsanfälligkeit, denn die Tiere leben in der konventionellen Haltung mit Tausenden Artgenossen auf engstem Raum. Infektionen sind da vorprogrammiert. Oft erhält gleich der gesamte Bestand im Stall die Antibiotika mit dem Futter oder dem Trinkwasser.

Das Fatale daran: Bei der Behandlung ganzer Bestände überleben immer einige resistente Erreger. Befreit von Konkurrenz vermehren sie sich ungehindert, einige übertragen ihre Resistenz-Gene später sogar auf bis dahin harmlose Bakterien. MRSA, der wohl bekannteste resistente Keim, stammt zwar ursprünglich vom Menschen, ist aber irgendwann auf Schweine und Geflügel „übergesprungen“ und in einem Umfeld voller Antibiotika weiter mutiert. Experten nennen ihn LA-MRSA, für „livestock associated“ – von Nutztieren stammend. Besiedeln solche Keime erneut Menschen, sind sie gefährlicher als zuvor.

Diese Lebensmittel können mit resistenten Keimen belastet sein

Doch nicht nur MRSA-Keime verändern sich: Im Januar 2014 wurden erstmals in drei Schweine-Mastanlagen und einem Geflügelbetrieb E.coli-Bakterien entdeckt, die selbst schon gegen Reserveantibiotika resistent sind. Diese Medikamente sind in der Humanmedizin dazu da, Leben zu retten, wenn andere Mittel nicht mehr helfen. Die jüngste Hiobsbotschaft verbreitete im Februar die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA): Immer mehr der verbreiteten, bakteriellen Erreger Campylobacter und Salmonellen, die Durchfallerkrankungen verursachen, sind inzwischen unempfindlich gegen Antibiotika – oft gegen mehrere Wirkstoffe. Und beide Bakterienstämme finden sich häufig auf Lebensmitteln. Die neuen resistenten Salmonellen wurden in einer europaweiten Untersuchung in rund 73 Prozent der Puten-, 56 Prozent der Hähnchen- und etwa 38 Prozent der Schweinefleisch-Proben gefunden.

Eine Stichprobe des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Januar zeigte, dass multiresistente Keime immer öfter außerhalb des Stalls auftauchen. Von den untersuchten Putenfleischproben waren knapp 74 Prozent mit MRSA-Keimen und rund 53 Prozent mit ESBL-bildenden Bakterien besiedelt. ESBL („extended spectrum beta-lactamase“) ist die Fähigkeit von Bakterien, Enzyme zu entwickeln, die sogar neuere Antibiotika unwirksam machen. Dies ist besonders gefährlich, da diese Fähigkeit auf andere Keime übertragbar ist. „Die Belastung weist darauf hin, dass in der Haltung, in der Schlachtung und bei den Transporten grobe Fehler gemacht werden“, sagte BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning. Dazu zählt, dass die Tiere keinen Auslauf haben, keine Sitzstangen, keine Frischluft und keine Beschäftigungsmöglichkeiten.

Kommen resistente Keime auch in Bio-Ställen vor?

Anders als in der konventionellen Landwirtschaft, sind die Herdengrößen in der ökologischen Tierhaltung kleiner, was den Stress unter den Tieren reduziert. Außerdem achten Bios auf eine bedarfsgerechte Versorgung mit Nährstoffen, wodurch das Immunsystem bei Puten, Hühnern und Schweinen gestärkt wird. Die Mühe zahlt sich aus: In einer Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover wurden bei 92 Prozent der konventionell gehaltenen Schweine resistente MRSA-Keime gefunden, allerdings nur bei 26 Prozent der ökologisch bewirtschafteten Schweinebestände. Dass überhaupt resistente Erreger in Bio-Ställen zu finden sind, mag angesichts der Bemühungen der Öko-Bauern zunächst stutzig machen. Doch wäre es zu kurz gedacht, nur darauf zu schauen, wo die Keime gefunden werden. Die entscheidende Frage ist, wo sie herkommen.

Und es gibt viele Orte, an denen sich die ökologische und die konventionelle Landwirtschaft überschneiden. „Die Behandlung mit Antibiotika ist in der konventionellen Landwirtschaft so weit verbreitet, dass Einträge von Rückständen in der gesamten Verarbeitungskette möglich sind, auch über die Luft“, sagt Gerald Wehde von Bioland. Beispielsweise können Keime von mit Gülle gedüngten Feldern auf die Weiden oder durch die Lüftungen in die Ställe der Bio-Landwirte gelangen.

Ein anderer Weg, wie sich resistente Keime verbreiten, sind Tiertransporte. Nicht selten werden für den Transport von konventionell und ökologisch gehaltenen Tieren die gleichen Fahrzeuge benutzt. Aber auch in Schlachthöfen, wo oft die unterschiedlichen aufgezogenen Tiere gleichermaßen geschlachtet werden, können die Keime auf Bio-Fleisch übergehen. Fazit: „Ein Nachweis auf Bio-Fleisch bedeutet also nicht, dass Antibiotika eingesetzt worden sind“, sagt Wehde.

Kann Gemüse mit resistenten Keimen belastet sein?

In den Niederlanden etwa wurden sowohl MRSA und ESBL-bildende Keime in der Abluft von großen Tiermastanlagen gefunden, sogar noch in einem Kilometer Entfernung. Filteranlagen sind hier nur begrenzt wirksam. Auch Feldfrüchte sind somit gefährdet, zudem zusätzlich oft mit keimhaltiger Gülle gedüngt wird. Resistente Bakterien wurden schon auf Sprossen, Salat, Tomaten, Gurken und Kartoffeln nachgewiesen, vor allem, wenn noch Erde anhaftet.

So viel Antibiotika wird in der Tierhaltung eingesetzt?

Noch bis vor vier Jahren wusste niemand genau, wie viel Antibiotika in der Tierhaltung überhaupt eingesetzt werden. Erst seit 2011 verpflichtet das Arzneimittelgesetz Pharma-Unternehmen und Großhändler dazu, die Mengen zu melden, die sie an Tierärzte abgeben. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit waren es 2013 etwa 1450 Tonnen Antibiotika. Und Rinder-, Schweine- und Geflügelmäster müssen seit dem vergangenen Jahr melden, welche und wie viel Antibiotika sie ihren Tieren geben. Zwar sinkt seit einigen Jahren die Menge der verabreichten Antibiotika in der Landwirtschaft, gleichzeitig aber hat die Abgabe von Reserveantibiotika mit einem Zuwachs von bis zu 60 Prozent hierzulande deutlich zugenommen.

Wie die Politik das Antibiotika-Problem in den Griff bekommen will

In Niedersachsen zieht die Politik nun Konsequenzen. Nicht zuletzt, weil dort die meisten Tiere gemästet werden. Nicht weniger als 40 Prozent der bundesweit gelieferten Jahresmenge an Antibiotika für die Tiermedizin wurden noch 2013 von niedersächsischen Tierärzten geordert. Damit soll jetzt Schluss sein. Bis 2020 soll der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast halbiert werden. Um das zu schaffen, tauschen sich Vertreter des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit den Niederlanden und Dänemark aus.

In diesen Ländern werden bereits erste Erfolge im Kampf gegen die überbordende Abgabe von Antibiotika in der Tierhaltung erzielt. So konnte Dänemark mit Hilfe seines Kontrollsystems 2011 den Antibiotikaeinsatz um bis zu 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr reduzieren. Seit 2012 dürfen außerdem nur noch einzelne erkrankte Tiere behandelt werden, nicht mehr vorsorglich der gesamte Bestand. Auf ein Kilogramm Lebendgewicht werden weniger als 50 Milligramm Antibiotika verabreicht – in deutschen Mastbetrieben sind es vier Mal mehr. Anfang Januar verkündete Danish Crow, der größte Fleischverarbeiter in Europa, dass er die Produktion von Schweinefleisch in fünf Betrieben ganz ohne Antibiotika testen will. In den Niederlanden hingegen geht man mit einem umfassenden Herden-Management das Problem an der Wurzel an. Außerdem wird dort die Ausbreitung von resistenten Keimen durch Screenings bereits bei der Aufnahme von Patienten ins Krankenhaus und mithilfe von konsequenter Krankenhaushygiene vermieden.

Resistente Keime: So beugen Bio-Landwirte vor

  • Naturheilmittel und Homöopathie kommen in Bio-Ställen zum Einsatz, wenn ein Tier krank ist. Antibiotika werden einzelnen Tieren nur in Ausnahmefällen gegeben.
  • Mehr als dreimal im Jahr Antibiotika – mehr darf einem Tier im Bio-Stall nicht gegeben werden. Geschieht das doch, darf es nicht mehr als Bio vermarktet werden.
  • Puten und Masthähnchen, also Tiere mit einer Lebensdauer von weniger als einem Jahr, dürfen sogar nur einmal mit Antibiotika behandelt werden.

In Niedersachsen sollen nun 25 neue Antibiotika-Kontrolleure im Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) für die Umsetzung des Antibiotika-Minimierungskonzepts sorgen und Daten aus den Mastbetrieben prüfen. Noch bis 31. Juli müssen alle Betriebe, die bundesweit zu den 25 Prozent mit dem höchsten Antibiotikaverbrauch zählen, einen Maßnahmenplan erstellen und beim LAVES einreichen.

Und auf Bundesebene? Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt kündigte im März an, alle in der Landwirtschaft genutzten Antibiotika überprüfen zu lassen. Verbote seien nicht ausgeschlossen, sagte Schmidt nach der vergangenen Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern. Daneben wird sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Antibiotikaresistenzen auseinander setzen müssen – das Thema steht auf der Tagesordnung des G7-Gipfels im Juni auf Schloss Elmau.

Interview: „Das Problem wird weltweit unlösbar“

Alexander W. Friedrich ist Professor für Medizinische Mikrobiologie an der Reichsuniversität Groningen. Er fordert, dass Human- und Tiermedizin mehr in Vorsorge investieren sollten, um die Ausbreitung resistenter Keime zu verhindern.

Herr Friedrich, Sie warnen vor einer „post-antibiotischen Zeit“. Warum?
Die Ausbreitung von MRSA-Erregern konnten wir zwar stoppen, aber jetzt sind multiresistente Erreger auf dem Vormarsch. Wenn wir nicht umdenken bei der Tierhaltung und bei der Krankenhaushygiene nicht die Vorsorge fördern, wird das Problem weltweit unlösbar. Bisher gut zu behandelnde Infektionen wie Lungenentzündung oder Blutvergiftung könnten in 30 Jahren für mehr zusätzliche Todesfälle verantwortlich sein als Tumorerkrankungen.

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft bei der Bildung resistenter Keime?
Alle haben einen Anteil – Humanmedizin, Tiermedizin und Landwirtschaft. Das kann keiner allein lösen. Wo mehr Menschen oder Tiere erkranken, werden auch Antibiotika eingesetzt. Die Frage lautet doch: Wie viele Tiere in einem Stall bekommen eine Infektion und warum? Es ist unverzeihbar, dass wir Infektionen behandeln müssen, die vermeidbar sind. Die Landwirtschaft könnte solche Infektionen durch alternative Haltungsformen verhindern.

Warum reagieren die Niederlande entschlossener?
Die Niederlande hängen stark vom Fleischexport ab. Die industrialisierte Landwirtschaft hat dies erkannt und sagt: Wir müssen so nachhaltig wie möglich produzieren. Bis 2009 waren die Niederlande noch das Land mit dem höchsten Antibiotika-Einsatz in der Landwirtschaft. Der Einsatz ist mittlerweile um bis zu 50 Prozent reduziert.

Sollten Reserveantibiotika in der Landwirtschaft verboten werden?
Reserveantibiotika brauche ich manchmal, um Tierleben zu retten. Ohne gründliche Diagnose sollten Tierärzte Reserveantibiotika aber auf keinen Fall verabreichen.

Mehr zum Thema Antibiotika

Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung informiert über seine Strategie gegen unsachgemäßen Antibiotika-Einsatz in der Landwirtschaft und gegen Resistenzen.

Auf der Seite von "Ärzte gegen Massentierhaltung" befindet sich ein Positionspapier gegen Massentierhaltung, für einen sinnvollen Einsatz von Antibiotika und gegen den systemimmanenten Einsatz von Antibiotika in der agrarindustriellen Tierhaltung.

Busse, Tanja: Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können. Karl Blessing Verlag 2015, 288 Seiten, 16,99 Euro

Altmann-Brewe, Jutta/Altmann, Johan: Dokumentation Massentierhaltung. Isensee Verlag 2014, 124 Seiten, 12,80 Euro

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