Umwelt

Arktis weg – na und?

Das Schmelzen der Arktis bedroht Mensch, Tier und Natur. Wir malen Bilder einer Zukunft, die schon bald Realität werden könnte – wenn wir jetzt nicht handeln.

Von wegen ewiges Eis! Wir schreiben das Jahr 2100. Das gesamte Meereis ist weg. Und die Arktis ist dem Untergang geweiht. Dabei hatten uns die Wissenschaftler gewarnt: bereits im Jahr 2020 hatten sie das Erreichen des sogenannten Kipppunktes verkündet, ab dem auch der drei Kilometer dicke Eispanzer Grönlands nicht mehr zu retten war. Doch wir Menschen verstanden die Zusammenhänge nicht. Was sind schon 1,5 Grad Erderwärmung und wen kümmert das Eis im hohen Norden?, dachten wir. Die Arktis, das war doch a) weit weg, und b) gab es da ohnehin nur Eis und Schnee in dieser kalten, unwirtlichen Gegend!

Ihr zuliebe weniger fliegen, Auto fahren, heizen und konsumieren? Nein danke! – Wie falsch dieses Denken war, wird uns jetzt erst bewusst, wo es zu spät ist. Weil wir nicht bereit waren, unsere Lebensgewohnheiten zugunsten des Klimas radikal zu ändern, wurde die Lage immer schlimmer und die Prognosen der Wissenschaftler ständig übertroffen. Denn das Schmelzen des arktischen Eises kurbelte den Klimawandel zusätzlich an: Statt gigantischer weißer Eisflächen, die glitzernd und funkelnd das Sonnenlicht reflektierten, absorbiert das nun eisfreie, dunkle Wasser des Polarmeeres die Sonnenenergie. Ein Teufelskreis, der die Temperaturen weltweit weiter steigen lässt. In der Folge tauen sogar die Permafrostböden, die enorme Mengen Methan freisetzen, das 25-mal klimaschädlicher ist als CO₂.

Land unter

Zunächst waren „nur“ die vier Millionen Inuit und andere Völker des hohen Nordens vom Verschwinden ihres Lebensraumes unmittelbar betroffen. Über Jahrtausende hinweg hatten sie sich an das harte Leben im kalten Norden angepasst. Klimakrise und Eisschmelze katapultierten sie, die einst mit und von den arktischen Tieren gelebt hatten, in eine aus den Fugen geratene Welt, in der es unmöglich war, die eigenen Werte und Traditionen zu wahren.

Globale Auswirkungen der Arktis-Schmelze

Doch die Auswirkungen der Eisschmelze waren bald auch südlich des Nordpols zu spüren. Das Wasser, das einst im Eis „sicher verstaut“ war, stand den Küstenregionen bald bis zum Halse. Der 2020 vorhergesagte Meeresspiegelanstieg von „nur“ ein bis zwei Metern bis Ende des Jahrhunderts war optimistisch kalkuliert gewesen. Das wärmere Wasser hatte sich außerdem stärker ausgedehnt als angenommen und der Prozess war nicht schleichend, sondern oft mit unberechenbarer Naturgewalt gekommen. Immer häufigere Überflutungen haben Küstenregionen verwüstet: Inseln, Dörfer und Städte weggeschwemmt, Infrastruktur zerstört, landwirtschaftliche Flächen und Grundwasserreserven versalzen, Lebensgrundlagen vernichtet.

Die finanziellen Mittel für Hochwasserschutzmaßnahmen waren schnell aufgebraucht. Auch vor deutschen Küsten hat das Wasser nicht Halt gemacht: Das Wattenmeer, einst Weltkulturerbe, ist genauso in den Fluten verschwunden wie die meisten Nordseeinseln. Großstädte wie Hamburg und Bremen, Amsterdam, London, Bankok und Shanghai stehen seit Mitte des Jahrhunderts zu großen Teilen unter Wasser. Noch immer tummeln sich Taucher in den im Meer versunkenen Städten, um nach verlorenen Schätzen zu suchen. Und weltweit, in Küstennähe und auf Inseln, geht es ums nackte Überleben. Wer aufgibt, muss woanders neu anfangen. Nur wo?

Die Anzahl der Klimaflüchtlinge ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit von wenigen Millionen auf zwei Milliarden gestiegen. Damit ist ein Fünftel der Weltbevölkerung auf der Flucht. Auch in ehemals zivilisierten Ländern sind heute Kämpfe um Land, Nahrung und Trinkwasser an der Tagesordnung. Und während der größte Teil Hollands trotz immer höher gebauter Deiche unter Wasser liegt, leidet der Süden Europas unter der Dürre. Land, das sich für Besiedlung, Bebauung oder Landwirtschaft eignet, ist weltweit begrenzt. Nicht wenige Superreiche haben sich Notbunker in Neuseeland gekauft, in denen sie im Falle eines Klimakollapses mehrere Jahre autark überleben können.

Grönland-Tourismus boomt

Nachdem 2020 verkündet worden war, dass das Grönlandeis nicht mehr zu retten sei, boomte für kurze Zeit der Nordpol-Tourismus. „Nur solange der (Eis-)Vorrat reicht“, warben die Pauschalreiseanbieter. Durch das Schmelzen des Meereises konnten Passagierschiffe zunehmend in zuvor schwer erreichbare Regionen vordringen. Doch die Kreuzfahrten verloren bald an Attraktivität, die Bilder aus dem Reisekatalog ähnelten immer weniger der Realität: getaute, sumpfig-matschige Landmassen statt glitzernd-weißer Weiten, abgesperrte Gebiete, die aufgrund brechender Gletscher nicht befahren werden durften – und kaum mehr Tiere weit und breit.

Der Anfang des Jahrhunderts populäre, jährlich im April stattfindende Nordpol-Marathon ist Geschichte. Damals zahlten die Teilnehmer für drei, vier Tage Extremsport auf dem Eis rund 17.000 Euro pro Person. Heute ist das Eis zu fragil für solche Veranstaltungen – nur der Tough Mudder, bei dem sich die Teilnehmer durch Schlamm und sumpfiges Gelände kämpfen, findet nun regelmäßig statt. Auch immer mehr Rucksacktouristen wagen sich in die Arktis. Und natürlich Wissenschaftler, Archäologen und Firmenvertreter, die gierig darauf brennen, neue Erkenntnisse und alte Schätze – darunter seltene Erden, Gold und Diamanten – unter den schwindenden Eismassen zutage zu fördern. In Sachen Ölförderung hat sich glücklicherweise wenig getan, da die benötigten Investitionen zu hoch und der Erdölpreis zu niedrig waren.

Biologische Vielfalt ist Schnee von gestern

Wirtschaftlich vielversprechend hatten sich hingegen die Fischfangraten entwickelt. Kabeljaue etwa, die zum Laichen kaltes Wasser bevorzugen, waren immer weiter nach Norden gezogen, wo sie angesichts des schwindenden Eises leichte Beute für die Fischerei wurden. Als die Schwärme jedoch das drei- bis viertausend Meter tiefe Polarmeer erreichten, fanden sie keinen sicheren Ort mehr für ihre Eier und die Bestände brachen komplett zusammen.

Ähnlich wie dem Kabeljau erging es vielen anderen Tierarten. Mit dem arktischen Meereis verschwanden die Eisalgen – die Leibspeise von Zooplankton und Krill. Diese fehlten dann auf dem Speiseplan der Fische, die ihrerseits mit Vorliebe von Vögeln und Robben gefressen wurden. Ganze Nahrungsnetze brachen zusammen und hinterließen eine Welt der biologischen Einfalt. Es überlebten nur wenige wilde Tiere, einige, die von Menschen in Zoos umgesiedelt wurden – und wer sich schnell genug anpasste.

Klarer Sieger war der Polarfuchs. Einige bezeichnen das weiße Fellknäuel inzwischen als Ratte der Arktis, denn der flauschige Überlebenskünstler frisst alles, was ihm unter die Schnauze kommt, und plünderte auch die Brutstätten der verbliebenen Vögel. Zweiter Sieger waren die immer zahlreicher werdenden Mücken, die in den überall entstehenden Sümpfen und Tümpeln ideale Fortpflanzungsbedingungen fanden. Rentiere und Karibus flüchteten vor den lästigen Blutsaugern immer weiter gen Norden, fanden dort allerdings weniger Futter und sind zu Millionen verhungert. Eisbären, vor denen sich der Polarfuchs früher in Acht nehmen musste, gibt es kaum mehr. In Kanada paarten sie sich mit den nach Norden ziehenden Grizzlys, woraus die Cappuccino-Bären hervorgingen. Je nachdem, welcher Art sie mehr ähneln, heißen sie „Grolars“ oder „Pizzlys“.

Klimaschutz ist Arktisschutz

Alles, was CO₂ einspart, ist gut, denn jede Tonne CO2, die wir ausstoßen, kostet drei Quadratmeter Meereis in der Arktis, das für immer weg ist! Mehr als die Hälfte unseres CO2-Ausstoßes, sechs Tonnen pro Person und Jahr, gehen auf Konsum und Ernährung. Weniger Fleisch und weniger Zeug = weniger Eisschmelze! Eine Autofahrt von Hamburg nach Wien und zurück kostet 1,5 Quadratmeter Meereis. Der Hin- und Rückflug von Frankfurt nach San Francisco pro Person lässt 9,3 Quadratmeter Meereis schmelzen. Weniger Auto und weniger Flüge = weniger Eisschmelze! myclimate.org

Wetterextreme in der Klimakrise nehmen zu

Als wäre der Anstieg des Meeresspiegels nicht genug der Schreckensmeldung, so ließ die Eisschmelze im Polarmeer auch die Meeresströmungen erlahmen – darunter die ehemalige Heizung Europas: den Golfstrom. Dieser hatte jahrtausendelang in unseren Breitengraden für konstante, milde Temperaturen gesorgt. Durch sein Erliegen wurde es in Nord- und Nordwesteuropa phasenweise durchschnittlich fünf bis zehn Grad kälter – jedoch keinesfalls konstant. Denn durch den unaufhaltsamen Temperaturanstieg in der Arktis geriet auch der Jetstream, das ehemals stabile Starkwindband auf der Nordhalbkugel, aus dem Gleichgewicht und verursachte immer häufigere Wetterextreme – darunter extreme Hitzeperioden. Heute ist die Norm: plötzlicher Schneefall und Überschwemmungen wechseln sich mit heißen Trockenperioden ab, die Temperaturen schwanken rasant und Stürme werden immer bedrohlicher.

Für Sach- und Infrastrukturschäden sowie Ernteausfälle will keine Versicherung mehr aufkommen. Und auch die Kultur hat sich verändert. Das Volkslied „Es war eine Mutter, die hatte drei Kinder: den Frühling, den Sommer und dann noch den Herbst“ singt man heute ganz ohne Winter. Dass der „Herbst die Trauben“ bringt, ist noch immer so, doch die sind in Deutschland nun überwiegend rot, nicht mehr weiß. Weißweinreben findet man nur noch in Dänemark und Schweden. Die französischen Weine haben stark an Bedeutung verloren. Viele traditionelle, französische Weingüter weigerten sich bis zuletzt, auf hitzebeständigere Sorten umzusteigen – und auch die Bereitschaft der Konsumenten, plötzlich Grenache statt Pinot Noir aus dem Burgund zu kaufen, hielt sich in Grenzen. Dafür können wir nun immerhin mit einem guten Glas deutschem Merlot anstoßen, solange der Golfstrom uns noch wärmt. Wobei fraglich bleibt, auf wen oder was wir trinken sollen. Vielleicht auf Polarfuchs und Mücken?

Arktis: kurz erklärt

  • Teufelskreis: In der Arktis steigen die Temperaturen doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt. Bereits zwei Drittel des Meereisvolumens sind verloren. Und je mehr Eis schmilzt, desto schneller die Erderwärmung, da immer mehr dunkle Flächen Sonnenenergie absorbieren.
  • Meeresströmungen: Friert im Nordpolarmeer das Oberflächenwasser, erhöht sich der Salzgehalt des darunterliegenden Wassers. Denn Salz friert nicht mit ein. Das salzige, schwere Wasser sinkt in die Tiefe und ringt nährstoffreiches Wasser nach oben. Gleichzeitig fließt wärmeres Wasser vom Äquator nach. Die so entstehenden Meeresströmungen verteilen Nährstoffe rund um den Globus.
  • Wettermacher: Die Meeresströmungen lenken Wind und Wetter. Versiegt der Golfstrom, wird es in Europa deutlich kälter. Doch da auch der Jetstream, ein normalerweise stabiles Windband zwischen Nordpol und Tropen, aus dem Gleichgewicht gerät, kann man sich auf den Kälteeinbruch nicht verlassen. Denn dieser verursacht immer häufig Wetterextreme wie Hitzewellen und plötzlichen Schneefall.
  • Gekippt: Nach einer Studie der Ohio State University hat das Grönlandeis 2020 den sogenannten Kipppunkt überschritten. Der riesige Eispanzer wird also schmelzen und den Meeresspiegel weltweit sieben Meter ansteigen lassen, die Frage ist nur wie schnell!

Mehr zum Thema

Im Netz

  • joshdata.me
    Wie sieht ein Eisberg unter Wasser aus? Nur zehn Prozent eines Eisbergs ragen aus dem Wasser. Zeichnen Sie hier einen Eisberg und Sie sehen, wie er schwimmt!
  • flood.firetree.net
    Flut-Simulator: Meeresspiegelanstieg oben links auswählen und sehen, wie viel Land untergeht.
  • klimawiki.org
    Sammlung von Informationen zu Klimawandel und Klimafolgen von A bis Z.

Bücher

  • Klass, David: Klima – Deine Zeit läuft ab. (Thriller) Goldmann, 2021, 416 Seiten, 13 €
  • Scharmacher-Schreiber, Kristina; Marian, Stephanie: Wie viel wärmer ist 1 Grad? Was beim Klimawandel passiert. Beltz & Gelberg, 2019, 96 Seiten,16,95 €
  • Granath, Fredrik; Schäfer, Melissa: Das Königreich der Eisbären. Frederking & Thaler, 2020, 256 Seiten, 49,99 €
Veröffentlicht am

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