Interview

Stefan Rahmstorf: „Das ist einfache Physik“

Grönlandeis, Golfstrom, Korallen ... Wer die Klimakatastrophe aufhalten will, muss die Zusammenhänge kennen. Wir haben sie uns vom Meeresphysiker Stefan Rahmstorf erklären lassen.

Stefan Rahmstorf ist ein Wissenschaftler, der sich aus dem Elfenbeinturm in die öffentliche Diskussion wagt. Das ist nicht immer einfach, doch die Gefahr, den Klimawandel nicht mehr stoppen zu können, ist ihm zu groß.

Die Politik setzt Pandemie-Empfehlungen aus der Wissenschaft nur zögerlich um. Kommt ihnen das bekannt vor?

Sehr bekannt sogar. Das geht uns beim Klimaschutz seit Jahrzehnten so. Der erste offizielle Expertenbericht, der vor der globalen Erderwärmung gewarnt hat, stammt aus dem Jahr 1965. Es hat ein halbes Jahrhundert gedauert, bis es zum Pariser Klimaabkommen kam.

Woran forschen Sie konkret?

Wir untersuchen unter anderem Veränderungen bei Wetterextremen, dem Meeresspiegel und den Meeresströmungen, sowohl in den letzten hundert Jahren als auch der älteren Erdgeschichte. Dazu nutzen wir alle verfügbaren Datenquellen, etwa Eis- und Sedimentbohrungen und Klimaarchive wie Baumringe. Zudem erstellen wir Computersimulationen. Die Ergebnisse der Klimaforschung werden in zusammengefasster Form auch der Politik vorgelegt.

Sie haben die Politik selbst jahrelang in Klimafragen beraten, passiert ist wenig.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass unter Politikern eine mangelnde Bereitschaft herrscht, sich mit dem Thema wirklich auseinanderzusetzen. Fridays for Future fordert nicht zu Unrecht von den Politikern: „Macht eure Hausaufgaben!“

Zur Person

Stefan Rahmstorf im Porträt

Stefan Rahmstorf ist promovierter Ozeanograph und leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die Abteilung Erdsystemanalyse. Dort gehen er und sein Team der Frage nach, wie Ozeane, Atmosphäre, Eisschilde und Biosphäre funktionieren – einzeln und im Zusammenspiel. Rahmstorf war von 2004 bis 2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen und scheut sich nicht, Wirtschaft und Politik öffentlich für ihre halbherzigen Klimaschutzmaßnahmen zu kritisieren. Er selbst fährt schon immer Fahrrad, seit zehn Jahren auch E-Bike. pik-potsdam.de

Eine Folge der Erderwärmung ist der Anstieg des Meeresspiegels. Wo genau kommt das Wasser her?

Der Meeresspiegel steigt zum einen durch die thermische Ausdehnung des Wassers. Wenn man Wasser erwärmt, dehnt es sich aus. Das ist einfache Physik. Zum anderen, weil Landeismassen wie Gebirgsgletscher und die Eisschilde etwa auf Grönland zunehmend abschmelzen und im Ozean landen.

Mit welcher Größenordnung müssen wir da rechnen?

Am Ende der letzten Eiszeit sind in Folge von etwa fünf Grad Erwärmung zwei Drittel der Kontinentaleismassen abgeschmolzen. Das hat den Meeresspiegel um 120 Meter angehoben. Heute haben wir noch genug Kontinentaleis für weitere 65 Meter. Wir können uns nicht einmal leisten, zwei Prozent dieses Eises zu verlieren.

Wie kommen hier die viel zitierten Kipppunkte ins Spiel?

Beim Kontinentaleis ist der Kipppunkt erreicht, wenn es auch ohne weitere Klimaerwärmung schmilzt. Am Beispiel Grönlands lässt sich das gut zeigen. Der Eisschild ist dort etwa 3000 Meter dick, die Oberfläche befindet sich hoch oben in der Atmosphäre, wo es kalt ist. Wenn das Eis schmilzt, wandert die Oberfläche nach unten und kommt in wärmere Luftschichten. Irgendwann gelangt sie in so warme Schichten, dass sich der Prozess nicht mehr aufhalten lässt. Das würde den Meeresspiegel langfristig um gut sieben Meter anheben.

Gibt es Kipppunkte, von denen wir wissen, dass sie überschritten sind?

Seit 2015 sterben die Korallen. Die Hälfte des Great Barrier Rief in Australien ist bereits ausgebleicht und wird sich höchstwahrscheinlich nicht mehr erholen. Das ist lange vorhergesagt worden, weil man weiß, wo die kritische Temperaturgrenze bei Korallen liegt. Ist die überschritten, stoßen Korallen ihre symbiotischen Einzeller ab und bleichen aus. Der Weltklimarat hat 2018 gefolgert, dass bei einer Erwärmung von zwei Grad praktisch alle Korallen sterben. Wenn wir es schaffen, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, können wir vielleicht noch 10 bis 30 Prozent retten.

Warum sind Korallen so wichtig?

Korallen haben mehrere Funktionen. Sie stellen als Kinderstube der Fische die Nahrungsversorgung anderer Meeresbewohner sowie von Millionen von Menschen sicher. Außerdem schützen Korallen die Küsten kleiner Inselstaaten vor Tsunamis und Sturmfluten. Das Artensterben bringt die Ökosysteme aus dem Gleichgewicht und stellt die Menschheit vor riesige Probleme.

Auch eine Gesellschaft hat Kipppunkte

Klimaforscher Stefan Rahmstorf

Man liest auch immer von der Abschwächung des Golfstroms. Was genau passiert da?

Der Golfstrom vor der Küste Amerikas ist Teil einer großen Umwälzzirkulation, die durch den ganzen Atlantik geht. Es fließt wärmeres Oberflächenwasser von Süden in den Norden, sinkt dann kurz vor Grönland hinab in Tiefen von zwei- bis dreitausend Meter und fließt dann als Tiefenstrom zurück in den Süden. Dabei werden große Wärmemengen an die Luft abgegeben, die für das milde Klima in Europa sorgen. Diese Strömung wird schwächer, weil sich das Meerwasser durch zunehmende Niederschläge und Schmelzwasser verdünnt. Es kann nicht mehr so gut absinken. Auch das ist in Klimamodellen vorhergesagt worden. Wir schätzen, dass die Abschwächung seit Mitte des letzten Jahrhunderts etwa 15 Prozent beträgt. Niemand weiß, wo der Kipppunkt liegt, ab dem die Strömung zusammenbricht.

Was sollten wir tun?

Um immer schlimmere Wetterextreme, Missernten, Epidemien und das Überschreiten gefährlicher Kipppunkte zu vermeiden, hat sich die Weltgemeinschaft im Pariser Abkommen darauf geeinigt, die durch den Menschen verursachte Erwärmung möglichst bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen.

Sehen Sie Anzeichen, dass das auch passieren wird?

Bis jetzt befinden wir uns nicht auf diesem Pfad. Wir haben 2020 wegen der Corona-Pandemie zwar einen Rückgang der Emissionen von sieben Prozent erlebt. Aber das müssen wir jedes Jahr schaffen – ohne Lockdown. Wir brauchen dazu einen raschen Strukturwandel hin zu einem Energiesystem, das ohne CO2-Emissionen auskommt.

Wie können wir das erreichen?

Eine der wichtigsten Maßnahmen ist der sofortige Ausstieg aus der Subventionierung fossiler Energien. Die Klimaschäden müssen nach dem Verursacherprinzip eingepreist werden, mit anderen Worten: Unternehmen und Staaten, die für die meisten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, müssen für diese Kosten aufkommen. Dafür brauchen wir einen realistischen CO2-Emissionspreis, nur so erhalten wir Anreize, weniger zu emittieren. Laut Umweltbundesamt läge der bei 195 Euro pro Tonne CO2. Die Bundesregierung hat den Preis bei 25 Euro pro Tonne festgelegt. Da liegen Welten dazwischen.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Tatsächlich machen mir Fridays for Future Hoffnung. Ich glaube, dass diese Jugendbewegung entscheidend dazu beigetragen hat, dass in der Politik ein Umdenken einsetzen konnte. Auch eine Gesellschaft hat Kipppunkte und ich habe den Eindruck, wir nähern uns endlich diesem Kipppunkt, an dem die Mehrheit beginnt, entschlossener zu handeln.

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