Interview

Ulrike Herrmann: „Die Wirtschaft muss schrumpfen“

Die Autorin Ulrike Herrmann schlägt eine ungewöhnliche Lösung vor, um das Klima zu retten: Sie will zurück ins Jahr 1978 – und hat mit ihrer Idee einen Bestseller gelandet.

Beim digitalen Interview sitzt Ulrike Herrmann in ihrer Berliner Wohnung am Schreibtisch und erzählt, wie sie mit 18 Jahren politisiert wurde, warum sie Bio-Lebensmittel kauft und weshalb sie nichts von grünem Wachstum hält.

In Ihrem neuen Buch fordern Sie das Ende des Kapitalismus, um das Klima zu schützen. Warum ist Ihr Buch trotzdem ein Nr.1-Bestseller?

Ich dachte, das Buch wird ein Flop, aber fast jeder Verlag in Deutschland wollte dieses Buch haben. Und als es sich dann auch noch so gut verkauft hat, war ich positiv überrascht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die meisten Menschen im Grunde wissen, dass es so nicht weitergehen kann: Dass man eben nicht unendlich wachsen kann in einer endlichen Welt.

Warum funktionieren Klimaschutz und Kapitalismus nicht zusammen?

Der Kern des Kapitalismus ist, dass er wachsen muss, um stabil zu sein. Investitionen und Gewinne sind nur möglich, wenn die Wirtschaft wächst. Für dieses Wachstum braucht es Maschinen, also Energie, um diese anzutreiben. Dafür wurden bisher Öl, Gas und Kohle verwendet, die enorme Mengen an CO2 produzieren. Die Klimakrise ist also die andere Seite des Kapitalismus.

Sie sagen, die erneuerbaren Energien reichen nicht aus, um so weiterzumachen wie bisher …

Selbst wenn man so viele Windräder und Solarpaneele installiert, wie man kann, wird die Öko-Energie trotzdem nicht reichen: Der Wind weht nicht immer und die Sonne scheint nicht immer. Man muss also große Mengen an Strom zwischenspeichern und das ist sehr aufwendig und teuer.

Erneuerbare Energien sparen an vielen Stellen auch Geld …

Man spart im Gegensatz zum Einsatz von fossilen Energien zwar sehr stark bei den Kraftwerken und auch bei den Wärmepumpen, aber damit endet die Freude auch schon. Während Gas und Öl schon Speichermedien sind – nämlich gespeicherte Sonnenenergie – muss man die erneuerbaren Energien erst noch speichern, um sie immer zur Verfügung zu haben. Und wenn Energie teuer und knapp wird, dann ist ganz klar, dass es kein Wachstum mehr geben kann.

Über Ulrike Herrmann

Ulrike Herrmann wurde 1964 in Hamburg geboren. Nach einer Lehre zur Bankkauffrau absolvierte sie die Henri-Nannen-Journalistenschule und studierte im Anschluss Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Danach arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und als Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin. Seit 2000 ist Herrmann Redakteurin bei der Tageszeitung taz und hat zahlreiche Bestseller zu wirtschaftspolitischen Themen veröffentlicht. 2019 erhielt sie den Otto-Brenner-Spezial-Preis für kritischen Journalismus.

Was schlagen Sie anstelle von grünem Wachstum vor?

Ich schlage grünes Schrumpfen vor: Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen und gleichzeitig unsere Wirtschaft schrumpfen.

Wie kann das funktionieren?

Ich habe mir die Frage gestellt, ob es schon mal ein Schrumpfen von einem kapitalistischen System gab, ohne dass es zum totalen Chaos kam. Und dann fiel mir die britische Kriegswirtschaft von 1939 ins Auge. Damals wurde eine private, demokratische Planwirtschaft entwickelt, um die Kapazitäten in den Fabriken freizuräumen für Militärgerät. Der Staat gab vor, was produziert wurde und die knappen Güter wurden dann gerecht verteilt.

Und das sollen wir nachmachen?

Die staatliche Steuerung von privaten Firmen samt Rationierung wird unsere Zukunft sein. Aber wir wären nicht so arm wie die Briten 1939. Selbst wenn wir auf 50 Prozent unserer Wirtschaftsleistung verzichten würden, wären wir immer noch so reich wie 1978.
Kann man sich Ihre Idee so vorstellen, dass der Staat zum Beispiel der Automobilindustrie vorschreiben würde, Windräder zu bauen?
Ja genau. Man muss keine Angst haben, dass uns die Arbeit ausgeht, denn die Klimakrise und der Klimaschutz werden wahnsinnig viel Arbeit machen: Für den Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen wir Solarpaneele, Windräder, Wärmepumpen, Pipelines, Elektrolyseure und vieles mehr.

Wie sähe unser Alltag in Ihrem Modell konkret aus?

Wir wären zwar so reich wie 1978, aber wir müssten natürlich nicht genauso leben. Den medizintechnischen Fortschritt können wir behalten und wahrscheinlich auch das Smartphone. Aber wir müssen zum Beispiel das private Auto abschaffen und dürfen nicht mehr fliegen, weil das zu viel Energie verschwendet. Wir werden nicht leiden, aber es geht letztlich um Verzicht.

Worauf sollten wir noch verzichten?

Wir müssen viel weniger Fleisch essen. Damit kann übrigens jeder
sofort anfangen. Denn wir haben ja nicht nur die Klimakrise, sondern gleichzeitig auch noch das Problem, dass die Böden und das Grundwasser ruiniert und Arten ausgerottet werden. Das hängt ganz oft an der zu intensiven Landwirtschaft. Wenn wir weniger Fleisch essen und dadurch weniger Flächen bewirtschaften, kann der freie Boden wieder bewalden und große Mengen an CO2 binden.

„Ökologische Landwirtschaft ist zentral“

Ulrike Herrmann

Welche Rolle spielen Bio-Lebensmittel dabei?

Ökologische Landwirtschaft ist zentral für den Klimaschutz, weil man keine Pestizide und chemischen Dünger einsetzt, welche die Böden ruinieren. Ich koche zwar nicht viel, aber ich kaufe Bio-Lebensmittel, weil`s mir darum geht, dass die Landwirtschaft für die Natur verträglich wird.

Was tun Sie noch fürs Klima?

Ich esse kaum Fleisch und verzichte weitestgehend auf tierische Nahrungsmittel. Ich gehe auf Demos, fliege nicht mehr und habe keinen Führerschein, fahre also alles mit der Bahn. Und ich besitze keine Waschmaschine.

Warum haben Sie keinen Führerschein?

Als ich 18 Jahre alt war, gab es gerade das Waldsterben. Das hat mich sehr beeindruckt und beschäftigt, dass so ein großes Ökosystem existenziell bedroht ist – unter anderem durch das Auto und die Stickoxide. Mir war klar, das Auto ist die totale Fehlentwicklung und deshalb habe ich keinen Führerschein gemacht. Dazu muss man sagen, dass ich immer in Großstädten gelebt habe, in denen das möglich ist.

Macht Ihnen die Klimakrise Angst?

Ja, ich würde lieber in einer Welt leben, in der jeder erkennt, dass Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind. Also habe ich ein Buch geschrieben, um zu zeigen, wie grünes Schrumpfen funktionieren könnte.

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System Change

Die eigentlichen Lebensgrundlagen unserer Zivilisation, die Rohstoffe und die Energie, bekommen wir kostenlos von der Erde und der Sonne. Vielen Menschen ist das überhaupt nicht so richtig klar. Sie sind ursprünglich überhaupt nicht mit Geld behaftet, das erscheint erst später bei der Gewinnung dieser Rohstoffe.
Wir bräuchten diese kostenlosen Rohstoffe lediglich mit Hilfe freiwilliger Arbeit zu fördern, zu verarbeiten und zu transportieren, dann könnten sie einfach abgegeben werden. Die Motivation, sich mehr zu nehmen als nötig, auf der ja der Kapitalismus beruht, würde dann einfach entfallen.
Neben den viel diskutierten Vorteilen hinsichtlich Klimawandel und Ungleichheit wäre auch das Problem der Arbeitslosigkeit auf Dauer gelöst.
Also müssten wir alle Menschen weltweit nur dazu motivieren, ab einem bestimmten Stichtag freiwillig zu arbeiten.
https://kuefa.info/brief/
Eberhard Licht

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Michael Bernhard

In Verweigerung von Dialog und Diskurs verkettet Ulrike Herrmann in Schrot&Korn erneut Natur- und Klimaschutz mit Verzicht, Verlust von Reichtum und Schrumpfung. Dabei ist prinzipiell so einfach zu begründen und nachzuweisen, dass eigentlicher und wirksamer Natur- und Klimaschutz ein exorbitanter Gewinn von Lebensqualität, Reichtum, Vermögen, Autonomie, Mobilität, Freiheit, Unversehrtheit, Sicherheit und vielem weiteren ist. Um die Erderwärmung effektiv zu bremsen, sie umzukehren und uns anzupassen, dürfen wir nicht auf die konstruktive und sehr motivierende Einsicht verzichten, dass Natur- und Klimaschutz das Gegenteil von Verzicht und Schrumpfung ist:
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Michael Bernhard

"… Ein Leben ohne Naturzerstörung ist schöner und intensiver, als ich es mir je hätte vorstellen können. … Ein Leben ohne Naturzerstörung bedeutet keinen Verzicht. Es bedeutet Freiheit. … - „… ist ein Leben ohne Alkohol nicht langweilig und freudlos?“ »Ein Leben ohne Alkohol ist schöner und intensiver, als ich es mir je hätte vorstellen können«, sagt Nathalie Stüben, …“ „Ein Leben ohne Alkohol bedeutet keinen Verzicht. Es bedeutet Freiheit.“ Buch Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens – 2021 - Vgl. a.: Helden der Feigheit: https://www.fuehlenunddenken.de/2022/11/09/helden-der-feigheit/

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