Interview

Jason Hickel: „Reiche Länder sind das Problem“

Um die ökologische Katastrophe zu verhindern, braucht es systemische Lösungen. Wie die aussehen könnten, schildert Autor und Wissenschaftler Jason Hickel im Gespräch. 

Jason Hickel gilt im englischsprachigen Raum als ein begabter Erklärer von wirtschafts-ökologischen Zusammenhängen. Auch im Gespräch mit uns beweist der Wissenschaftler, wie man schwere Themen mit Leichtigkeit diskutiert.

In Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich mit Wirtschaftswachstum. Was ist das Problem damit?
Wir befinden uns mitten in einer ernsten globalen Krise, die unsere Ökosysteme überfordert. Dabei geht es nicht nur um den Klimawandel, sondern auch um den massiven Verlust der Artenvielfalt. Und das Wirtschaftswachstum ist der Haupttreiber dieser Krise.

Wie kommen Sie zu der Analyse?
Wir wissen, dass das Wachstum eng mit dem Ressourcenverbrauch verbunden ist. Je mehr wir also das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) steigern, umso mehr Ressourcen und Energie brauchen wir dafür. Das wiederum verursacht Ökosystemschäden wie den Verlust der Biodiversität und erschwert es, unsere CO²-Emissionen schnell genug zu reduzieren.

Also darf es kein Wirtschaftswachstum mehr geben?
Nicht jedes Wachstum ist problematisch. Ärmere Länder brauchen Wachstum, um grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Das ist in Ordnung, weil sie selbst bei einer wachsenden Wirtschaft immer noch innerhalb eines nachhaltigen Niveaus liegen. Die reichen Länder sind das Problem, weil deren Ressourcen- und Energieverbrauch die als nachhaltig geltenden Grenzen um ein Vielfaches übersteigen.

Woran liegt das?
Wir müssen verstehen, was Kapitalismus eigentlich ist. Da gibt es viele Missverständnisse, denn häufig denkt man dabei einfach an Markt und Handel. Das ist aber nicht das Spezifische. Handel und Märkte gab es vorher schon. Entscheidend für den Kapitalismus ist, dass er um die ständig steigende Produktion herum organisiert ist. Das ist der Kern und damit ist er das einzige Wirtschaftssystem in der Geschichte der Menschheit, das intrinsisch expansiv ist. Das Ziel des Kapitalismus besteht also nicht darin, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen und das soziale Miteinander zu verbessern, sondern einzig darin, die Produktion zu steigern.

Aber das kapitalistische Wirtschaftssystem hat uns in kürzester Zeit Wohlstand beschert …
… auch das ist nicht richtig. Die Errungenschaften, die dem Kapitalismus gerne zugeschrieben werden, etwa ein öffentliches Gesundheitswesen, steigende Lebenserwartung, faire Löhne und so weiter, wurden nicht durch den Kapitalismus erreicht. Vielmehr waren es die Menschen, die gegen den Willen der kapitalistischen Klasse Arbeiter- und Demokratiebewegungen gründeten. Erst durch dieses soziale Engagement haben sich die Lebensbedingungen auch in der Breite verbessert.

Zur Person: Jason Hickel

Der promovierte Wirtschaftsanthropologe beschäftigt sich mit ökologischer Ökonomie und Ausbeutungsverhältnissen im wirtschaftlichen Kontext. Hickel forscht und lehrt unter anderem an der London School of Economics und der Autonomen Universität Barcelona. Sein jüngstes Buch „Weniger ist mehr“ wurde von der Financial Times als Buch des Jahres ausgezeichnet. Hickel, der 1982 in Eswatini (ehem. Swasiland) in Südafrika geboren wurde, schreibt zudem für den Guardian, Al Jazeera und Foreign Policy und berät die EU bei ihrem Green New Deal.

Was ist mit grünem Wachstum?
Die Theorie vom grünen Wachstum ist alles andere als neu. Sie besagt, dass das BIP mit technologischer Innovation und Effizienzsteigerungen wachsen und gleichzeitig den Ressourcen- und Energieverbrauch reduzieren kann. Diese Behauptung lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht aber nicht halten.

Warum nicht?
In den letzten Jahren haben mehrere Studien belegt, dass eine „absolute Entkopplung“ des BIP vom Ressourcen- und Energieverbrauch kaum möglich ist. Deren Modelle zeigen, dass dies selbst unter hocheffizienten Bedingungen unwahrscheinlich ist.

Inwiefern?
Weil das Geld, das durch Effizienzmaßnahmen eingespart wird, in die Erweiterung der Produktion reinvestiert wird. Wenn wir aber immer mehr produzieren, macht das irgendwann die Einsparungen wieder zunichte.

Können Sie ein Beispiel geben?
Nehmen wir einen beliebigen Hersteller von Softdrinks. Stellen wir uns vor, dass bei der Produktion von Getränkedosen 20 Prozent Aluminium eingespart werden können. Das Geld, das diese Einsparung bringt, wird in Werbung und die Erschließung neuer Märkte investiert. Es werden also noch mehr Getränke und noch mehr Dosen produziert, was den Abbau von Aluminium weiter anfacht.

„Die Wirtschaft muss in ein Gleichgewicht gebracht werden“

Jason Hickel, Autor und Wissenschaftler

Wofür plädieren Sie also?
Ich fordere ein Wirtschaftssystem, das den überschüssigen Ressourcen- und Energieverbrauch in reichen Volkswirtschaften reduziert. Die Wirtschaft muss wieder in ein Gleichgewicht mit der lebenden Welt gebracht werden – auf ein nachhaltiges Niveau.

Wie soll das gelingen?
Indem wir die Produktion dort herunterfahren, wo wir eindeutig sehen, dass die Folgen destruktiv und sozial unnötig sind, etwa bei SUVs, Privatjets, Fast Fashion und der Fleischindustrie.

Welche Rolle könnte der ökologische Landbau in Ihrem Modell spielen?
Eines der drängendsten ökologischen Probleme ist die massive Bodenerschöpfung. Wir wissen, dass biologische Anbaumethoden Böden guttun, ganz im Gegenteil zur industriellen Landwirtschaft, die Böden auslaugt. Auf einem Großteil des Ackerlandes werden zudem Futtermittel für die Fleischindustrie angebaut. Das Verhältnis von Boden und Energieeinsatz zu den Nahrungsmitteln, die herauskommen, ist in diesem System äußerst ineffizient.

Wie viel bringt es, weniger Fleisch zu essen und weniger zu reisen?
Natürlich sind individuelle Verhaltens-änderungen wichtig, also weniger Fleisch essen und weniger Flugreisen unternehmen. Gleichzeitig müssen wir uns klarmachen, dass individuelles Verhalten nicht der Hauptverursacher für unsere Krisen ist, sondern ein Produktionssystem, das eine potenzielle Expansion erfordert.

Haben Sie Hoffnung?

Als Wissenschaftler weiß ich, dass es möglich ist, mit nachhaltigem Ressourcen- und Energieverbrauch einen guten Lebensstandard für alle Menschen zu sichern. Es wird nicht leicht, denn wir müssen zu einer postkapitalistischen Wirtschaft übergehen. Die meisten Länder bewegen sich noch nicht in diese Richtung, aber es gibt erste Schritte. Länder wie Neuseeland, Schottland und Island haben angekündigt, das BIP-Wachstum als Kernziel der Regierungspolitik abzuschaffen.<

Buchtipp

Hickel, Jason: Weniger ist mehr – Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind, Oekom Verlag, 348 Seiten, 24 Euro

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