Interview

Tina Andres: „Wahre Preise sind ein Schlüssel“

Wie bekommen wir eine ökologische Ernährungswende hin? Im Gespräch verriet uns Tina Andres, wen sie alles für dieses Ziel ins Boot holen will.

Tina Andres ist eine gute Bekannte von Schrot&Korn, vor allem durch ihr Engagement als Geschäftsführerin der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft Landwege mit rund 30 BioHöfen rund um Lübeck. Seit 11. November fungiert sie außerdem als neue Chefin des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Klar, dass wir sie gleich zum Interview eingeladen haben.

Wie kam es dazu, dass du für den Vorstand des BÖLW kandidiert hast?

Als der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft mich angesprochen hatte, stellte ich mir die Frage, was man in mir sieht. Nach vielen Gesprächen wurde mir klar: Als Unternehmerin habe ich gezeigt, wie man erfolgreich ökologisch wirtschaften kann und ich kann mit Überzeugung dastehen und sagen: Ja, es gibt andere Wege.

Und welche Aufgaben stehen jetzt konkret an?

Frau Merkel hatte im Sommer zur Zukunftskommission Landwirtschaft ins Bundeskanzleramt eingeladen – mit einem spektakulären Ergebnis. Denn zum ersten Mal haben es unterschiedliche Verbände, Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaftsvertreter geschafft, sich auf ein gemeinsames Verständnis zu einigen: Die Ernährungswirtschaft soll ökologischer werden. Das ist ein historischer Moment. Diese Energie müssen wir jetzt mitnehmen.

Kann man den Beschlüssen trauen?

Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat den Weg für den Umbau aufgezeigt. Beschließen muss jetzt die Bundesregierung, deren Berater die Kommission war. Ich glaube, die Entscheider in der Wirtschaft haben begriffen, dass es einen gesellschaftlichen Umbruch geben wird. Es kommt jetzt darauf an, ihn zu gestalten.

Das, was wir essen, bestimmt, wie wir leben.

Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des BÖLW

Wie will der BÖLW den Umbau umsetzen?

Wir wollen den Umbau der Ernährungswirtschaft hin zu einer gut vernetzten ökologischen Gesellschaft weiter vorantreiben. Das hört für mich nicht beim Bundeslandwirtschaftsministerium auf. Es geht um große gesellschaftspolitische Querschnittsthemen, denn das, was wir essen, bestimmt, wie wir leben. Dafür braucht es eine kohärente und konsequente Politik durch viele Ressorts.

Welche Ressorts müssen dafür noch angesprochen werden?

Zum Beispiel das Bildungsministerium, denn wir brauchen eine Ernährungsbildung vom Kindergarten an. Auch das Gesundheitsministerium gehört dazu. Die Gesundheitskosten explodieren, 300 Millionen Euro gehen täglich allein auf das Konto von ernährungsbedingten Krankheiten wie Diabetes, Unverträglichkeiten oder Herzkreislauferkrankungen. Von da aus kommen wir ganz automatisch zur Außer-Haus-Verpflegung. Wenn wir etwa in öffentlichen Kantinen einen Bio-Anteil von 90 Prozent hätten, wie es zum Beispiel in Kopenhagen der Fall ist, würde das eine riesige Sogwirkung entfalten.

Landwirtschaftsministerin Klöckner hat im Herbst einen Bio-Anteil von 20 Prozent bis zum Jahr 2025 auf den Weg gebracht …

… und ließ sich dafür feiern. Das wundert mich aber nicht. Denn ebenfalls in ihrer Amtszeit wurden der konventionellen Landwirtschaft und Agro-Chemie viel Geld für die Entwicklung von Dünge- und Vernichtungsmitteln gegeben, obwohl ein Großteil der Bevölkerung sie nicht will. Wenn die ökologische Forschung ähnliche Summen erhalten hätte, würden wir heute diese unsägliche Debatte um niedrige Erträge beim Öko-Landbau nicht mehr führen.

Was entgegnest du solchen Attacken?

Dass man mit Bio die Welt nicht ernähren könne, fußt auf völlig falschen Voraussetzungen. Es wird unterstellt, dass wir alles auf Bio umstellen und uns dann genauso ungesund weiter ernähren wie zuvor. Das ist natürlich Unsinn, es muss neben der Umstellung auf Bio noch deutlich mehr passieren, um innerhalb von planetaren Grenzen zu wirtschaften.

Was muss sich ändern?

Wenn Menschen ihre Ernährung peu à peu auf Bio umstellen, dann verändern sie ihr Kaufverhalten, ihr Kochverhalten und ihr Essverhalten. Es wird zum Beispiel weniger weggeschmissen, denn wenn ein Joghurt nicht 20 Cent kostet, sondern knapp einen Euro, überlege ich schon, ob ich vier kaufe und drei davon wegwerfe oder ihn bis zum letzten Bisschen auskratze. Ich schneide sogar meine Zahnpastatube auf und kratze den Rest heraus. Übrigens hat sich herausgestellt, dass die ökologische Lebensmittelerzeugung in vielen Schwellenländern deutlich mehr Erträge bringt als konventionell erzeugte.

Aber Bio-Lebensmittel sind teuer, könnte man entgegnen.

Natürlich ist die Ernährungswende auch eine soziale Frage, vermischen darf man beides aber nicht. In Bio-Läden sind die Preise deutlich realer als die im Discounter. Die Umweltschäden, die durch die Agrarindustrie entstehen, zahlen wir nämlich nicht an der Kasse, sondern über Steuergelder. Außerdem ist es in einer Industrienation wie Deutschland möglich, Schwache so zu unterstützen, dass sie sich gesund ernähren können. Das darf keine Frage des Einkommens sein.

Zur Person

Gemeinsam mit Klaus Lorenzen leitet Tina Andres die Landwege Genossenschaft in Lübeck, in der sich Erzeuger und Bio-Läden zusammengeschlossen haben und zu der 140 Mitarbeiter gehören. Seit 11. November dieses Jahres bekleidet sie das Ehrenamt der Vorstandsvorsitzenden des BÖLW, das zuvor Felix Prinz zu Löwenstein fast 20 Jahre ausgefüllt hat. Andres ist zweifache Mutter und will in ihrer neuen Position gestalten, um ihren Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. In ihrem anderen Leben, wie sie es nennt, ist sie Jazz- und Chansonsängerin.

Was schlägt der BÖLW vor?

Wir müssen Anreize für gesellschaftlich nachhaltiges Wirtschaften schaffen und wahre Preise sind ein Schlüssel dazu. Die Steuerpolitik könnte solche Anreize liefern. Deswegen werden wir auch das Finanzministerium stärker ansprechen.

Apropos Finanzministerium, wie schätzt du die FDP ein? Gibt es da ein Problem?

Wenn sie an dem Glauben, dass man mit ein bisschen Technologie das Klimaproblem lösen könne, festhält, dann schon. Denn Roboterbienen liefern keine Antworten auf das Artensterben, ebenso wenig wird die Gentechnik plötzlich viel produktivere Pflanzen hervorbringen.

Welche Ansätze verfolgt ihr stattdessen?

Wir müssen ertragsstärker und resilienter in unseren Systemen werden. Dafür braucht es zum Beispiel Züchtungen, die an Standort- und Klimaveränderungen angepasst sind. Solche haben deutlich höhere Chancen auf Erfolg.

Das klingt nach viel Arbeit. Wie schaltest du ab?

In meiner Freizeit gehe ich schwimmen oder wandern und arbeite im Garten. Außerdem koche ich irrsinnig gern, am liebsten für Freunde, die dann spontan vorbeikommen. Das und das Singen entspannen mich sehr.

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