Interview

Gudrun Pausewang: „Die Welt ist nicht heil“

Seit Jahrzehnten schreibt Gudrun Pausewang gegen AKWs und für ein menschliches Zusammenleben. Happy Ends gibt es bei ihr selten.

Ist die japanische Bevölkerung also zu obrigkeitshörig?

Grundsätzlich schon. Inzwischen hat sich aber schon ein Widerstand gegen die Atomindustrie in Japan gebildet. Ich habe Bilder davon in den deutschen Fernseh-Nachrichten gesehen. Aber der Widerstand ist noch klein, er kommt gegen die mächtige Atomlobby noch nicht an. Ich hoffe, er wächst durch deren Machenschaften – und durch die schrecklichen Folgen von Fukushima, die sich noch für fast unendliche Zeit auf Leben und Gesundheit von zahlreichen Japanern auswirken werden.

Welches Ereignis hat Sie in Ihrer Einstellung zur Atomkraft geprägt?

Vor allem Tschernobyl. Denn diese Atomkatastrophe erreichte auch uns. Aber ich gehörte auch schon vorher dem Widerstand gegen die Atom-Industrie an. Wackersdorf und Gorleben sind da Stichworte. Natürlich lehne ich auch Atomwaffen ab, die ja der Abschreckung dienen sollen und im sogenannten „Kalten Krieg“ eine ganz wichtige Rolle spielten. Dazu habe ich das Buch „Die letzten Kinder von Schewenborn“ geschrieben. Nach Tschernobyl schrieb ich das Jugendbuch „Die Wolke“ und nach Fukushima „Noch lange danach“, auch ein Buch für junge Menschen.

Sie schreiben viel für Kinder und vor allem Jugendliche ...

Ja, aber nicht nur über „Weltverbesserungsthemen“, wie viele meinen. In „Der Spinatvampir“, „Hinterm Haus der Wassermann“ oder „Roller und Rosenkranz“ geht es zum Beispiel um ganz andere Themen.

Sie wehren sich auch dagegen, eine „Kinderbuch-Autorin“ zu sein.

Ja, ich habe viele Jugendbücher geschrieben: „Die letzten Kinder von Schewenborn“ und „Die Wolke“ wurden aber von mindestens ebenso vielen Erwachsenen gelesen. Sie haben viel bewirkt. Sie sind spannend. Deswegen werden sie gern gelesen. Beides sind Bestseller. Und das, obwohl sie kein Happy End haben.

Wir sollten uns erinnern, dass viele früher selbst Flüchtlinge waren

Gudrun Pausewang, Schriftstellerin

Vier Jahre lang waren wegen der Fukushima-Katastrophe alle AKWs in Japan abgeschaltet. Was haben Sie gedacht, als jetzt das erste wieder hochgefahren wurde?

Ich habe eine Freundin in Japan; sie spricht sehr gut Deutsch, weil sie in Göttingen studiert hat. Gleich nach der Katastrophe von Fukushima habe ich sie angerufen und gefragt: „Wie kann ein so intelligentes Volk wie die Japaner nach den traurigen Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki zulassen, dass auf seinen wackligen Inseln, da gibt es oft Erdbeben, über 50 Atomkraftwerke gebaut werden?“ Ihre Antwort: „Na ja, weißt Du, mein Volk hat nie gelernt, gegen die eigenen Leute Widerstand zu leisten ...“

Das kommt bei Ihren Büchern ja häufiger vor. Was reizt Sie an einem „traurigen Buchende“?

Heutzutage möchte man vor allem Happy Ends haben, eine heile Welt. Das heißt, man weicht den realen Themen gerne aus. Ich versuche, mich am realen Leben zu orientieren. Da gibt es eben nicht immer Happy Ends. Ich nehme meine Leser ernst, egal, wie alt sie sind. Die Welt ist nicht heil. Das wissen auch schon Kinder. In der Wirklichkeit ist das Ende eben manchmal happy, manchmal nicht. Deshalb haben auch manche meiner Bücher ein gutes und manche ein trauriges Ende. Die Welt ist eben oft ungerecht. Aber bei mir gibt es ja nicht nur „traurige Buchenden“.

Warum denken Sie sich immer weiter neue Bücher, neue Enden aus? Andere gehen mit 60, 65 Jahren in Rente.

Ich wurde 1989 auch pensioniert. Trotzdem arbeite ich intensiv. Ich bin es seit meiner Kindheit gewöhnt, viel zu arbeiten. Deshalb habe ich auch jetzt ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich an einem Werktag auf einen Liegestuhl in den Garten lege und lese. Aber ich möchte auch noch einige Ideen realisieren, bevor ich verschwinde. Und die schriftstellerische Arbeit mache ich ja auch sehr gern. Im Gegensatz zur Hausarbeit. Solange mein Gehirn noch funktioniert und ich am Computer sitzen und tippen kann, werde ich schreiben.

Was treibt Sie beim Schreiben an?

Es geht um Menschlichkeit, es geht um Frieden. Und: Der Mensch muss sich verändern! Vor allem müssten Kriege abgeschafft werden. „Krieg“ müsste für den lebenden Menschen so unvorstellbar werden wie Menschenfresserei.

Zur Person

Gudrun Pausewang ist studierte Grund- und Hauptschullehrerin und wurde mit ihren Jugend- und Kinderbüchern (vor allem mit „Die Wolke“) zu einer der bekanntesten Autorinnen Deutschlands. Viele ihrer Bücher befassen sich mit Umweltthemen und dem sozialen Zusammenleben von Menschen. Gudrun Pausewang ist 87 Jahre alt und wohnt im hessischen Schlitz. Zuletzt erschienen ihre Bücher „Noch lange danach“, geschrieben nach der Reaktor-Katastrophe in Fukushima und „Der einhändige Briefträger“.

Wie ändern wir den Menschen, wie machen wir ihn friedlicher?

Der Mensch muss sich selbst ändern wollen, und zwar schnell. Es ist aber auch möglich, dass er sich nicht ändert, vielleicht aus innerer Trägheit. Dann ist eben Schluss mit ihm. Unsere Gattung hat von keiner Instanz die Garantie mitbekommen, ewig zu existieren. Die Dinos, die Mammuts, die Säbelzahntiger sind ja auch verschwunden. Das ist nichts Besonderes.

Sie haben lange in Südamerika gelebt und viel Armut und Elend gesehen. Wie gingen Sie damit um?

Ich war immer an der Seite der Armen. Als ich an den deutschen Schulen in Süd- und Mittelamerika unterrichtete, gingen viele Töchter und Söhne reicher Leute in diese Schulen: Großgrundbesitzer, Juristen, Ärzte, hohe Offiziere, Politiker. Diese reichen Eltern gingen mit den Armen oft schlimm um. Viele Großgrundbesitzer erlaubten damals zum Beispiel ihren Landarbeitern nicht, auf ihrem Grundbesitz eine Schule für deren Kinder zu errichten. Denn nach ihrer Meinung waren Analphabeten viel besser zu beherrschen als Leute, die zum Beispiel Zeitungen und Plakate lesen und Transparente beschriften konnten. Die Hoffnung der Armen stieg in Süd- und Mittelamerika enorm, als sie am Beispiel Kuba sahen, dass es doch möglich ist, mit den Reichen und Mächtigen fertig zu werden. Ich war mit vielen Armen befreundet.

Derzeit kommen viele arme Menschen in unser Land, flüchten vor Krieg und Gewalt. Was ist unser aller Aufgabe, wenn Sie an die Flüchtlinge denken, die derzeit nach Deutschland kommen?

Wir müssen sie willkommen heißen, ihnen helfen und auch in Kauf nehmen, dass wir durch sie etwas dichter wohnen und etwas ärmer werden. Vor allem sollten wir uns an die Zeiten erinnern, in denen viele von uns selbst Flüchtlinge waren und sich dankbar für alles zeigten, was sie von den Einheimischen bekamen. Auf keinen Fall sollten wir uns rechtsradikal äußern und uns gegen ihr Kommen wehren. Versetzen wir uns einfach in sie hinein.

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