Leben

Homöopathie im Kuhstall

Homöopathie hilft. Nicht nur beim Menschen, auch bei Tieren. Milchkühe bekommen immer häufiger Globuli verabreicht – vor allem von Bäuerinnen.

Angefangen hat es mit den Kindern. „Sie haben von Geburt an Globuli bekommen“, erzählt Heidi Sulzauer. „Belladonna bei Erkältungen, Aconitum bei Ohrenschmerzen. Antibiotika haben sie kaum gebraucht.“ Inzwischen ist die älteste Tochter neun Jahre alt und Heidi Sulzauer behandelt nicht mehr nur ihre Kinder mit den Milchzuckerkügelchen, sondern auch die Kühe.

Neun Milchkühe und sechs Jungtiere stehen im kleinen Laufstall der Sulzauers. Der Hof liegt am Hang, hoch über der Ortschaft Marktschellenberg bei Berchtesgaden. Sulzauers sind Bergbauern, seit 2010 von Naturland zertifiziert. Siegfried Sulzauer arbeitet tagsüber in der Molkerei Berchtesgadener Land. Seine Frau kümmert sich um die Kinder – und um die Kühe.

Globuli statt Spritzen

„Ich komme eigentlich nicht aus der Landwirtschaft, für mich war das Neuland“, erzählt Heidi Sulzauer. Deshalb rief sie früher „wegen jeder Kleinigkeit“ den Tierarzt an. „Er kam, spritzte etwas und oft wurde es trotzdem nicht besser“, beschreibt die blonde, resolute Bäuerin ihre Erfahrungen. Sie beschloss, es bei den Tieren mit Globuli zu probieren – war aber skeptisch. „Ich hab’ nicht geglaubt, dass die kleinen Kugeln bei den großen Viechern auch helfen.“

Szenenwechsel: Unten im Tal, in Piding, sitzen 50 Bäuerinnen (und zwei Bauern) im Seminarraum der Molkerei Berchtesgadener Land. Aufmerksam hören sie zu, wie die Tierheilpraktikerin Angela Lamminger-Reith die Anwendung von Caulophyllum erklärt. „Fangt vier Wochen vor dem Geburtstermin an und gebt den Tieren alle fünf Tage eine Gabe.“ Caulophyllum ist ein homöopathisches Mittel aus der getrockneten Wurzel des Blauen Hahnenfußes. Es erleichtert Schwangeren die Geburt – bei Mensch und Tier. „Gerade für erstgebärende Kühe ist es das bewährteste Mittel.“ Weiter geht es mit Pulsatilla, Phytolacca und anderen Globuli, die für eine leichte Geburt sorgen sollen.

Homöopathie bei Kühen ein Frauenthema?

Fruchtbarkeit beim Rind heißt das Thema des eintägigen Seminars. Ein typisches Frauenthema. Doch auch wenn es um Euterentzündungen oder Kälberdurchfall geht, sitzen nur wenige Männer in ihren Vorträgen, erzählt Lamminger-Reith. „Um die Gesundheit kümmern sich die Frauen. Bei den Kindern ebenso wie im Stall“, erklärt sie.

Die Tierheilpraktikerinnen Angela Lamminger-Reith und Birgit Gnadl sind die Fachfrauen für Homöopathie im Kuhstall. Sie beraten Bauern und geben Seminare in ganz Deutschland und Österreich. Immer öfter rufen auch Landwirtschaftskammern und -ämter bei ihnen an. „Wir sind für 2016 ziemlich ausgebucht“, umschreibt Lamminger-Reith die Nachfrage. Einer ihrer Kunden ist schon seit einigen Jahren die Molkerei Berchtesgadener Land (siehe Interview unten).

Zurück in den Stall: Den haben die Sulzauers 2009 neu gebaut, zwanzig Meter unterhalb des Wohnhauses. Davor waren die Tiere in einem kleinen Anbindestall im Hofgebäude untergebracht. Eng und unpraktisch. In dem neuen, fast quadratischen Bau ist deutlich mehr Platz und einen befestigten Auslauf gibt es zusätzlich.

Von Geburtsvorbereitung bis Kälberdurchfall

„Wir haben hier oben vier Monate richtig Winter“, erklärt Heidi Sulzauer die massiven Mauern. In der einen Hälfte des Stalls haben die Milchkühe ihre Liegeplätze und Fressbereiche. Ihnen gegenüber liegen die Boxen für die Kälber und Jungtiere. In einer Ecke befindet sich der Melkstand. Hier probiert die Bäuerin aus, was sie in den Kursen der Tierheilpraktikerinnen gelernt hat. Die ersten Erfahrungen machte sie bei der Geburtsvorbereitung: „Die Kalbinnen, also die Erstgebärenden, die sind viel ruhiger, entspannter als früher. Das geht fast von selbst.“ Falls es doch schwieriger wird, bekommt die Kuh Gelsenium. „Dann weitet sie sich.“ Nach der Geburt gibt Heidi Sulzauer der Mutter Arnica, damit sich die Gebärmutter schnell wieder zusammenzieht. „Auch die Kälber sind vitaler, schauen gleich und saufen gut.“

Die homöopathischen Mittel im Kuhstall sind oft die gleichen wie im Kinderzimmer: „Wenn die Kälber sich mal überfressen, dann gebe ich ihnen Nux Vomica oder Arsenicum album.“ Haben sich die Tiere erkältet, bekommen sie Aconitum oder Bryonia. Heidi Sulzauer holt das etwa 20 Zentimeter lange Thermometer: „Wenn ich merke, dass ein paar Tiere husten, messe ich gleich bei allen Fieber, um eine Rindergrippe auszuschließen.“ Bei fast allen. „Die Österreicherin da, die lässt sich partout nicht Fieber messen. Die wehrt sich richtig.“ Ihren Namen hat die Kuh, weil die Sulzauers sie im nahen Österreich zugekauft haben.

Wie gibt man Kühen Globuli?

Doch wie verabreicht man Kühen die kleinen Kügelchen? Auf die Zunge legen? Da lacht Heidi Sulzauer. „Die gängige Methode ist es, drei Globuli in 100 Milliliter Wasser aufzulösen. Meistens sind es hohe Potenzen wie C30. Dazu kommt noch ein Stamperl Schnaps zur Konservierung.“ Die Lösung kommt in eine Sprühflasche und wird den Tieren auf die Nase gesprüht. „Am Anfang schreckt sie der Geruch des Alkohols etwas, aber sie gewöhnen sich daran.“
Alles wird aufgeschrieben

Bei manchen Tieren und manchen Mitteln wählt die Bäuerin den Hintereingang. „Dann stecke ich die Globuli in die Scheidentasche. Ich weiß nicht, warum es in diesen Fällen besser hilft, aber es ist so. Die Tiere haben ja auch völlig unterschiedliche Temperamente und Eigenschaften.“ Was bei welchem Tier am besten hilft, schreibt Heidi Sulzauer in ein kleines Büchlein.

Welche Globuli bei Euterentzündungen?

Bei Euterentzündungen schaut sie sich neben ihren Eintragungen auch die Milch der Tiere genau an. Denn darin schwimmen kleine Flocken. „Ob ich Hepar sulfur oder Phytolacca gebe, hängt auch davon ab, wie viele Flankerln in der Milch schwimmen, wie sie aussehen, ob sie rahmig sind oder stinken.“ Zusätzlich verabreicht sie Nosoden. Das sind homöopathische Zubereitungen aus den Erregern der Entzündung.

Euterentzündungen, auch Mastitis genannt, sind ein großes Problem – bio und konventionell. Das tägliche Melken strapaziert die Zitzen und macht sie anfällig für Erreger. Die gängige Behandlung sind Antibiotika. Der Tierarzt verschreibt sie bei akuten Fällen. Während der Behandlung und einige Tage danach darf die Milch nicht vermarktet werden. Die Bauern schütten sie deshalb weg. Für Bio-Bauern sind die für jeden Wirkstoff eigens festgelegten Sperrzeiten doppelt so lang. Auch dürfen sie ihre Tiere nicht mehr als drei Mal im Jahr mit Antibiotika behandeln. Sonst verlieren sie ihren Bio-Status.

Bei Euterentzündungen setzen Bauern Antibiotika auch systematisch ein, in der Trockenstellzeit. So heißen die sechs bis acht Wochen vor dem Abkalben, in denen die trächtige Kuh aus der Produktion genommen und nicht mehr gemolken wird. Es ist die ideale Zeit, um eine Euterentzündung auszukurieren.

Globuli statt Antibiotika

1619 Tonnen Antibiotika haben die Tierärzte 2012 in Deutschland an Bauern abgegeben. Wie viel davon in Kuhställen eingesetzt wurde, ist nicht bekannt. Die amtliche Statistik unterscheidet bisher nur nach Wirkstoffen, nicht nach Tierarten. Untersuchungen der baden-württembergischen Landesämter haben gezeigt, dass viele Mastitis-Erreger bereits gegen einzelne Antibiotika resistent sind. Ihre niedersächsischen Kollegen fanden multiresistente MRSA-Keime in 5 von 63 Rohmilchproben. Das ist weit weniger im Vergleich zu Hühner- oder Schweinefleisch. Doch immer mehr Milchbauern machen sich Sorgen und versuchen, den Antibiotikaverbrauch zu verringern.

Dabei können Globuli helfen. Angela Lamminger-Reith betont aber, dass Homöopathie im Kuhstall ihre Grenzen hat. „Bei einer akuten Euterentzündung mit Fieber und schlechtem Allgemeinbefinden, da braucht es begleitend Antibiotika.“ Auch zeigen sich bei der Homöopathie Ergebnisse erst mit der Zeit. „Das ist ein Entwicklungsprozess, kein Schalter, den man einfach umlegt.“

Auf Betrieben, die Homöopathie im Stall anwenden, wird das Verhältnis zwischen der Bäuerin und den Tieren viel intensiver.

Angela Lamminger-Reith, Tierheilpraktikerin

Sie schätzt, dass Betriebe, die konsequent homöopathisch arbeiten und sich fortbilden, nach drei bis vier Jahren nur noch halb so viel Antibiotika brauchen wie früher. Das wäre eine ganze Menge. Zudem haben die Kügelchen eine positive Nebenwirkung: „Auf Betrieben, die Homöopathie im Stall anwenden, wird das Verhältnis zwischen der Bäuerin und den Tieren viel intensiver“, hat Lamminger-Reith beobachtet. „Und das Verständnis für Zusammenhänge wächst.“ Etwa dafür, dass durch die vorbeugende Euterbehandlung mit Antibiotika vor der Geburt die erste Milch für das Kalb voller Rückstände ist. „Die Folgen liegen auf der Hand. Das Antibiotikum schwächt die Darmflora und die Kälber sind besonders anfällig für Durchfall.“

Bei Tierärzten ist es mit der Homöopathie nicht anders als bei Humanärzten. Manche schwören darauf, viele sind skeptisch. Heidi Sulzauer hat sich mit ihrem Tierarzt schon manche Diskussion geliefert „Das ist kein Überzeugter. Er sagt bloß immer: Meine Nummer hast du ja.“ Sie ruft auch an – aber erst, wenn sie den Tieren nicht selbst helfen kann. Und das passiert selten.

Die junge Bäuerin will noch intensiver mit Globuli arbeiten. „Die Fruchtbarkeit der Tiere ist ein Thema, bei dem ich mich noch mehr informieren muss.“ Außerdem will sie ein neues Mittel ausprobieren, Rumex. Nicht bei ihren Kühen, sondern auf der Wiese. Rumex soll den Ampfer, ein gefürchtetes Unkraut, klein halten. „Mal schauen, ob’s hilft.“

Gesunde Euter: Globuli statt Antibiotika

Das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL untersuchte bei über 100 schweizer Bio-Betrieben mehrere Jahre die Wirkung einer homöopathischen Euterbehandlung. Das Ergebnis: Der schon zu Beginn im Vergleich zu konventionellen Betrieben unterdurchschnittliche Antibiotikaeinsatz verringerte sich innerhalb von zwei Jahren um ein Drittel. Zugleich verbesserte sich die Fruchtbarkeit der Tiere. Einige andere Studien belegen, dass Globuli bei Mastitis so wirkungsvoll sind wie Antibiotika – die Erfolgsquote liegt bei 60 bis 70 Prozent.

Interview: „Homöopathie ist ein wichtiger Baustein“

Bernhard Pointner ist Geschäftsführer der Molkerei Berchtesgadener Land in Piding. Die Genossenschaft gehört 1.700 Milchbauern.

Warum engagiert sich eine Molkerei für Globuli im Kuhstall?

Wir haben einen sehr engen Kontakt mit unseren Landwirten. Bäuerinnen haben uns erzählt, dass sie schon seit über zehn Jahren ihre Kühe homöopathisch behandeln und es funktioniert. Der Mann der Tierheilpraktikerin Birgit Gnadl ist bei uns Mitglied im Vorstand. Deshalb haben wir beschlossen: Das machen wir.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wir bieten unseren Bauern und Bäuerinnen Kurse an. Auf den Einführungskurs folgen themenspezifische Fortbildungen. Wir hatten jetzt innerhalb von zwei Wochen zehn Tagesseminare mit jeweils 50 Teilnehmerinnen.

Wie viele Ihrer 1700 Bauern arbeiten mit Homöopathie?

Alle Seminare zusammengezählt, hatten wir bisher deutlich über 1000 Teilnehmer. Davon haben aber auch viele zwei Kurse besucht. Andere haben sich auf externen Seminaren fortgebildet. Genau kann ich es nicht sagen, vielleicht die Hälfte. Man kann das nicht erzwingen, das muss aus Überzeugung passieren.

Sind Sie von Homöopathie überzeugt?

Ja, bei uns in der Familie wird Homöopathie seit Jahrzehnten praktiziert.

Was bringt das Engagement der Molkerei?

Wir werden nie so günstig produzieren können wie Molkereien in Nord- oder Ostdeutschland. Schon weil wir im Winter mit Schneeketten bis auf 1200 Meter zu kleinen Höfen hochfahren, um dort die Milch einer Handvoll Kühe abzuholen. Deshalb setzen wir auf Qualität. Dazu zählt auch, den Einsatz von Antibiotika zu verringern und damit die Gefahr von Resistenzbildungen. Homöopathie ist da ein wichtiger Baustein.

Gibt es noch andere Bausteine?

Wir bieten unseren Landwirten für die Fütterung ihrer Kühe naturbelassenes Steinsalz aus Berchtesgaden an. Das ist regional gewonnen und enthält, anders als das gängige Industriesalz, keine Jodzusätze und keine aluminiumhaltigen Rieselhilfen. Wir haben festgestellt, dass Bauern, die auf dieses Salz umstellen, eine bessere Milchqualität liefern und die Euterkrankheiten zurückgehen.

Mehr zum Thema Homöopathie bei Kühen

Das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL untersuchte bei über 100 Schweizer Bio-Betrieben mehrere Jahre lang die Wirkung einer homöopathischen Euterbehandlung. Das Ergebnis: Der schon zu Beginn unterdurchschnittliche Antibiotikaeinsatz verringerte sich um ein Drittel. Zugleich verbesserte sich die Fruchtbarkeit der Tiere. Einige Studien belegen, dass Globuli bei Mastitis so wirkungsvoll sind wie Antibiotika – die Erfolgsquote liegt bei 60 bis 70 Prozent.

Weitere Studien

Diplomarbeit Helmholz, Kassel 2002
Zur Anwendung von homöopathischen Mitteln in der ökologischen
Tierhaltung unter besonderer Berücksichtigung der Mastitis
http://orgprints.org/902/1/helmholz-2002-mastitis-homoeopathie.pdf

Fibl-Studie in Brodowin
Homöopathie statt Antibiotika:
Feldstudie liefert erste Resultate
Ökologie&Landbau 2/2000
http://orgprints.org/3153/1/Brodo1_Oel.pdf

FiBL Abschlussbericht Pror-Q-Projekt 2009
http://www.breitwiesenhof.de/wp-content/uploads/2012/01/Abschlussbericht_proQ2009_allg.pdf

Dissertation Sylvia Garbe, Berlin 2003
Untersuchungen zur Verbesserung der Eutergesundheit bei Milchkühen unter besonderer
Berücksichtigung des Einsatzes von Homöopathika.
https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/9516

Homöopathie bei Haustieren

Auch kleine Haustiere lassen sich gut homöopathisch behandeln. Wie beschreibt Richard Pitcairn in dem Buch „Natürliche Gesundheit für Hund und Katze“, Narayana Verlag 2013, 616 Seiten, 39 Euro.

Oder lest unserer Artikel „Globuli für Katz und Co“.

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