Kolumne

Du.Bist.Schuld.

Fred Grimm fragt sich, warum es nicht verboten ist, für eine Joghurtverpackung unzählige Plastiksorten zu verwenden, die keine Recyclinganlage der Welt trennen kann.

Im digitalen Zeitalter, in dem die Erfüllung all unserer Medienwünsche nur einen Klick entfernt ist, wirkt das planlose Zappen vor dem Fernseher wie ein Aufstand der Zufälligkeit. Einfach so daliegen und dann mit der Fernbedienung von einem Sender zum anderen, bis das Zappen ganz eigene Geschichten erzählt, die zu jenem dumpf-schläfrigen Berieselungsmodus führen, bei dem es sich so wunderbar wegdämmern lässt.

Neulich blieb ich bei einem Schwarzweiß-Beitrag aus dem dritten hessischen Programm hängen, der die Rodung großer Waldflächen für den Fernstraßenbau beklagte. Im Jahr 1964. Ich trauerte nachträglich um jeden Baum. Interessant sind auch die eher simpel gestrickten täglichen Fernsehserien, die ohne Ton wie kunstvolles pantomimisches Theater wirken.

Und dann kam der Tag, an dem ich beim Zappen auf eine Folge der eigentlich gar nicht so schlechten WDR-Wissenschaftsshow „Quarks“ stieß. Ich kam gerade rechtzeitig, um einem Journalisten beim Aufbau seines „Mülltrennungs-Parcours“ zuzuschauen. In der Kölner Innenstadt wollte das Quarks-Team testen, ob „wir Deutschen“ wirklich so gut beim Mülltrennen sind. Ich kürze ab: Wir sind es nicht. Überall lauern Fehler.

Warum darf Verpackung recyclingresistent hergestellt werden?

Fred Grimm

Den Plastikdeckel schraubt man bei der Milchpackung nicht ab, weil er sonst in der Recyclinganlage durch die Sortiermaschine fällt. Käseverpackungen und Joghurtbecher müssen erst umständlich in ihre Einzelteile zerlegt werden, weil so viele unterschiedliche Materialien verwendet wurden. Die befragten Passanten versagten. „Nicht einmal die Hälfte aller Verpackungen wurde so einsortiert, dass sie eine Chance auf Recycling gehabt hätte“, kommentierte eine strenge Stimme aus dem Off. Und dann übernahm Moderator Ralph Caspers, erinnerte daran, wie wir die Weltmeere in Plastikhöllen verwandeln und mahnte: „Gar nicht erst so viel Plastikmüll produzieren. Und das heißt: weniger kaufen.“

Ich hätte am liebsten einen leeren Joghurtbecher gegen den Bildschirm geschleudert. Natürlich OHNE vorher den Aludeckel abzureißen. Denn nicht ein Mal warfen die Quarks-Taschen die Frage auf, wie es denn überhaupt sein kann, dass Verpackungen dermaßen recyclingresistent hergestellt werden. Weniger zukünftigen Plastikmüll kaufen? Weniger Plastikmüll produzieren, müsste es doch eigentlich heißen. Denn warum ist es nicht einfach verboten, für eine Käse- oder Joghurtverpackung unzählige verschiedene Plastiksorten zu verwenden, die keine Recyclinganlage der Welt trennen kann?

Leider fügte sich diese Sendung in eine Reihe von Verbrauchershows, deren Ziel offenbar darin besteht, uns allen ein schlechtes Gewissen zu machen: Wir trennen unseren Müll falsch, essen falsch und kaufen Kleidung, die womöglich von Sklavenarbeiterinnen zusammengenäht wurde. Welche Konzerne von all unseren „Fehlern“ profitieren und welche Politiker und Politikerinnen sie dabei unterstützen, lernen wir in solchen Sendungen nie. Egal, wohin man zappt.

Fred Grimm

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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