Saatgut

Saatgut: So werden seltene Sorten vor dem Aussterben gerettet

Hochleistungspflanzen von großen Konzernen oder altes Saatgut mit Widerstandskraft? Was Saatgut-Retter und Bio-Züchter gegen die Gefahr auf unseren Äckern tun.

Der Aussteiger Friedmunt Sonnemann hat eine Mission. Auf seiner Königsfarm im Hunsrück rettet er seltene Pflanzen. Vom Hunsrücker Schnittmangold über das südamerikanische Küchenkraut Huacatay bis zum Mongolischen Steppenlauch: Angesichts der Klimakrise sei der Erhalt alter Sorten besonders wichtig, ist Sonnemann überzeugt. Doch viele von ihnen sind vom Aussterben bedroht. Denn die meisten Landwirt:innen setzen auf Hochleistungspflanzen, deren Saatgut in den Händen weniger Konzerne liegt. Dabei sind Sonnemanns Schützlinge oft deutlich genügsamer und widerstandsfähiger.

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Sonnemann lebt auf seiner Farm seit 1988 ohne fließend Wasser und elektrischen Strom. Für seine Rettungsmission braucht er seltene Samen, viel Geduld und ein wenig Hilfe. Letztere kommt mittlerweile meist ganz von allein, denn seine Arbeit und sein Lebensstil haben sich herumgesprochen. Aus den verschiedensten Winkeln der Welt besuchen ihn Menschen, um mitanzupacken. Sie säen und ackern, jäten und ernten. Sie küren die stärksten, die schönsten, die widerstandsfähigsten Gemüsesorten und andere seltene Sorten. In Handarbeit reiben sie ihre Samen aus, reinigen, sortieren und zählen, verpacken, beschriften und versenden sie. Gemeinsam mit Sonnemann erbringen sie eine Leistung, die von unserer Gesellschaft kaum noch geschätzt wird. Von wenigen verstanden und von vielen belächelt sichern sie einen Teil unserer Lebensgrundlagen, der sonst für immer verloren gehen könnte. Denn alte Sorten sind vom Aussterben bedroht.

Warum sind alte Saatgut-Sorten so viel besser?

Seine seltenen Saaten bekommt Sonnemann aus verschiedenen Quellen. „Anfangs wurde ich vor allem bei amerikanischen alternativen Saatgutfirmen fündig. Nachdem ich den Hunsrücker Schnittmangold zufällig im Schuppen eines Freundes entdeckte, fand ich in anderen Hunsrücker Gärten weitere alte Regionalsorten“, erzählt er. Im deutschsprachigen Raum arbeitet er mit Samenpflegevereinen zusammen. Auch bei Saatgutbörsen und sogar in manchen Bibliotheken kann man Samen-Schätze erhaschen. Und immer wieder findet Saatgut per Post den Weg auf die Königsfarm. Versendet von Menschen, die es mit Sonnemann tauschen möchten. Das funktioniert allerdings nur unter einer Bedingung: Das Saatgut muss von samenfesten Sorten sein. So entstehen starke Gemüsesorten, widerstandsfähige Kräuter und vieles mehr.

Samenfeste Sorten sind eigentlich das Natürlichste der Welt. Sie bilden fruchtbare Samen aus und geben mit ihnen ihre Eigenschaften wie Farbe, Form oder Größe an die Nachkommen weiter. Wer die Samen dieser Pflanzen erntet, kann sie immer wieder verwenden. Doch seit der Industrialisierung der Landwirtschaft werden samenfeste Sorten zum Auslaufmodell. Stattdessen setzt sich ein anderer Trend durch: Hybride. Im Ansatz eine geniale Erfindung, die jedoch einen hohen Preis hat. Bei der gezielten Inzucht von Pflanzen mit bestimmten Merkmalen und ihrer anschließenden Kreuzung entsteht eine Pflanze, die vor Vitalität nur so strotzt – und die höhere und gleichförmigere Erträge bringt. Allerdings ist diese Vitalität nur von kurzer Dauer. Denn Hybride können ihre Superkräfte nicht an ihre Nachkommen weitervererben. Ihr Saatgut muss deshalb Jahr für Jahr neu gekauft werden. Eine Entwicklung, die nicht nur Landwirt:innen und Gärtner:innen, sondern auch unserer biologischen Vielfalt teuer zu stehen kommt.

Weshalb verschwinden seltene Saatgut-Sorten vom Markt?

Heute kontrollieren Konzerne wie Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain mehr als die Hälfte des weltweiten Saatguts. Ihre standardisierten und patentierten Hochleistungs-Hybride sind nicht an lokale Standort- und Klimabedingungen angepasst. Stattdessen sind sie auf chemisch-synthetische Pestizide und Düngemittel angewiesen. Und es ist kein Zufall, dass deren Vermarktungsrechte bei denselben Firmen liegen, die das Saatgut verkaufen.

Die Macht über das, was wir säen, ernten und essen, konzentriert sich so in den Händen weniger globaler Player. Hektar für Hektar verdrängen die Konzerne mit Überzüchtungen, Hybriden und Chemie alte, samenfeste Sorten. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation haben sich so in den letzten 100 Jahren drei Viertel unserer einst so vielfältigen Nutzpflanzen wortwörtlich vom Acker gemacht. Auch von den Bio-Äckern?

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Saatgut: Am Haken von Bayer & Co.?

„Wer die Saat hat, hat das Sagen“, lautet ein Sprichwort. Das Sagen könnten bald nur noch große Konzerne haben. Doch es wachsen Alternativen heran.

Bio-Landwirte müssen eigentlich ökologisches Saatgut verwenden. Dieses muss von Pflanzen stammen, die seit mindestens einer Generation ohne chemisch-synthetische Pestizide oder Düngemittel angebaut wurden. Zahlreiche Ausnahmeregelungen machen jedoch deutlich: Wir haben bei Bio-Saatgut ein Versorgungs- und Prinzipienproblem.

Interview: „Die Öko-Züchtung muss intensiviert werden“

Michael Fleck
ist Geschäftsführer von Kultursaat e.V. Der gemeinnützige Verein widmet sich der Züchtung und Erforschung nachbaufähiger Bio-Gemüsesorten.
www.kultursaat.org

Warum brauchen wir Öko-Züchtung?
Wir haben „Bio von Anfang an“ im Blick, also auch Saatgut und Sorten. In der aktuellen Anbaupraxis – besonders bei Gemüse – ist das leider eher die Ausnahme. Jetzt erst recht gilt es, die Öko-Züchtung zu intensivieren und damit einen von der Sortenentwicklung an konsequent wertebasierten, zukunftsfähigen Öko-Landbau zu ermöglichen.

Wie unterscheiden sich biologische und konventionelle Züchtung?
Öko-Züchtung findet dort statt, wo Pflanzen bestehen müssen: auf dem Acker – nicht im Labor. Sämtliche Züchtungsmaßnahmen erfolgen dabei unter zertifiziert ökologischen Bedingungen. Genmanipulation ist tabu. Statt Pflanzen mit Chemie zu verteidigen, geben wir ihnen die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft zu entwickeln und anzupassen. Das ist vergleichbar mit Kindern, die viel an der frischen Luft aufwachsen – und denen man auch mal etwas zutraut, statt sie überzubehüten.

Wie viel Geld und Zeit braucht die Entwicklung einer neuen Bio-Sorte?
Bei einjährigen Kulturen dauert es von der Kreuzung bis zur Anmeldung beim Bundessortenamt etwa sieben Jahre. Die Züchtung zweijähriger Kulturen wie Kohl, der erst im zweiten Jahr blüht und Samen bildet, braucht doppelt so lange. Je Sorte fallen über die Jahre verteilt Kosten von 350 000 bis 500 000 Euro an.

Und wie wird das finanziert?
Wir verstehen Sorten als Kulturgut. Eine Finanzierung über Patente, wie das von Saatgutmultis oft betrieben wird, kommt für uns daher nicht in Frage. Niemand soll von der Nutzung und Weiterentwicklung der biologischen Vielfalt ausgeschlossen werden. Öko-Züchtung im deutschsprachigen Raum wird zu zwei Dritteln mit Spenden finanziert. Der Verkauf des Saatgutes trägt nur zu einem recht kleinen Teil bei.

Darum schützt die EU alte Saatgut-Sorten nicht

So erlaubt die EU-Öko-Verordnung sogenannte CMS-Hybride. Besonders Bio-Chicorée und -Kohl sind hiervon betroffen. Die Erträge sind bei CMS-Hybriden nicht nur deutlich höher, sondern Knospen und Kohlköpfe wachsen auch gleichförmiger. In nur einem Erntedurchgang kann dann alles abgeerntet werden. Samenfeste Sorten hingegen sind meist weniger einheitlich in Aussehen und Größe – und sie wachsen unterschiedlich schnell. Ein Segen im Hausgarten, denn so kann über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder geerntet werden. Im Erwerbsanbau hingegen kostet jeder zusätzliche Erntedurchgang Zeit und Geld.

Die Bio-Verbände Demeter, Bioland und Naturland untersagen die Verwendung von CMS-Hybriden in ihren Richtlinien. „Das ist gut so“, findet Oliver Willing. Er ist Geschäftsführer der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und unterstützt mit dem Saatgutfonds seit 1996 ökologische Saatgutinitiativen. Auch Willing weiß, dass Hybride im Vergleich zu samenfesten Sorten höhere Erträge bringen und gleichförmig wachsen. Allerdings sei Aussehen nicht alles – sondern auch innere Werte zählen. „Immer wieder zeigen samenfeste Sorten in Analysen einen höheren Trockensubstanzgehalt, meist auch eine höhere Nährstoffdichte. Die Hybride hingegen liefern in der Regel höhere Wassergehalte und damit mehr Masse“, sagt er.

Eine ernste Gefahr für Bio-Saatgut

Gleichzeitig gibt es nach wie vor nicht genug ökologisch vermehrtes Saatgut. Für die Hauptgetreidearten und für Kartoffeln ist die Versorgungslage einigermaßen gut, bei Gemüse sieht es weniger rosig aus. Wo passender Samen in Öko-Qualität fehlt, müssen Bio-Betriebe Ausnahmegenehmigungen einholen, damit sie konventionelles Saatgut verwenden dürfen. Alleine im Jahr 2022 wurden in Deutschland knapp 18 000 solcher Genehmigungen erteilt. Ab 2035 soll damit Schluss sein: Dann soll auf europäischen Bio-Äckern nur noch Bio-Saatgut eingesetzt werden. Um das zu ermöglichen, müsste die Produktion von ökologischem Saatgut laut Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL um das Sechsfache gesteigert werden. Außerdem wäre es wichtig, dass mehr Zeit und Geld in die Züchtung möglichst angepasster, samenfester Bio-Sorten investiert wird.

Doch nicht nur die Bio-Branche steht vor einer Herausforderung. In Brüssel wird aktuell an einem neuen Saatgutgesetz gearbeitet, welches es Bäuerinnen und Bauern verbieten könnte, ihr eigenes Saatgut zu ernten, zu verwenden, zu tauschen und zu verkaufen. Auch Saatgutrettern wie Sonnemann könnten mit dem neuen Gesetz bürokratische Steine in den Weg gelegt werden. Es gibt allerdings Gegenwind. Mit der Petition „Hoch die Gabeln“ machen sich Saatgutinitiativen aus ganz Europa für mehr Vielfalt in Gärten und Feldern stark. Und damit auch für Menschen wie Sonnemann, die Pflanzen vor dem Aussterben retten.

Mehr zum Thema

www.nutzpflanzenvielfalt.de
Hier finden sich Infos zum Erhalt samenfester Sorten sowie Termine für Saatgutfestivals.

www.saatgutfonds.de
Der Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft unterstützt ökologische Saatgutinitiativen.

Seeds of Europe (www.youtube.com)
Zwei junge Filmemacher*innen reisen durch Europa, besuchen Saatguterzeuger:innen an ihren Arbeitsplätzen und erfahren aus erster Hand, wie wichtig es ist, eine Vielfalt beim Saatgut in Europa zu erhalten.

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