Interview

Reinhold Messner: „Ich sehe Felswände brechen“

Vor 45 Jahren bestieg Reinhold Messner gemeinsam mit Peter Habeler als Erster den Mount Everest ohne Sauerstoffflaschen. Warum sich der Abenteurer immer wieder solchen Extremsituationen gestellt hat, darüber sprachen wir vor zwei Jahren mit ihm in den Ötztaler Alpen.

Reinhold Messner erzählt im Interview auf 1000 Metern Höhe von lebensgefährlichen Erlebnissen, seinen Verzicht und Klimaschutz.

Herr Messner, Sie waren ein Leben lang Abenteurer. Heute sind Sie Bewahrer der letzten nicht urbanisierten Räume dieser Erde. Warum?

Wenn alles zersiedelt und erschlossen ist, ist es vorbei mit der Erhabenheit der Berge. Die Bergwildnis muss als Raum verstanden werden, in dem der Mensch freiwillig auf jede weitere Erschließung verzichtet.

Bevor es zu spät ist, die Erderwärmung einzudämmen?

Die Klimaveränderung ist in einem Jahrhundert von Menschen mitgestaltet worden und wird nicht so leicht zurückführbar sein. Ich sehe die Veränderungen schon lange. Wie der Baumbestand weiter oben am Berg zunimmt, wie der Permafrost schwindet, wie die Berge verwittern. Es brechen in den Dolomiten Felswände so groß wie Hochhäuser ab. In den letzten zwei, drei Jahren mehr als in den 50 davor.

Sie waren bis 2004 für die Grünen im Europaparlament. Was erwarten Sie von unseren Politikern?
Dass sie das Thema Wachstum hinterfragen. Wir müssen mit weniger Konsum gleichviel Lebensqualität für alle erreichen. Das wäre ein großer Schritt, eine Trendwende!

Zur Person: Reinhold Messner

Extrembergsteiger, das ist ein Attribut, das einem anhaftet, wenn man als Erster alle 14 Achttausender dieser Erde erklommen hat. Reinhold Messner ist Abenteurer und Geschichtenerzähler. Immer wieder zog er mutig in die Bergwildnis, kehrte heil zurück und zog, weil er ein weiteres Leben geschenkt bekommen hatte, wieder los. Messner hat in Südtirol sechs Museen über die Berge initiiert. Darin vermittelt er die Geschichte des Alpinismus, die 1786 mit der Besteigung des Mont Blanc begonnen hatte. Zurzeit arbeitet er an einer Dokumentar-Filmreihe über die Dolomiten.

Sie sagen: Wir haben den Konsum zu weit getrieben. – Wie wird Verzicht zum positiven Wert?

Jedenfalls nicht durch Verbote. Verzicht gelingt, wenn man feststellt: Ich fühle mich besser damit. Das gilt für Alltag und Abenteuer. Bei meinen Expeditionen kam ich im Vergleich zu anderen mit einem Bruchteil an Gepäck und Kosten aus. Verzicht kann uns mit Genugtuung erfüllen. Gerade in unserer Gesellschaft, die so sehr und immer noch mehr auf Konsum aufgebaut ist.

Ärgert es Sie, dass immer mehr Touristen in die letzte unberührte Natur gekarrt werden?

Wir brauchen Tourismus. Aber Touristen in Massen, konzentriert auf einen Ort, sind eine zu große Belastung, ein Fehler. Wir müssen die Leute verteilen und das Land entschleunigen.

Wie soll das gehen?

Das ist in den Alpen leicht zu machen durch „sanften Tourismus“ jenseits und abseits der großen Gebiete, in die alles drängt. Das Skifahren per Skilift nimmt ab, das Touren-Skifahren nimmt zu, das ist ein positiver Trend.

Macht es Sie wütend, wie wir Menschen mit der Natur umgehen?

Mich stören die Influencer, die ein Foto machen und andere dazu einladen, an derselben Stelle ein Foto zu machen. Wir genießen den Urlaub nicht, indem wir Fotos machen. Die Leute kommen in die Berge, um Stille und Entschleunigung zu erleben. Massentourismus ist das Gegenteil, den Menschen geht damit das verloren, was sie suchen. Influencer sorgen leider mit dafür, dass noch mehr Hotspots entstehen.

Sie haben selbst sechs Museen in die Berge gebaut.

Ja, und ich habe sie über das ganze Land verteilt, damit nicht alle Touristen in einem einzigen Museum zusammenkommen. Und innerhalb der Museumsmauern finden sie Stille, absolute Stille. Das war mein Anspruch.

Ich habe meinen Instinkt trainiert wie einen Muskel.

Reinhold Messner, früherer Extrembergsteiger

Auch Essen ist politisch: Ist es Ihnen wichtig, wie und was Sie essen?

Ich esse im Grunde alles. Ich war in wilden Gegenden, wo dem Ehrengast als Willkommensgeschenk das Ohr oder die ausgestochenen Augen eines Schafs gereicht wurden. Das musst du dann essen, wie viel Überwindung es auch kosten mag.

Das war die Antwort des Abenteurers. Was haben Sie heute gefrühstückt?

Kaffee. Wir essen nur einmal am Tag.

Das ist Intervallfasten.

Kletterfasten. Als ich früher losgezogen bin, wollte ich auf schweren Touren nicht noch Proviant mitschleppen. Ich konnte drei Tage lang ohne Essen auskommen. Heute esse ich einmal am Tag, was mir schmeckt. Auch Fleisch, aber wenig. Wir streben an, gänzlich Selbstversorger zu werden, haben Gärten, Bauernhöfe, einen Weinhof. Wir produzieren Fleisch, Gemüse, Obst, Honig. Alles echt bio!

Auf Ihren Touren waren Sie häufig in Lebensgefahr. Warum tut man das?

Aus Neugierde vielleicht. Ich bin zwischen dem fünften und fünfzehnten Lebensjahr sehr viel ins Gebirge gestiegen und geklettert. Ich habe meinen Instinkt trainiert wie einen Muskel. Ich bin langsam hineingewachsen und habe zu ahnen und schauen gelernt: Das Wetter wird schlecht, der Fels da ist nicht gut, hier kann ich aus der Bergflanke eine Kletterroute herauslesen.

In Ihrer Autobiografie beschreiben Sie Todesgefahr so: Ich hatte mich mit dem Tod angefreundet, Sterben wurde zu einer Selbstverständlichkeit.

Es gab diese Momente ohne Hoffnung mehr auf Rettung. Der Selbsterhaltungstrieb gab nach, die Energie wurde schwächer. Ich hatte mich mit dem Tod angefreundet. Das Sterben wurde zu einem erlösenden Moment. Bis zuletzt doch noch Rettung kam.

Und dann kommen Sie lebendig zurück und ziehen wieder los. Warum?

Das ist ganz einfach: Ich komme zurück und werde mit dem großartigen Gefühl belohnt, es geschafft zu haben. Wieder ist alles möglich! Wieder habe ich das ganze Leben vor mir.

Was langweilt Sie?

Nichts. Langeweile kommt nicht vor.

Langweilige Menschen?

Naja, wenn jemand am Telefon zu lange redet. Ich kann tage- und nächtelang mit Freunden zusammensitzen und diskutieren. Am Telefon bin ich kurz. In meiner Generation hat man sich am Telefon verständigt und dann aufgelegt.

Die Berge beschäftigen Sie bis heute. Woran arbeiten Sie gerade?

Am dritten von sechs Dokumentarfilmen über die Dolomiten. Ich erzähle darin, wie sich der Zugang der Menschen zu den Bergen im Verlauf von 150 Jahren verändert hat.

Unser Autor Jo Berlien brachte die Schrot&Korn zu Messner nach Südtirol. Diane Schumacher, seit Mai Messners Ehefrau, ist Schrot&Korn-Fan.

Veröffentlicht am

Kommentare

Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.

Das könnte interessant sein

Unsere Empfehlung

Ähnliche Beiträge