In öffentlichen Bauten, besonders in Schulen, tickt nach Meinung von Kritikern eine gefährliche Zeitbombe: Schätzungsweise ein Drittel der 45.000 Gebäude ist in Deutschland verseucht mit PCB. Obwohl das aggressive Chemikaliengemisch schwerste Krankheiten auslösen kann, kommt die notwendige Sanierung nur schleppend voran.
Glaubt man dem Rostocker Umweltarzt Bodo Kuklinski, dann kommt auf Deutschland möglicherweise eine Welle von Krebserkrankungen zu, falls mit polychlorierten Biphenylen (PCB) belastete Wohnblocks und öffentliche Gebäude nicht zügiger als bisher saniert werden. Allein jede dritte Schule ist nach Meinung des PCB-Experten mit der giftigen Chemikalie verseucht. In den meisten Fertigbauten, die während der sechziger und siebziger Jahre entstanden, wurden PCB als Weichmacher in Fugenmassen verwendet. Und dies vorwiegend in den alten Bundesländern, denn der damals mit Plattenbauten übersäten DDR fehlte für das teure Dichtungsmaterial schlichtweg das Geld.
Obwohl Produktion und Anwendung von PCB längst gestoppt wurden, kommen die Langzeitfolgen erst allmählich ans Licht. Die unsichtbaren, geruchlosen Dämpfe der in Reinform ölartigen Flüssigkeit gasen nach und nach aus. Werden sie inhaliert, können sie die Lungenfunktion, das Nerven- und Immunsystem schädigen, mitunter zu Unfruchtbarkeit führen und nicht selten auch zu Krebs. In einer Bremer Gesamtschule war sogar die Rede von "Umwelt-Aids". Das Symptomenbild einer chronischen PCB-Vergiftung ist vielfältig, erste Anzeichen sind oft Unruhe, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Depressionen und Allergien.
Rechtsverbindliche Grenzwerte für die PCB-Belastung der Innenraumluft gibt es nicht, nur Richtwerte, die das frühere Bundesgesundheitsamt (BGA) im Rahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes festlegte. In der Praxis werden sie von den Ämtern aber ähnlich wie Grenzwerte gehandhabt. PCB-Konzentrationen bis 300 Nanogramm (ng) pro Kubikmeter gelten als unbedenklich, bei Werten zwischen 300 und 3.000 ng "sollte die Quelle der Raumluftverunreinigung aufgespürt und nach Möglichkeit beseitigt werden". Selbst Konzentrationen zwischen 3.000 und 10.000 ng stellen aus BGA-Sicht "noch kein konkretes gesundheitliches Risiko dar".
Für die Behörden viel Spielraum, um untätig zu bleiben, wie Kritiker bemängeln. Der Bund hat hier ohnehin "keinen direkten Zugriff und kann nur Empfehlungen abgeben", so Dr. Elke Roßkamp, die Leiterin des Fachgebiets toxikologische Bewertung von Umweltschadstoffen beim Umweltbundesamt (UBA) in Berlin. Baufragen sind Ländersache, weitere Kompetenzen im Schulbereich haben die einzelnen Kreise. Und hier geht man von Ort zu Ort sehr unterschiedlich mit der Problematik um. Das Verwaltungsgericht in Wiesbaden legte strengere Maßstäbe an als das BGA und zog die Grenze, bei deren Überschreitung sofort saniert werden muss, bei 1.000 ng. Grundlage der meisten Berechnungen ist jedoch die akzeptable tägliche Dosis (ADI), die auf ein Mikrogramm PCB pro kg Körpergewicht beziffert wird. Nimmt man eine 24-stündige Exposition an, ist erst bei 3.000 ng die Belastungsgrenze erreicht.
Während die Schulaufsicht gerne die Gefahren herunterrechnet mit dem Argument, die Schüler hielten sich nur einige Stunden pro Tag und während der Ferien und Wochenenden gar nicht in den Räumen auf, sind derlei Zahlenspiele für Thilo Maack von Greenpeace "bei einem Dauergift wie PCB ein Witz. Eigentlich müßte die Grenze bei Null liegen." Ein frommer Wunsch, soviel ist Maack auch klar. Selbst bei Pottwalen, die in 2000 Meter Meerestiefe in vermeintlich klarem Wasser lebten, habe man alarmierende PCB-Belastungen festgestellt. Dass die amtlichen Richtwerte die realen Gefahren unterschätzen, glaubt auch der Kieler Toxikologe Hermann Kruse. Eine Luftbelastung von zehn Nanogramm sei "gerade noch annehmbar". Gerade Kinder würden generell viel sensibler auf Umweltgifte reagieren als Erwachsene. Kruse stützt sich auf Studien aus den USA, wo der PCB-Grenzwert schon länger bei acht Nanogramm liegt.
"Dort, wo die chemische Industrie große Bedeutung hat, sind die Grenzwerte höher als anderswo", argwöhnt der Informatik-Professor Edwin Schicker, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltgifte aus dem oberpfälzischen Neutraubling. An der dortigen Realschule waren zwei Schüler und sechs von 30 Lehrern an Krebs gestorben, eine auffallende "statistische Häufung" (Amtsjargon), die Schicker vor allem auf PCB im Zusammenwirken mit Mineralfasern zurückführt. Der direkte Nachweis ist freilich schwer zu erbringen, da die meisten Erkrankungen mehr als nur eine Ursache haben. Die Neutraublinger hatten Glück im Unglück, das Landratsamt Regensburg entschied sich auf zunehmenden Druck von außen hin für einen Schulneubau für rund 20 Millionen Mark. Im November 1999 soll er bezugsfertig sein, bis dahin müssen Lehrer und Schüler allerdings noch die kontaminierte Luft einatmen. Immerhin konnten die Betroffenen durch eine Petition beim bayerischen Landtag einen "Kompromiss" durchsetzen: tägliches feuchtes Wischen reduziert die PCB-Belastung der Raumluft nach Schickers Angaben um ungefähr 20 Prozent. Was Schicker besonders ärgert: Auch viele Gutachter klebten stur an willkürlich postulierten Zahlen und seien blind für die konkreten Nöte der Menschen. Diese gerieten schnell in den Ruch von Simulanten. In einem Land, das nach Schickers Worten "geradezu "grenzwerthörig" ist, kein Wunder.
Neutraubling ist überall, ist man versucht zu titeln, denn ungewöhnlich hohe Krebsraten sind an deutschen Schulen keine Seltenheit. An der Friedrich-Ebert-Grundschule im hessischen Baunatal starben vier von 20 Lehrern an Krebs. Das Gebäude ist längst abgerissen, offiziell wegen Baufälligkeit. Der ehemalige Rektor Wolfgang Krug hat eine andere Erklärung. Ein unappetitlicher Cocktail aus PCB, Schimmelpilzen und womöglich Radon sei für die Misere verantwortlich. Krug (46) selbst war an Hodenkrebs erkrankt, schied mit 39 aus dem Schuldienst aus und kämpft seitdem "ums Überleben" sowie die Anerkennung seiner Leiden als Berufskrankheit. "Im Grunde haben die Geschädigten nicht die Spur einer Chance", so sein vorläufiges Fazit. Gäbe es eine Beweislastumkehr, müssten also die Chemiefirmen, die mit ihren Produkten Millionen verdienen, auch deren Unschädlichkeit nachweisen, sähe die Sache anders aus. Krug ist sich sicher, dass PCB ihn zum Frührentner gemacht hat. Mittlerweile ist er extrem sensibel auch für andere Umweltgifte und mehr oder weniger "auf der Flucht".
Als PCB-Opfer sieht sich auch der Diplomingenieur Bernd Wagner, der in einem Reparaturbetrieb für Bergbaubedarf mit PCB-haltigen Hydraulikflüssigkeiten in Berührung kam. Auch Wagner bekam Krebs, obwohl er nur wenige Monate dort arbeitete. Als Wagner Alarm schlug, nahm die Berufsgenossenschaft Messungen vor, bei acht Grad Celsius. "Wer so etwas tut, lügt oder erstellt ein Fehlgutachten", so Wagner. An manchen Sommertagen betrug die Arbeitstemperatur bis zu 35 Grad. Wagner hat sich richtig reingekniet in die PCB-Thematik, studiert regelmäßig die medizinische Fachliteratur und macht trotz persönlicher Gesundheitsprobleme anderen Geschädigten Mut: "Lasst euch nicht veräppeln mit Grenzwerten." Deren Aussagekraft zieht auch Wagners Berufskollege Johann J. Fonfara in Zweifel, der in Dreieich bei Frankfurt ein Gutachter-Labor betreibt. "Jeder Mensch reagiert von seiner genetischen Ausrüstung her völlig anders auf Chemikalien". Und was noch wichtiger sei - die unzähligen Wechselwirkungen der Einzelsubstanzen untereinander habe man allenfalls in Ansätzen erforscht.
Es gibt zwar wissenschaftliche PCB-Symposien und offizielle Sanierungsleitfäden, aber keine flächendeckenden Untersuchungen in Lehranstalten. Von Blutanalysen bei den Betroffenen, die allein die individuelle Belastung ermitteln können, ganz zu schweigen. "Wollten die Verantwortlichen tatsächlich Verantwortung übernehmen, müssten 10.000 Schulen in den alten Bundesländern schon längst saniert oder aber geschlossen sein". So schrieb die Humanbiologin Irina Wulle in der Hessischen Lehrerzeitung vom Februar dieses Jahres. Viele Schulen seien aber bis heute noch nicht einmal auf PCB überprüft. Dort, wo man fündig geworden sei, werde "vertuscht, verharmlost, verzögert." Dass manche Behörden schneller schalten und wie in Darmstadt schon bei Werten über 1.000 ng PCB umgehend mehrere Schulen dichtmachen, erscheint eher als rühmliche Ausnahme. Wulle: "Ohne öffentlichen Protest, ohne Medien, ohne Nachfragen geht gar nichts." An Wulles Einsatzstelle, der Grundschule Wallrabenstein, waren die PCB-Werte nach einer offensichtlich misslungenen "Pilotsanierung" höher als je zuvor. Als die Eltern sich weigerten, ihre Kinder weiter in die giftbelasteten Räume zu schicken, drohte die Schulbürokratie mit dem Gesetz. Irina Wulle schreckt dies nicht: "Niemand kann Kinder und Lehrkräfte in ein Schulgebäude zwingen, das krank macht."
Wulle wünscht sich mehr Zivilcourage auch bei Beamten in höheren Positionen. Doch gerade die scheinen zu zaudern, denn fachgerechte Sanierungen sind teuer, man kalkuliert mit 300 Mark pro Kubikmeter für die komplette Entfernung des gefährlichen Materials. Hochgerechnet auf das gesamte Bundesgebiet, gingen die Kosten in die Milliarden, ein Gedanke, der manche Entscheidungsträger wohl stärker beunruhigt als die unheimliche Giftfracht PCB.
Hans Krautstein
Polychlorierte Biphenyle (PCB) haben sich rund um den Globus verbreitet
Polychlorierte Biphenyle (PCB) nennt man eine Gruppe von 209 chlorhaltigen Kohlenwasserstoffverbindungen, die ursprünglich in der Natur nicht vorkamen. Ihre industrielle Herstellung begann schon 1929. Wegen ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften - sie sind hitzebeständig und schwer entflammbar - waren PCB bis weit in die siebziger Jahre hinein in verschiedenen technischen Anwendungsbereichen sehr beliebt. Rund 24.000 Tonnen PCB hat man in Klebstoffen, Anstrichen und Dichtungsmassen verarbeitet, bis 1978 der Einsatz in solch "offenen Systemen" verboten wurde. Niemand weiß genau, wo die Gifte geblieben sind, zumindest ein Teil davon wurde wahrscheinlich mit dem normalen Hausmüll "entsorgt".
Insgesamt 59.000 Tonnen PCB wurden in "geschlossenen Systemen" eingesetzt, allein 46.500 Tonnen von der Elektroindustrie in Transformatoren, Kondensatoren und etlichen anderen Bauteilen. Hier wurde erst 1989 die Anwendung per Gesetz gestoppt. Ein Produktionsverbot war sechs Jahre vorher in Kraft getreten. Trotz ähnlicher Beschränkungen in vielen anderen Ländern sind PCB bis heute weltweit verbreitet und überall in der Umwelt und im menschlichen Körper nachweisbar. Die fettlöslichen Substanzen reichern sich in der Nahrungskette an und lassen sich auch langfristig kaum abbauen. Bei ihrer Verbrennung, eventuell bereits unter Einfluß von intensivem UV-Licht oder ionisierender Strahlung, können sich die seit der Seveso-Katastrophe berüchtigten Dioxine bilden, mit die gefährlichsten Umweltgifte überhaupt. Unabhängige Wissenschaftler fordern daher seit langem eine völlige Entfernung von PCB aus dem Lebensbereich des Menschen.
Kontaktadressen:
- Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, Bernd Wagner, Herrmannstraße 6, 45527 Hattingen, Telefon 02324-30427.
- Dr. Bodo Kuklinski, Umweltarzt, Telefon 0381-4907470.
- Bürgerinitiative Umweltgifte, Professor Dr. Edwin Schicker, Telefon 09401-80667.
- Institut für Ökotoxikologie, Johann J. Fonfara, Robert-Bosch-Straße 12a, 63303 Dreieich. Anfragen bitte schriftlich.
- Institut für Umweltkrankheiten, Im Kurpark 1, 34308 Bad Emstal, Telefon 05624-8061.
- Umweltbundesamt (UBA), Dr. Elke Roßkamp, Expertin Innenraumluft, Telefon 030-89031600.
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