Umwelt

Next Generation

Junge Bios: Die Branche steht vor einem Generationenwechsel. Die Pioniere machen Platz. Wer sind die Neuen?

Viele Bio-Firmen entstanden in den bio-bewegten 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts, ihre Gründer sind inzwischen im besten Rentenalter. Sie haben viel Energie und Herzblut in ihre Unternehmen gesteckt, standen selbst stundenlang an Müsli-Misch-Maschinen oder verkauften ihre Waren aus dem VW-Bus. Jetzt wird es Zeit für verdiente (Un)Ruhestände und neue Gesichter in den Chefetagen.

Wir wollten wissen, wer da in Zukunft die Hände ans Ruder legt und haben sieben Söhne und Töchter gefragt, warum sie ins Unternehmen eingestiegen sind. Gerade in Bio-Unternehmen scheinen es besonders häufig Familienangehörige zu sein, die verantwortliche Positionen übernehmen. Sie treten ein großes Erbe an: Aus Pionierbetrieben sind teilweise Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern geworden. Die Branche hat sich professionalisiert.

Hieß es früher hin und wieder „einfach machen“ geht das nicht mehr so einfach wie früher – viele Mitarbeiter hängen von den Entscheidungen ab. Auch ist es nicht immer leicht, im Familienunternehmen Führungspositionen zu übernehmen. So schön es ist, mit und in der Firma groß geworden zu sein, die Eltern müssen loslassen können, die Mitarbeiter die „kleine Tochter“ als neue Chefin wahrnehmen und akzeptieren. Oft geht es in den Unternehmen darum, am Markt zu bestehen, nicht mehr „nur“ um Ideale. Und darum, bei steigender Nachfrage nach Bio noch gute Rohstoffe zu bekommen. „Nach wie vor ist für uns die Stärkung der kleinökologischen Strukturen Ehrensache, aber dies kann vor allem bei der Viehbeschaffung zur Herausforderung werden“, weiß Sophie Schweisfurth von den Herrmannsdorfer Landwerkstätten.

Radikale Umbauten haben die wenigsten vor: „Wir leben einen organischen und natürlichen Veränderungsprozess im Unternehmen“, sagt Leonhard Wilhelm von Rapunzel. Viele Neuerungen betreffen das Marketing, ein Bereich, den es früher eigentlich gar nicht gab. Heute heißt es, „nicht nur Gutes zu tun, sondern auch darüber zu reden“, meint Julian Vorberg-Heck von Taifun. Die besondere Qualität der Produkte und die Geschichte hinter den Bio-Produkten will erzählt werden.

Spätestens wenn es um den Blick in die Zukunft geht, klingen sie wieder an, die Ideale: Jasmin Maiwald von Govinda sieht die Menschen auf einem Weg „weg von der manipulierten Gesellschaft, die von großen Unternehmen gesteuert wird, hin zu einer gerechteren Welt für Tiere und Menschen.“

Antersdorfer Mühle

„Bio wird hoffentlich für alle selbstverständlich“

Johannes Priemeier hat Müller gelernt und die Meisterprüfung abgelegt. Aktuell kümmert er sich um den technischen Teil der Produktion und Abpackung. Um für die Übernahme der Geschäftsführung von seinem Vater – dann in 5. Generation – gewappnet zu sein, studiert er nebenbei BWL.

Machen Sie jetzt alles anders?

Im Moment mache ich gar nichts anders, künftig liegt mein Hauptaugenmerk jedoch auf dem Aufbau der eigenen Marke „Antersdorfer“, da mich diese natürlich persönlich mit dem Unternehmen verbindet.

Wie sieht Bio 2050 aus?

Schwierig zu sagen, jedoch hoffentlich selbstverständlich für alle Verbraucher.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit besonders?

Da ich zwischen Landwirten, Traktoren und der Produktion von Mühlenprodukten aufgewachsen bin, ist dies immer noch das, was mir am meisten Spaß macht: Das Produkt zu beobachten, vom Getreidefeld bis zum Endverbraucher.

Wer: Johannes Priemeier (24, li.), Sohn von Firmenchef Johann Priemeier (re.)
Was: Müllermeister, Technischer Leiter
Wo: Antersdorfer Mühle, ca. 50 Mitarbeiter

„Bio muss immer ein Thema bleiben“

Lena Kirchschläger stieg 2011 zusammen mit ihrem Lebensgefährten Peter Schumacher ins elterliche Geschäft ein: „Mit diesem Laden bin ich groß geworden, er gehörte in guten und schlechten Zeiten zu unserer Familie. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das einmal nicht mehr so sein sollte.“

Wie sieht Bio 2050 aus?

Wenn ich das wüsste, hätte ich ja ein unbezahlbares Wissen – und bräuchte vermutlich nicht mehr arbeiten. Es werden sicher viele Veränderungen auf uns zukommen, von denen wir jetzt noch gar nichts wissen. Aber ich bin mir sicher, dass wir uns erfolgreich den Gegebenheiten anpassen werden. Bio muss immer ein Thema bleiben.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit besonders?

Der tägliche Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen ist eine absolute Bereicherung. Es ist schön zu sehen, dass unser Laden nicht nur ein Einkaufsort ist, sondern auch ein Treffpunkt.

Wer:Lena Kirchschläger, 36, Tochter der Ladengründer Marianne und Uwe Kirchschläger
Was:Inhaberin seit 2018
Wo:Naturmarkt Schleswig, 21 Mitarbeiter

„Nachhaltig ist jetzt angesagt“

Charles-Henry Debal kam 2013 in die Firma seines Schwiegervaters. Davor hat er im französischen Lebensmitteleinzelhandel gearbeitet.

Machen Sie jetzt alles anders?

Ich will nicht alles über den Haufen werfen. Topas ist ein Pionier-Unternehmen, das seinen Platz in der Naturkostszene hart erkämpft hat. Ich werde die teilweise sehr traditionellen Werte der Firma konsequent weiter vertreten, aber auch neue Dynamik, Innovation und Flexibilität einbringen. Vor allem sollen die Produkte sehr lecker bleiben!

Wie sieht Bio 2050 aus?

Bio als Bewegung wird sich eines Tages so überlebt haben wie „Reform“. Nachhaltig ist jetzt angesagt. Zur an sich sehr guten Bio-Idee wird hinzukommen müssen, dass man in allen Aspekten – Rohstoffe, Herstellung, Verpackung, Vertrieb, Welternährung usw. – neu denkt: Bio als singuläre Aussage zu Ackerbau, Viehzucht und Aquakultur wird durch einen umfassenderen Begriff in den Hintergrund gedrängt werden.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit besonders?

Die kurzen Wege im Unternehmen und dass ich das volle Vertrauen meiner Schwiegereltern genieße. Ich muss nicht für jede Entscheidung 2 DIN-A4-Blatt-Anträge schreiben und am Ende noch endlos darüber diskutieren.

Wer:
Charles-Henry Debal, 32, Schwiegersohn von Firmengründer Klaus Gaiser
Was: Leiter Marketing, Verkauf und Vertrieb, seit 2017 Geschäftsführer
Wo: Topas, ca. 100 Mitarbeiter

„Konventionelle Produkte werden gekennzeichnet“

Wann sind Sie ins Unternehmen eingestiegen?

Das war 2013. Ich war gerade mit meinem Studium fertig und hatte große Lust, meinen Teil zur weiteren Entwicklung von Taifun beizutragen. Ich begann als Mitarbeiter im Vertrieb und verantworte seit Anfang 2017 den nationalen Vertrieb.

Wie sieht Bio 2050 aus?

Der Rekordsommer 2018 hat wahrscheinlich einigen Menschen bewusst gemacht, dass die spürbaren klimatischen Veränderungen etwas mit unserem Konsum und unserer Lebensart zu tun haben – und dass sich etwas ändern muss. Daher glaube und hoffe ich, dass Bio zukünftig immer normaler und selbstverständlicher wird – und im Gegenzug konventionelle Produkte besonders gekennzeichnet werden müssen.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit besonders?

Die große Wertschätzung und Begeisterung für unsere Produkte, die wir immer wieder von unseren Kunden auf Messen und Veranstaltungen zurückbekommen. Das ist etwas ganz Besonderes.

Wer: Julian Vorberg-Heck, 33, Sohn von Firmengründer Wolfgang Heck
Was: Leiter nationaler Vertrieb
Wo: Taifun-Tofu, ca. 240 Mitarbeiter

„Unsere Würstel purzeln nicht aus der Maschine“

Sophie Schweisfurth hat im Mai 2018 gemeinsam mit ihrem Mann Mathias Stinglwagner die Werkstätten und den Vertrieb der Herrmannsdorfer Landwerkstätten von ihrem Onkel übernommen. Philosophie und Werte des Unternehmens hat sie sprichwörtlich mit der Muttermilch aufgesogen.

Was ist zurzeit Ihre größte Herausforderung?

Der Fachkräftemangel. Handwerkliche Berufe wie Metzger sind schwer zu besetzen, sowohl junge Meister als auch Auszubildende fehlen. Und die Differenzierung zwischen handwerklichen und industriell hergestellten Lebens-Mitteln erweist sich immer wieder als herausfordernd. Unsere Würstel purzeln nun mal nicht aus der Maschine. Ebenso kann nicht jedes Steak oder Brot gleich aussehen, das macht das Handwerk – das macht die Natur.

Wie sieht Bio 2050 aus?

Ich hoffe, dezentrale und kleine ökologisch wirtschaftende Unternehmen, Landwirte, Hersteller sowie Händler können zukünftig ein Gleichgewicht zu den „Großen“ darstellen. Das Fundament einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise kann nicht allein durch Großbetriebe gelegt werden.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit besonders?

Die Zusammenarbeit und die Begegnung mit den Menschen. Nachts mit den Bäckern noch ein kurzes Gespräch führen oder die persönlichen Geschichten jedes einzelnen Mitarbeiters faszinieren mich immer wieder aufs Neue.

Wer: Sophie Schweisfurth, 31, Enkelin von Karl L. Schweisfurth
Was: Geschäftsführerin in 3. Generation
Wo: Herrmannsdorfer Landwerkstätten, ca. 270 Mitarbeiter

„Man kauft nicht nur Lebensmittel“

Auch Jasmin Maiwald fühlt sich schon seit ihrer Geburt dazugehörig: „Ich bin ja mit dem Unternehmen groß geworden. Govinda war schon immer mehr als nur eine Firma und ist auch jetzt mehr als nur ein Job.“ Im November 2017 ist sie im Bereich Marketing eingestiegen.

Machen Sie jetzt alles anders?

Auf keinen Fall, ich versuche nur die Stärken noch klarer herauszustellen. Auch für neue Generationen. Das geht vor allem durch Marketing. Den Rest finde ich schon sehr, sehr gut.

Wie sieht Bio 2050 aus?

Bio wird Standard sein. In allen Supermärkten wird es mehr Bio als konventionelle Produkte geben. Es wird neue Richtlinien und Siegel geben. Der Fachhandel wird ganz klar für Qualität und das gewisse Extra stehen, man kauft nicht nur Lebensmittel, sondern faire Herstellung und Arbeit und leistet somit auch einen Beitrag für die Gesellschaft.

Worüber freuen Sie sich am meisten?

Dass wir uns unserem gemeinsamen Ziel nähern: Bio und gute Lebensmittel für jeden.

Wer: Jasmin Maiwald, 27, Tochter von Firmengründerin Doris Maiwald
Was: Marketing, Brand und Produktmanagement
Wo: Govinda, ca. 60 Mitarbeiter

„Vielleicht wird ganz Deutschland ein Bio-Land“

Leonhard, wann und warum haben Sie Verantwortung im Unternehmen übernommen?

Ich bin seit 15 Jahren im Unternehmen, seit Oktober als Geschäftsbereichsleiter Handel. Weil ich gerne Verantwortung übernehme und die Herausforderungen im Leben suche und gerne annehme. Ich liebe und lebe das täglich im Beruf sowie im Sport. Mir geht es nicht um Positionen/ Titel/ Macht oder Ohn(e)macht. Das ist alles irrelevant für mich. Weil ich aus persönlicher Überzeugung und Leidenschaft für meine Aufgabe brenne, trage ich die Verantwortung selbstverständlich und gerne!

Machen Sie jetzt alles anders?

L.W.: Ja klar… nein, im Ernst: Wir werden das Rad nicht neu erfinden. Ich werde bewusst nicht in die Fußstapfen meiner Eltern treten, werde langfristig meine eigenen Fußabdrücke hinterlassen (hoffe ich doch). Mir geht es mehr darum, mich wieder einen Schritt zurück zu den ursprünglichen Werten und Ansichten der Bio-Szene zu besinnen. Auch in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess gibt es eine Konstante: Und das ist die Veränderung.

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?

L.W.: In meiner eigenen Person, meiner persönlichen Dynamik, anderen Ansichten, Denkvorgängen etc. Auch im Wandel der Bio-Branche und im Generationswechsel selbst stecken noch einige und vor allem unbekannte Herausforderungen.

Seraphine, was glauben Sie, wie sieht Bio 2050 aus?

Der Bio-Markt wird sich stark wandeln, Bio wird hoffentlich für alle zugänglich und an jeder Ecke erhältlich sein. Vielleicht wird ja sogar ganz Deutschland ein biologisches Land werden, so wie Sikkim, der erste Bio-Bundesstaat der Welt in Indien.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit besonders?

S.W.: Dass ich bei Rapunzel einen positiven Beitrag zum Wohlbefinden der Menschheit und Mutter Erde leisten kann. Mir geht es darum, allen Lebewesen eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen. Dazu gehört auch, sich besser um unsere Umwelt und unseren Planeten zu sorgen.

Wer: Leonhard und Seraphine Wilhelm, Sohn und Tochter der Firmengründer Joseph Wilhelm und Jennifer Vermeulen
Was: L.W.: Geschäftsbereichsleiter
Handel; S.W.: Assistentin der Geschäftsleitung
Wo: Rapunzel Naturkost, ca. 370 Mitarbeiter

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