Pädagogik

Hühner in der Schule

Immer weniger Kinder wissen, woher unser Essen kommt. Trotzdem spielt das Thema Landwirtschaft im Lehrplan kaum eine Rolle. Wie man es dennoch in die Schule bringen kann? Mit Bio-Hühnern.

Bocki kann man streicheln.“ Vorsichtig fährt Paula über die braunen Federn des Huhns. „Wenn sie mir das Futter aus der Hand pickt, das fühlt sich so süß an“, fügt Leonie hinzu. „Und ein Ei hat sie auch schon gelegt“, sagt Tamino. „Damit backen wir nächsten Montag Kuchen.“

Wir, damit meint Tamino die Klasse 1b der Grundschule in Oberpfaffenhofen südwestlich von München. Dort leben Bocki und ihre vier Kolleginnen seit Ostern in einem geräumigen, orange gestrichenen Hühnerstall am Rande der Pausenhofwiese. Ihre Aufgabe ist es, das Thema Tierhaltung in den Unterricht zu bringen. „Auch in unserer ländlichen Gemeinde gibt es heute kaum noch freilaufende Hühner oder Kühe. Das ist etwas Besonderes für die Kinder“, sagt ihre Lehrerin Melanie Giouros. „Sie erfahren, woher das Ei tatsächlich kommt, das sie nur aus dem Karton kennen.“

Jeden Tag schreiben die Schüler ihre Erlebnisse in ein Hühner-Tagebuch: Wie die Hühner ihnen die Körner aus der Hand picken, wie sie die Tränke mit Wasser füllen und den Stall ausmisten. „Das stinkt richtig“, meint Vinzenz, der gestern das Sägemehl mit dem Hühnerkot in den blauen Sack schaufelte. „Aber den kann man als Dünger verwenden, dann werden die Pflanzen größer“, erklärt er stolz.

6 Wochen Hühnerhaltung in der Grundschule

Schon in der nächsten Woche wird Vinzenz die Schaufel an die Schüler der zweiten Klasse weitergeben, die sich ebenfalls eine Woche um die Hennen kümmern wollen. Danach kommen noch die anderen Klassen dran. Denn die Kolleginnen von Melanie Giouros sind begeistert von der Idee und wollen die Hennen ebenfalls in ihren Unterricht einbauen.

Bocki und ihre Kolleginnen werden also noch von vielen Kindern gestreichelt werden. Das gehört auch zu ihrem Job. Denn die Hühner arbeiten für das Schulhuhnprojekt, das die Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) zusammen mit Bioland Bayern 2013 gestartet hat. Mit finanziert hat die Ställe die Seidlhof-Stiftung. Deren Mitarbeiter Marco Zehner betreut zwei Hühnerställe, baut sie auf, wieder ab und bringt sie alle sechs Wochen zu einer anderen Schule.

Die Seidlhof-Stiftung betreibt im Süden Münchens auch einen kleinen Bio-Betrieb, auf dem Kinder und Jugendliche Öko-Landbau live erleben können. Marco Zehner führt den Betrieb, ist Bauer und Umweltpädagoge in einer Person.

Alternative: Kartoffelanbau in der Schule

„Es gibt Stadtkinder, die sind noch nie über ein Wiese mit hohem Gras spaziert, die haben da am Anfang richtig Scheu“, berichtet er aus seiner Arbeit. „Wenn sie das überwunden haben, spielen sie stundenlang in dem Gras und sind Feuer und Flamme, wenn man später das Gras mit ihnen mäht und zusammen Heu macht.“ Dem Landwirt ist es wichtig, dass die Kinder den ganzen Kreislauf mitbekommen, vom Pflanzen bis zum Ernten.

Besonders gut geht das bei Kartoffeln. „Die Kinder kommen zwischendurch einen Vormittag zum Jäten und sammeln auch die Kartoffelkäfer von den Pflanzen.“ Kurz vor den großen Ferien holen sie gemeinsam die Frühkartoffeln aus der Erde. Einige verspeisen sie direkt auf dem Acker, gebacken in Marcos mobilem holzbefeuerten Kartoffelofen. Ein paar Kilogramm bekommen sie mit nach Hause. Wenn die Ernte wie im letzten Jahr sehr gut ist, packen die Kinder die Knollen in Fünf-Kilo-Säcke ab und verkaufen sie. „Sie haben die Kartoffeln wie die Marktschreier vor der Schule vom Hänger runter verkauft“, erzählt der Bio-Landwirt. „Das Geld kam in die Klassenkasse – für neue Umweltprojekte.“ Kein Wunder, dass Marco Zehner ziemlich ausgebucht ist.

Die Nachfrage wächst. Immer mehr Eltern, Kindergärtnerinnen und Lehrer wollen ihren Kindern vermitteln, wo das tägliche Essen herkommt und wieviel Arbeit damit verbunden ist. Nicht nur theoretisch auf der Schulbank, sondern anschaulich, vor Ort, im Betrieb. Bei Anbietern wie der Seidlhof-Stiftung melden sich Waldorf- und Montessori-Schulen ebenso wie staatliche Schulen. „Entscheidend ist das Engagement der Lehrkräfte und der Rückhalt durch das Direktorat“, fasst Marco Zehner seine Erfahrungen zusammen. Denn im amtlichen Lehrplan spielt das tägliche Essen keine große Rolle.

Lehrpläne: Landwirtschaft spielt bisher kaum eine Rolle

Zwar ist das Thema Landwirtschaft in den Lehrplänen der Bundesländer präsent, stellte die Bundesinitiative Lernort Bauernhof 2002 in einer großen Untersuchung fest. Doch die Analyse der Lehrpläne und der Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer „zeigen den relativ geringen Stellenwert landwirtschaftlicher Themen“, heißt es in der Studie. Und weiter: „Wie auch der Rücklauf der Lehrerbefragung zeigt, spielt das Thema in der Unterrichtspraxis im gesamten Bildungswesen nur eine untergeordnete Rolle.“

Daran hat sich bis heute nur wenig geändert. „Die Landwirtschaft kommt im Schulunterricht zu kurz“, beklagt der von konventionellen Landwirtschaftsverbänden getragene Verein information.medien.agrar (ima). Er präsentierte im vergangenen Jahr eine Umfrage, der zufolge zwei Drittel der Deutschen es für wichtig halten, „dass landwirtschaftliche Themen im Schulunterricht verpflichtend behandelt werden“. Besonders wichtig waren den Befragten Themen wie die Herkunft der Lebensmittel, Bio-Anbau, Tierhaltung und Umweltschutz.

Kultusministerien werden an dieser Stelle protestieren und auf die zahlreichen Programme verweisen, die sie inzwischen aufgelegt haben. Etwa „Transparenz schaffen“ in Niedersachsen, in dessen Rahmen „regionale Bildungsträger aus Umweltbildung und Landwirtschaft vielfältige Erkundungen zu Anbau und Verarbeitung von Lebensmitteln“ für Schüler gestalten sollen. Bayern hat sogar im Lehrplan festgeschrieben, dass jeder Grundschüler in der dritte oder vierten Klasse einmal einen Bauernhof zu besuchen hat. Doch auch das ist nicht gerade viel, gemessen an der Tatsache, dass unsere tägliche Nahrung lebenswichtig ist und es deshalb zum Grundwissen zählen sollte, wie sie heranwächst und verarbeitet wird.

Bio-Landbau erleben

Die 239 Bio-Höfe des Netzwerks Demonstrationsbetriebe Ökologischer Landbau laden das ganze Jahr über auf ihre Höfe ein. www.oeko-einblick.de

Viele Lern-Bauernhöfe sind Bio-Betriebe

Deutlich vergrößert hat sich in den letzten Jahren die Zahl der Organisationen und Betriebe, die Schulen und anderen Interessierten den direkten Kontakt mit dem Alltag der Bauern ermöglichen. Die bekannteste unter ihnen ist die 2001 von der damaligen rot-grünen Verbraucherministerin Renate Künast initiierte Bundesinitiative Lernort Bauernhof. Heute arbeitet in ihr ein gutes Dutzend bundesweiter Organisationen zusammen. Eine davon ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof (BAGLoB). Sie versteht sich als Interessenvertretung der Lern- und Schulbauernhöfe in Deutschland. Über 200 Mitglieder hat die BAGLoB, viele von ihnen sind Bio-Betriebe.

Daneben gibt es mit den Demonstrationsbetrieben Öko-Landbau bundesweit ein Netzwerk von über 200 Bio-Betrieben, die nach Absprache von Gruppen besucht werden können. Darüber hinaus bieten einige Organisationen Schulen Besuche bei Bio-Bauern an, vom Umweltinstitut in München bis zum Verein Ökomarkt in Hamburg.

Die Bio-Anbau-Verbände Bioland und Demeter kümmern sich zusammen mit der Stiftung Ökologie & Landbau auch um die Fortbildung. Sie bieten mit Schwerpunkt Baden-Württemberg Interessierten Kurse für Bauernhofpädagogik an. „Die Nachfrage nach unserem Qualifizierungsangebot ist groß“, sagt Organisatorin Anja Kirchner.

Ländersache: Bio in der Berufsausbildung

Landwirtschaft ist in Deutschland ein Lehrberuf. Parallel zum Betrieb vermitteln Berufsschulen den Azubis spezifisches Fachwissen.

Zusätzliche und spezialisierte Ausbildungen bieten später die Fachschulen der Bundesländer an. In deren Lehrplänen ist der Öko-Landbau zwar oft verankert, kommt aber in der Praxis nicht immer zum Zug. In Niedersachsen kümmert sich jetzt das Kompetenzzentrum Ökolandbau um Unterrichtsmaterialien und Lehrerfortbildungen.

Hessen kündigte an, im Schuljahr 2015/2016 in den Berufsschulen das Fach Öko-Landbau einzuführen.

Eigene Fachschulen für Öko-Landbau gibt es in Bayern , NRW und Baden-Württemberg .

In der Ausbildung zum Koch spielen Bio-Lebensmittel bisher kaum eine Rolle. Bioland bietet Azubis eine Zusatzqualifikation zum Bio-Junior Koch/Köchin an. Seit kurzem gibt es erste Unterrichtsmaterialien für Kochazubis in Berufsschulen.

Die in diesem Bereich aktiven Bio-Betriebe wollen ihren Besuchern nicht nur Landwirtschaft näher bringen. „Es geht auch darum, den Unterschied zwischen Öko-Landbau und konventionellem Landbau deutlich zu machen“, gibt Marco Ziener das Ziel vor. Besonders gut funktioniere das, wenn Schulklassen Betriebe beider Wirtschaftsweisen besuchen. „Dann werden die Unterschiede direkt erlebbar.“

Die Schüler in Oberpfaffenhofen werden sich in den nächsten Wochen mit den Unterschieden zwischen Käfighaltung, Bodenhaltung, Freilandhaltung und richtig freilaufenden Hühnern beschäftigen. „Das funktioniert auch in der ersten Klasse“, sagt Lehrerin Melanie Giouros. „In drei Wochen etwa haben die Kinder das drauf und achten dann auch zuhause darauf, dass die Mama Eier von freilaufenden Hühnern kauft.“

Interview: „Das ist kein ehrenamtliches Hobby“

Anja Kirchner bietet Qualifizierungen zur Bauernhofpädagogik bei Bioland an und engagiert sich im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof (BAGLoB).

Wächst die Nachfrage nach „Lernen auf dem Bauernhof“?

Es gibt keine konkreten Zahlen, aber mein Eindruck ist, dass die Nachfrage deutlich wächst. Auch das Interesse der Landwirte an unserem Qualifizierungsangebot Bauernhofpädagogik hier in Baden-Württemberg ist groß.

Was bringen Sie den Landwirten bei?

Es geht um die Praxis und den einzelnen Betrieb: Was habe ich auf dem Hof, was kann ich anbieten, welche Altersgruppen liegen mir? Solche Fragen besprechen wir mit den Bauern. Ein Thema ist auch die Einkommenserzielung.

Es geht ums Geld verdienen?

Das ist kein ehrenamtliches Hobby. Oft sind das Haupterwerbsbetriebe. Die Pädagogik soll ein Betriebsteil werden, mit dem Einkommen erwirtschaftet wird. Wir wollen die Arbeit der Landwirte, die sie als Lernbauernhof leisten, auch wertgeschätzt sehen.

Was verdient ein Bauer bei einem Schulklassenbesuch?

Das ist unterschiedlich. Manche Bundesländer zahlen Aufwandsentschädigungen, diese decken aber nicht immer die Kosten oder fördern zum Beispiel mehrmalige Besuche von Schulklassen oder Kindergartengruppen nicht. Manche Landwirte nehmen deshalb an solchen Programmen nicht teil, sondern verhandeln
individuell mit den Schulen.

Freizeitschiene, was heißt das konkret?

Es gibt Betriebe, die bieten Geburtstagsfeste an. Oder Projekte, bei denen kleine Gruppen ein Jahr lang jeden Monat einen Nachmittag auf dem Hof verbringen. Solche Angebote sind besonders wertvoll, weil die Kinder dabei den Kreislauf der Natur bewusst erleben.

Mehr zum Thema

Im Netz:

Bücher:

  • Renz-Polster, Herbert; Hüther, Gerald: Wie Kinder heute wachsen: Natur als Entwicklungsraum, Beltz 2014, 264 Seiten, 17,95 Euro.
  • Weber, Andreas: Mehr Matsch! Kinder brauchen Natur. Ullstein Taschenbuch 2012, 256 Seiten, 9,99 Euro
  • Magazin Lebendige Erde, Schwerpunkt Bio-Bauernhof als Schule, Demeter e.V., 7,50 Euro, www.lebendigeerde.de, Tel. 06155 - 84690
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