Umwelt

Warum wir weniger Fläche verbrauchen sollten

Shopping-Center, Häuser, Parkplätze: Wir verbrauchen immense Flächen – das geht fast immer auf Kosten von Natur und Klima. Es gibt nachhaltige Lösungen, aber bisher ändert sich nichts.

Anfang Mai vergangenen Jahres besetzten Aktivisten im nordhessischen Neu-Eichenberg eine Ackerfläche. Die Gruppe „Der Acker bleibt“ protestierte gegen die Pläne eines Investors, der auf dem 80 Hektar großen Gelände ein Logistikzentrum errichten wollte. Auch die Bürgerinitiative für ein lebenswertes Neu-Eichenberg forderte in einer Online-Petition: „Beton kann man nicht essen – kein Logistikzentrum in Neu-Eichenberg!“

Neu-Eichenberg ist kein Einzelfall. Immer stärker dringen Siedlungen und Verkehrswege in bislang land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen vor. Laut Umweltbundesamt hat sich die sogenannte Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland in den vergangenen 60 Jahren mehr als verdoppelt. Der Fachausdruck lautet Flächeninanspruchnahme, umgangssprachlich Flächenfraß. Es geht dabei nicht nur um betonierte und versiegelte Flächen, wie Häuser und Straßen, sondern auch um Parks, Friedhöfe oder Sportanlagen. Konkret bedeutet das: Alles, was der Mensch anlegt und was nicht land- oder forstwirtschaftlich genutzt wird, gilt als verbrauchte Fläche.

Dabei kann „Fläche im Wortsinne natürlich nicht verbraucht, sondern nur anders genutzt werden“, sagt Detlef Grimski vom Umweltbundesamt (UBA). Fläche an sich ist eine endliche Ressource, mit der der Mensch sparsam umgehen muss, um seine Lebensgrundlagen zu erhalten. Aus diesem Grund hatte die Bundesregierung im Jahr 2002 den Plan gefasst, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hek­tar am Tag zu reduzieren. Im Jahr 2016 wurde das Ziel geändert, nun sollen es bis 2030 30 Hektar oder weniger am Tag sein. Bis 2050 streben die Länder der Europäischen Union sogar das Ziel netto null Hektar an. Bis dahin soll der Übergang in eine Flächenkreislaufwirtschaft vollzogen sein.

Flächenverbrauch birgt Gefahren für Mensch, Tier und Pflanze

Grundsätzlich gilt: Je weniger Fläche der Mensch verbraucht, desto besser – für Mensch, Tier und Pflanze. In einem Bericht der Europäischen Umweltagentur in Kooperation mit dem Schweizer Bundesamt für Umwelt über die Ausbreitung von Städten in Europa führen die Autoren 62 Gefahren auf, von Ökologie über den gesellschaftlichen Zusammenhalt bis hin zu Folgen für die Wirtschaft.

So verlören einheimische Tierarten ihren Lebensraum, die Biodiversität nehme ab. Gleichzeitig breiteten sich invasive, nicht heimische Arten weiter aus, da sie jetzt unter anderem durch Veränderungen des Mikroklimas bessere Konditionen vorfänden. Außerdem nimmt die Lichtverschmutzung zu, da Siedlungen und Straßen auch nachts beleuchtet werden.

Zahlen und Fakten: Deutschlands Fläche

Flächen, die weder naturbelassen, Gewässer, Wald oder landwirtschaftlich genutzt sind, gelten als verbraucht. Von versiegelten Flächen spricht man, wenn Regenwasser nicht in den Boden eindringen kann, sondern an der Oberfläche abfließt. Etwa die Hälfte der verbrauchten Fläche ist versiegelt.

Die Gesamtfläche von Deutschland beträgt rund 357 582 Quadratkilometer. Den größten Anteil nehmen Landwirtschaft und Wald mit rund 81 Prozent ein. Zum Stichtag 31. Dezember 2018 betrug der Umfang der Siedlungs- und Verkehrsfläche insgesamt 51 315 Quadratkilometer und somit rund 14 Prozent der gesamten Bodenfläche.

Bei der Siedlungsfläche (33 268 Quadratkilometer) entfallen 41 Prozent auf die Wohnbau­fläche, 19 Prozent auf Flächen für Industrie und Gewerbe. Knapp 16 Prozent der Flächen dienen Sport, Freizeit und Erholung. Die Flächen für Verkehr umfassen überwiegend Flächen für Straßen und Wege.

80 Fußballfelder werden jeden Tag verbraucht

Rund 14 Prozent der gesamten Fläche Deutschlands waren nach Angaben des Statistischen Bundesamts zum Stichtag 31. Dezember 2018 verbraucht. Das entspricht fast 7,2 Millionen Fußballfeldern. Täglich werden 58 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsfläche neu ausgewiesen. Damit gehen im Durchschnitt mehr als 80 Fußballfelder jeden Tag als Fläche verloren – hauptsächlich Äcker. Am höchsten ist der Flächenverbrauch in Bayern mit rund zwölf Hektar am Tag, gefolgt von Baden-Württemberg.

Und das in einem Land, das ohnehin kaum unberührte Flächen aufweist. Wie dicht Deutschland bereits besiedelt ist, hat Martin Behnisch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, untersucht. Sein Ergebnis: An keiner Stelle in Deutschland ist man weiter als 6,3 Kilometer vom nächsten Haus entfernt. Wobei er für seine Studie jedes Gebäude mit einer Grundfläche von zehn Quadratmetern als Haus bewertet hat. Der am weitesten vom menschlichen Einfluss entfernte Punkt Deutschlands befindet sich demnach auf dem Truppenübungsplatz Bergen in der Lüneburger Heide. Tatsächlich folgen auch auf den Plätzen zwei bis fünf solche Übungsplätze. „Wir hatten eigentlich erwartet, dass größere Waldgebiete den niedrigsten Flächenverbrauch aufweisen“, kommentiert Behnisch das für ihn überraschende Ergebnis. Aber selbst im Schwarzwald brauche man maximal 800 Meter, um auf ein Gebäude zu stoßen. Und auch die Alpentäler und -höhen sind eng bebaut. Hier eine Gipfelstation, dort eine Alm oder einfach auch das nächste besiedelte Tal.

Problem: Versiegelte Flächen

Noch schlimmer wird es, wenn die Flächen auch noch versiegelt werden. Das geschieht durch den Bau von Gebäuden, Straßen, Parkplätzen und vielem mehr und betrifft in Deutschland ungefähr die Hälfte der verbrauchten Fläche. Dort kann das Wasser bei Regen nicht mehr direkt im Boden versickern. Grundwasserpegel verändern sich. Der Regen spült Schadstoffe wie Schwermetalle und den Abrieb von Reifen von den Straßen in die Erde. Straßen und Bahnlinien wirken unter anderem wie Wälle. „Kleine und große Säuger kommen nicht so einfach drüber, die Populationen werden isoliert, es gibt weniger Genaustausch“, sagt Andreas Faensen-Thiebes, Vorstand und Sprecher der Arbeitsgruppe Stadt und Naturschutz beim BUND.

So ganz ohne Flächenverbrauch geht es nicht. Gut sei er keinesfalls, aber manchmal nötig, sagt Faensen-Thiebes. Und nennt als Beispiel die Energieversorgung: „Irgendwo müssen zum Beispiel die Windräder ja auch stehen.“ Aber es geht nicht nur um Windräder, sondern vor allem um Wohnraum, Straßen, Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsplätze. Natürlich verbrauchen Logistikzentren auf der grünen Wiese Fläche. Ebenso Supermärkte mit großen Parkplätzen außenrum. „Nicht vergessen sollte man aber, dass der Bau von Einfamilienhäusern bundesweit den Löwenanteil am Flächenverbrauch hat“, sagt der Mitarbeiter vom Umweltbundesamt Grimski.

Wohnraum wird benötigt

In Zeiten hoher Immobilienpreise, hoher Mieten und fehlendem Wohnraum in den Ballungsgebieten stehen die Gemeinden unter Druck. Immer wieder weisen sie Flächen für Neubauten aus und wandeln dafür landwirtschaftliche Nutzflächen um. In München-Freiham entsteht auf 350 Hektar ehemals freier Fläche ein Wohnviertel für mindestens 25  000 Menschen. Wenige Kilometer südlich, in Starnberg entsteht auf 3,5 Hektar ehemaligem Acker eine Siedlung als Einheimischenmodell.

So rücken die Ziele der Bundesregierung in weite Ferne. Der Plan, den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren, ist gescheitert. Zwar ist laut Umweltbundesamt die Inanspruchnahme neuer Flächen seit dem Jahr 2000 zurückgegangen ­– von im Schnitt 129 Hektar am Tag bis hin zu den jetzigen 58 Hektar. Jedoch ist sie damit fast doppelt so hoch, wie für 2020 angestrebt. Angesichts knappen Wohnraums und hoher Mieten hat die Bundesregierung Gemeinden 2017 sogar ermutigt, neues Bauland auszuweisen. Der Paragraf 13 b des Baugesetzbuchs, der es Gemeinden erleichtert, Baugrund auszuweisen, soll jetzt sogar noch verlängert werden. „Das konterkariert das flächenpolitische Ziel der Bundesregierung“, sagt Grimski.

Es gibt Lösungsideen, um Flächenverbrauch einzuschränken

Dabei brauchen Gemeinden einen Anreiz, damit sie kein neues Bauland mehr ausweisen. Eine Möglichkeit ist der Flächenzertifikatehandel. Dabei erhält jede Gemeinde eine bestimmte Menge an Zertifikaten für ihre Flächen. Weist sie mehr neues Bauland aus, muss sie unter Umständen bei anderen Gemeinden Zertifikate zukaufen. Die erhalten dann Geld dafür, dass sie sparsam mit ihren Flächen umgehen. Das Umweltbundesamt hat das Verfahren in einem mehrjährigen Feldversuch mit 87 Gemeinden erprobt und empfiehlt, das Konzept schnell umzusetzen, um das 30-Hektar-Ziel zu erreichen. „Großstädte sollten anteilig etwas weniger, kleine Gemeinden anteilig etwas mehr Zertifikate pro Einwohner erhalten“, rät UBA-Mitarbeiter Grimski.

Das Fernziel netto null für 2050 ist ohnehin nur durch einen Flächenkreislauf zu erreichen. Wenn Land neu bebaut werden soll, müssen im Gegenzug bebaute Flächen entsiegelt werden. Und das kostet Geld. „Aber nicht die Entsiegelung ist zu teuer, die Versiegelung ist zu billig“, beklagt der Umweltschützer Faensen-Thiebes.

Nicht die Entsiegelung ist zu teuer, die Versiegelung ist zu billig.

Andreas Faensen-Thiebes, BUND

Ebenfalls finanziell unattraktiv ist es, in die Höhe und in die Tiefe zu bauen. Auch das würde Platz sparen. „Ob die großen eingeschossigen Bauten der Discounter mit ihren großzügigen Parkflächen eine gute bauliche Entwicklung repräsentieren, wage ich zu bezweifeln“, sagt Michael Kordon, Vorstandsmitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Er fordert, die Gebäude mit Tiefgaragen zu planen und über die Geschäfte Einrichtungen wie Fitnessstudios und Wohnraum zu setzen. Nach oben und nach unten statt nach links und rechts, lautet die Devise. Allerdings räumt er ein, dass der Grund im Vergleich zu den Baukosten zu billig sei.

Zudem wird in vielen Gemeinden gebaut, obwohl vorhandene Gebäude leer stehen. „Wir brauchen Kataster, die die Leerstände und Brachflächen kontinuierlich erfassen“, fordert Wissenschaftler Behnisch. Erst, wenn alle Immobilien genutzt seien, dürften im Idealfall Neubauten entstehen.

Jeder kann etwas tun

Um den Flächenverbrauch zu reduzieren, müsste auch die Bevölkerung ihren Lebensstil und ihr Konsumverhalten ändern. Jedes Fahrzeug benötigt Fläche, also zumindest weg mit dem Zweitwagen. Weniger Konsum bedeutet weniger Verkehrswege. Das hieße: Schluss mit Paprika aus Spanien und Haselnüssen aus der Türkei, Schluss mit der ständig neuen Mode der Saison, der Autofahrt zu Sport, Yoga oder Sprachkurs. Und nicht mehr am Computer kaufen, sondern zu Fuß ins Geschäft gehen. Denn gerade der Onlinehandel hat den Bau großer Logistikzentren befördert. Und darüber hinaus: weniger Wohnraum pro Person.

BUND-Vorstand Faensen-Thiebes sieht hier einen weiteren Zielkonflikt: „Oft sind es gerade die Umweltschützer, die die Natur lieben und deswegen in einem Einfamilienhaus mit eigenem Garten leben.“ Sie ziehen meist aufs Land und verbrauchen damit statistisch gesehen mehr Fläche als Stadtbewohner. Ein weiteres Problem: Familien wohnen in großen Häusern. Ein Beispiel: Eine vierköpfige Familie wohnt – passend zum deutschen Mittelwert – auf 186 Quadratmetern. Das sind 46,5 Quadratmeter pro Kopf. Nach dem Auszug der Kinder sind es plötzlich 93 Quadratmeter. Oft verkleinern sich die Eltern nicht. Das hat auch emotionale Gründe. Die sind verständlich, helfen aber nicht, den Flächenverbrauch zu reduzieren.

Zumindest im nordhessischen Neu-Eichenberg gibt es Erleichterung. Der Protest der Gegner hatte Erfolg: Im Januar bremste der Gemeinderat vorerst die Pläne des Investors. Nun will der Gemeinderat im August erneut abstimmen und bis dahin auch andere Konzepte beraten. Für Lotte Weber, Sprecherin der Landbesetzer der Gruppe „Der Acker bleibt“, ist klar: „Wir bleiben hier, bis wir sicher sind, dass das Gelände für eine zukunftsfähige, bäuerliche Landwirtschaft genutzt wird.“

Mehr zum Thema

Filmtipp: „Luxusgut Lebensraum“ – ZDF-Dokumentation zum Thema Flächenfraß und seine Folgen. Die Doku ist bis 22. August 2024 abrufbar.

Buchtipp: Wendebourg, Tjards: Der Kies muss weg! Gegen die Verschotterung unserer Vorgärten. Ulmer Verlag 2020, 96 Seiten, 12,95 Euro

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