Umwelt

Das Internet grüner machen: So könnte es gehen.

Suchmaschine, E-Mail, Surfen: Unser Datenhunger braucht gigantische Mengen Strom und heizt damit die Klimakrise weiter an. Doch wir könnten gemeinsam mit Forschern und Unternehmen das Internet grüner machen.

Gerade habe ich noch konzentriert an diesem Text gearbeitet, da fehlt mir eine Zahl: Wie viel Strom verbraucht noch mal eine Internetsuche? Ich google – was übrigens 0,2 Gramm CO₂ produziert – und finde einen Videobeitrag darüber. Zack. Nach knapp zwei Minuten Videoanschauen habe ich 20 Megabyte Daten heruntergeladen und rund acht Gramm CO₂-Ausstoß verursacht. So viel, als wäre ich dreißig Meter mit dem Auto gefahren. Ich weiß das, weil ich vorher die Berechnungs-App „Mobile Carbonalyser“ auf meinem Smartphone installiert habe. Die Wissenschaftler des französischen Thinktanks „The Shift Project“ haben sie programmiert, um etwas deutlich zu machen: Unser digitaler Konsum heizt die Klimakrise noch weiter an.

Wäre das Internet ein Land, hätte es laut dem deutschen Öko-Institut jetzt schon den dritthöchsten Stromverbrauch der Welt. Allein das deutsche Datenaufkommen erzeugt pro Jahr ungefähr 33 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen – etwa so viel wie der inländische Flugverkehr. Das überrascht nicht nur mich: „Den wenigsten Menschen ist bewusst, wie viel Infrastruktur das Internet benötigt“, sagt Wirtschaftsingenieur Thomas Reimers vom Unternehmen Windcloud, das nachhaltige Rechenzentren betreibt.

Auch ich denke normalerweise nicht daran, woher das hochauflösende Yoga-Video bei Youtube kommt. Oder die Bach-Symphonien, die mir Spotify beim Schreiben vorspielt. Der Carbonalyser rät mir aber, dass ich meine Musik künftig lokal auf meinem Laptop speichern sollte: Denn für Streaming muss eine große Menge an Ton- oder Bildinformationen jederzeit und von überall auf der Welt abrufbar sein. Dafür werden sie von einem Rechenzentrum nicht nur einmal, sondern mehrfach auf Festplatten abgelegt und von Servern um den halben Erdball an unsere Geräte geschickt. „Diese Datenströme des Internets sind sehr abstrakt, weil man sie nicht anfassen kann“, sagt Reimers. „Und doch brauchen sie reale Rohstoffe.“ Damit zum Beispiel unsere Fotos in der Cloud durchgehend aktuell sind und auf unseren Geräten angezeigt werden, müssen leistungsfähige Computer in den Rechenzentren ständig eingeschaltet bleiben – und fressen dementsprechend viel Strom.

Es wird immer mehr

Im Jahr 2020 sollen die weltweit durch das Internet erzeugten CO₂-Emissionen doppelt so hoch sein wie die des globalen Flugverkehrs. 2030 soll es schon ein Drittel der weltweiten Stromerzeugung benötigen.

Streaming verursacht so viel CO₂ wie Spanien

Rechenzentren werden zwar effizienter, aber die wachsenden Datenmengen machen das wett. „Wir befinden uns gerade noch in der Aufwärmphase“, sagt Reimers. „Neunzig Prozent aller heute vorhandenen Daten sind in den vergangenen achtzehn Monaten entstanden.“ Online-Videos und Streaming auf Plattformen wie Netflix sind mit einem Anteil von rund achtzig Prozent die großen Treiber dieser Entwicklung. Laut einer Studie von „The Shift Project“ soll das weltweite Video-Streaming im Jahr 2018 für rund 300 Millionen Tonnen CO₂ verantwortlich gewesen sein, das sind die Emissionen von ganz Spanien.

Auch eine schnelle Rundmail ist nicht zu unterschätzen: Je nach Anhang entstehen etwa vier bis fünfzig Gramm CO₂ dabei, eine einzige E-Mail zu senden. Bei 848 Milliarden versandten E-Mails im Jahr 2018 entspräche das fast 3,4 Millionen Tonnen CO₂ – und gut drei Promille der jährlichen Emissionen in Deutschland. Viele davon schlummern noch ungelöscht auf Servern und verbrauchen stetig Strom. Auch auf unseren Smartphones tragen wir viel digitalen Ballast herum: „Ein Gerät, bei dem zwanzig bis dreißig Apps im Hintergrund aktualisieren, hat denselben Energiebedarf wie ein bis zwei Kühlschränke“, sagt Reimers.

Apropos Kühlschrank: Der soll ja künftig auch noch smart werden, sich mit Servern verbinden und am Smartphone melden, wenn keine Milch mehr da ist. Laut dem Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit werden europaweit in fünf Jahren schon 1,7 Milliarden vernetzte Haushaltsgeräte den Strombedarf um 70 Milliarden Kilowattstunden erhöhen – was dem Verbrauch sämtlicher italienischer Haushalte entspräche. „Wenn das alles aus Kohle kommt, haben wir ein noch größeres Problem als ohnehin schon“, sagt Wirtschaftsingenieur Reimers.

Moment mal: Lauten die Versprechen der Digitalisierung nicht genau umgekehrt? Smarte Haushaltsgeräte sollen doch unseren Energieverbrauch senken und hilfreiche Apps unseren Konsum in nachhaltige Bahnen lenken? Tilman Santarius von der TU Berlin ist Experte für nachhaltige Digitalisierung und warnt vor überzogenen Erwartungen: Die Vernetzung um jeden Preis könnte unseren nicht-nachhaltigen Status quo eher zementieren als transformieren. „Gerade in Bereichen, wo viel positive Veränderung erwartet wird, schafft das Internet neue Optionen – und dadurch einen erhöhten Verbrauch.“[nbsp]

Die Effizienz eines Smart Home führe zum Beispiel nicht automatisch zu einer besseren Klimabilanz: „Es ist super, wenn man eine intelligente Heizungssteuerung einbaut. Man kann so bis zu dreißig Prozent der Heizenergie einsparen“, sagt Santarius. Das Problem: Es dauert achtzehn Monate, bis sich der technische Aufwand ökologisch rechnet. Wer dann noch von den Jalousien bis zum Wasserkocher sämtliche Haushaltsgeräte automatisiert, steigert nicht nur die Bequemlichkeit, sondern auch deren indirekten Stromverbrauch – in Form von Serverleistung.

Sanfte Digitalisierung

Der Wissenschaftler setzt sich deshalb für sanfte Digitalisierung ein: „Wir sollten uns gut überlegen, wo wir analoge Anwendungen wirklich durch digitale ersetzen wollen.“ Selbst als Digital-Experte ist er unsicher, wo das richtige Maß der Internetnutzung für alle liegen kann, wenn doch bisher nicht einmal die Hälfte der Weltbevölkerung Zugang dazu hat. Beim CO2 sei das schon berechnet, sagt er: 1,5 Tonnen pro Kopf stehen jedem Erdenbürger zu. „Vielleicht gibt es irgendwann die Regel ‚Eine Person, ein Gerät‘?“ Doch er ahnt: „Diese Dinge zu regulieren, wird nicht einfach.“ Staatliche Instrumente dürften nicht zu stark in die Informationsfreiheiten der Menschen eingreifen. „Vielleicht könnte man an den Bandbreiten ansetzen oder an den Datenvolumina?“, überlegt er. „Ein paar Gigabyte sind günstig und ab dann wird progressiv besteuert?“ So wäre es jedem selbst überlassen, ob er sich das lustige Katzenvideo bei Youtube leisten will.

Die großen Konzerne tun noch viel zu wenig

Auch bei den großen Rechenzentren von Konzernen wie Netflix oder Amazon müsse man ansetzen – also beim Angebot selbst. Google und Apple bauen große Solarparks und kaufen analog zu ihrem Verbrauch schon 100 Prozent regenerativ erzeugten Strom ein. Santarius, der als Gastprofessor im kalifornischen Berkeley nah an der Tech-Szene dran war, findet aber: „Insgesamt tun die Großen noch viel zu wenig.“

In Deutschland will Windcloud vorangehen: Für die Rechenzentren und Cloud-Dienstleistungen des Unternehmens stammt der Strom zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen. „Wir arbeiten absichtlich im Norden, wo es grünen Windstrom günstig und in rauen Mengen gibt“, erklärt Reimers. Außerdem sollen die Rechenzentren künftig sogar CO₂ absorbieren. Ab dem Frühjahr wird die Abwärme der nordfriesischen Windcloud-Server genutzt, um in einer benachbarten Anlage Mikroalgen zu züchten. Die binden beim Wachstum CO₂ und sind ein wertvoller Nährstofflieferant. „Die Abwärme von Rechenzentren kann solche Prozesse rentabel machen, aber dazu muss ich in Kreisläufen denken“, sagt der Unternehmer. Die Regel sind solche Konzepte bisher nicht. Viele Rechenzentren lösen ihr Öko-Problem anders: Sie kompensieren ihre fossilen Energiequellen mit Öko-Zertifikaten von der Leipziger Strombörse. „Das ist für mich Heuchelei“, sagt Reimers.

Doch woher sollen Internetnutzer wissen, ob hinter der Website, die sie gerade besuchen, wirklich erneuerbare Energie steckt? Eine Zusatzinstallation zum Browser Firefox zeigt genau das an: Das Plug-in „Green Power Indicator“ spielt aus, ob die Seite durch einen Anbieter der Qualitätsklasse A betrieben wird, wo reiner Öko-Strom fließt oder sogar eigene Anlagen regenerative Energie erzeugen. Dazu gehört zum Beispiel auch Biohost, ein Familienunternehmen, das seine Server mit Energie von der Naturstrom AG betreibt.

Mehr und mehr Menschen werden sich in Zukunft für solche Fakten interessieren, glaubt Eva Kern. Sie ist Teil des Forschungsprojekts Green-Soft, das dieses Plug-in am Umwelt-Campus Birkenfeld entwickelt hat und laufend pflegt. Die Wissenschaftler arbeiten mit dem Bundesumweltamt auch gerade an einem vertrauenswürdigen Siegel, das Privatleuten die Wahl grüner Technologien leichter machen soll: dem Blauen Engel für Software.

Oft sei nämlich die Programmierung von Software entscheidend dafür, wie viel Energie ein Gerät im laufenden Betrieb verbraucht, sagt Kern. „Wir haben ein Textverarbeitungsprogramm für genau das gleiche Szenario genutzt wie ein anderes und dabei einen viermal so hohen Energiebedarf gemessen.“ Besonders wirken sich Programme und Betriebssysteme auf den Lebenszyklus der Technik aus. „Es kann nicht sein, dass ich noch funktionierende Hardware austauschen muss, nur weil ich ein Software-Update mache“, sagt Kern.

Kern hat ihren eigenen digitalen Konsum schon verändert. Sie nutzt ihre Geräte solange wie möglich und schwört auf ihr ShiftPhone, das man reparieren und problemlos erweitern kann. „Offline-Tage sind mir inzwischen ebenfalls wichtig“, sagt die Wissenschaftlerin. „Natürlich nicht nur, um Ressourcen zu schonen – aber auch.“ Die App Carbonalyser empfiehlt mir, es ihr gleichzutun. Punkt zehn der Tipp-Liste lautet: weniger Streamen, mehr Bücher lesen.

Mehr zum Thema:

Den Leitfaden „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ finden Sie auf der Internetseite des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung.

Informationen über Digitalisierung, die öko-soziale Innovationen fördert, finden Sie beim Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.

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