Umwelt

Die kenianischen Nussknacker

ROHSTOFFE Für seine Kosmetikprodukte bezieht Dr. Hauschka Macadamiaöl aus einem besonderen Projekt: Kleinbauern und Schüler arbeiten Hand in Hand. Unser Autor Leo Frühschütz war zu Besuch in Afrika.

Beim ersten Mal machte sich Julius Njagi große Sorgen. „Ich hatte Angst, dass ihnen unser Essen nicht schmeckt“, erzählt der Bauer, der in einem kleinen Dorf am Mount Kenia lebt. „Und wie würden die Menschen im Dorf die vier jungen Mzungu aufnehmen?“ – Mzungu nennen sie in Kenia die Weißen, und noch nie hatten welche in Julius Njagis Dorf gelebt. Es hat dann alles gut geklappt, damals vor sieben Jahren. Inzwischen haben rund 100 Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren aus deutschen Schulen jeweils vier Wochen bei Julius Njagi und anderen Bio-Bauern in der Region verbracht. Sie haben gelernt, Kühe zu melken, haben Macadamiabäume gepflanzt und ihren Gastgebern Löcher in den Bauch gefragt über das Leben in Kenia.

Die Besuche junger Deutscher bei kenianischen Kleinbauern sind Teil von Limbua, einem Projekt, das Bio-Macadamianüsse verarbeitet – und dabei die Welt ein wenig besser machen möchte. Gegründet hat das soziale Unternehmen 2009 der Deutsche Matti Spiecker zusammen mit dem Kenianer Anthony Ngondi. Sie wollten bio-faire Macadamianüsse verarbeiten und exportieren und so kenianischen Kleinbauern ein zusätzliches Einkommen verschaffen. Mit 141 Bauern fingen sie an, Julius Njagi war einer von ihnen. „Ich habe Matti gesagt, wenn du Geschäfte machen willst, musst du die Menschen besuchen, sie kennenlernen“, erinnert sich der Bauer. „Das Vertrauen muss wachsen.“

Anfangs übernahmen ausschließlich deutsche Schülerfirmen, die Macadamiafans, den Vertrieb der kenianischen Nüsse. Diese Projekte funktionieren wie richtige Unternehmen und die Schüler lernen Wirtschaft in der Praxis. Zusätzlich rief Matti Spiecker die Stiftung Welt:Klasse ins Leben. Sie organisiert die Besuche der Jugendlichen, die alle in den Schülerfirmen aktiv Macadamia verkaufen. „Wir wollen jungen Menschen auf eine einmalige Weise nahebringen, wie die Nüsse erzeugt werden und wie eine globale Wertschöpfungskette nachhaltig gestaltet werden kann“, erklärt Spiecker.

Längst produziert Limbua mehr Nüsse als die Schülerfirmen verkaufen können: Das bio- und fair-for-life zertifizierte Unternehmen ist mittlerweile einer der führenden Bio-Macadamia-Produzenten. Es verarbeitet die Nussernte von 5000 Kleinbauern, 3000 künftige Lieferanten stellen gerade auf Bio um und die Warteliste ist lang.

Öl für die Körperpflege

Seit drei Jahren bezieht auch Dr. Hauschka seine Nüsse von Limbua und presst sie in Deutschland. Das wertvolle Öl verarbeitet der Naturkosmetikhersteller unter anderem in seiner Make-up-Foundation oder dem Lavendel Sandelholz Körperbalsam. „Das Öl verleiht der Haut ein seidiges, beschütztes Gefühl. Mit seiner antioxidativen Eigenschaft beugt es zudem einer vorzeitigen Hautalterung vor“, erklärt Ralf Kunert. Er ist der Geschäftsführer von Naturamus, einer Tochter der Wala Heilmittel GmbH. Diese wiederum stellt die Dr. Hauschka-Produkte her. Naturamus kauft sämtliche Rohstoffe für Wala ein (siehe Kasten Seite 75).

„Wir brauchen qualitativ hochwertige Rohstoffe, aber das ist für uns nicht der einzige Aspekt“, erläutert Kunert. Die Rohstoffe sollen zudem aus biologischem Anbau stammen und fair gehandelt werden. „Was hilft es, wenn ein Projekt ökologisch wunderbar ist, aber der Partner nicht davon leben kann?“ Sein Motto für den Handel mit Rohstoffen fasst er in einem Satz zusammen: „Wir sind verantwortlich für das, was wir tun.“ Als Ralf Kunert auf der Suche nach hochwertigen Macadamia-Nüssen vor vier Jahren Matti Spiecker und Limbua kennenlernte, war das so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. „Ich war sofort begeistert von dem ganzheitlichen Ansatz mit den Macadamiafans und die Mischung aus Handarbeit und Hightech, mit der Limbua arbeitet.“

Handarbeit und Hightech

Die Handarbeit beginnt mit der Ernte. Zehn bis 15 Meter hoch ist ein Macadamiabaum. Gut ein Dutzend davon stehen auf dem rund einen Hektar großen Hof von Bio-Bauer Chris Munene, der die Nüsse für Limbua anbaut. Zusammen mit ein paar Avocado- und Mangobäumen spenden sie Schatten für Bananen, Mais, Maniok und Gemüse, die der Kleinbauer für sich und seine Familie anbaut. Einige Kaffeesträucher vervollständigen die Mischkultur. Ein junger Mann ist in den Baum geklettert und schlägt mit einer Stange vorsichtig die Macadamiafrüchte vom Baum, andere Helfer sammeln sie in einen Jutesack und binden ihn zu.

Chris Munene drischt mit einem großen Holzprügel auf den Jutesack am Boden. Zehn, zwölf mal, dann leert er den Inhalt des Sacks auf eine Matte. Heraus kullern grünbraune Kugeln, etwa so groß wie Tischtennisbälle. Die Schalen sind durch die Schläge aufgeplatzt und schon pulen die Familienmitglieder, die rund um die Matte sitzen, mit flinken Fingern die Nüsse heraus. Hellbraun, etwas größer als Haselnüsse und mit einer weiteren harten Schale. Sie kommen in einheitliche Plastikkisten, von denen jede ein Etikett mit einem Strichcode trägt.

Jetzt kommt Hightech ins Spiel: Der Einkäufer von Limbua hat seine elektronische Waage und seinen Laptop aufgebaut. Er wiegt jede Kiste und scannt sie ein, um sie dem Bauern zuzuordnen, der sie geerntet hat. Mit einem Fingerabdruck besiegeln der Einkäufer und Chris den Handel – und schon klingelt das Handy von Chris. Über den Mobilfunk-Service M-Pesa wurde ihm soeben das Geld für seine Nüsse gutgeschrieben. Bei einem M-Pesa-Agenten, den es auch im kleinsten kenianischen Dorf gibt, kann er die Gutschrift in Bargeld eintauschen.

Die Nüsse fährt der Einkäufer mit dem Motordreirad zu einer der drei Verarbeitungsanlagen, die Limbua in der Region betreibt. Dort sortieren Arbeiterinnen taube Nüsse und solche mit Bohrlöchern von Insekten aus. Anschließend werden die Nüsse gewaschen und drei Wochen lang getrocknet. Nach dem Trocknen knacken die Frauen in Handarbeit die harte innere Schale, damit die Kerne möglichst unversehrt bleiben. Schließlich sortieren sie die Kerne nach Größe und verpacken sie vakuumverschweißt, damit kein Sauerstoff an die empfindlichen Fette kommt. Die Strichcodes werden die ganze Zeit über beibehalten, sodass zum Schluss bei jeder Packung Kerne nachvollzogen werden kann, von welchen Bauern sie stammen.

Diese Digitaliserung hilft Limbua auch, sicherzustellen, dass jeder Landwirt nur die Menge an Macadamia abliefert, die der Zahl seiner Bäume entspricht. 130 Kilogramm Nüsse lassen sich bei guter Pflege von einem ausgewachsenen Baum ernten. Limbua beschäftigt rund 40 Agraringenieure, die sich um die Zertifizierung der Bauern kümmern und sie beraten. Eine eigene Baumschule versorgt sie mit Setzlingen, die gute Ernten bringen und gleichzeitig widerstandsfähig sind gegen Wurzelkrankheiten.

Faire Preise und Löhne

Wie viel Geld gibt es für so viel Arbeit? „Wir zahlen im Moment 130 kenianische Schilling für das Kilo“, erklärt Matti Spiecker. Das sind umgerechnet 1,30 Euro und deutlich mehr, als es sonst für Bio-Macadamia in Kenia gibt. Zumal in den meisten Fällen noch Zwischenhändler daran verdienen, während Limbua die Nüsse direkt bei den Bauern einkauft. Als Mindestpreis hat Limbua 85 Schilling festgesetzt. In den Anfangsjahren, als der Macadamiapreis am Boden war, hat das viele Bauern mit zur Umstellung bewogen. Die 300 Mitarbeiterinnen in der Verarbeitung sind sozialversichert und haben vier Wochen Urlaub im Jahr. Die niedrigsten Lohnstufen liegen deutlich über dem kenianischen Mindestlohn.

Das alles kostet Geld, noch bevor die erste Nuss mit dem Schiff in Deutschland angekommen ist. „Deshalb ist es sehr hilfreich für uns, dass Dr. Hauschka seinen Teil der Ernte vorfinanziert“, sagt Matti Spiecker. Seit einem Jahr kauft Ralf Kunert auch Avocados der Limbua-Bauern, die dann in Kenias Hauptstadt Nairobi verarbeitet werden. „Uns ist es wichtig, dass die Limbua-Bauern auch andere Früchte angemessen vermarkten können.“ Schließlich seien ihre ganzen Farmen bio-zertifiziert. Dr. Hauschka und Limbua haben langfristige Verträge mit festen Preisen abgeschlossen. Von Exklusivität steht nichts drin. „Wir wollen, dass die Partner sich unternehmerisch weiterentwickeln können und eine wirtschaftliche Stabilität erlangen, die sie unabhängig von uns macht“, sagt Ralf Kunert.

Dieser Grundsatz gilt auch für andere Anbauprojekte, die Dr. Hauschka selbst initiiert hat. Davon gibt es eine ganze Reihe, denn zahlreiche wichtige Kosmetikzutaten gab es anfangs nicht in Bio-Qualität. Für das ätherische Rosenöl, Markenzeichen vieler Dr. Hauschka-Produkte, startete das Unternehmen Anbauprojekte in der Türkei, im Iran, in Afghanistan und zuletzt in Äthiopien. Um Rizinusöl in Bio-Qualität beziehen zu können, half Dr. Hauschka indischen Bauern und einer Ölmühle bei der Zertifizierung. Eines seiner ältesten Projekte startete der Naturkosmetikhersteller 2001 im westafrikanischen Burkina Faso. Dort stellten die Frauen auf traditionelle Weise Sheabutter her. „Als wir anfingen, waren es 20 Frauen und wir bezogen dreieinhalb Tonnen“, erinnert sich Ralf Kunert. Heute produziere das Projekt 800 Tonnen und arbeite mit viertausend Frauen zusammen. „Das finden wir cool, auch wenn wir weniger als ein Prozent der Menge brauchen und unser Partner mit dem Rest die ganze europäische Naturkosmetikbranche versorgt.“ Denn dadurch bekämen mehr Frauen ein regelmäßiges Einkommen und könnten ihre Kinder zur Schule schicken. „Hätten wir das Projekt nur für uns gemacht, wären wir über 50 Frauen nicht hinausgekommen.“

Man kann Globalisierung auch gut machen; das ist die Botschaft von Ralf Kunert und Matti Spiecker. Chris Munene sieht das auch so, doch für ihn ist nicht der gute Preis, den er bekommt, das Entscheidende. „Ich kenne den Händler, ich weiß was mit meinen Nüssen passiert.“ Früher sei das nicht so gewesen, da hätten die Bauern einfach ihre Nüsse abgeliefert und Fremde das Geschäft gemacht. „Jetzt ist da jemand, der meine Arbeit schätzt.“

DR. HAUSCHKA

„Rhythmus trägt Leben“

Der Chemiker Dr. Rudolf Hauschka entwickelte in den 1930er-Jahren ein Verfahren, um Pflanzenextrakte ohne Alkohol stabil zu halten. Der Anthroposoph Rudolf Steiner riet ihm: „Studieren Sie die Rhythmen, Rhythmus trägt Leben.“ Also nutzte Hauschka natürliche Wechsel wie hell-dunkel, warm-kalt, Bewegung-Ruhe. Nach erfolgreichen Versuchen gründete Hauschka 1935 das Unternehmen Wala, dessen Buchstaben das Extraktionsverfahren beschreiben: Wärme, Asche, Licht, Asche. Heute stellt die Wala Heilmittel GmbH rund 900 Arzneimittel sowie Mittel zur Selbsthilfe her. Zusammen mit Elisabeth Sigmund entwickelte Hauschka Kosmetikprodukte, die vor 50 Jahren als Dr. Hauschka Kosmetik auf den Markt kamen. Inzwischen ist das Sortiment auf 160 Produkte angewachsen. Eigentümerin des gesamten Unternehmens mit 130 Millionen Euro Jahresumsatz ist die Wala-Stiftung. Sie erhält die Gewinne, investiert sie wieder ins Unternehmen und schüttet einen Teil an die 800 Mitarbeiter aus. Die Stiftungsstruktur gewährleistet, dass kein Konzern oder Investor das Unternehmen im schwäbischen Bad Boll/Eckwälden kaufen kann.

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