Umwelt

Aloe Vera

Mit Aloe vera! So locken Joghurt, Strumpfhosen oder Spülmittel. Sie versprechen, gesund und schön zu machen oder fürs Wohlfühlen zu sorgen. Doch was kann die „Wüstenlilie“ wirklich?

Die kühle Heilerin

Majestätisch und kraftvoll wirkt die Aloe, die auch „Königin der Heilpflanzen“ heißt. Ihre dickfleischigen, stachelbewehrten Blätter sind bis zu 60 Zentimeter lang, bringen etwa anderthalb Kilo auf die Waage und funktionieren wie Wasserspeicher. So kann sie notfalls lange Durststrecken überstehen. In Deutschland war sie fast unbekannt, bis sie vor vier Jahren in einer Fliege-Talksendung als Allheilmittel angepriesen wurde. Schlagartig setzte ein Run auf Blätter und Gel ein – manche Flasche allerdings enthielt pures Wasser, weil es gar nicht so viel Nachschub gab. Heute sind die aufgeregten Heilsfanfaren verklungen – der richtige Zeitpunkt, das Potenzial der echten Aloe kennen zu lernen.

Vor allem Verbrennungen und Hautverletzungen werden mit Aloe vera-Gel aus dem Blattinneren behandelt. Die Amerikaner nennen sie „silent healer“, stille Heilerin. Wirksam ist von den rund 200 Arten vor allem die Aloe „vera“ oder „barbadensis Miller“. Wird eines ihrer Blätter verletzt, verschließt das sofort austretende Gel die Wunde mit einer robusten Schutzschicht. Diese Beobachtung hat wohl die Bewohner Nordafrikas schon vor 4000 Jahren dazu bewogen, ihre Blessuren damit zu behandeln. Die schöne Nofretete, Hauptgemahlin des Pharao Echnaton, soll es als Hautpflegemittel verwendet haben.

Auch die Indianer kannten die Aloe vera. Sie setzten ihr kühlendes Gel bei Insektenstichen ein. Der gelbe Saft der Blattrinde färbte Stoffe und wurde getrocknet und pulverisiert als gut verträgliches Abführmittel eingenommen – heute ist man damit vorsichtig, denn der Wirkstoff Aloin steht unter Verdacht, krebserregend zu sein. Dieses Aloin befindet sich allerdings nur in der Blattrinde – darunter befindet sich das farblose Gel, das vor allem Wasser und Aloverose, das aloetypische Zuckermolekül, enthält.

Achtung Scharlatane

Wegen der hautreizenden und eher giftigen Eigenschaften der grünen Blattrinde sollte man keinesfalls Rezepte ausprobieren, in denen das ganze Blatt verwendet wird! Solche Drinks helfen weder gegen Verstopfung, Krebs noch Diabetes, sondern führen eher zu Darmverschluss oder Schlimmerem. Die Wirksamkeit des reinen Gels bei Sonnenbrand und anderen Hautproblemen ist jedoch unbestritten. Damit die erforderlichen Wirkstoffe eingelagert werden können, braucht die Pflanze viel Licht und Zeit. Konventioneller (Monokultur-) Anbau beschleunigt das Wachstum gern durch synthetischen Dünger. Schon nach ein bis zwei Jahren werden die äußeren Blätter geerntet, erst maschinell geschält, dann das Aloin herausgefiltert. Bio-Anbau dagegen steht für lange Wachstumsdauer (drei bis fünf Jahre) ohne künstlichen Anschub. Qualitätsprodukte sind auch in der Weiterverarbeitung aufwändiger und deswegen teurer: Blattrinde und Gel-„Filet“ werden sauber von Hand getrennt. Das Blattinnere wird sofort in gekühlte Fässer eingelagert, weil sich sonst die Wirkstoffe binnen Stunden zersetzen. Die Endprodukte werden nicht mit konzentrierter Zitronensäure oder Alkohol, sondern wie Bio-Lebensmittel durch gut verträgliche Stoffe (Kaliumsorbat, Phenoxyethanol) haltbar gemacht.

Reine Lebenskraft

Die meisten Hersteller verwenden Aloe-Pulver, denn für die Aufschrift „mit Aloe vera!“ genügt eine Prise. Die deutschen Produzentinnen Margot Esser und Sabine Beer halten nichts von Pulvern und Extrakten – und ebenso wenig von der sonst in der Kosmetik üblichen Hauptzutat Wasser oder „aqua“. Beide verwenden nur frisches Gel aus bio-zertifizierter eigener Produktion in Mexiko beziehungsweise Andalusien, wo die Aloe in Ruhe Sonne tankt, um später ihre Wirkung als Feuchtigkeitsspender entfalten zu können. Direkt aufgetragen spürt man den kühlenden Effekt sofort.

Aloverose – das wundheilende Zuckermolekül

Ob ein Produkt Aloe vera enthält, lässt sich an einem Zuckermolekül messen, das nur in dieser Pflanze vorkommt: Aloverose. Ihr werden die wundheilenden Eigenschaften zugeschrieben. Je weiter oben auf dem Etikett „Aloe vera“ steht und je höher der angegebene Anteil, desto besser die Wirkkraft. Santaverde-Produkte enthalten mindestens 55, Pharmos-Kosmetika mindestens 53 Prozent. Beide Firmen lassen sich den Aloe-Anbau nach Biosiegel-Kriterien zertifizieren. Das relativ etablierte „IASC“-Zertifikat des amerikanischen International Aloe Science Council garantiert dagegen nur 15 Prozent Anteil.

SantaVerde

Pure Kraft aus dem
Blattinneren

Pharmos Natur

Paradiesische
Mischkultur

Das erste Aloe-Blatt bekam Sabine Beer über den Gartenzaun gereicht. Damals hatte sie „immer Hautprobleme“, erinnert sich die Geschäftsführerin von SantaVerde. Schon als Jugendliche wurde sie von Akne geplagt, die nie ganz wegging.

„Probier das mal aus“, empfahl ihr Nachbar, der eine Aloe vera im Garten hatte. Nach drei Wochen besserte sich ihre Haut. Kurze Zeit später beschloss sie, selbst Aloe anzubauen und das Gel Kosmetikkonzernen anzubieten. Nur, keiner wollte es. Eine herbe Lektion für die vormalige Edelkosmetikkundin. Um die Pflege zu bekommen, die ihr so gut geholfen hatte, musste sie selbst aktiv werden: Sie gründete eine eigene Firma.

Statt Wasser verwendet sie biologisch angebautes Aloe vera-Gel, damit hinterher nicht einzeln Wirkstoffe zugesetzt werden müssen. „Wer Vitamin C braucht, greift ja auch besser zum Apfel, weil dessen Bioverfügbarkeit höher ist als die einer Tablette – für Hautkosmetik gilt das genauso“, erklärt die 51-Jährige ihr Konzept. Die Umsetzung war allerdings schwierig. Auf dem Naturkosmetikmarkt gab es kaum Know-how, wie frische Pflanzensäfte verarbeitet werden. Viel Tüftelei war notwendig, um aus dem herben Rohstoff Aloe ein geschmeidiges, wohlriechendes Produkt zu machen.

Heute ist das anders, immer mehr Frauen kaufen zertifizierte Naturkosmetik. Davon profitieren Produzenten wie Verbraucherinnen, weil mittlerweile natürliche Zutaten in großer Vielfalt erforscht und entwickelt werden.

Die erste Begegnung mit Aloe hatte Margot Esser, Gründerin von Pharmos Natur, vor 25 Jahren, als eine USA-Reise fast zum Horrortrip wurde: Erst brannte am Flugzeug ein Triebwerk – es musste umkehren. Dann war durch die Verspätung ihr Zimmer weg. Frustriert legte sie sich an den Strand und schlief ein. „Mit der stimmt was nicht“, merkten Spaziergänger Stunden später und brachten die Bewusstlose mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades zum Arzt. Dieser behandelte ihre Haut mit Aloe vera-Gel. Wochen später war alles narbenfrei verheilt.

Das veränderte Margot Essers Leben. „Wenn Pflanzen in der Lage sind, die Haut so zu regenerieren, bin ich auf einer falschen Veranstaltung“, überlegte die damalige Pharma-Marketingfrau. Sie versuchte, Ärzte für die Behandlung mit Aloe zu interessieren, doch die reagierten kühl. Dennoch wollte sie ihre Erfahrungen weitergeben. Sie leitete eine Neurodermitis-
Selbsthilfegruppe, entwickelte Hautpflegemittel und stellte später Naturkosmetik und Bio-Nahrungsergänzungen her.

Als Margot Esser in Mexiko eine Aloe-Plantage nach Maya-Tradition sah, war ihr klar, genau so sollten ihre Aloe wachsen: „Inmitten von Mangos, Papayas und Bananen – das war für mich wie der Garten Eden.“ Fünfzig Kleinbauernfamilien verdanken diesem Erlebnis mittlerweile eine Schule und eine sichere Existenz, denn die heute 55-Jährige verbindet dort Soziales mit Firmen-Engagement und bezieht ihren gesamten Aloe-Bedarf von der Bauernkooperative.

Sabine Beer, die Geschäftsführerin von Santaverde, auf der Terrasse ihrer Finca in Spanien. Ein Nachbar reichte ihr dort ihre erste Aloe vera über den Gartenzaun.

Margot Esser, die Gründerin von Pharmos Natur, bezieht Aloe vera von Bauernkooperativen in Mexiko. Auf den Plantagen wachsen Aloe vera zwischen Bananen und Mangos in Mischkultur.

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