Dick aufgeblasen
Mit Hilfe scheinbar objektiver Formeln wird bewiesen: Mehr als jeder Zweite von uns ist übergewichtig. Dahinter steckt vielleicht weniger Sorge um unserer Gesundheit als handfestes Interesse. // Elke Achtner-Theiß
IN schlechten krimis geht es so: Mitglieder einer einflussreichen politischen Organisation treffen sich mit Vertretern eines Pharmakonzerns zwecks Austausch zweier schwarzer Köfferchen. In dem einen befinden sich die Päckchen mit den Dollarnoten, in dem anderen die Formel für eine Substanz, die Millionen Menschen krank werden lässt. Und warum ist die Formel so viel Geld wert? Weil der Pharmakonzern just eine Medizin gegen diese Krankheit entwickelt hat.
Aber Realität ist meist anders. Nicht simpel, sondern komplex. Nicht heimlich, sondern öffentlich, nicht anrüchig, sondern korrekt. Zum Beispiel so: Die International Obesity Task Force (IOTF), eine Organisation von Wissenschaftlern, die sich zum weltweiten Kampf gegen Fettleibigkeit zusammengefunden hatte, bat Ende der 90er Jahre um ein Gespräch bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Viele Hundertmillionen Menschen, so hatte die IOTF herausgefunden, waren übergewichtig, wussten aber nichts davon. Die Definition davon, was Übergewicht ist, war noch unklar, so dass die Warnungen der IOTF an Verbrauchern, Ärzten, Ministerien abprallten. Die WHO sollte mit ihrem politischen Gewicht der Botschaft Gehör verschaffen. Dazu hat die IOTF folgende Formel gebraucht - oder vielleicht auch missbraucht: Übergewicht = Körpergewicht in kg > 24,9 (Körpergröße in m)2
So schafft man einen Markt
Sie bedeutet, dass Menschen mit einem so genannten Body-Mass-Index (BMI) von 25 und darüber nicht länger „vollschlank“, „kräftig“ oder „stattlich“ sind, wie es bislang heißen mochte, sondern „übergewichtig“ und damit abnorm. Dies betrifft nach Angaben der IOTF weltweit mehr als 1,1 Milliarden Menschen. In Europa mehr als jeden Zweiten, in den USA rund zwei Drittel, in armen Ländern wie Brasilien fast 40 Prozent der Bevölkerung. Zudem soll jeder Fünfte bis Sechste einen BMI von 30 und mehr haben, damit „adipös“, also bereits krank und behandlungsbedürftig sein.
Die WHO selbst schien von den Erhebungen zutiefst erschrocken, sie deklarierte Übergewicht und Adipositas zur „globalen Epidemie“. Übergewicht, bis dahin ein Problem weniger Menschen, wurde per Formel zu einem gigantischen Markt für Abnehmmedikamente.
Der Fall geht weiter
Das Thema betrat zeitgleich mit zwei neuartigen Medikamenten die Weltbühne, die schnelles Abnehmen versprachen: „Xenical“ und „Reductil“. War dies ein Zufall? Befremdlich ist jedenfalls, dass die IOTF seit ihrer Gründung ausgerechnet von den Herstellern dieser Medikamente gesponsert wird, den Global Players Roche und Knoll, - wofür sich die IOTF auf ihrer Website offenherzig bedankt. Nicht nur, dass die lancierten Pressemeldungen der IOTF auf die dringend erforderliche „Behandlung“ von Übergewicht und die mögliche „Unterstützung“ durch „moderne und effektive“ Medikamente hinweisen. Vielmehr werden die Nutzer der IOTF-Site ohne Umschweife zu kommerziellen Homepages verlinkt, wo sie „Xenical“ und „Reductil“ rezeptfrei beziehen können.
Anfechtbarer BMI
Selbst mit großzügiger Unterstützung der Pharmaindustrie ist es nicht einfach, einen repräsentativen Teil der Weltbevölkerung auf korrekt justierte Waagen zu stellen. Also beruhen die meisten Daten auf Schätzungen und Hochrechnungen, wie die IOTF zugibt. Noch anfechtbarer als die grobe Statistik ist der Messindikator BMI und seine strikte Skala selbst, wodurch alle Studien fragwürdig erscheinen müssen, die den WHO-Vorgaben folgen. Die dem BMI zugrunde liegende „Quetelet-Formel“ war bis in die 90er Jahre wenig gebräuchlich. Damit steht die Behauptung, die Menschheit sei in den letzten Jahrzehnten immer dicker geworden, auf denkbar wackligen Füßen. Als Anhaltspunkt fürs Normalgewicht galt bis dahin die leicht errechenbare „Broca-Formel“. Zwar ergab sie nichts anderes als einen idealen BMI-Wert von 22 bis 23, doch für dramatische Statistiken war sie ungeeignet. Sie definierte nämlich für jede Körpergröße nur einen Richtwert auf der Waage und fand so bei Verbrauchern und Medien ähnlich viel Aufmerksamkeit wie Richtgeschwindigkeiten im Straßenverkehr - also so gut wie keine.
Die Broca-Formel war großzügig, ließ Raum für Individualität und Wohlfühlgewicht. Anders der BMI. Er gewährt zwar einen gewissen Toleranzrahmen, markiert aber abrupt und gnadenlos die Grenze. Wer 25 bis 29,9 aufweist, ist übergewichtig und wird zur Änderung seiner Lebensweise genötigt, wer > 30 misst, wird automatisch als „krank“ stigmatisiert.
Sprengsatz: das Lebensalter
Womit aber werden die Markierungen 25 beziehungsweise 30 medizinisch begründet? Das bleibt vorläufig das Geheimnis der WHO, auf entsprechende Anfragen antwortet sie jedenfalls nicht. Fakt ist, dass der klassische BMI noch nie als zweifelsfreier Indikator galt. Er war nur Anhaltspunkt für Übergewicht und sollte durch weitere ärztliche Untersuchungen gestützt werden.
Bei Menschen mit stark entwickelter Muskulatur zum Beispiel kam er kaum in Betracht. Der größte Sprengsatz für die Glaubwürdigkeit der IOTF-Kampagne liegt in der Missachtung des Faktors Lebensalter. Bis in die 90er Jahre hinein war der „wünschenswerte BMI“ grundsätzlich auch altersdefiniert. Dem amerikanischen National Research Council, (NRC) galt der Wert 25 nur für junge Menschen bis etwa Mitte Dreißig als oberes Limit. Mit jedem Lebensjahrzehnt wurde die Markierung um eine Einheit angehoben (siehe Tabelle unten), so dass 50-Jährige durchaus einen BMI von 26 oder 27 haben durften, 65-Jährige mit einem Wert von 23 hingegen schon als „untergewichtig“ galten.
Hintergrund: Krankenversicherungen in den USA und Europa hatten festgestellt, dass Senioren mit ihren altersüblichen zusätzlichen Pfunden eine höhere Lebenserwartung aufwiesen als solche mit perfekt schlanker Statur. Von alldem ist in den Verlautbarungen der IOTF keine Rede. Die Presseticker verbreiten seit Jahren die gleichen verkürzten Botschaften. Dem Vorwurf, sie gehe zu undifferenziert vor, will sie aber demnächst durch Flucht nach vorn begegnen. Geplant ist, den BMI für Frauen auf 24 und den für Ostasiaten auf 23 beziehungsweise 22 zu senken. Schließlich kann es nicht angehen, dass eine „globale Epidemie“ stagniert und auf diese Weise ganze Teile der Weltbevölkerung außen vor bleiben.
Damit aber ist das Schicksal der Menschheit besiegelt. Wie schon einmal um die Jahrtausendwende werden wir innerhalb weniger Tage in dramatischer Weise an Fettmasse zulegen. Roche und Knoll sei Dank, dass wir’s bemerken!
Dick durch Diät-Terror?
Laut aktuellen Statistiken haben fast 60 Prozent der Deutschen einen BMI von 25 und mehr. Anfang der 90er Jahre aber war dies nicht viel anders, wie das Robert-Koch-Institut ermittelte. Nur die Zahl der „Adipösen”, der stark Übergewichtigen also, ist seither deutlich angewachsen. Es scheint, als seien viele Dicke noch dicker geworden, trotz des Diät-Terrors der vergangenen Jahre. Ein sozialer Jo-Jo-Effekt?
Rechenexempel
Wer seinen Body-Mass-Index (BMI) wissen will, muss gut kopfrechnen können oder einen Taschenrechner bedienen.
Die Formel lautet:
Körpergewicht in kg / (Körperlänge in m)2
Wer also 1,70 Meter groß ist und 68 Kilogramm schwer, rechnet 68 : (1,70 x 1,70) und erhält als Ergebnis einen BMI von rund 23,5. Doch schon mit 5 Kilo mehr liegt der BMI bei 25,3.
Zu kompliziert?
Geben Sie doch einfach mal in das untenstehende Formular Ihre Werte ein. Sie werden sehen, wie einfach das alles ist.
Geben Sie hier Ihr Gewicht und Ihre Körpergröße ein und Klicken Sie dann den Button.
Ihr Gewicht (kg)Ihre Größe (cm)Ihr BMI
Tabellenrätsel
Wie dick ist dick? Wie schlank ist gesund?
Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gilt die Tabelle oben. Ob Männlein oder Weiblein, alt oder jung, groß oder klein gewachsen - der Durchschnitt ist der Maßstab. Mit einem BMI von 25 ist ein Erwachsener bereits übergewichtig, mit 30 und mehr ist er adipös (fettsüchtig). Nach klassischer Definition aber ist der BMI eher Anhaltspunkt als Diagnose.
Krankenkassen empfehlen die Tabelle des National Research Councils (rechts unten) mit zu Rate zu ziehen. Denn mit zunehmendem Alter steigt der BMI zumeist, auch bei gesunder Lebensweise. Und das ist gut so! Denn dies stärkt die Immunität und erhöht die Überlebenschancen bei vielen Infektionskrankheiten.
Übrigens: Auch eine Körperfettwaage hilft bei der Analyse, ob wir tatsächlich zu dick oder zu dünn sind. Mit Hilfe nicht spürbarer Stromstöße kann sie Knochenbau und Muskelmasse beim Wiegen mit berücksichtigen.
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