Interview

Maja Göpel: „Das können wir besser“

Die Politökonomin Maja Göpel sagt, wir leben in einer verkehrten Welt, denn wir verramschen die Natur und lassen zu, dass Algorithmen unseren Takt bestimmen. Eine Lösung findet sie im regenerativen Kreislauf.

Maja Göpel kommt vom Yoga, als wir uns virtuell treffen. Sie hat wenig Zeit. Während des Gesprächs buhlt das Töchterchen um Mamas Aufmerksamkeit. Als ihre größte Herausforderung bezeichnet die Transformationsforscherin, die auch die Bundesregierung in Umweltfragen berät, den Umbruch in die Welt von Morgen positiv zu gestalten und trotzdem im Jetzt zu leben.

Frau Göpel, Ihr aktuelles Buch heißt: Unsere Welt neu denken – eine Einladung. Wozu laden Sie uns ein?
Erfolgreiche Entwicklung anders in den Blick zu nehmen. Unsere Idee von Natur hätte ein Update verdient.

Wie meinen Sie das?
Die Gesundheit ökologischer Systeme ist direkt mit menschlicher Gesundheit verbunden. Aber wie wir mit regenerativen Kreisläufen umgehen, ist ein Problem. Unsere lineare Fließbandwirtschaft sieht die Natur als Ressource zur Herstellung von Dingen, die wir später wegwerfen. Aber natürlich sind die nicht weg, sondern landen als Plastik im Ozean, CO₂ in der Atmosphäre oder als Gift im Boden. In einer zirkulären Wirtschaft würden sich natürliche Stoffe in einem Kreislauf befinden. Im Idealfall bauen Unternehmen so, dass alles wiederverwendet werden kann.

Zur Person: Maja Göpel

Die 44-jährige Politökonomin, Transformationsforscherin und zuletzt Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) kennt die Nachhaltigkeitsforschung und -politik wie kaum eine andere. Sie ist Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg, Mitglied im Club of Rome und Mitbegründerin von Scientists for Future. Anfang 2020 ist ihr Buch „Die Welt neu denken – eine Einladung“ erschienen. Seit 1. November 2020 ist sie wissenschaftliche Direktorin der neu gegründeten Hamburger Denkfabrik The New Institute.
maja-goepel.de

Und was bräuchte es, um Wirtschaft und Natur in Einklang zu bringen?

Eine Korrektur unserer ökonomischen Kennzahlen, um die Schadschöpfung an den Ökosystemen anzuzeigen, ein Zurückdrehen der Finanzialisierung und eine der Nachhaltigkeit dienende Digitalisierung. Es kann nicht gut sein, wenn Finanzmärkte und Algorithmen uns vorgeben, wie Mensch und Natur sich gefälligst zu verhalten haben.

Misstrauen Sie Technik?

Nur weil wir dazu in der Lage sind, immer neue Technologien zu entwickeln oder uns Finanzprodukte auszudenken, ist deren maximale Verbreitung noch lange nicht sinnvoll. Wir müssen uns fragen: Was dient und was herrscht? Im Moment herrscht die kurzfristige finanzielle Rendite und das prägt auch die technische Entwicklung.

Müssen wir auf Wohlstand verzichten?

Wir sollten darüber nachdenken, was wir wirklich benötigen. Forschungen zeigen, dass wir vor allem Gesundheit und starke Beziehungen brauchen. Wir wollen wahrgenommen werden und etwas beitragen. Nicht zu vergessen so elementare Bedürfnisse wie Essen oder ein Dach über dem Kopf. Aber es muss kein Palast sein.

Trotzdem sehnen sich viele nach einem Palast ...

Weil andere signalisieren, dass sie damit die Besseren sind. Statuskonsum wird durch Werbebotschaften bewusst angeheizt. Doch die Glücksforschung zeigt: Ständige Vergleiche lösen Stress aus, das hört auch bei sehr hohen Einkommen nicht auf.

Sind wir zufriedener, wenn wir ähnlich viel besitzen?

Die Sorge um das Dazugehören und die Chancengleichheit werden geringer. Das heißt nicht, dass alle das Gleiche haben sollen. In der Forschung zu Nachhaltigkeitszielen verbinden wir ein faires Minimum an materieller Versorgung für alle Menschen mit den planetaren Grenzen, also dem Maximum, was den Ökosystemen entnommen werden kann, ohne sie aus der Balance zu kippen. Damit sehen wir schnell, dass einige Lebensstile unverhältnismäßig viel Planet für sich beanspruchen und andere hohe Lebensqualität mit geringem Fußabdruck hinbekommen. Das sind die Rollenmodelle der Zukunft.

Was brauchen wir wirklich, um uns gut zu fühlen?

Maja Göpel, Politökonomin und Direktorin der Denkfabrik The New Institute

Bestimmt klatschen nicht alle Beifall, wenn Sie über Ihre Ideen sprechen …

Es ist meines Erachtens die Verantwortung der Wissenschaft, diese Erkenntnisse auszusprechen. Wenn Studien zeigen, dass die Landwirtschaftspraxis heute in Europa das größte Umweltproblem darstellt, ist das erst einmal ein Befund. Da werde ich aber schnell als Bauernhasserin bezeichnet.

Was tun, um die Probleme in der Landwirtschaft zu lösen?

Schauen Sie mal, unter welchen Bedingungen Bauern arbeiten müssen. Die EU-Subventionen drücken in eine bestimmte Richtung, die der Konzentration. Dazu der Preiskampf durch den Handel, steigende Bodenpreise durch Investoren und Werbekampagnen à la „Geiz ist geil“. Unter den fünf reichsten Deutschen sind drei aus dem Lebensmittelhandel. Wer wird wie dafür vergütet, wie Lebensmittel hergestellt und verteilt werden? Die ehrliche Diagnose ist: Das können wir besser!

Würden bei einem Systemwechsel die Preise für Lebensmittel steigen?

Gegenfrage: Warum können es sich Menschen in einem der reichsten Länder der Welt nicht leisten so zu essen, dass Natur und Tier nachhaltig behandelt werden? Warum passen wir zum Beispiel die Subventionen und den Mindestlohn nicht schneller an und besteuern das Rent-Seeking, also die unproduktiven Einkommen hinter den Miet- und Bodenpreissteigerungen? Dann sähen nicht nur Preise und Landwirtschaft anders aus, sondern auch der Spielraum in den Haushaltsbudgets.

Welche Rolle spielt die Öko-Landwirtschaft beim Wandel des Agrarsektors?

Ich weiß nicht, ob es hilft, ökologische und konventionelle Landwirtschaft als zwei festgefahrene Lager gegenüberzustellen. Vielleicht brauchen wir eine neue Zielkoordinate zur Versöhnung – regenerative Landwirtschaft zum Beispiel. Je nach Region werden sich die Anbauformen unterscheiden, aber die Prinzipien stimmen überein. Indem wir regionale Räume aufwerten, verbessern wir auch die Lebensqualität der Menschen dort.

Wie beeinflusst die Corona-Krise die Transformation?

Durch die anfangs leeren Supermarktregale und die Skandale der Fleischindustrie denken wir mehr darüber nach, welche Systeme wir uns gebaut haben. Und wir beobachten, dass Staat und Markt nicht getrennte Sphären sind, sondern einander beeinflussen.

Aber nicht immer profitierten nachhaltige Akteure von der Corona-Hilfe.

Das stimmt. Am Tisch saßen und sitzen vor allem Institutionen, die sowieso schon gut im Status quo verankert sind. Ich würde mir wünschen, dass mit staatlicher Hilfe auch verbindliche Nachhaltigkeitskriterien für Investitionen, Technologienentwicklung und den Umbau von Wertschöpfungsketten verbunden werden. Wir dürfen nicht vergessen: Direkt vor Corona hatte das Weltwirtschaftsforum den Globalen Risikobericht vorgestellt: Fünf von den Top-6-Risiken waren negative Umweltveränderungen.

Wenn Sie an die Welt denken, in der Ihre Töchter in 20 Jahren leben – wie geht es Ihnen da?

Ich denke nicht an die eine Zukunft, weil diese im Moment kaum prognostizierbar ist. Wie sie wird, hängt zentral davon ab, was wir heute verändern! Und da starren wir gerne in den Rückspiegel, auf das, was droht zu vergehen – und stehen uns damit selbst im Weg.

Stattdessen sollten wir ...?

... unsere „Normalität“ ehrlich hinterfragen und mutig das tun, von dem wir uns in der Zukunft mehr wünschen.

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