Kolumne

Küss die Hand!

Händeschütteln? Nie wieder! Da war Jutta Koch sich ganz sicher. Bis zum ersten analogen Termin mit einem fremden Menschen ...

Manchmal staune ich über mich selbst. Wenn ich es beispielsweise mal wieder schaffe, mich in einer gut beschilderten deutschen Innenstadt hoffnungslos zu verirren. Bisweilen staune ich sogar zweimal: erst darüber, wie sicher ich mir einer Sache bin – und im Nachhinein darüber, dass ich komplett falsch lag.

So wie neulich. Da sprach ich mit meinem Mann übers Händeschütteln. Die Ausgangsfrage war: Kehrt der von der Pandemie verdrängte Handschlag zur Begrüßung ins gesellschaftliche Leben zurück oder nicht? Niiiiiie wieder werde ich Hände schütteln, hörte ich mich sagen. Und: Gut, dass wir alle gelernt haben, dass das Anfassen anderer Leute Hände vor allem eines ist – gefährlich für unser aller Gesundheit. Viren, Bakterien, fast alles Übel der Welt kann per Hand weitergegeben werden. Igitt!

Was, wenn das Gegenüber einem die Hand reicht?

Im Brustton der Überzeugung verkündete ich, dass ich für den Rest meines Lebens gut aufs Händeschütteln verzichten könne. Mein Mann sah das Ganze differenzierter: Was, wenn das Gegenüber einem die Hand reicht? Den Handschlag verweigern? Oder wider Willen einschlagen? Pffffht, sagte ich. Wer würde heute noch auf die abseitige Idee kommen, jemandem die Hand geben zu wollen?

Kurz darauf folgte meine erste Dienstreise nach anderthalb Jahren. Ein analoger Termin mit mir unbekannten Menschen in einer mir fremden Stadt. (Vom Abenteuer, gänzlich orientierungslos und mit wirrem Haar doch noch pünktlich mein Ziel zu erreichen, erzähle ich Ihnen vielleicht ein anderes Mal.) Endlich angekommen, legte ich im Foyer des Unternehmens meinen Impfnachweis vor und wurde getestet. Schließlich stand ich meinem Gesprächspartner gegenüber, und da geschah etwas Merkwürdiges. Ich lächelte, stellte mich vor – und sah mir selbst dabei zu, wie ich meinen Arm in voller Länge beherzt zum Handschlag ausstreckte.

Unterbewusst hat mir der feste Händedruck eines sympathischen Menschen wohl doch arg gefehlt ...

Mein Gegenüber schaute auf meine Hand, dann in meine Augen und zögerte. Ich zog meinen Arm blitzschnell zurück und stammelte: „Ach so, das machen wir ja nicht mehr.“ Da reichte er mir die Hand und sagte freundlich: „Das können wir schon machen.“ Ich schlug ein, schüttelte kräftig – und war gerührt. Unterbewusst hatte mir der feste Händedruck eines sympathischen Menschen wohl doch arg gefehlt. Gemeinsam desinfizierten wir uns die Hände und gingen zu unserem Interview.

In Zukunft werde ich versuchen, meine Hände unter Kontrolle zu halten. Sollte jemand anderes das nicht schaffen, werde ich dafür aber besonderes Verständnis haben. Küss die Hand!

Jutta Koch (42) ist Redakteurin beim Naturkosmetik-Magazin cosmia. Als Kolumnistin erzählt sie aus dem Alltag zwischen Wonne und Wahnsinn.

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