Leben

Glänzend schön

Beim Naturfriseur sind sanfte Hände am Werk, Hardcore-Produkte tabu: nix Dauerwelle, Heizstab oder Trockenhaube. Das erste Mal ist am aufregendsten. Einladung zum Selbstversuch

Das wohlige Stöhnen kann ich gerade noch zurückhalten: Die Auszubildende Janina striegelt mir das Haar mit Wildschweinborsten, eine flache Bürste in jeder Hand. Herrlich. Danach massiert sie mir Öl mit einem Tropfen Zitronenmelisse auf die Kopfhaut – ein auratisches Erlebnis. Dabei ist Janina Bartels ganz in sich versunken und streicht mir, ganz Ayurvedameisterin, Energiewellen über Nacken und Schultern. Während ich hoffe, dass sie noch weiß, wo meine Kopfhaut endet, beschließt sie die Behandlung mit einem lockeren Auf- und Absenken der Arme.

Mag diese Behandlung denn jeder? „Das ist eine sehr persönliche Erfahrung“, bestätigt sie, und auch, dass es für manche gewöhnungsbedürftig sei. Nun aber der Clou: das Haarewaschen im Liegen. Die Waschliege ist das Herzstück des Wiesbadener Naturfriseur-Salons Just Nature und Chefin Elvira Hermenaus ganzer Stolz. Was? Wieder aufstehen? Ich war schon kurz vorm Wegdämmern.

Ein Blick ins Sündenregister

Vor solch entspannenden Wonnen allerdings steht die Beratung. Die ist, so lerne ich, beim Naturfriseur unumgängliches Muss für’s erste Mal. Dauert rund anderthalb Stunden, gibt Einblick ins eigene Vorlieben-, Stress- sowie Ess-Sündenregister und gehört natürlich ganz konventionell bezahlt: Erstbehandlung 75 bis 100 Euro, Folgeschnitt dann nur um die 55 Euro. Wer geht eigentlich zum Naturfriseur? Elvira Hermenau schmunzelt, „na, ganz Verschiedene! Da vorne die Dame ist Ärztin, daneben sitzt eine Hausfrau und gerade betrat eine Studentin den Salon“. Manche kämen nur einmal im Jahr, andere immer. Mittlerweile sogar Männer: „Letztens waren drei auf einmal hier, da schaute eine Stammkundin rein und fragte, ob ich eine Kampagne gestartet hätte“, lacht die Kölnerin fröhlich.

Aggressive Substanzen sind tabu

Sie selbst stieg vor rund zehn Jahren um auf Naturkosmetika, „um endlich der Wahrheit näherzukommen“ und um einen „komplett chemiefreien Salon“ zu haben. Der Wahrheit näher? „Trotz oder eher wegen all den Produkten, die ich hatte: Ich konnte einfach keine glänzenden Haare produzieren.“ Frustrierend, deshalb begann sie sich bei Wala/Dr. Hauschka und Willi Luger weiterzubilden. Tatsächlich „chemiefrei“ ist ihr Laden dennoch nicht, denn auch jedes Naturkosmetikprodukt wird durch chemische Reaktionen hergestellt. Allerdings müssen beim Naturfriseur aggressive, synthetische Substanzen draußen bleiben.

Die Stylingtricks der Konventionellen müssen die Bios der Zunft durch Schnittkunst und Wissen um die natürliche Wirkkraft der Produkte wettmachen. Denn: „Nur Natur“ heißt ja nicht langweilig! Als Elvira Hermenau ihre zwei nach herkömmlichem Prinzip gut florierenden Kölner Geschäfte verkaufte, sollte der neue Natursalon zwar anders sein, aber „nicht ökoschluffimäßig, sondern innenstadttragbar“. In ihrem Wiesbadener Ladengeschäft sieht das jetzt so aus: hell und transparent mit zwei Meter hohen Spiegeln, Korbelementen als Ablage für Brigitte und Co., Glastischchen, Zimmerbrunnen und offenen Regalen.

Die Meisterin der Farbtöne

In der Färbeecke praktiziert sie mit Waage und 40 verschiedenen Pflanzenpulvern das kleine Hexeneinmaleins. Aus den grünlichen Stäuben mischt die Meisterin hundert individuelle Farbtöne, auch den zarten Kupferton auf dem eigenen Kopf. „Alles Erfahrung“, sagt sie mit wippenden Locken. Am Anfang, gesteht sie, „gab es schon mal grüne Haare, weil das Schwarz nicht ordentlich dosiert war“. Und heute? „Fan-tas-tisch“, schwärmt die 44-Jährige. „Mal versuchen?“ Nein, ich winke ab. „Später vielleicht, zu Hause?“ Mit einem Zwinkern öffnet Elvira Hermenau eine Tüte „Glanzpackung hell“ und füllt mir etwas ab. Hm, mal sehn …

Von manchen Farbwünschen allerdings rät sie rigoros ab. Dunkles Haar blondieren oder mit hellen Strähnchen versehen geht gar nicht, und auch die Chemiebombe Dauerwelle ist tabu. Elvira Hermenau streckt mir ihre Hände entgegen – „schauen Sie sich meine Finger an: keine Rötungen, keine Pusteln, keine eingerissene Haut“.

Das Haar verjüngt sich

Hautstrapazen der Friseure sowie Haarstrapazen der Kunden beginnen nämlich bereits beim Shampoo. Nur mit Lupe und Erklärungsbuch lässt sich auf den Etiketten entlarven, worauf man gut verzichten kann: Weichmacher, Silikonöle, Antistatika, Konservierungs-, Duft-, Quell- oder Schaumstoffe. Außerdem hautreizende, waschaktive Substanzen, Tenside, mit denen man den kompletten Hausputz machen könnte. Ein Cocktail, der teils allergieauslösende, teils sogar krebserregende Stoffe enthält.

Laut Werbung macht all das unser Haar schön und glänzend, den ganzen Menschen gar jung und sexy. Fragt man den österreichischen Naturfriseur-Guru Willi Luger, der als einer der ersten umstieg, machen sie unseren Kopfputz nur eins: kaputt. Wer nun bis in die Haarspitzen genug hat, muss allerdings von ein paar Gewohnheiten Abschied nehmen: Es gibt weniger Schaum, weniger künstlichen „Duft“ und außerdem kann es sein, dass die Haarpracht erst mal platt am Kopf liegt. Nach einigen Wäschen, nicht

zu viel Stress im Leben und ausgewogener Vollwertkost, verjüngt sich aber das Haar und gewinnt seine Eigendynamik zurück, sind sich verschiedene Naturfriseure von Willi Luger bis Susanne Kehrbusch einig. Inhaltlich mindestens ebenso heikel seien all die Zusatzprodukte, die Friseure gern verwenden, wie Gels, Finisher, Conditioner oder was auch immer an Stylingmittelchen gerade in ist.

„Wir achten auf den Menschen“

Beim Naturfriseur dagegen zähle der Schnitt, nicht das Aufpeppen, versichert Jennifer Klein. Sie ist Naturkosmetikerin und Friseurin bei Just Nature und hat wie alle anderen die konventionelle Ausbildung an der Berufsschule durchlaufen. „Dort bekommt man gerade mal vier Basisschnitte beigebracht. Hier ist das anders, wir achten auf den ganzen Menschen, also darauf, dass die Proportionen hinterher stimmen.“

In diesem Sinne rieseln jetzt unter den geübten Fingern der Chefin etwa drei Zentimeter meines Exhaarschnitts um mich herum auf den Boden. Das Ergebnis: ein „energetischer Haarschnitt à la Hermenau“. Sie erklärt den Begriff so: „Haare strahlen Energie aus und die sollte im Einklang mit der Eigendynamik der Person stehen.“ Die Dynamik meiner Einsachtundsiebzig empfand sie als eher eckig und riet mir zum jetzigen runden Schnitt als „Energieausgleich“. Ohne Sprüh- und Gel-Schnickschnack muss so ein Schnitt

eins a sitzen, betont sie und fährt mir immer wieder wuschelnd durchs Haar. Schließlich sprüht sie einen Hauch Luxus in Form von Rosenwasser über die neue Frisur, föhnt sie schonend in Form, und zwar mit blitzsauberen Schweinebürsten.

Das A und O: tägliches Bürsten

Dann stemmt sie einen riesigen Spiegel, der einen Gesamteindruck ermöglicht. „Zufrieden?“ Bisschen kurz, aber es gefällt mir. Als ich schließlich in die Dezembernässe draußen stapfe, fühle ich mich wahrlich energetisch gewappnet. Im Ernst: Meine Haare glänzen und sind seidenweich.

Zu Hause übe ich nun neue Verhaltensmaßnahmen in Sachen Haarpflege. Als Erstes habe ich das Shampoo gewechselt, mit zunächst mäßigem, nach vier Wochen aber bestem Ergebnis. Weil tägliches Bürsten (nur trocken!) das A und O sein soll, habe ich eine Wunderwildschweinbürste gleich mitgenommen und arbeite seitdem jeden Morgen damit. Als Erstes hatte ich davon eine Überproduktion meiner Haar-Talgdrüsen, also fettige Strähnen und Frust. Mittlerweile jedoch ist die Bürsterei wohliges Ritual und die Fettproduktion wieder auf normalem, sprich gewünschtem Level.

Vitamine und Mineralien

100.000 Haare wachsen auf unserem Kopf. Jedes wächst einen Zentimeter im Monat, wird bis zu sieben Jahre alt und ist mit einem Muskel verbunden. Kein Wunder, sehen Haare stumpf und kraftlos aus, wenn wir uns so fühlen. Höchste Zeit für Ruhe, vitamin- und mineralstoffreiches Essen und eine Verwöhnkur.

„Reparatur“-Shampoos?

Konventionelle Hersteller dürfen nach der International Nomenclature of Cosmetic Ingredients (INCI) aus 8000 Substanzen plus 1200 Duftstoffen wählen. Aufgelistet werden sie in Latein und Englisch. Hinter Polymethylsiloxan, Stearyl oder Cetyl Dimethicone verbirgt sich etwa das schädigende Silikon. Abkürzungen mit PEG oder Endungen auf „eth“ wie Laureth-Sulfat bezeichnen schwer abbaubare, hautreizende Tenside.

Haarchemie

Unser Haar besteht aus 45 Prozent Kohlenstoff, 28 Prozent Sauerstoff, 15 Prozent Stickstoff, 7 Prozent Wasserstoff und 5 Prozent Schwefel. Auf einen Millimeter lassen sich 10 bis 20 Haare nebeneinander legen. Die meisten, dafür aber auch die dünnstena, Haare haben Blonde.

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