In der Erinnerung kommt einem vieles größer vor. Der Garten bei den Großeltern, in dem man sich als Kind so gut verstecken konnte, entpuppte sich später als übersichtlicher Durchschnittsgarten. Kaum zu glauben, dass Oma und Opa einen nie finden konnten ... Auch Kleiderschränke sahen riesig aus, man konnte sogar hineinklettern – heute scheinen sie eher viel zu klein zu sein. Hingegen wirken viele Kaufhäuser, die einen früher schon beeindruckt hatten, noch immer gewaltig: drei, vier, fünf Stockwerke, mit Rolltreppen durchzogen, Warentische bis zum Horizont – und die Toilette, die einen eigentlich hergeführt hatte, garantiert am anderen Ende.
Als die letzte verbliebene deutsche Warenhauskette „Galeria Karstadt Kaufhof“ vor ein paar Wochen bekannt gab, ein Drittel ihrer Häuser zu schließen, dürften viele Menschen durchaus wehmütig an frühere Kaufhauserlebnisse zurückgedacht haben. Namen wie Horten, Hertie oder Quelle kamen einem in den Sinn, Gedrängel im Sommerschlussverkauf, paradiesische Spielzeugabteilungen, Mode „aus Paris“ und mittendrin freundlich-strenge Verkäuferinnen, die allwissend und allverstehend ihren Kunden das Gefühl gaben, mal etwas ganz Besonderes sein zu dürfen. Lange her. Vor elf Jahren schrieb Walter Wüllenweber im „Stern“ einen „Nachruf“ auf die ehemaligen Kathedralen des Konsums. „Alles, was ein Kaufhaus kann, können andere besser“, bilanzierte er. „Billig“ kauft man seit Jahren lieber woanders, teuer und luxuriös auch. Und man muss dafür nicht mal mehr vor die Tür. 2018 machten die deutschen Kaufhäuser im gesamten Jahr bereits weniger Umsatz als der Onlinehandel in einem Monat.
Das ideale Kaufhaus huldigt nicht dem Wegwerfkonsum.
Die Reallöhne in Deutschland stagnieren seit Jahren. Mit dem Aufkommen von „Fridays for Future“, und erst recht nach Corona, scheint die Konsumfreude zusätzlich erlahmt. Aber die Idee des Kaufhauses ist nicht nur an äußeren Umständen gescheitert. Seit Jahrzehnten wurden die Warentempel von geballter Lieblosigkeit regiert. Die eigenen Angestellten, die solchen Häusern erst eine Seele geben, wurden von ihrem Management behandelt wie unverkäufliche Ramschware aus dem Schlussverkauf. In einer besseren Welt wären die Kaufhausflächen längst zu Erlebnisräumen für nachhaltige Produktkultur geworden, mit Reparaturservice, Maßschneiderei sowie digitalen Dienstleistungen aller Art, mit Pop-up-Flächen für Öko-Designer, mit Begegnungsplätzen ohne Konsumzwang sowie kleinen Cafés, in denen der Kaffee nicht schmeckt, als hätte ihn vor einem schon mal jemand getrunken.
Das ideale Kaufhaus huldigt nicht dem Wegwerfkonsum, sondern der Kreativität von heute und den Träumen von morgen. Warum nicht die Immobilienspekulanten, die mit den Flächen eh nichts anzufangen wussten, enteignen, und den Orten die Fantasie zurückgeben? Die Tausenden Menschen, die dort arbeiten, hätten es verdient.
Fred Grimm
Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.