Dirk Messner ist der Kopf von Deutschlands wichtigster Umweltbehörde. Das Gespräch mit dem UBA-Präsidenten startet dann aber doch wie viele andere Online-Meetings: Wir lachen über die Technik! Irgendwas ist ja immer, sagt Messner.
Herr Messner, wann haben Sie das letzte Mal einen Storch gesehen?
Ich glaube, im vorletzten Sommer im Brandenburger Umland. Dort gibt es ja noch, oder besser gesagt wieder, ein paar Störche.
Um Störche und andere Tiere und Pflanzen zu schützen, findet jährlich die UN-Biodiversitätskonferenz statt. Diesen Oktober im chinesischen Kunming. Wie ist die Ausgangslage?
Ähnlich wie beim Klima haben wir uns bei der Biodiversität einmal Ziele gesetzt. Die Bilanz ist schlecht, denn wir haben bisher nahezu keines davon geschafft. Wir kommen beim weltweiten Schutz von Arten und Ökosystemen nicht voran. Daher ist der Zustand von Meeren, Wäldern und Böden besorgniserregend.
Wie beeinflusst Biodiversität konkret das Klima?
Einerseits durch die sogenannte Senkenfunktion der Ökosysteme. Sie saugen gut 50 Prozent der ausgestoßenen Emissionen auf. Ozeane zum Beispiel. Die müssen Sie sich wie Schwämme vorstellen, deren Absorptionskapazitäten allerdings sinken, weil wir sie überlasten oder auch zerstören. Wir brennen die Kerze von beiden Seiten ab, indem wir Treibhausgase produzieren und gleichzeitig die Ökosysteme, die uns dabei helfen, CO₂ zu binden, schwächen, indem wir Böden auslaugen, Moore trocken legen und Wälder roden. Schlimmer noch: Die globale Erwärmung selbst schwächt die Ökosysteme zusätzlich.
Zur Person: Dirk Messner
Riesige Umbrüche prognostizierte Dirk Messner 2020 zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident des Umweltbundesamtes. Rund 1800 Mitarbeiter hat die größte deutsche Umweltbehörde. „Tolle Leute, das motiviert mich sehr“, sagt der promovierte Politikwissenschaftler. Zuvor leitete er das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik, 2002 habilitierte er an der Freien Uni Berlin. Von 2004 bis 2019 beriet er, lange als Vorsitzender des Beirates für Globale Umweltveränderungen, die Bundesregierung, aber auch die EU und die UNO. Und als Stadtmensch, sagt er, seien Störche etwas Besonderes.
Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich von der Biodiversitätskonferenz in diesem Monat?
Wir müssen uns erst einmal bewusst machen, welche zentralen Trends wir eigentlich umkehren müssen. Erst dann können wir uns Ziele setzen.
Welche Trends sind das?
Zum einen ist die Bodenerosion um ein Vielfaches höher als die Bodenbildungsrate. Wir verlieren jedes Jahr weltweit Humus und fruchtbaren Boden. Allein in der Landwirtschaft ist diese Rate um den Faktor 30 bis 100 höher als die der Bodennachbildung! Große Verluste haben wir auch bei Wäldern: Seit 1990 haben wir durch Abholzung weltweit 420 Millionen Hektar Wald verloren.
Und bei der Artenvielfalt?
Es gibt Berechnungen, nach denen wir von den insgesamt rund 8,7 Millionen Tier- und Pflanzenarten bis Ende des Jahrhunderts eine Million verlieren könnten. Die Aussterberate könnte zahlreiche Ökosysteme kippen lassen. Die UN-Biodiversitätskonferenz muss sich darauf einigen, diese Trends umzukehren.
Haben Sie den Eindruck, dass die Politik mittlerweile mehr auf die Wissenschaft hört?
Ich denke, die Klimaproblematik haben inzwischen die meisten Entscheidungsträger verstanden und es wird viel getan, die Treibhausgasemissionen zu senken. Leider ist diese Energie in Bezug auf Biodiversität noch nicht so spürbar. Ihre Bedeutung für Mensch und Klima wird noch nicht verstanden. Bisher sind Umwelt und Naturschutz oft ein „nice to have“.
Warum ist das so?
Weil die Zusammenhänge komplexer sind als beim Klima. Daher sind die Probleme leider nicht so leicht zu erfassen. Aber die Treibhausgasemissionen, die wir in den letzten 200 Jahren in die Atmosphäre gepumpt haben, setzen die gesamten Ökosysteme unter Druck und können einen gefährlichen Erdsystemwandel auslösen.
Man lügt sich in die Tasche, wenn man glaubt, man könne die Biodiversitäts- und Klimaprobleme allein mit Technik lösen.
Sie haben einmal eine Verringerung des Fleischkonsums gefordert, um CO₂-Emissionen zu reduzieren ...
... und habe mir damit nicht besonders viele Freunde gemacht. Die meisten Menschen freuen sich wohl mehr darüber, wenn ich technologische Lösungen präsentiere. Nach dem Motto: Wir können so weitermachen, wie wir es immer getan haben: Technologische Innovationen lösen für uns alle Probleme.
Was spricht dagegen?
Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien oder dem Umbau unserer Mobilitätssysteme brauchen wir neue Technologien, ganz klar. Aber man lügt sich in die Tasche, wenn man glaubt, man könne die Biodiversitäts- und Klimaprobleme allein mit Technik lösen.
Was brauchen wir stattdessen?
Wir müssen auf unsere Verhaltensweisen schauen. Ein großer Hebel ist die Ernährung. Wie viele Wälder wir roden oder Moore trockenlegen, hängt stark davon ab, ob wir mehr Fleisch essen oder uns vegetarischer ernähren. Als Bürger und Konsumenten haben wir auch eine Verantwortung für das gesamte Gemeinwesen. Es sind nicht nur Wirtschaft und Politik an der Umweltmisere „Schuld“.
Brauchen wir ein anderes Wirtschaftssystem?
Die Art unseres Wirtschaftens sollte den Ökosystemen genügend Zeit zur Regeneration geben. Wir brauchen wirtschaftliche Produktionsformen, die das Zusammenspiel von natürlichen Abläufen nicht nachhaltig zerstören.
Was fordern Sie noch, um die Artenvielfalt zu sichern?
Wir brauchen weltweit deutlich mehr Naturschutzgebiete sowie eine Landwirtschaft, die Böden, Moore und Meere nicht überlastet, gleichzeitig aber unsere Ernährung sichert. Außerdem muss viel strategischer renaturiert werden.
Was läuft da falsch?
Global und national renaturieren wir nicht systemisch. Wir brauchen aber gemeinsame Strategien, um etwa bestimmte Flächen freizuhalten. Moore zum Beispiel sind aus Klimaschutzperspektive von herausragender Bedeutung. Weltweit machen sie nur drei Prozent der Landfläche aus, absorbieren aber etwa 30 Prozent der Treibhausgase an Land. Zur Renaturierung zählen auch Wiederaufforstungsprogramme – dann aber bitte nicht Monokulturen, sondern Mischwälder.
Wie bleiben Sie bei all den schweren Themen ein Optimist?
Ich bin ein sehr optimistischer Mensch und deshalb glaube ich, dass wir Lösungen finden werden, aber auch, dass wir hart dafür arbeiten müssen.
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.