Leben

Rettung aus dem Altkleidersack

Ihr Ziel ist die „Capsule Wardrobe“. Auf dem Weg dorthin lernt unsere Kolumnistin Jutta Koch ihren ältesten Pullover neu zu lieben.

Neulich habe ich meinen Kleiderschrank entrümpelt. Wild entschlossen füllte ich drei Säcke mit Altkleidern. Als ich damit fertig war, habe ich jeden einzelnen Sack noch mal gründlich durchgewühlt, um mich zu vergewissern, dass mein Schritt in Richtung „Capsule Wardrobe“ nicht zu groß war.

Ihr kennt den Begriff vielleicht: So nennt man das Konzept, nur sehr wenige, dafür aber qualitativ hochwertige Kleidungsstücke im Schrank zu haben, die man prima miteinander kombinieren kann. „Capsule“ bedeutet übersetzt „Kapsel“, und obgleich meine Garderobe nicht riesig ist – mich auf eine Kapsel zu beschränken, fiele mir doch schwer. Trotzdem trennte ich mich erbarmungslos von den Teilen, die ich lange nicht getragen hatte. Und von jenen, die objektiv betrachtet untragbar geworden sind – mein zehn Jahre alter, heiß geliebter, aber völlig abgewetzter Kapuzenpullover mit dem plüschigen Innenfutter zum Beispiel.

Der Kofferraum als Kleiderschrank

Dass die verschnürten Säcke dann noch drei Wochen lang im Kofferraum lagen, war keine Absicht. Ich wollte da nix mehr rausholen, ehrlich. Ich hatte es schlicht nicht geschafft, die Ladung wegzubringen. Zum Glück, denn dann kam der Tag, an dem wir im hessischen Bergland wandern gehen wollten. Die Wettervorhersage verhieß Sonne und milde Temperaturen. Wir starteten bei genau dieser Witterung im Rhein-Main-Gebiet, das aus gutem Grund auch „Hessisch Toskana“ genannt wird.

Als wir den Ausgangspunkt für unsere Tour erreicht hatten, war es dagegen trüb, windig – und saukalt. Nach kurzem Schlottern kam mir der rettende Einfall: Ich öffnete die Kofferraumklappe und verteilte – tataaa! – eine Runde Altkleider: Mein Sohn schlüpfte in einen Wollpullover, meine Tochter warf sich juchzend in eine Strickjacke, großflächig besudelt mit eingetrockneter Wandfarbe. Ich selbst fischte aus einem der Säcke meinen uralten Kapuzenpulli mit dem Plüschfutter. So warm wie der ist nämlich keiner.

Ich wollte da nix mehr rausholen, ehrlich!

Derart gut ausgerüstet zogen wir los, kamen ungeplant in die Dunkelheit und mussten mangelnden Wegweisern, Wind und Wetter trotzen. Immerhin hatten wir aber mollig warme Klamotten an. In puncto „Capsule Wardrobe“ habe ich an diesem Tag ganz neue Erkenntnisse gewonnen: In meinem Kleiderschrank dürfen gerne wenige Teile hängen, die ungeheuer gut zueinander passen. In den Kofferraum aber gehört ein Altkleider-Sack als Not-Garderobe. Darin liegt mein oller Flausch-Pullover. Der passt zu nix. Nur zu schlechtem Wetter.

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